Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 85 II 236



85 II 236

38. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung vom 14. Juli 1959
i.S. Hans Stüdli & Cie. gegen Stadtgemeinde Winterthur. Regeste

    Ansprüche auf Schadenersatz wegen Beeinträchtigung eines Wasserrechts
durch öffentliche Bauten (Erstellung einer Kläranlage) können nicht auf
das Bundeszivilrecht (Art. 679 ZGB, Art. 689 Abs. 2 ZGB, Art. 41 OR),
sondern nur auf Art. 44 WRG gestützt werden.

Sachverhalt

    A.- Am 23. Oktober 1941 verlieh der Regierungsrat des Kantons Zürich
dem Rechtsvorgänger der Firma Hans Stüdli & Cie. "in Ersatz der frühern
Wasserrechtsverleihungen und in Erweiterung derselben" das Recht, der
Töss rund 500 m unterhalb der Einmündung der Eulach mit Hilfe eines
Klappenwehrs bis zu 3520 Sekundenliter Wasser zu entnehmen und auf zwei
Turbinen zu leiten, um elektrische Energie für sein Presswerk zu gewinnen.

    Am 12. Mai 1950 setzte die Stadt Winterthur die Kläranlage in Betrieb,
die sie auf Grund der Krediterteilung in den Gemeindeabstimmungen vom
21. Mai und 29. Oktober 1939 unterhalb der eben erwähnten Fabrik am Ufer
der Töss erstellt hatte. Seither werden die Abwässer der Stadt Winterthur,
die bis dahin oberhalb des Wehrs der Firma Hans Stüdli & Cie. in die
Eulach und die Töss geflossen waren, durch einen Sammelkanal am Wehr und
an der Fabrik vorbei zur Kläranlage geführt, von wo aus sie sich in die
Töss ergiessen. Die Firma Hans Stüdli & Cie. behauptet, dadurch werde eine
Wassermenge von durchschnittlich 500 Sekundenlitern ihrer Nutzung entzogen,
woraus sich ein Energieausfall von 200'000 Kilowattstunden im Jahr ergebe.

    B.- Mit der vorliegenden Klage, die am 15. April 1954 beim
Friedensrichter und am 1. Juli 1954 beim Bezirksgericht Winterthur
eingeleitet wurde, belangt die Firma Hans Stüdli & Cie. die Stadtgemeinde
Winterthur auf Ersatz dieses Schadens. Sie verlangt die Lieferung einer
entsprechenden Energiemenge, eventuell die Bezahlung ihres Gegenwertes nach
Massgabe der jeweils geltenden Stromtarife, ganz eventuell die Leistung
jährlicher Zahlungen von Fr. 15'000.-- oder einer einmaligen Abfindung
von Fr. 535'995.--. Zur Begründung ihrer Ansprüche berief sie sich im
kantonalen Verfahren auf den Grundsatz der Rechtsgleichheit sowie auf
Art. 679 und Art. 689 Abs. 2 ZGB, Art. 41 OR, Vorschriften des kantonalen
Rechts und Art. 4 der Allgemeinen Bedingungen der vom Kanton Zürich der
Beklagten erteilten Grundwasserkonzessionen. Für den Fall, dass der Richter
die so begründete Haftung der Beklagten verneinen sollte, verlangte sie
die Einleitung eines Enteignungsverfahrens gemäss dem zürcherischen Gesetz
betreffend die Abtretung von Privatrechten vom 30. November 1879.

    Das Bezirksgericht wies die Klage am 21. September 1956 ab. Das
Obergericht des Kantons Zürich (II. Zivilkammer) hat am 30. April
1957 erkannt, die Klage werde abgewiesen, soweit darauf eingetreten
werden könne. Nicht eingetreten ist das Obergericht auf die Klage,
soweit als Grundlage der eingeklagten Ansprüche die (von der Klägerin
im vorliegenden Prozess gar nicht als solche angerufene) Vorschrift von
Art. 44 des Bundesgesetzes über die Nutzbarmachung der Wasserkräfte vom
22. Dezember 1916 (WRG) in Betracht kommen könnte und soweit mit der
Klage die Einleitung eines kantonalen Enteignungsverfahrens verlangt wurde.

    C.- Gegen dieses Urteil hat die Klägerin die Berufung an das
Bundesgericht erklärt, mit der sie ihr Schadenersatzbegehren erneuert. ..
Zudem hat sie die im vorliegenden Prozesse streitigen Ansprüche zum
Gegenstand einer auf Art. 44 WRG gestützten zweiten Klage gemacht, die
sie gemäss Abs. 3 dieser Bestimmung in Verbindung mit Art. 111 lit. i OG
bei der staats- und verwaltungsrechtlichen Abteilung des Bundesgerichts
(Verwaltungsrechtliche Kammer) einleitete. .. Dieses Verfahren ist durch
Präsidialverfügung vom 29. Januar 1958 bis nach Erledigung der vorliegenden
Berufung eingestellt worden.

Auszug aus den Erwägungen:

              Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- (Prozessuales.)

Erwägung 2

    2.- Der Klägerin ist ein Wasserrecht an einem öffentlichen Gewässer
(der Töss) verliehen worden. Das Nutzungsrecht des mit einem solchen Rechte
Beliehenen wird in Art. 43 ff. WRG umschrieben. Art. 44 WRG, der gemäss
Randtitel von der "Störung durch öffentliche Bauten" handelt, bestimmt:

    "Wird der Beliehene in der Ausnutzung seiner Wasserkraft durch
öffentliche, den Wasserlauf verändernde Arbeiten bleibend beeinträchtigt,
und kann er die Einbusse durch Anpassung seines Werkes an den veränderten
Wasserlauf nicht oder nur mit unverhältnismässig grossen Kosten vermeiden,
so hat er Anspruch auf Entschädigung.

    Wird der Bau oder Betrieb eines Wasserwerkes durch Korrektionsbauten
oder andere wasserpolizeiliche Arbeiten vorübergehend erschwert oder
unterbrochen, so hat der Beliehene keinen Anspruch auf Schadenersatz,
es sei denn, dass die Arbeiten unnötig verzögert werden.

    Streitigkeiten entscheidet das Bundesgericht als Staatsgerichtshof."

    Diese Bestimmung regelt die Frage, welche Ansprüche dem Beliehenen im
Falle der Beeinträchtigung seines Nutzungsrechts durch öffentliche Bauten
zustehen und auf welchem Wege diese Ansprüche geltend zu machen sind,
in abschliessender Weise. Seitdem sie in Kraft steht, können nicht nur
kantonale Bestimmungen, die sich mit der gleichen Frage beschäftigen,
wegen der derogatorischen Kraft des Bundesrechts keine Anwendung mehr
finden, sondern ist es auch ausgeschlossen, Schadenersatzansprüche
wegen Beeinträchtigung eines Wasserrechts durch öffentliche Bauten aus
andern, nicht besonders auf diesen Fall zugeschnittenen Vorschriften des
Bundesrechts herzuleiten; denn sie stellt eine Sondervorschrift dar, die
in ihrem Geltungsbereich den allgemeinern Normen vorgeht, unter die der
in Frage stehende Fall beim Fehlen einer solchen Vorschrift allenfalls
gezogen werden könnte.

    Die Klägerin begründet die mit der vorliegenden Klage geltend
gemachten Schadenersatzansprüche mit einer bleibenden Beeinträchtigung
ihres Wasserrechts, für die sie die Erstellung der städtischen
Kläranlage und des zugehörigen, an ihrem Wasserwerk vorbeiführenden
Abwassersammelkanals verantwortlich macht. Bei diesen Anlagen handelt
es sich unbestreitbar um öffentliche Bauten. Ob und allenfalls in
welchem Umfang die Schadenersatzansprüche der Klägerin begründet seien,
beurteilt sich daher ausschliesslich nach Art. 44 Abs. 1 WRG und ist
gemäss Art. 44 Abs. 3 WRG in Verbindung mit Art. 111 lit. i OG von der
Verwaltungsrechtlichen Kammer des Bundesgerichts zu entscheiden.

    Hieran ändert nichts, dass die Rechtsvorgänger der Klägerin schon lange
vor dem Inkrafttreten des WRG (d.h. vor dem 1. Januar 1918) ein Wasserrecht
besassen. Abgesehen davon, dass heute allein die (die frühern Konzessionen
ersetzende) Verleihung vom 23. Oktober 1941 massgebend ist und dass die
frühern Konzessionen einen geringern Umfang hatten, gilt Art. 44 WRG gemäss
Art. 74 Abs. 2 dieses Gesetzes auch für die vor dem 25. Oktober 1908 (d.h.
vor der Volksabstimmung über Art. 24bis BV) begründeten Wasserrechte.

    Die streitigen Schadenersatzansprüche können also nicht mit einer
auf Vorschriften des Bundeszivilrechts gestützten, beim Zivilrichter
angebrachten Klage geltend gemacht werden. Schon deshalb muss die
vorliegende Berufung, mit welcher der Schutz einer solchen Klage verlangt
wird, abgewiesen werden.

Erwägung 3

    3.- Die zivilrechtlichen Vorschriften, welche die Klägerin anruft
(Art. 679 und 689 Abs. 2 ZGB, Art. 41 OR), vermöchten im übrigen ihre
Schadenersatzansprüche auch dann nicht zu stützen, wenn keine ihrer
Anwendung entgegenstehende Sondervorschrift bestünde.

    a) Die Beklagte hat die baulichen Vorkehren, die der von der Klägerin
ausgenützten Gewässerstrecke einen Teil des ihr bisher zugeflossenen
Wassers entziehen, nicht in ihrer Eigenschaft als Eigentümerin bestimmter
Grundstücke, sondern ohne Zusammenhang mit dieser Eigenschaft als
öffentlichrechtliche Körperschaft in Erfüllung öffentlichrechtlicher
Aufgaben getroffen. Es ist nicht einmal behauptet, geschweige denn dargetan
worden, dass die Einrichtungen, die das städtische Abwasser der Kläranlage
zuleiten, auf Grund und Boden der Beklagten erstellt worden seien, und dies
versteht sich auch nicht etwa von selbst; die Beklagte konnte dafür sehr
wohl fremdes Grundeigentum in Anspruch nehmen. Auch wenn die fraglichen
Abwasserleitungen auf fremdem Boden erstellt wurden, mögen sie freilich
als Zugehör der Kläranlage, für welche die Beklagte das nötige Land
erworben hat, im Eigentum der Beklagten stehen (Art. 676 Abs. 1 ZGB). Im
normalen bestimmungsgemässen Gebrauch dieser Leitungen kann jedoch keine
rechtswidrige Einwirkung auf das Grundeigentum (bzw. das Wasserrecht)
der Klägerin erblickt werden, wie die Haftung des Grundeigentümers gemäss
Art. 679 ZGB sie zur Voraussetzung hat (BGE 76 II 132). Mit den in BGE 75
II 116 ff. und 76 II 129 ff. beurteilten Fällen, wo durch eine Kanalisation
verbotenerweise Giftstoffe in ein Fischgewässer geleitet wurden, hat der
vorliegende Fall nichts gemein.

    b) Die nachbarrechtliche Vorschrift von Art. 689 ZGB handelt vom
Wasser, das von einem oberhalb liegenden Grundstück natürlicherweise
auf ein unteres abfliesst, wie namentlich Regenwasser, Schmelzwasser und
Wasser nicht gefasster Quellen. Bei den Abwässern der Stadt Winterthur
handelt es sich keineswegs um Wasser, das vor Erstellung der Kläranlage
natürlicherweise von Grundstücken der Beklagten auf dasjenige der
Klägerin abgeflossen wäre. Abgesehen davon, dass diese Abwässer nur
zu einem geringen Teil von Grundstücken der Beklagten kommen dürften,
flossen sie schon vor dem Bau jener Anlage nicht in freiem Lauf auf das
Grundstück der Beklagten ab, sondern wurden durch die Kanalisation, also
durch eine künstliche Vorrichtung, der Eulach und der Töss zugeleitet,
die öffentliche Gewässer sind. Art. 689 ZGB könnte also, selbst wenn die
Sondervorschrift von Art. 44 WRG nicht bestünde, so wenig wie Art. 679
ZGB zur Begründung der Schadenersatzansprüche der Klägerin dienen.

    c) Nicht anders verhält es sich mit Art. 41 OR. Abgesehen davon,
dass der Beklagten bzw. ihren Organen ein widerrechtliches und dazu noch
schuldhaftes Verhalten im Ernste nicht vorgeworfen werden kann, würde
die Beklagte für die Folgen eines solchen Verhaltens nicht nach OR,
sondern nur nach Massgabe einschlägiger Vorschriften des öffentlichen
Rechts haften, da sie in dieser Angelegenheit ausschliesslich
in Ausübung öffentlichrechtlicher Funktionen tätig geworden ist
(vgl. OSER/SCHÖNENBERGER N. 8, 9 zu Art. 61 OR, EGGER N. 16 zu Art. 59
ZGB).

Erwägung 4

    4.- Soweit die Klägerin die Haftung der Beklagten rechtlich damit
zu begründen sucht, dass diese mit der Unterwerfung unter die ihr vom
Kanton Zürich erteilten Grundwasserkonzessionen eine zivilrechtliche
Kausalhaftpflicht auf sich genommen habe, könnte es zunächst scheinen,
dass sie entgegen der den bisherigen Erwägungen zugrunde liegenden Annahme
nicht bloss die Ableitung der städtischen Abwässer nach der unterhalb ihrer
Fabrik liegenden Kläranlage, sondern unabhängig hievon auch schon allein
die Wasserentnahmen der Beklagten aus den Grundwasserströmen der Eulach und
der Töss für den ihr entstandenen Schaden verantwortlich machen wolle. In
Wirklichkeit liegt jedoch nach ihrer eigenen Darstellung die entscheidende
Schadensursache nicht in der durch diese Wasserentnahmen angeblich
bewirkten Schmälerung des oberirdischen Flusswassers, sondern darin, dass
das den Grundwasserströmen (und andern Wasservorkommen) entnommene Wasser
nach Gebrauch nicht oberhalb, sondern erst unterhalb ihres Wasserwerks
wieder in die Töss geleitet wird. Die Grundwasserentnahmen brachten ihr
zugegebenermassen vor der Erstellung der Kläranlage und des zu dieser
führenden Abwassersammelkanals keinen Schaden (vgl. Prot. II S. 7,
wonach ihr Rechtsvorgänger keinen Anlass sah, gegen die Erteilung der
Grundwasserkonzessionen Einsprache zu erheben, "weil er wusste, dass
ihm dieses Wasser vor seinem Wasserwerk zurückgegeben würde"). Auf den
erst durch diese Anlagen entstandenen Schaden liesse sich die behauptete
Kausalhaftpflicht der Beklagten als Grundwasserkonzessionärin keinesfalls
erstrecken, so dass dahingestellt bleiben kann, ob die Beklagte mit der
Unterwerfung unter die ihr erteilten Konzessionen wirklich eine solche
zivilrechtliche Haftpflicht auf sich genommen habe. Es bleibt also dabei,
dass als Rechtsgrundlage einer Haftung für den von der Klägerin geltend
gemachten Schaden nur Art. 44 WRG in Betracht kommt.

Erwägung 5

    5.- Was die Klägerin in der Berufungsschrift schliesslich noch
über eine angebliche Verletzung der Rechtsgleichheit durch die Beklagte
vorbringt, ist nicht zu hören.

    Sollte die Beklagte andern Wasserrechtsinhabern in ähnlichen Fällen
eine Entschädigung gewährt haben, so liesse sich hieraus niemals ableiten,
dass die Beklagte zivilrechtlich verpflichtet sei, auch die Klägerin
zu entschädigen.

Entscheid:

               Demnach erkennt das Bundesgericht:

    Die Berufung wird abgewiesen und das Urteil des Obergerichtes des
Kantons Zürich (II. Zivilkammer) vom 30. April 1957 ... bestätigt.