Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 85 II 73



85 II 73

15. Urteil der II. Zivilabteilung vom 27. Februar 1959 i.S. G. gegen B.
Regeste

    Berufung an das Bundesgericht. Feststellungsklage.

    Geht die Pflicht zur Zahlung von Unterhaltsbeiträgen an die Ehefrau,
die der Ehemann in einer Scheidungskonvention übernimmt, beim Tode des
Ehemanns auf dessen Erben über?

    Auslegung der Scheidungskonvention.

Sachverhalt

    A.- Am 9. Juni 1933 schied das Bezirksgericht Brugg die am 18. Mai
1929 geschlossene Ehe zwischen Fritz B., geb. 1894, und der um drei Jahre
jüngern Marguerite geb. G. auf Klage der Ehefrau in Anwendung von Art. 142
ZGB "aus erheblich überwiegendem Verschulden des Beklagten" und genehmigte
die von den Parteien am 13. April 1933 unterzeichnete Vereinbarung über
die Nebenfolgen der Scheidung, welche die Zuteilung der beiden (heute
volljährigen). Kinder an die Mutter vorsah und im weitern u.a. bestimmte:

    "Art. 3.

    Der Ehemann verpflichtet sich für die Dauer des Scheidungsprozesses
und nach erfolgter Scheidung der Ehefrau für sich und für die Kinder
folgende monatlichen Unterhaltsbeiträge zu bezahlen:

    a)  für die Ehefrau selber Fr. 200.-- per Monat lebenslänglich oder
bis zu einer allfälligen Wiederverheiratung,

    b)  für jedes der Kinder bis zu dessen vollendetem 12. Lebensjahr
je Fr. 200. - pro Monat und von da an bis zu dessen vollendetem
20. Lebensjahr je Fr. 300.-- pro Monat.

    Für das ganze Jahr 1932 ist die Unterhaltspflicht des Ehemannes für
Frau und Kinder abgelöst durch eine Pauschalzahlung von Fr. 7200.--.

    Der Ehemann verpflichtet sich, in dem Zeitpunkt, wo er seine
Eltern beerbt, zur Sicherheit für seine Unterhaltsverpflichtungen
sofort ein Kapital, das den nötigen Zinsertrag für die in Absatz 1
hievor festgesetzten Unterhaltsbeiträge abwirft, an geeigneter noch zu
vereinbarender Stelle zu deponieren mit der Massgabe, dass er, solange
als er nach der vorliegenden Vereinbarung die Unterhaltsbeiträge schuldet,
über das Kapital nicht verfügen darf und dass die Zinsen in Quartalsraten
praenumerando in der Höhe der festgesetzten Alimentationsbeiträge an die
Ehefrau auszubezahlen sind. Wenn durch allfällige Wiederverheiratung
der Ehefrau oder durch Volljährigkeit der Kinder eine Reduktion der
Unterhaltsbeiträge eintritt, so ist ein entsprechender Teil des deponierten
Kapitals dem Ehemann zu freier Verfügung zu überlassen.

    Art. 4.

    Der Ehemann anerkennt, seiner Frau den Betrag von Fr. 125'000.-- ohne
Zins schuldig zu sein; dieser Betrag ist jedoch erst beim Ableben des
Ehemannes fällig. Diese Forderung der Ehefrau erlischt, wenn sie vor dem
Ehemann sterben sollte oder sich vor seinem Tode wieder verheiraten sollte.

    Art. 6.

    Der Ehemann anerkennt, dass das gesamte Mobiliar und die gesamte
Haushaltung Eigentum der Ehefrau ist.

    Art. 8.

    Die Parteien anerkennen, dass ihnen gegenseitig keine Ansprüche
zustehen als die in dieser Vereinbarung niedergelegten Ansprüche.

    ..."

    B.- Am 8. Februar 1940 schloss Fritz B. eine neue Ehe.  Am 2. März
1957 starb er. Als gesetzliche Erben hinterliess er seine Witwe und seine
beiden Kinder aus erster Ehe.

    C.- Da die (auf Grund von Art. 639 ZGB als Solidarschuldnerin
in Anspruch genommene) Witwe sich weigerte, der geschiedenen Frau
die in der Scheidungskonvention vorgesehenen Unterhaltsbeiträge von
monatlich Fr. 200.-- weiter zu bezahlen, klagte diese gegen jene am
7. Dezember 1957/5. Mai 1958 auf Feststellung, dass die Beklagte zu dieser
Leistung verpflichtet sei, eventuell auf Verurteilung der Beklagten zur
Zahlung der seit dem Tode Fritz B's verfallenen Beiträge. Ausserdem
verlangte sie die Hinterlegung eines Fr. 200.-- pro Monat abwerfenden
Kapitals. Am 10. September 1958 hat das Obergericht des Kantons Zürich,
III. Zivilkammer, die Klage abgewiesen.

    D.- Mit der vorliegenden Berufung an das Bundesgericht erneuert die
Klägerin ihre Klagebegehren. Die Beklagte beantragt Abweisung der Berufung.

Auszug aus den Erwägungen:

              Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- Die Vorinstanz hat das Feststellungsbegehren der Klägerin als
zulässig erklärt, soweit es sich auf die künftige Leistungspflicht der
Beklagten bezieht. Ob sich der Feststellungsanspruch der Klägerin aus
dem Bundesrecht (BGE 77 II 344) oder aus dem kantonalen Prozessrecht
ergebe, wird im angefochtenen Urteil nicht gesagt. Das Bundesgericht
kann diese Frage ebenfalls offen lassen, da auf die Berufung selbst
dann einzutreten wäre, wenn die Voraussetzungen des bundesrechtlichen
Feststellungsanspruchs nicht gegeben wären. Auf jeden Fall schliesst
nämlich das Bundesrecht eine Feststellungsklage in Fällen wie dem
vorliegenden nicht aus, so dass das kantonale Recht sie gewähren kann,
wenn sich ihre Zulässigkeit nicht bereits aus dem Bundesrecht ergibt
(vgl. BGE 80 II 122 oben, 84 II 495). Ob eine von den kantonalen Gerichten
auf Grund des kantonalen Rechts zugelassene und durch das Bundesrecht
nicht ausgeschlossene Feststellungsklage materiell begründet sei oder
nicht, ist vom Bundesgericht auf Berufung hin zu überprüfen, wenn wie hier
eine Bundesrechtsverletzung geltend gemacht wird, der Streit um ein vom
Bundeszivilrecht beherrschtes Rechtsverhältnis geht und auch die übrigen
Voraussetzungen der Berufung gegeben sind (vgl. BGE 84 II 496).

    Ob mit Bezug auf die Beiträge, die bei Übergang der Beitragspflicht
auf die Erben Fritz B.s seit dessen Tod bereits verfallen wären, ein
Feststellungsbegehren statthaft sei, liess die Vorinstanz dahingestellt,
weil sie zum Schlusse kam, die Klage sei ohnehin abzuweisen. In der
Tat braucht die Frage, ob der Anspruch auf diese Beiträge mit einer
Feststellungsklage oder nur mit der (eventuell erhobenen) Leistungsklage
geltend gemacht werden könne, nicht entschieden zu werden, wenn ein
solcher Anspruch überhaupt nicht besteht.

Erwägung 2

    2.- In seinem Urteil vom 31. Januar 1936 i.S. G. gegen B. (ZR 35
Nr. 84 S. 193 ff.) hat das Bundesgericht unter Hinweis auf Art. 560 ZGB
und Art. 516 OR erklärt, eine in einer Scheidungsvereinbarung versprochene
Rente sei beim Fehlen bestimmter Anhaltspunkte für das Gegenteil als passiv
vererblich anzusehen. Ob an diesem Grundsatz festgehalten werden könne,
braucht im vorliegenden Falle nicht entschieden zu werden, weil hier aus
dem Texte der Scheidungsvereinbarung und den Umständen, unter denen sie
zustandekam, zu schliessen ist, dass die Rente nur den Ehemann selber,
nicht auch seine Erben belasten sollte, so dass die passive Vererblichkeit
auch bei Anwendung jenes Grundsatzes verneint werden müsste.

    a) Art. 3 der Vereinbarung bezeichnet die periodischen Zahlungen,
die der Ehemann nach der Scheidung an die Klägerin ausrichten sollte,
als Unterhaltsbeiträge. Er setzt diese Zahlungen zugleich mit den der
Klägerin während der Prozessdauer zukommenden Leistungen und mit den
Leistungen für die Kinder fest, die ihren Rechtsgrund alle nur in der
Unterhaltspflicht des Ehemanns (und Vaters) haben konnten, und bemisst
die vor und die nach der Scheidung zu leistenden Zahlungen auf den
gleichen Betrag. Diese Momente sprechen dafür, dass die Leistungen,
die der Klägerin für die Zeit nach der Scheidung versprochen wurden, ihr
einen Ersatz für den Anspruch auf den ehelichen Unterhalt bieten sollten,
den sie mit der Scheidung einbüsste. Die Unterhaltspflicht des Ehemanns
geht aber, wenn die Ehe bis zu seinem Tod bestehen bleibt, nicht auf seine
Erben über, sondern hört mit diesem Zeitpunkt auf. Daher erscheint es zum
mindesten als das Normale, dass auch eine als Ersatz für den ehelichen
Unterhaltsanspruch ausgesetzte Rente mit dem Tode des Pflichtigen aufhört.

    b) Für die Annahme, dass die streitige Rente der Klägerin nicht nur
aus dem eben erwähnten Grunde, sondern auch noch aus andern Titeln gewährt
worden sei, liegt nichts vor. Insbesondere bestehen (anders als im Falle
ZR 35 Nr. 84) keine Anhaltspunkte dafür, dass dadurch die Beeinträchtigung
anderer Vermögensrechte oder Anwartschaften oder ein Genugtuungsanspruch
oder Ansprüche aus ehelichem Güterrecht abgegolten werden sollten.

    Nach der Auffassung des Scheidungsgerichtes trug der Ehemann
(dem hauptsächlich Müssiggang und mangelhafte Sorge für die Familie
vorgeworfen wurden) freilich "das erheblich überwiegende Verschulden" an
der Zerrüttung des ehelichen Verhältnisses (weshalb ihm eine Wartefrist
von einem Jahr auferlegt wurde). Tatsachen, aus denen sich ergeben hätte,
dass die Klägerin wegen schwerer Verletzung der persönlichen Verhältnisse
im Sinne von Art. 151 Abs. 2 ZGB auf eine Genugtuung Anspruch gehabt habe,
sind jedoch weder im Scheidungsverfahren noch im vorliegenden Prozess
geltend gemacht worden.

    Ebensowenig sind Tatsachen vorgebracht worden, die einen Anspruch
aus Güterrecht hätten begründen können. Namentlich fehlen nähere Angaben
darüber, in welchem Umfang die Klägerin zur Bestreitung des Unterhalts der
Familie ihr Vermögen habe anzehren müssen, so dass nicht angenommen werden
kann, die allenfalls davon herrührende Ersatzforderung habe den Betrag von
Fr. 7200.-- überschritten, den sie laut Art. 3 Abs. 2 der Vereinbarung zur
"Ablösung" der Unterhaltspflicht des Ehemanns für das Jahr 1932 erhalten
hatte. Die Rente ganz oder teilweise als Abfindung für güterrechtliche
Ansprüche anzusehen, verbietet sich im übrigen um so eher, als eine bei
Wiederverheiratung erlöschende Rente sich zur Abgeltung solcher Ansprüche
keineswegs geeignet hätte.

    Der einzige Titel, unter dem die Klägerin, vom Verlust des ehelichen
Unterhaltsanspruchs abgesehen, bei der Scheidung einen finanziellen
Anspruch gegen den Ehemann stellen konnte, war nach den vorliegenden Akten
der Verlust der Erbanwartschaft gegenüber dem Ehemann, der von seinen
Eltern ein bedeutendes Erbe zu erwarten hatte. Die Entschädigung für den
Verlust dieser Anwartschaft ist jedoch bei natürrlicher Betrachtungsweise
nicht in der Rente gemäss Art. 3, sondern in der Kapitalzahlung von
Fr. 125'000.-- gemäss Art. 4 der Vereinbarung zu erblicken. Diese
Zahlung sollte erst beim Tode des Ehemannes, also im Zeitpunkte fällig
werden, da die Klägerin ihn ohne die Scheidung beerbt hätte, und wäre
nicht geschuldet gewesen, wenn die Klägerin vor dem Ehemann gestorben
und folglich auch bei Fortbestand der Ehe nicht seine Erbin geworden
wäre, oder wenn sie sich zu seinen Lebzeiten wieder verheiratet hätte,
wodurch ein Unterhaltsanspruch und eine Erbanwartschaft gegenüber dem
neuen Ehemann begründet worden wären. Die Bedingungen, unter denen
der Klägerin die Zahlung von Fr. 125'000.-- versprochen wurde, waren
also dem Zwecke der Ersatzleistung für den Verlust der Erbanwartschaft
gegenüber dem damaligen Ehemann angepasst (wogegen sie für eine aus
güterrechtlichen Gründen oder als Genugtuung zugesicherte Kapitalzahlung
unangemessen waren). Aus der Tatsache, dass das Vermögen des Vaters
des Ehemanns zur Zeit des Abschlusses der Scheidungsvereinbarung gemäss
Steuerausweis ca. 1,8 Millionen Franken betrug, lässt sich nicht etwa
schliessen, die Erbanwartschaft der Klägerin sei so hoch gewesen, dass
angenommen werden müsste, der Betrag von Fr. 125'000.-- habe ihr nach
der Meinung der Vertragsparteien nur zusammen mit einer über den Tod
des Ehemanns hinaus laufenden Rente eine zureichende Entschädigung für
den Verlust dieser Anwartschaft bieten können. Bei Beurteilung der Höhe
dieser Kapitalabfindung ist ausser der Tatsache, dass die Ehe nur vier
Jahre gedauert hatte, vor allem der Umstand zu berücksichtigen, dass man
nicht sicher wissen konnte, ob der Ehemann seinen Vater beerben werde,
und dass erst recht ungewiss war, welcher Teil der Erbschaft, auf die der
Ehemann als einer der Präsumtiverben seines Vaters rechnen konnte, wenn er
diesen überlebte, bei seinem Tode noch in seinem Besitz sein werde. Die
Kapitalzalhlung von Fr. 125'000.-- konnte also den Vertragsparteien
sehr wohl als genügende, ja reichliche Entschädigung für den Verlust der
Erbanwartschaft der Klägerin gegenüber ihrem Ehemann erscheinen.

    Aus diesen Gründen darf unbedenklich angenommen werden, mit der Rente
sei entsprechend der dafür verwendeten Bezeichnung nur bezweckt worden,
die Klägerin für den Verlust des Unterhaltsanspruchs zu entschädigen, was
gegen die passive Vererblichkeit der Rente spricht. Überlebte die Klägerin
ihren geschiedenen Ehemann und hatte sie sich bis zu seinem Tode nicht
wieder verheiratet, so sollte nach dem Sinne, welcher der Vereinbarung
vernünftigerweise beizulegen ist, der Anspruch auf die Kapitalzahlung
von Fr. 125'000.-- den Anspruch auf die monatliche Rente von Fr. 200.--
ersetzen, wie bei Fortdauer der Ehe bis zum Tode des Mannes der Erbanspruch
an die Stelle des Unterhaltsanspruchs getreten wäre.

    c) Die Tatsache, dass die Rentenverpflichtung gegenüber der Ehefrau in
Art. 3 a der Vereinbarung als "lebenslänglich" bezeichnet wurde, vermag
eine andere Auslegung nicht zu rechtfertigen. Zwar muss dieser Ausdruck
nach dem Zusammenhang wohl in erster Linie auf das Leben der Ehefrau
bezogen werden, weil mit der unmittelbar anschliesenden Wendung "oder
bis zu einer allfälligen Wiederverheiratung" nur eine Wiederverheiratung
der Ehefrau gemeint sein kann. Dies schliesst jedoch nicht aus, dass
der Rentenanspruch wie der Unterhaltsanspruch, für dessen Verlust die
Klägerin dadurch entschädigt wurde, sich nur gegen den Ehemann persönlich
richten und bei dessen Tod durch den Anspruch auf die Kapitalzahlung von
Fr. 125'000.-- abgelöst werden sollte. Angesichts dieser Begrenzung der
Rentenpflicht, die sich nach dem Gesagten schlüssig aus der Bezeichnung
der Rente und dem Zweck der verschiedenen in der Vereinbarung vorgesehenen
Leistungen ergibt, kann die Bestimmung, dass der Ehemann "für die Ehefrau
... lebenslänglich oder bis zu einer allfälligen Wiederverheiratung"
Fr. 200.-- pro Monat zu bezahlen habe, nur den Sinn haben, dass die
Rentenpflicht nicht nach Ablauf einer bestimmten Zeit (wie dies bei
Scheidungsrenten manchmal vorgesehen wird), sondern erst mit dem Tode
der Berechtigten aufhören sollte, sofern der Pflichtige bis zu diesem
Zeitpunkt am Leben blieb. Hätten die - durch erfahrene Anwälte beratenen
- Vertragsparteien die Rentenpflicht in Abweichung von der Regelung,
die im Hinblick auf die gegebene Sachlage und die Kombination der Rente
mit einer beim Tode des Ehemanns fälligen Kapitalzahlung als die normale
erscheinen musste, auf die Erben des Ehemanns übergehen lassen wollen,
so hätten sie diesen Willen zweifellos unzweideutig zum Ausdruck gebracht,
was einfach gewesen wäre.

    d) Die Vertragsbestimmungen über die Sicherstellungspflicht des
Ehemanns (Art. 3 Abs. 3) vermögen die Auffassung der Klägerin nicht
zu stützen. In diesem Punkte genügt ein Hinweis auf die zutreffenden
Ausführungen der Vorinstanz.

    Die Auslegung der Scheidungsvereinbarung führt also zum Ergebnis,
dass die streitige Rente mit dem Tode des Fritz B. erloschen ist.

Entscheid:

               Demnach erkennt das Bundesgericht:

    Die Berufung wird.abgewiesen und das Urteil der III. Zivilkammer des
Obergerichtes des Kantons Zürich vom 10. September 1958 bestätigt.