Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 85 II 512



85 II 512

74. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung vom 24. November 1959
i.S. Fischli gegen Matthée & Genecand "Trima". Regeste

    1.  Art. 1, 16 Abs. 1 Ziff. 1 aPatG. Begriff der Erfindung.

    2.  Art. 67 Ziff. 1 OG. Wann rechtfertigt es sich, in Streitigkeiten
über Erfindungspatente die tatsächlichen Feststellungen über technische
Verhältnisse zu überprüfen und neue Beweismassnahmen zu treffen?

Auszug aus den Erwägungen:

                       Aus den Erwägungen:

Erwägung 1

    1.- Nach Art. 16 Abs. 1 aPatG, der gemäss Art. 112 lit. a PatG auf
die vor dem 1. Januar 1956 erteilten Patente anwendbar geblieben ist,
hat der Richter das Patent unter anderem dann nichtig zu erklären,
wenn keine Erfindung vorhanden (Ziff. 1) oder wenn diese nicht neu
ist (Ziff. 4). Der Kläger bestreitet die Neuheit des Gegenstandes der
angefochtenen Patente nicht, macht jedoch geltend, dass er nicht die
Eigenschaften einer Erfindung aufweise.

    Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtes (BGE 85 II 138 und dort
angeführte Entscheide) liegt eine Erfindung vor, wenn der Gegenstand des
Patentes einen klar erkennbaren technischen Fortschritt aufweist und auf
einem schöpferischen, nicht schon jedem durchschnittlich gut ausgebildeten
Fachmann naheliegenden Gedanken beruht (Erfindungshöhe). Daran ist
festzuhalten. Der Kläger versucht denn auch nicht, den Begriff der
Erfindung anders zu umschreiben, sondern beschränkt sich auf Darlegungen,
wonach die beiden Merkmale im vorliegenden Falle nicht erfüllt seien.

Erwägung 2

    2.- Der Kläger will die tatsächlichen Verhältnisse, aus denen nach
der Auffassung des Handelsgerichts der durch die Trima-Schnalle erzielte
klar erkennbare technische Fortschritt und die Erfindungshöhe hervorgehen,
durch Sachverständige widerlegen. Er beantragt dem Bundesgericht, solche
zu befragen und sie allenfalls zur Urteilsberatung beizuziehen.

    Gemäss Art. 67 Ziff. 1 OG in der Fassung des Art. 118 PatG kann das
Bundesgericht in Streitigkeiten über Erfindungspatente die tatsächlichen
Feststellungen der kantonalen Instanz über technische Verhältnisse
auf Antrag oder von Amtes wegen überprüfen und zu diesem Zwecke die
erforderlichen Beweismassnahmen treffen, insbesondere den Sachverständigen
der Vorinstanz zu einer Ergänzung seines Gutachtens veranlassen oder
einen oder mehrere neue Sachverständige bestellen oder einen Augenschein
vornehmen.

    Nach dem Wortlaut dieser Norm "kann" das Bundesgericht Beweismassnahmen
treffen. Es ist nicht verpflichtet, einem dahin gehenden Begehren einer
Partei unbesehen Folge zu geben. Ein Antrag in der Bundesversammlung,
der dem Gesetz diesen Sinn geben wollte, wurde abgelehnt (StenBull NatR
1952 450 ff., StR 1953 406 f.; BGE 85 II 142).

    Was die Voraussetzungen betrifft, unter denen sich neue
Beweismassnahmen rechtfertigen, ist zu berücksichtigen, dass Art. 67
OG im Rahmen der Bestimmungen über die Berufung (Art. 43-67 OG) steht
und daher im Geiste dieses Rechtsmittels auszulegen ist. Er macht es
nicht zur Appellation, die das Bundesgericht verpflichten würde, den
Rechtsstreit in tatsächlicher Hinsicht, soweit sich technische Fragen
stellen, allseits neu zu beurteilen, d.h. die Beweise selber zu würdigen
und sie allenfalls zu ergänzen. Art. 67 Ziff. 1 lässt das Verfahren ein
Berufungsverfahren sein, in dem das Urteil auf Grund des vom kantonalen
Richter festgestellten Tatbestandes gefällt wird, mit der Einschränkung,
dass die tatsächlichen Feststellungen über technische Verhältnisse der
Überprüfung und Berichtigung zugänglich sind, wenn das Bundesgericht einen
Grund hat, an ihrer Richtigkeit oder Vollständigkeit zu zweifeln. Solche
Gründe liegen namentlich dann vor, wenn der kantonale Richter, von
unzutreffenden Rechtsbegriffen ausgehend, sich die technischen Fragen
nicht richtig und vollständig gestellt hat oder wenn seine Feststellungen
unklar, unzusammenhängend oder ungenau sind, sich widersprechen oder auf
irrtümlichen oder unvollständigen Überlegungen beruhen. Feststellungen,
die keine solchen oder ähnlichen Mängel aufweisen, sind dagegen nicht durch
neue Beweismassnahmen zu überprüfen. Insbesondere sind neue Sachverständige
nicht schon zu ernennen, wenn möglich ist, dass sie vom Gutachten der
in der kantonalen Instanz befragten Sachverständigen abweichen würden,
namentlich wenn eine Partei es durch Einlegung eines Privatgutachtens
beanstandet. Ein solches Suchen nach anderen Auffassungen widerspräche
nicht nur der Natur der Berufung, sondern könnte die Streitigkeiten über
Erfindungspatente so verlängern, dass die Rechtslage urteilsmässig erst
abgeklärt wäre, wenn die Dauer des Patentes annähernd oder vollständig
abgelaufen und das Interesse am Urteil im wesentlichen dahingefallen
ist. Laut Ergänzungsbotschaft vom 28. Dezember 1951 zur Vorlage über
die Revision des Bundesgesetzes betreffend die Erfindungspatente war
auch schon der Bundesrat der Auffassung, Art. 67 Ziff. 1 OG bedeute
nicht, dass die Feststellungen der kantonalen Instanz über technische
Verhältnisse in jedem Falle insgesamt überprüft werden müssten, sondern
nur, dass das Bundesgericht nicht verpflichtet sei, "sie tale quale
hinzunehmen"; das Bundesgericht "bleibe aber berechtigt, sie hinzunehmen
in allen Fällen, wo ein Grund für eine Änderung nicht besteht" (BBl 1952
I 23). Im Nationalrat wurde erklärt, neue Beweismassnahmen seien nur
zu treffen, wenn das Bundesgericht sich sage, eine nähere Abklärung sei
noch erforderlich (StenBull NatR 1952 453, Votum des Berichterstatters
Huber). Der Berichterstatter im Ständerat wies darauf hin, dass der
vorgeschlagene Wortlaut in der Zulassung der Überprüfung des Tatbestandes
wohl an die äusserste Grenze dessen gehe, was mit dem Berufungsverfahren
noch vereinbart werden könne (StenBull StR 1953 406). Er war also der
Auffassung, dass das Rechtsmittel trotz des Art. 67 OG eine Berufung
bleibe.