Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 85 IV 152



85 IV 152

40. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 1. Oktober 1959
i.S. Völlm gegen Statthalteramt Horgen. Regeste

    Art. 46 Abs. 1 MFV.

    Überholen eines die Beobachtung nach vorne erheblich erschwerenden
Lastwagens. Die Pflicht des Lastwagenführers, ein beabsichtigtes
Überholmanöver durch Stellen des linken Richtungsanzeigers frühzeitig
anzukündigen, enthebt den nachfolgenden Führer, der dem Lastwagen vorfahren
will, nicht eines Teiles der ihm selber obliegenden Sorgfaltspflicht.

Sachverhalt

    Am Vormittag des 16. August 1958 führte Völlm seinen Personenwagen
auf der Sihltalstrasse von Zürich Richtung Zug. Nach Langnau a.A. holte er
auf der beim Eingang des Sihlwaldes leicht ansteigenden, geraden und 6,10
m breiten Teilstrecke einen von Häusler gesteuerten Lastwagen ein, der in
gleicher Richtung hinter einem sich ungefähr mit 35 km/Std. voranbewegenden
Auto, Marke Citroën, fuhr. Völlm beabsichtigte, den Lastwagen zu überholen,
gab zu diesem Zwecke angeblich mehrere kräftige Hupsignale und bog sodann
nach links aus. Während des Überholmanövers schwenkte der Lastwagen
seinerseits gegen die linke Strassenseite aus, um dem Citroën vorzufahren.
Völlm bremste und versuchte seitlich auszuweichen. Dabei stiess sein
Fahrzeug mit zwei Wehrsteinen des linken Strassenrandes zusammen und
wurde überdies auf der rechten Seite vom Lastwagen Häuslers gestreift.

    Am 17. Januar 1959 büsste der Einzelrichter in Strafsachen des
Bezirksgerichtes Horgen Völlm wegen Übertretung von Art. 46 Abs. 1 MFV
mit Fr. 30.-.

Auszug aus den Erwägungen:

                       Aus den Erwägungen:

    Angesichts des an der Spitze der Kolonne fahrenden Citroën hatte sich
der Beschwerdeführer auf die Möglichkeit einzustellen, dass der Lastwagen
seinerseits überholen werde. Zwar hat der Lenker eines Fahrzeuges, das
wie der Lastwagen Häuslers dem Nachfolgenden die Beobachtung nach vorn
erheblich erschwert, das beabsichtigte Überholen durch Stellen des linken
Richtungsanzeigers frühzeitig anzukündigen (BGE 84 IV 31). Das enthob
jedoch Völlm nicht der Pflicht, sich gemäss Art. 46 MFV vorzusehen. In
BGE 84 IV 31 wurde allerdings ausgesprochen, der nachfolgende Führer
dürfe sich darauf verlassen, dass der vorausfahrende Lastwagen, der
die Sicht in erheblicher Weise erschwert, nicht zum Überholen nach
links ausweichen werde, ohne vorher ein entsprechendes Zeichen zu
geben. Damit wollte indessen nicht mehr gesagt werden, als dass die in
der Beschaffenheit seines Fahrzeuges liegende erhöhte Gefahr für den
Nachfolgenden das Verhalten des Lastwagenführers, der sich zum Überholen
anschickt, bestimmen müsse. Es wäre daher verfehlt, aus dem besagten
Satz abzuleiten, die gesteigerte Rücksichtnahme des Lastwagenführers
enthebe den Nachfolgenden, wenn dieser selbst zu überholen beabsichtigt,
eines Teiles der ihm obliegenden Sorgfaltspflicht. Diese bleibt vielmehr
ungeschmälert bestehen. Wenn im vorliegenden Fall der Lastwagenführer
Häusler - und das ist mangels einer gegenteiligen Feststellung der
Vorinstanz zugunsten des Beschwerdeführers anzunehmen - kein Zeichen gab,
so durfte infolgedessen dieser daraus nicht folgern, die Bahn sei für ihn
frei zum Überholen. Vielmehr musste er sich vorerst, wollte er seiner
Sorgfaltspflicht genügen, darüber Klarheit verschaffen, dass Häusler
ihn bemerkt habe und dass er ihn vorfahren lassen werde. Das hat Völlm
nicht getan. Zwar will er seine Absicht zu überholen, durch mehrfaches
kräftiges Hupen angekündigt haben. Da jedoch der Lastwagenführer auf das
Signal nicht reagierte (was beispielsweise durch ein Handzeichen oder
durch Ausweichen nach rechts hätte geschehen können), musste er sich
sagen, jener habe das Hupzeichen möglicherweise wegen des Motorenlärms
nicht gehört. Statt bei dieser ungewissen Sachlage vorläufig von einem
Überholen abzusehen, verliess er sich einfach auf seine Signalgabe und
begann links vorzufahren. Damit verstiess er gegen Art. 46 Abs. 1 MFV.
Denn Gewähr dafür, dass die Überholstrecke während des ganzen Manövers frei
bleiben werde, hatte er unter den gegebenen Umständen nicht. Tatsächlich
bog denn auch der Lastwagen, als Völlm im Begriffe war, ihm vorzufahren,
seinerseits nach links aus, um den vorausfahrenden Citroën zu überholen.