Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 85 IV 117



85 IV 117

30. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 15. Mai 1959 i.S. Herbst
gegen Bezirksanwaltschaft Zürich. Regeste

    Art. 273 Abs. 1 lit. b BStP. Verbot neuer Einreden.  Zivilprozessuale
Natur des Begriffs der Einrede; beschränkte Geltung des Verbotes im
Verfahren auf Nichtigkeitsbeschwerde.

Sachverhalt

Auszug aus den Erwägungen:

                       Aus den Erwägungen:

    Der Beschwerdeführer ficht das vorinstanzliche Urteil wegen Verletzung
von Art. 27 StGB an. Er macht geltend, die ihm zur Last gelegte Tat sei
durch das Mittel der Druckerpresse begangen worden und erschöpfe sich im
Presseerzeugnis. Die Verfasserin und Verlegerin der Schrift stehe in der
Person von Frau X. fest. Da diese nach der Haftungsordnung des Art. 27
Ziff. 2 StGB allein die Verantwortung für die Veröffentlichung zu tragen
habe, sei er als Drucker von der Vorinstanz zu Unrecht bestraft worden.

    Dieser Einwand wurde weder in der Einsprache gegen den Strafbefehl
der Bezirksanwaltschaft noch in der gerichtlichen Hauptverhandlung vom 20.
Februar 1959 erhoben. Erst in der nach Schluss der Verhandlung und Aufschub
der Urteilsberatung dem Bezirksgericht Zürich zugestellten Eingabe vom 26.
Februar 1959 wies der Beschwerdeführer auf die Anwendbarkeit von Art. 27
StGB hin. Ob die Vorinstanz nievon noch vor der Fällung des vom 27. Februar
1959 datierten Urteils Kenntnis erhielt, ist ungewiss, für den Ausgang
der Sache aber ohne Belang. Denn nach § 284 der Zürcher StPO hat der
Richter sein Urteil nach seiner freien, aus der Hauptverhandlung und
den Untersuchungsaktengeschöpften Überzeugungzufällen. Die Eingabe
des Beschwerdeführers vom 26. Februar 1959 musste daher in jedem
Fall unbeachtet bleiben. Tatsächlich wird denn auch Art. 27 StGB im
angefochtenen Urteil mit keinem Wort erwähnt. Gilt demnach der auf diese
Vorschrift gestützte Einwand des Beschwerdeführers als erstmals mit der
Nichtigkeitsbeschwerde erhoben (BGE 84 IV 88), so ist zu prüfen, ob es
sich dabei nicht um ein nach Art. 273 Abs. 1 lit. b BStP unzulässiges
Novum handle.

    Der Beschwerdeführer bringt zur Begründung seines Einwandes weder
neue Tatsachen noch Beweismittel vor, noch enthält die Beschwerde
tatsächliche Bestreitungen; der für die Anwendung von Art. 27 StGB
massgebende Sachverhalt ergibt sich zweifelsfrei aus dem angefochtenen
Urteil. Somit frägt sich einzig, ob der Einwand des Beschwerdeführers
eine neue Einrede darstelle. Auch das ist zu verneinen. Der Begriff der
Einrede, wie er nach allgemeinem Sprachgebrauch verstanden wird, gehört
dem zivilrechtlichen und zivilprozessualen Bereich mit seinen Regeln
über die Behauptungspflicht und die Beweislast an (vgl. GULDENER,
Schweizerisches Zivilprozessrecht, 1958, S. 136 Anm. 3 und S. 183;
STRÄULI/HAUSER, Zürcherische Rechtspflegegesetze II, Gesetz betreffend
den Zivilprozess, S. 249; VON TUHR/SIEGWART, Allgemeiner Teil des
schweizerischen Obligationenrechtes, 1942, S. 24/5). Dem Strafverfahren
ist er dagegen ebenso fremd wie der Begriff der Beweislast im Sinne des
Zivilrechtes (WAIBLINGER, Das Strafverfahren des Kantons Bern, N. 1 zu
Art. 254). Dass es sich aber bei der Einrede des Art. 273 Abs. 1 lit. b
BStP um einen zivilprozessualen Begriff handelt, zeigt deutlich die
Entwicklungsgeschichte dieser Bestimmung. Während das Bundesgesetz über
die Organisation der Bundesrechtspflege (OG) vom 22. März 1893 bereits
das Verbot neuer Einreden für das Berufungsverfahren vor Bundesgericht
kannte (Art. 80), enthielt das Gesetz über die Bundesstrafrechtspflege vom
15. Juni 1934 noch keine entsprechende Bestimmung. Erst bei der Revision
des Bundesstrafprozesses von 1943, die gleichzeitig mit derjenigen des OG
durchgeführt wurde, wurde ein solches Verbot in Art. 273 Abs. 1 lit. b
BStP aufgenommen. Dabei lehnte sich der Gesetzgeber unmittelbar an den
neuen Art. 55 lit. c OG an (vgl. Bericht von Bundesrichter Ziegler zum
Vorentwurf vom 21. Mai 1940 an das Eidg. Justiz- und Polizeidepartement,
S. 117; Botschaft des Bundesrates an die Bundesversammlung zum Entwurf
eines neuen Bundesgesetzes über die Organisation der Bundesrechtspflege
vom 9. Februar 1943, BBl 1943, S. 164), was auch aus dem Umstand
erhellt, dass Art. 273 Abs.1 lit. b BStP beinahe wörtlich der für das
bundesgerichtliche Berufungsverfahren geltenden Vorschrift entspricht. Als
zivilprozessualer Begriff aber ist für die Einrede des Art. 273 Abs. 1
lit. b BStP im Verfahren auf Nichtigkeitsbeschwerde lediglich insoweit
Raum, als es den Zivilpunkt betrifft. Was den Strafpunkt anbelangt,
hat der Kassationshof alle sich stellenden Rechtsfragen, die sich nicht
auf neue Tatsachen, Beweismittel oder Bestreitungen stützen, von Amtes
wegen zu prüfen. Eine Ausnahme besteht nur, sofern über die betreffende
Frage kein letztinstanzlicher Entscheid im Sinne von Art. 268 BStP
vorliegt, weil das erstinstanzliche Urteil in diesem Punkt vor oberer
Instanz nicht angefochten wurde und infolgedessen nach dem kantonalen
Prozessrecht rechtskräftig geworden ist, wie es z.B. vorkommt, wenn nur die
Strafzumessung oder die Verweigerung des bedingten Strafvollzuges und nicht
auch die Schuldfrage weitergezogen wird. Das trifft hier aber bei dem vom
Beschwerdeführer geltend gemachten Strafausschliessungsgrund nach Art. 27
Abs. 1 StGB nicht zu; denn Gegenstand des bezirksgerichtlichen Urteils
bildete überhaupt die Strafbarkeit der von Herbst begangenen Handlungen.

Entscheid: