Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 85 IV 155



85 IV 155

41. Urteil des Kassationshofes vom 14. September 1959 i.S. Biedermann
gegen Polizeirichteramt der Stadt Zürich. Regeste

    Art. 18 VO über die Strassensignalisation. Bedeutung des gelben
Zwischensignals.

Sachverhalt

    A.- An der Kreuzung der Überland- und der Saatlenstrasse in Zürich
regelt eine Lichtsignalanlage den Verkehr. Während sie durch grünes Licht
die Durchfahrt auf einer Strasse offen lässt, sperrt sie durch rotes Licht
den Verkehr auf der andern. Auf das grüne Licht folgt nicht unmittelbar
das rote, sondern als Zwischensignal für 4 Sekunden ein gelbes Licht.
Zwischen dem Wechsel von Rot auf Grün ist dagegen keine gelbe Zwischenphase
eingeschaltet. Während im Anschluss an Grün auf der einen Fahrbahn das
gelbe Zwischenlicht aufleuchtet, bleibt auf der andern das Signal auf Rot.

    Am 27. September 1958 kurz nach 10 Uhr führte Erwin Biedermann auf der
Überlandstrasse einen Personenwagen stadteinwärts gegen die Kreuzung. Bei
gelbem Licht fuhr er in diese ein.

    B.- Der Einzelrichter in Strafsachen des Bezirksgerichts Zürich
verurteilte ihn am 1. April 1959 wegen Übertretung von Art. 76 Abs. 2
und 5 MFV zu einer Busse von Fr. 10.-. Der Richter ging davon aus, dass
nur bei grünem Licht in die Kreuzung eingefahren werden dürfe.

    C.- Gegen dieses Urteil erhob Biedermann kantonale und eidgenössische
Nichtigkeitsbeschwerde.

    Die kantonale Beschwerde wurde vom Obergericht des Kantons Zürich
am 10. Juli 1959 abgewiesen.

    Mit der eidgenössischen Nichtigkeitsbeschwerde beantragt Biedermann,
das angefochtene Urteil sei aufzuheben und die Sache zur Freisprechung
des Beschwerdeführers an den Einzelrichter zurückzuweisen. Er macht
geltend, gemäss Art. 18 der Verordnung über die Strassensignalisation
vom 17. Oktober 1932/23. November 1934 (SigV) sperre nur rotes Licht
die Durchfahrt. Das gelbe Zwischensignal mahne zu erhöhter Vorsicht,
bedeute jedoch nicht Fahrverbot.

    D.- Das Polizeirichteramt der Stadt Zürich hat auf Gegenbemerkungen
verzichtet.

Auszug aus den Erwägungen:

              Der Kassationshof zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- Der Führer eines Motorfahrzeuges hat die Weisungen und Anordnungen
der Verkehrspolizei zu befolgen (Art. 18 Abs. 1 MFG). Die Handzeichen
der Verkehrspolizei können durch Signaleinrichtungen ersetzt werden
(Art. 76 Abs. 5 MFV). Wird der Verkehr durch Lichtsignale geregelt,
so bedeutet rotes Licht Fahrverbot, grünes Licht freie Fahrt (Art. 18
Abs. 1 SigV). Als allfälliges Zwischensignal ist gelbes Licht zu verwenden
(Art. 18 Abs. 2 SigV).

    Was dieses Zwischensignal bedeutet, sagt die Verordnung
nicht. Seine Bedeutung ergibt sich jedoch aus der Zweckbestimmung der
Lichtsignalanlagen. Diese sollen, um die unfallfreie Abwicklung des
Verkehrs sicherzustellen, verhindern, dass Fahrzeuge, deren Bahnen
sich kreuzen, sich gleichzeitig in der Schnittfläche der Strassen
befinden. Gelbes Licht kann daher, entgegen der Behauptung des
Beschwerdeführers, von vorneherein nicht anzeigen, dass die Durchfahrt
grundsätzlich gestattet sei; denn dann würde gerade eintreten, was wegen
der dadurch geschaffenen Unfallgefahr durch die Signalanlage ausgeschlossen
werden soll, nämlich dass gleichzeitig oder um Sekundenbruchteile
gestaffelt von vier Seiten her Fahrzeuge in die Kreuzung einfahren. So
befänden sich, wenn gelbes Licht die Fahrt frei geben würde, beispielsweise
gerade an Kreuzungen, deren Verkehr dur ch eine Signalanlage des gleichen
Systems geregelt wird, wie sie auf der Überland- und Saatlenstrasse
angebracht ist, die auf einer Strasse unmittelbar vor dem Wechsel von Gelb
auf Rot und die auf der andern Strasse unmittelbar nach dem Wechsel von
Rot zu Grün in die Kreuzung einfahrenden Fahrzeuge gleichzeitig in der
Schnittfläche der beiden Strassen. Es kann daher auch an Kreuzungen mit
Signalanlagen, bei denen das gelbe Licht nur beim Wechsel von Grün auf Rot
und nicht auch zwischen Rot und Grün aufleuchtet, keine Rede davon sein,
dass bei Gelb die Durchfahrt grundsätzlich gestattet sei. Das würde dem
Zweck der Signalanlagen gerade zuwiderlaufen.

    Die Verkehrssicherheit an Kreuzungen mit Lichtsignalanlagen ist
am ehesten gewährleistet, wenn nur bei grünem Licht in die Kreuzung
eingefahren werden darf, das gelbe Licht somit, gleichgültig ob es auf das
grüne oder das rote Signal folgt, Anhalten vor der Kreuzung gebietet. Die
strikte Durchführung dieses Grundsatzes würde indessen voraussetzen, dass
bei grünem Licht die Motorfahrzeuge, um beim Wechsel auf Gelb unter allen
Umständen, selbst auf wenige Meter, vor der Kreuzung anhalten zu können,
nur im Schritt auf die Kreuzung zufahren dürften, was zu zusätzlichen
Verkehrsstauungen vor Kreuzungen führen und dadurch die erwünschte flüssige
Abwicklung des Motorfahrzeugverkehrs erschweren würde.

    Die Rücksichtnahme auf diese Auswirkungen vermag eine Einschränkung
des Grundsatzes, dass bei gelbem Licht nicht in eine Kreuzung eingefahren
werden dürfe, jedoch nur insoweit zu rechtfertigen, als dadurch die
Verkehrssicherheit nicht beeinträchtigt wird. Das trifft einzig mit Bezug
auf jene Fahrzeuge zu, die sich beim Wechsel von Grün auf Gelb bereits
unmittelbar vor der Kreuzung befinden. Nur bei ihnen besteht hinreichend
Gewähr dafür, dass sie sich vor dem Aufleuchten des roten Lichtes und
damit vor dem Wiedereinsetzen des Verkehrs auf der vorher gesperrten
Strasse nicht mehr in der Kreuzung befinden. Übrigens wäre es auch
deshalb unzweckmässig, von den Führern dieser Fahrzeuge zu verlangen,
dass sie noch vor der Kreuzung anhalten, weil sie zu diesem Zwecke,
auch wenn sie vorschriftsgemäss mit mässiger Geschwindigkeit fahren, zu
einer Stoppbremsung Zuflucht nehmen müssten, durch die ihre allfälligen
Mitfahrer und andere Verkehrsteilnehmer regelmässig Gefahren für Leib
und Leben ausgesetzt würden.

    Für alle übrigen Fahrzeugführer, also für jene, die sich beim Wechsel
von Grün auf Gelb noch nicht unmittelbar vor der Kreuzung befinden und
daher vor ihr anhalten könnten, ohne zu einer Stoppbremsung Zuflucht nehmen
zu müssen, gilt der Grundsatz, dass bei gelbem Licht nicht in die Kreuzung
eingefahren werden darf, uneingeschränkt, da sie beim Aufleuchten des nur
für wenige Sekunden erscheinenden Zwischensignales von der Kreuzung noch zu
weit entfernt sind, um damit rechnen zu können, sie vor seinem Erlöschen
vollständig passiert zu haben (vgl. mit Bezug auf die entsprechende
ausländische Regelung: FLOEGEL-HARTUNG, Strassenverkehrsrecht, 11. Aufl.,
Anm. 4 zu § 2 StVO; MÜLLER, Strassenverkehrsrecht, 20. Aufl., Anm. 11
zu § 2 StVO; VAN ROYE, Le code de la circulation, 1956, N. 790; REAU,
Circulation routière, 2. Aufl., N. 189). Um das Ve rbot einhalten zu
können, darf auch bei grünem Licht nicht mit beliebiger Geschwindigkeit
auf die Kreuzung zugefahren werden. Den durch das gelbe und das rote
Lichtzeichen erteilten Weisungen kann der Fahrzeugführer, der sich bei
grünem Licht einer Kreuzung nähert, nur dann Folge leisten, wenn er
entsprechend der Vorschrift des Art. 27 MFG den Lauf mässigt, und zwar
soweit, dass er beim Aufleuchten von Rot auf alle Fälle vor der Kreuzung
anhalten kann, und dazu auch beim Wechsel von Grün auf Gelb in der Lage
ist, es sei denn, dass er sich beim Aufleuchten des gelben Zwischensignals
schon unmittelbar vor der Kreuzung befindet und ohne Gefährdung anderer
das Fahrzeug nicht mehr vor ihr zum Stehen bringen könnte.

Erwägung 2

    2.- Nach der tatsächlichen Feststellung des als Kassationsinstanz
urteilenden Obergerichtes, durch die der vom Einzelrichter als erwiesen
angenommene Sachverhalt für das Bundesgericht verbindlich ergänzt wird
(nicht veröffentlichte Entscheidung des Kassationshofes vom 17. Oktober
1952 i.S. Hostetter), befand sich der Beschwerdeführer noch ca. 46 m vor
der Kreuzung, als das Signallicht von Grün auf Gelb wechselte. Wer beim
Aufleuchten des gelben Lichts noch so weit von der Kreuzung entfernt ist,
kann nicht damit rechnen, mit der nach Art. 27 Abs. 1 MFG vorgeschriebenen
mässigen Geschwindigkeit die Kreuzung vor dem Wechsel von Gelb auf Rot
durchfahren zu haben; er ist aber anderseits ohne weiteres in der Lage,
ohne Gefährdung anderer vor der Kreuzung anzuhalten, und darf daher
die Fahrt nicht fortsetzen. Indem der Beschwerdeführer trotzdem in die
Kreuzung eingefahren ist, hat er die angeführten Vorschriften verletzt,
was sich übrigens auch daraus ergibt, dass er sich nach der verbindlichen
Feststellung des kantonalen Gerichts beim Aufleuchten des roten Lichts noch
in der Kreuzung befand. Daran ändert auch der Einwand nichts, er hätte
wegen der von ihm eingehaltenen Geschwindigkeit von ca. 60 km/Std. auch
bei sofortigem Bremsen das Fahrzeug erst auf der Schnittfläche der sich
kreuzenden Fahrbahnen zum Stehen bringen können. Damit stände lediglich
fest, dass der Beschwerdeführer auf das gelbe Zwischensignal nicht
vorschriftsgemäss reagieren konnte, weil er mit übersetzter Geschwindigkeit
auf die Kreuzung zugefahren ist, und dass er somit ausser den angeführten
Vorschriften der SigV auch Art. 27 Abs. 1 MFG übertreten hat.

Entscheid:

               Demnach erkennt der Kassationshof:

    Die Nichtigkeitsbeschwerde wird abgewiesen.