Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 85 II 565



85 II 565

78. Urteil der II. Zivilabteilung vom 16. Oktober 1959 i.S. Jenni gegen
Kipfer. Regeste

    1.  Pflicht des Richters, die allfällige Formungültigkeit eines
Vertrages von Amtes wegen zu beachten. Art. 11 OR.

    2.  Ist die für Vorkaufsverträge vorgeschriebene Schriftform
(Art. 216 Abs. 3 OR) erfüllt durch eine Klausel, die einem von den
Parteien unterzeichneten Pachtvertrag auf dem nachfolgenden Blatt als
Anhang beigefügt und nicht eigens unterzeichnet ist?

    3.  Ein im Grundbuch nicht vorgemerktes vertragliches Vorkaufsrecht
kann einem dritten Erwerber des Grundstücks nicht entgegengehalten werden
(anders bei Vormerkung: Art. 681 Abs. 1 ZGB).

Sachverhalt

    A.- Am 22. September 1951 verpachtete Samuel Jost sein Heimwesen
"Neugut" in Murten (Blätter Nr. 89, 90, 91 und 92 des Grundbuches) an
Emil Jenni. Die Pacht sollte am 15. März 1952 beginnen und sechs Jahre
dauern, sich aber jeweilen um weitere sechs Jahre verlängern, falls
nicht ein Jahr vor Ablauf der Pachtdauer eine Kündigung erfolge. Für
den Vertragsabschluss verwendete man ein vorgedrucktes Formular,
dessen Seiten 1-12 Pachtvertragsbestimmungen, Seiten 14-16 gesetzliche
Vorschriften und Seite 13 einen leeren "Raum für spezielle Abmachungen,
Ergänzungen und Erneuerungen" enthalten. Die Pachtvertragsbestimmungen
wurden auf Seite 12 unten von beiden Vertragsparteien unterzeichnet, und
anschliessend findet sich auf der gleichen Seite der Genehmigungsvermerk
der kantonalen Pachtkommission vor. Auf der nachfolgenden Seite 13 ist
handschriftlich, jedoch ohne Unterschrift, folgende Klausel angebracht:
"Der Verpächter räumt dem Pächter respektiv dessen Sohn bei Verkauf des
Pachtgutes ein Vorkaufsrecht ein." Eine Vormerkung im Grundbuch wurde
nicht vereinbart und daher auch nicht bewirkt.

    B.- Jost kündigte den Pachtvertrag am 12. März 1957 auf den 15. März
1958, und am 22. März 1957 verkaufte er das Heimwesen an Max Rentsch,
der sich verpflichtete, den Pachtvertrag bis zum Ablauf am 15. März 1958
zu übernehmen.

    C.- Als der Pächter Jenni von diesem Verkauf erfuhr, erklärte er,
sein Vorkaufsrecht ausüben zu wollen. In einer Vereinbarung zwischen
ihm und den Parteien des Kaufvertrages anerkannten hierauf diese das
Vorkaufsrecht. Laut Ziff. 4 der Vereinbarung war Jenni als neuer Eigentümer
in das Grundbuch einzutragen.

    D.- Nach Genehmigung durch die Grundstückkommission wurde der
Kaufvertrag mit der Vorkaufsausübungserklärung am 10. Oktober 1957
beim Grundbuchamt angemeldet. Nun leitete der Grundbuchverwalter das
Verfahren nach Art. 13 EGG durch Benachrichtigung der nach diesem
Gesetze Vorkaufsberechtigten ein. Binnen der Frist des Art. 14 EGG
meldete die Schwester des Verkäufers, Frau Elise Kipfer-Jost, das ihr
nach Art. 6 Abs. 2 und den kantonalen Ausführungsbestimmungen (Art. 3
des freiburgischen EG zum EGG) zustehende Vorkaufsrecht an. Sie wurde auf
Grund dieses von Jost anerkannten, von Jenni bestrittenen Rechtes in das
Grundbuch eingetragen, mit Anzeige an Jenni.

    E.- Dieser erwirkte die Vormerkung einer Verfügungsbeschränkung im
Sinne von Art. 960 Abs. 1 Ziff. 1 ZGB, und am 27. Februar 1958 erhob er
beim Zivilgericht des Seebezirks gegen Frau Kipfer Klage auf Feststellung,
dass er der Eigentümer des "Neugutes" sei und der Eintrag auf den Namen
der Beklagten nicht zu Recht bestehe.

    F.- Die Klage wurde vom erstinstanzlichen Gericht am 5.  Dezember 1958
abgewiesen, ebenso vom Appellationshof des Kantons Freiburg mit Urteil
vom 26. Februar 1959.

    G.- Mit vorliegender Berufung an das Bundesgericht erneuert der
Kläger den Antrag auf Feststellung, dass er der Eigentümer des "Neugutes"
in Murten sei.

    Die Beklagte hält am Antrag auf Abweisung der Klage fest.

Auszug aus den Erwägungen:

              Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

    So wie er lautet, ist der Berufungsantrag von vornherein
unbegründet. Der Kläger ist durch keinen Rechtsvorgang jemals Eigentümer
der streitigen Liegenschaft geworden. Aber auch ein Anspruch auf
Eigentumsübertragung, den er nach der Begründung der Berufung in
eventuellem Sinne verficht, steht ihm nicht zu.

    Die Klage stützt sich auf ein Vorkaufsrecht, das Samuel Jost im
Pachtvertrag vom 22. September 1951 dem Kläger eingeräumt und das dieser in
bezug auf den von Jost mit Rentsch abgeschlossenen Kaufvertrag vom 22. März
1957 in gültiger Weise ausgeübt habe. Daraus kann jedoch dem Kläger nur
dann ein das gesetzliche Vorkaufsrecht der Beklagten zurückdrängendes
Recht erwachsen sein, wenn ein gültiger Vorkaufsvertrag 1. überhaupt
vorliegt, und, falls dies zutrifft, 2. einem am Pachtvertrag unbeteiligten
Dritten entgegengehalten werden kann, und zwar auch einem solchen, dem
ein gesetzliches Vorkaufsrecht nach den eidgenössischen und kantonalen
Vorschriften über die Erhaltung des bäuerlichen Grundbesitzes zusteht.

    Zu 1.:

    Nach Art. 216 Abs. 3 OR bedarf ein Vorkaufsvertrag zu seiner Gültigkeit
der schriftlichen Form. Er muss also nach Art. 13 Abs. 1 OR mindestens
von dem das Vorkaufsrecht einräumenden, durch den Vertrag gebundenen
Grundeigentümer, dem Promittenten, unterschrieben sein (BGE 48 II 233
Erw. 4). Der Kläger hat sich im ganzen Rechtsstreite zum Beweis für das
behauptete Vorkaufsrecht einzig auf den Pachtvertrag mit der auf dessen
Unterzeichnung folgenden Vorkaufsrechtsklausel berufen. Da diese Klausel
nicht eigens unterschrieben wurde, ist zunächst jedenfalls zweifelhaft,
ob ein formgültiger Vorkaufsvertrag vorliege. Die Beklagte hat es zwar
nicht bestritten, sondern ihren Antrag auf Abweisung der Klage auf
andere Gründe gestützt. Es handelt sich jedoch um eine vom Richter -
und da sie vom Bundesrecht beherrscht ist, auch vom Bundesgericht im
Berufungsverfahren - zu entscheidende Rechtsfrage. Es kann dahingestellt
bleiben, ob es der Norm von Art. 193 Abs. 3 der kantonalen ZPO

    ("Er" [der Beweis] "wird nur über bestrittene Tatsachen geführt,
soweit nicht der Sachverhalt von Amtes wegen zu erforschen ist")

    entsprochen hätte, eine unbelegte und von der Beklagten nicht
bestrittene Behauptung des Klägers, es sei ihm schriftlich ein
Vorkaufsrecht eingeräumt worden, als wahr hinzunehmen, oder ob
es im Sinn jener Bestimmung gelegen hätte, die Formgültigkeit des
Vorkaufsrechtes von Amtes wegen zu erforschen, d.h. vom Kläger die
Vorlegung des Vorkaufsvertrages zu verlangen. Er hat den Vertrag ja,
wie es sich gehörte, von sich aus mit der Klage vorgelegt, so dass sich
der Richter ohne weiteres von dessen allfälliger formellen Ungültigkeit
Rechenschaft geben kann. Abweichungen von der Verhandlungsmaxime werden
in der Lehre des Prozessrechts nicht nur mit Rücksicht auf die "absolute
Natur des Privatrechts" in Ehe-, Familienstands- und Entmündigungssachen,
sondern namentlich auch "in allen Fällen einer absoluten Nichtigkeit nach
Privatrecht, z.B. bei formnichtigen Geschäften" verfochten (STEIN-JONAS
I, N. 4 vor § 128 der deutschen ZPO). Im übrigen erhebt sich die Frage,
ob nicht das Privatrecht selbst einen dahingehenden Einbruch in die
Verhandlungsmaxime verlange, der selbst ohne einen im Prozessgesetz
ausgesprochenen Vorbehalt zu beachten wäre. Wie dem auch sein mag,
ist der Richter jedenfalls dann, wenn sich nach den ihm vorliegenden
Akten der einem streitigen Rechtsbegehren zugrunde gelegte Vertrag als
formnichtig erweist, gehalten, diese Nichtigkeit zu beachten, gleichgültig
ob die auf Abweisung des Begehrens antragende Partei gerade auch diesen
Abweisungsgrund geltend macht (VON TUHR, Allg. Teil des schweizerischen
OR, § 29 II: "Da das nichtige Geschäft keine Wirkungen erzeugt, ist die
Nichtigkeit, sobald ihr Grund zur amtlichen Kenntnis des Richters kommt,
von Amts wegen zu beachten; es bedarf keiner Einwendung des Beklagten und
noch weniger einer Einrede"; OSER/SCHÖNENBERGER, N. 29 zu Art. 11 OR;
Urteil des Bundesgerichts vom 10. Oktober 1958 i.S. Schenkel gegen Furrer
& Co., S. 10). In tatbeständlicher Hinsicht ist übrigens im vorliegenden
Falle die Einräumung eines Vorkaufsrechtes an den Kläger nur eben gemäss
dem mit der Klage vorgelegten Vertrage behauptet, und nicht weiter geht
das tatbeständliche Zugeständnis der Beklagten. Zu entscheiden bleibt
die Rechtsfrage nach der Gültigkeit dieses Vertrages.

    Da die Vorkaufsklausel als solche nicht unterschrieben ist, geht
die Frage nur dahin, ob die auf der vorhergehenden Seite des gesamten
Vertrages unter dem eigentlichen Pachtvertrag angebrachte Unterschrift
auch auf jene auf dem folgenden Blatt beigefügte Klausel zu beziehen
sei. Das ist zu verneinen, wenn einfach die räumliche Stellung der
Unterschrift in Betracht gezogen wird. Denn wenn diese auch nicht
unbedingt unter dem durch sie zu bekräftigenden Texte stehen muss,
sondern unter Umständen ihren Zweck auch zu erfüllen vermag, wenn sie
neben den letzten Worten des Textes oder am Rande der durch den Text
bereits voll beschriebenen letzten Seite eines Vertrages angebracht ist
(vgl. L. SCHMID, Unterschriftenwesen im schweizerischen Privatrecht,
S. 26 ff.), so muss sie doch nach ihrer räumlichen Stellung den Inhalt der
Urkunde decken, d.h. in der Schriftrichtung dem Text nachfolgen (BGE 33
II 105, 34 II 672; BECKER, N. 4 zu den Art. 13-15 OR). Die vorliegende
Klausel betreffend das Vorkaufsrecht befindet sich ausserhalb des durch
die Unterschrift gedeckten Textes. Dieser enthält auch keinerlei Hinweis
auf die nachfolgende Klausel; wie dieser Hinweis beschaffen sein müsste,
um die Klausel als mitunterzeichnet erscheinen zu lassen, ist daher
nicht zu prüfen. Eine geringere Rolle wäre der räumlichen Stellung
der Unterschrift allenfalls dann beizumessen, wenn erwiesen wäre, dass
den Vertragsparteien der als Anspruchsgrundlage angerufene Text vor der
Unterzeichnung vorlag und sie ihn als bindend ansahen (OSER/SCHÖNENBERGER,
N. 8 zu Art. 13 OR, der bemerkt, es könnten danach auch Druckvermerke
auf der Rückseite der Urkunde verbindlich sein). Im vorliegenden Fall ist
aber nicht festgestellt (was der Kläger hätte nachweisen müssen), dass die
auf Seite 13 des Vertrages stehende Erklärung im Zeitpunkt der auf Seite
12 erfolgten Unterzeichnung bereits geschrieben war und nach dem Willen
der Beteiligten als mitunterzeichnet gelten sollte. Es wäre übrigens auf
alle Fälle angezeigt gewesen, den nicht das eigentliche Pachtverhältnis
betreffenden, sondern ein Vertragsverhältnis besonderer Art begründenden,
räumlich getrennten Zusatz eigens zu unterzeichnen.

    Zu 2.:

    Auch wenn ein gültiger Vorkaufsvertrag vorläge, könnte er
mangels Vormerkung im Grundbuch der Beklagten als einer am Vertrage
nicht beteiligten Drittperson nicht entgegengehalten werden. Die in
Art. 681 Abs. 1 ZGB gerade nur für das vorgemerkte Recht vorgesehene
Wirkung gegenüber Dritten kommt einem nicht vorgemerkten Rechte nicht
zu. Dieses gilt (abgesehen vom Fall einer Gesamtnachfolge) keinem spätern
Eigentümer gegenüber. Dabei ist es gleichgültig, ob dieser das Eigentum
auf Grund eines Kaufvertrages, den der frühere Eigentümer unmittelbar mit
ihm abschloss, oder infolge der Ausübung eines Vorkaufsrechtes erworben
hat. In beiden Fällen stellt für ihn der Vorkaufsvertrag des Verkäufers
mit dem nun als Kläger auftretenden Dritten eine res inter alios acta dar
und geht ihn daher nichts an (vgl. HAAB, Sachenrecht, N. 7 zu Art. 681/82,
S. 403 unten).

    Daran ändert der Umstand nichts, dass der Käufer Rentsch ein
Vorkaufsrecht des Klägers anerkannt hat. Die Einigung zwischen diesen
beiden Ansprechern war ebenfalls eine Angelegenheit Dritter, wodurch die
Rechtsstellung der Beklagten nicht berührt wurde. Da diese ihr gesetzliches
Vorkaufsrecht anmeldete und Jost hierauf ausdrücklich die Übertragung des
Eigentums auf sie nachsuchte, war die frühere Anmeldung des Kaufvertrages
stillschweigend widerrufen bezw. in bezug auf die Person des Erwerbers
geändert (vgl. BGE 83 II 15 ff.). Die Beklagte wurde denn auch hierauf
als Eigentümerin eingetragen. Gegen diese dingliche Rechtsstellung kann
der Kläger mit seinem persönlichen und nicht durch Vormerkung verstärkten
Vorkaufsrecht nicht aufkommen.

    Unter diesen Umständen mag offen bleiben, ob nicht selbst ein
vorgemerktes vertragliches Vorkaufsrecht, und zwar auch wenn es samt der
Vormerkung aus der Zeit vor Inkrafttreten des EGG stammt, vor einem kraft
dieses Gesetzesbestehenden Vorkaufsrechtzurückzuweichen hätte.

Entscheid:

               Demnach erkennt das Bundesgericht:

    Die Berufung wird abgewiesen und das Urteil des Appellationshofes
des Kantons Freiburg vom 26. Februar 1959 bestätigt.