Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 85 IV 121



85 IV 121

31. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 15. September 1959
i.S. Kolb gegen Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich. Regeste

    Art. 41 Ziff. 3 Abs. 1 StGB. Die Täuschung des richterlichen Vertrauens
setzt nicht voraus, dass die neue Verfehlung und die strafbare Handlung,
für welche der bedingte Strafvollzug gewährt worden ist, von gleicher Art
seien, auch nicht, dass die Schwere der neuen Verfehlung zu derjenigen
der früheren Straftat in einem angemessenen Verhältnis stehe.

Auszug aus den Erwägungen:

    Das Gesetz verlangt in Art. 41 Ziff. 3 Abs. 1 StGB nicht bloss, dass
der unter Bewährungsprobe stehende Verurteilte vorsätzlich weder ein
Verbrechen noch ein Vergehen verübe, sondern es fordert darüber hinaus,
dass er sich allgemein des bedingten Strafvollzuges würdig erweise,
d.h. dass er das in ihn gesetzte Vertrauen, er werde sich wohlverhalten,
auch durch leichtere Verfehlungen, namentlich durch Übertretungen und
fahrlässig begangene Delikte, nicht täusche. Das Wohlverhalten, das
erwartet wird, muss sich entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers
auf sämtliche Lebensgebiete erstrecken. Getäuscht ist das richterliche
Vertrauen auch dann, wenn die während der Probezeit begangene Verfehlung
zu einem andern Lebensbereich gehört als die strafbare Handlung, für
die der bedingte Strafvollzug gewährt worden ist. So wird beim Dieb oder
Betrüger nicht nur vorausgesetzt, dass er sich an fremdem Eigentum nicht
mehr verfehle, sondern ebensosehr, dass er auch auf sittlichem und anderen
Gebieten nicht mehr strafbar werde. Dementsprechend muss nach Art. 41
Ziff. 1 Abs. 2 schon bei der Gewährung des bedingten Strafvollzuges die
Erwartung gerechtfertigt sein, der Täter werde durch die Warnungsstrafe von
weiteren Verbrechen und Vergehen schlechthin abgehalten, nicht bloss von
Strafhandlungen, für welche die Massnahme zugebilligt wird. Und ebenso
müssen bei der Beurteilung dieser Voraussage ausser den Tatumständen
das gesamte frühere Verhalten und der Charakter des Täters als Ganzes
berücksichtigt werden, nicht nur diejenigen Charaktereigenschaften
und früheren Handlungen, die mit der zu beurteilenden Tat sachlich im
Zusammenhange stehen.

    Ebensowenig kann dem Beschwerdeführer darin zugestimmt werden, dass
eine Täuschung des richterlichen Vertrauens nur vorliege, wenn die Schwere
des neuen Fehltrittes zu derjenigen der früheren Straftat in Relation
stehe. Ein solches Erfordernis würde auf eine nicht gerechtfertigte
Privilegierung derjenigen Verurteilten hinauslaufen, die sich besonders
schwer vergangen haben. Je schwerer die Tat war, für die der bedingte
Strafvollzug gewährt wurde, umsomehr ist dem Täter zuzumuten, dass er
sich künftig auch vor weniger schweren Verfehlungen hüte.