Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 85 II 312



85 II 312

51. Urteil der II. Zivilabteilung vom 1. Oktober 1959 i.S. B. gegen L.
Regeste

    Vaterschaftsklage. Klagefrist, Art. 308 ZGB.

    1.  Wann genügt zur Fristwahrung die Anrufung des Friedensrichters?

    2.  Unrichtige Schreibung des Namens des Beklagten: Berichtigung
gemäss kantonalem Prozessrecht ohne Schaden für die Fristwahrung.

Sachverhalt

    A.- Hilda L., die vom April 1955 bis Januar 1956 in S ... in Stellung
war, brachte am 10. Mai 1956 ausserehelich den Knaben Peter zur Welt. Der
in ihrer Wohnsitzgemeinde Sch. bestellte Beistand verlangte am 1. Mai 1957
beim Amtsgerichtspräsidenten von Luzern-Land den Friedensrichtervorstand
für die Vaterschaftsklage gegen "A... Bojar, ... bei S.". Die so
adressierte Vorladung vom 3. Mai kam jedoch mit dem postalischen Vermerk
"unbekannt retour" zurück, so dass ein Sühneversuch nicht stattfinden
konnte.

    Am 9. Juli 1957 reichte der Beistand nach besserer Information beim
Amtsgericht eine Vaterschaftsklage ein, in der der Name des Beklagten
richtig mit "A... Boillat, Uhrenarbeiter" angegeben wurde .

    Der Beklagte bestritt intime Beziehungen mit der Klägerin und erhob
die Einreden der Klageverwirkung, des Drittverkehrs und des unzüchtigen
Lebenswandels. Beide kantonalen Instanzen haben die Einreden verworfen
und die Klage gutgeheissen.

    Zur Frage der Rechtzeitigkeit der Vaterschaftsklage gemäss Art. 308
ZGB führt das Obergericht aus, zur Wahrung der Klagefrist genüge die
Anrufung des Friedensrichters (BGE 42 II 103). Dass der Sühneversuch
auch wirklich stattfinde, sei nicht nötig, auch nicht nach der
kantonalen Prozesspraxis. Die Frage sei einzig die, ob die Anrufung
des Friedensrichters gegen den Beklagten deshalb keine Wirkungen habe,
weil dieser dabei nicht richtig bezeichnet und ihm deshalb die Vorladung
nicht zugestellt worden sei. Grundsätzlich müsse die beklagte Partei in
der Klage so genau bezeichnet werden, dass Zustellungen an sie möglich
seien. Nach allgemeiner prozessrechtlicher Lehre sei Partei nicht die
vom Kläger gewollte, sondern die von ihm als Partei bezeichnete Person.
Blosse Ungenauigkeiten wie die unrichtige Schreibweise eines Namens könnten
aber jederzeit berichtigt werden. Partei sei in solchen Fällen derjenige,
auf den sich die prozessbegründenden Erklärungen objektiv bezögen. Die
Berichtigung sei natürlich nur möglich, wenn die Identität der nach dem
Klageinhalt sicher bestimmten, aber ungenau bezeichneten Person feststehe.
Dies sei hier der Fall. Einen "A... Bojar" gebe es in dem kleinen Dorf...
nicht. Die Klägerin, die aus der deutschen Schweiz komme, mit dem Beklagten
keinerlei Korrespondenz geführt und seinen Namen nur vom Hören gekannt
habe, erkläre, sie habe damit den A... Boillat gemeint. Sie habe dessen
Namen so angegeben, wie man ihn in Unkenntnis der französischen Sprache
verstehen könne. Die Identität der in der Anrufung des Friedensrichters
mit "Bojar" bezeichneten Person mit Boillat stehe also fest, sodass die
Berichtigung zulässig sei. Dann aber sei die Klage gegen den Beklagten
rechtzeitig angehoben worden.

    B.- Mit der vorliegenden Berufung hält der Beklagte die Einrede der
Klageverwirkung aufrecht und verlangt Abweisung der Klage aus diesem
Grunde. Er macht geltend, die Vorinstanz habe Art. 308 ZGB verletzt.
Selbst wenn die Identität von "Bojar" und Boillat gegeben gewesen und
die Berichtigung zulässig sei, so stehe erst fest, dass die Kläger schon
vor Friedensrichter den Boillat habe einklagen wollen, ändere aber nichts
daran, dass sie diesen erst am 7. Juli 1957 in gehöriger Form, nämlich mit
für die Zustellung genügend bestimmter Bezeichnung eingeklagt habe. Wenn es
genügen würde, dass Vorstellung und Wille der Kläger sich auf die richtige
Person als Beklagten bezögen, so liesse sich eine Vaterschaftsklage ohne
jede Namensangabe, also "gegen Unbekannt" denken, was unhaltbar wäre.

    Die Berufungsbeklagten tragen auf Abweisung der Berufung an. Sie
führen aus, es handle sich um einen blossen Verschrieb des Namens,
also um einen heilbaren Mangel, welcher die Fristwahrung in keiner Weise
präjudiziere. Die Berichtigung eines Schreibfehlers sei, wenn die Identität
der Person feststehe, im Sinne von Art. 98 Abs. 5 der luz. ZPO jederzeit
formlos zulässig. Noch weiter gehe die deutsche Praxis, die sogar eine
nachträgliche Parteiänderung ohne Schaden für die Klagefrist zulasse.

Auszug aus den Erwägungen:

              Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- Die Vorinstanz geht vorab davon aus, dass zur Wahrung der
Klageverwirkungsfrist des Art. 308 ZGB die Anrufung des Friedensrichters
genüge. Nach bundesgerichtlicher Praxis erfüllt die Anrufung des
Sühnebeamten nur dann den bundesrechtlichen Begriff der Klageanhebung,
wenn der Sühnebeamte gemäss kantonalem Recht die Streitsache mangels
Aussöhnung von Amtes wegen an das Gericht weiterzuleiten hat, oder
wenn zwischen dem Sühne- und dem eigentlichen Prozessverfahren nach
kantonalem Prozessrecht ein Zusammenhang wenigstens in dem Sinne besteht,
dass der Kläger den Streit innert einer gewissen Frist nach Abschluss
des Sühneverfahrens vor den urteilenden Richter bringen muss, um die
Verwirkung des Klagerechts oder sonstige Rechtsnachteile zu vermeiden,
und im konkreten Falle der Kläger diese Frist auch wirklich eingehalten
hat (BGE 74 II 16 f.). Dieser Zusammenhang besteht im Kanton Luzern,
da gemäss § 90 ZPO der Weisungsschein erlischt, wenn binnen 2 Monaten die
Streitsache nicht eingeklagt wird. Die Anrufung des Friedensrichters stellt
mithin die bundesrechtliche Klageeinleitung dar und ist daher geeignet,
eine bundesrechtliche Verwirkungsfrist zu wahren, wie diejenige für die
Vaterschaftsklage gemäss Art. 308 ZGB.

Erwägung 2

    2.- Gehört insoweit der Begriff der Klageanhebung dem Bundesrecht an,
so untersteht die weitere Frage, wie eine Anrufung des Friedensrichters,
abgesehen von der Frist, beschaffen sein muss, um rechtswirksam - "rite
eingereicht" (BGE 55 II 18) - zu sein, notwendigerweise dem kantonalen
Prozessrecht. Der Sinn der Verwirkungsfrist des Art. 308 ZGB ist, dass
binnen derselben die Klägerschaft bei der zuständigen richterlichen
Behörde die Vaterschaftsklage in bestimmter Form geltend gemacht
habe; und diese Form wird vom kantonalen Prozessrecht bestimmt. Wenn
z.B. dieses für die Vaterschafts- oder eine andere bundesrechtlicher
Verwirkung unterliegende Forderungsklage nicht verlangen würde, dass
eine ziffermässig bestimmte Klagesumme genannt werde, so berührt dies
das Bundesrecht nicht. Ebenso ist es Sache des kantonalen Prozessrechts,
zu bestimmen, ob und unter welchen Voraussetzungen eine bei Anrufung
des Friedensrichters ungenügende Parteibezeichnung nachträglich mit
heilender Rückwirkung auf den Zeitpunkt der Einreichung korrigiert
werden könne. Um kantonales Recht handelt es sich auch, wenn in casu
die Vorinstanz keine bezügliche positive Vorschrift anruft, sondern in
analoger Anwendung allgemeiner Grundsätze des kantonalen Prozessrechts
die Verbesserungsmöglichkeit annimmt, wie sie § 98 der luz. ZPO für die
Rechtsschriften vor Amtsgericht bei unordentlicher Ausfertigung, Formmangel
oder sinnstörenden Schreibfehlern zulässt. Die von der Vorinstanz gemachte
Rechtsanwendung könnte nicht nur nicht als willkürlich bezeichnet werden,
sondern sie verletzt auch insofern kein Bundesrecht, als nicht gesagt
werden kann, sie führe zu einer Verlängerung der Klagefrist des Art. 308
ZGB oder bringe gar die Gefahr der Verschleppung mit sich. Die Vorinstanz
lässt die Berichtigung des Beklagtennamens ausdrücklich nur zu gestützt
auf die - für das Bundesgericht verbindliche - Feststellung, die vor
Friedensrichter mit "Bojar" bezeichnete und gemeinte Person sei mit
Boillat identisch. Dass es sich lediglich um eine unrichtige Schreibweise
handelt und wie es dazu kam, liegt in der Tat auf der Hand, zumal wenn
man die Zeugenaussage des Beistandes vor Obergericht liest, wonach ihm
die Kindsmutter anfänglich den Schwängerer nicht nennen wollte und ihm
erst später durch ihre Mutter einen Zettel mit dem Namen "A... Bojar"
überbringen liess, welche Fassung genau dem phonetischen Lautbild des
Namens in deutscher Schreibung entspricht (abgesehen von dem am Schluss
angehängten r) - aber freilich im Schriftbild und in französischer
Aussprache so wenig mehr an den richtigen Namen erinnert, dass sogar der
Postbeamte von... den Zusammenhang nicht gemerkt - oder jedenfalls die
Zustellung nicht gewagt haben mag. Dass die Klageeinleitung innert der
Verwirkungsfrist dem Beklagten zugestellt worden sei, verlangt Art. 308
ZGB nicht. Der Sinn der Bestimmung ist nicht, dass der bisher unbehelligt
gebliebene potentielle Vaterschaftsbeklagte mit dem Jahrestag der Geburt
sich in Sicherheit glauben könne. Ähnliche Verspätungen wie im vorliegenden
Falle können sich bei absolut fehlerfreier Klageanhebung ergeben, wenn die
Vorladung aus einem andern Grunde dem Beklagten nicht zugestellt werden
kann, z.B. weil er den Wohnsitz gewechselt hat oder sich auf einer Reise
im Ausland befindet. In casu kann ja auch der Beklagte nicht behaupten,
dass die Beweislage für ihn durch die kleine Verzögerung von zwei Monaten
sich irgendwie verschlechtert habe.

    Andere Einreden sind vor Bundesgericht nicht mehr geltend gemacht und,
für den Fall der Gutheissung der Klage, die zugesprochenen Leistungen
der Höhe nach nicht angefochten.

Entscheid:

               Demnach erkennt das Bundesgericht:

    Die Berufung wird abgewiesen und das Urteil des Obergerichts des
Kantons Luzern, II. Kammer, vom 3. März 1959 bestätigt.