Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 85 II 18



85 II 18

4. Urteil der II. Zivilabteilung vom 22. Januar 1959 i.S. L. gegen P.
Regeste

    Vaterschaftsklage, Art. 314 ZGB. Eid als Beweismittel zur Begründung
der Vaterschaftsvermutung; Voraussetzungen und Thema eines der Kindsmutter
aufzuerlegenden Reinigungseides (Bestätigung der Praxis).

Sachverhalt

    A.- Gertrud L. und ihr am 19. März 1956 ausserehelich
geborenes Kind Margot Elisabeth erhoben am 28. März 1957 gegen W. P.
Vaterschaftsklage. In der Begründung führten sie aus, die Kindsmutter
habe mit dem Beklagten seit Herbst 1954 ein Verhältnis unterhalten,
wobei es auch in der kritischen Zeit (24. Juli bis 21. November 1955) zu
Geschlechtsverkehr gekommen sei. Ausser mit dem Beklagten habe die Mutter
in der kritischen Zeit mit keinem Manne geschlechtlich verkehrt. Wohl
habe sie im August 1955 mit einem Th. S. einige Tage Ferien in Italien
verbracht, zu Geschlechtsverkehr mit diesem sei es jedoch erst im Dezember
1955 gekommen.

    Der Beklagte trug auf Abweisung der Klage an. Er gab gelegentlichen
Geschlechtsverkehr mit der Kindsmutter zu, bestritt aber, dass solcher
in der kritischen Zeit stattgefunden habe. Ausserdem berief er sich auf
Art. 314 Abs. 2 und 315 ZGB, weil die Mutter in der Empfängniszeit mit
mehreren Männern, darunter mit S., Geschlechtsverkehr gepflogen habe. In
einer Beweiseingabe vom 11. Oktober 1957 nannte der Beklagte als weitere
Dritte, mit denen die Mutter in der kritischen Zeit geschlechtlich verkehrt
habe, X. und Y., und rief diese als Zeugen an. Auf das Zeugnis des
X. verzichtete er später. Der Zeuge Y. gab an, er habe nur gelegentlich
mit der Kindsmutter "geschmust", ohne aber näheres über den Zeitpunkt
dieser Beziehungen angeben zu können.

    B.- Das Amtsgericht Luzern-Stadt hiess die Klage gut, nachdem die
Mutter durch Handgelübde versichert hatte, dass sie in der kritischen Zeit
mit dem Beklagten verkehrt habe. Es nahm an, Mehrverkehr und unzüchtiger
Lebenswandel seien nicht bewiesen.

    C.- Gegen das Urteil des Amtsgerichts appellierte der Beklagte. Die
Klägerinnen legten Anschlussappellation ein. Das Obergericht auferlegte
der Kindsmutter den vor Amtsgericht vom Beklagten beantragten Eid dafür,
"dass sie in der kritischen Zeiten noch mit einem andern Manne verkehrt
habe" (amtsgerichtl. Beleg 11; obergerichtl. Beleg 4: Schwörsatz negativ:
mit keinem andern Manne). Da - so führt das Obergericht in seinem Urteil
vom 27. Mai 1958 aus - die Erstklägerin eine Erklärung zum Schwörsatz
verweigerte, stellte das Gericht fest, dass gemäss § 218 der luz. ZPO der
Schwörsatz als richtig zu betrachten sei, die Mutter also in der kritischen
Zeit noch mit einem andern Manne verkehrt habe. Hierauf erklärte der Anwalt
der Klägerinnen, der Verkehr mit S. werde jetzt zugegeben, jedoch wolle er
den Beweis dafür antreten, dass S. nicht der Vater des Kindes sein könne.
Diesem Antrag habe das Gericht jedoch nicht entsprechen können, "nachdem
in Bezug auf den Schwörsatz, der sich nicht nur auf einen Verkehr mit
S. bezog, die erwähnte Rechtsfolge (scil. gemäss § 218 ZPO) eingetreten
war". Die Erstklägerin wäre in der Lage gewesen, in der Eidesverhandlung
den Verkehr mit S. zuzugeben und einen weitern Verkehr zu bestreiten. Der
Beklagte hätte in diesem Falle, wenn er am Eidesbeweise festhalten wollte,
seinen Schwörsatz einschränken müssen, während es Sache der Klägerinnen
gewesen wäre, zu beweisen, dass S. als Vater nicht in Betracht komme. Der
Drittverkehr der Mutter begründe erhebliche Zweifel an der Vaterschaft des
Beklagten, sodass deren Vermutung wegfalle und die Klage abzuweisen sei.

    D.- Gegen dieses Urteil legten die Klägerinnen die vorliegende
Berufung mit dem Antrag auf Gutheissung der Vaterschaftsklage ein, sowie
die kantonale Kassationsbeschwerde an das Gesamtobergericht mit dem Antrag
auf Kassation des Urteils wegen Rechtswidrigkeit des Eidesverfahrens und
Rückweisung der Sache an die zweite Kammer des Obergerichts.

    Gegen das die Kassationsbeschwerde abweisende Urteil des
Gesamtobergerichts vom 12. September 1958 legten die Klägerinnen
staatsrechtliche Beschwerde an das Bundesgericht wegen willkürlicher
Verletzung kantonalen Prozessrechts ein.

    Mit seiner Berufungsantwort beantragt der Beklagte Abweisung der
Berufung und Bestätigung des angefochtenen Urteils. Er hält an den Einreden
des Mehrverkehrs und des unzüchtigen Lebenswandels fest.

Auszug aus den Erwägungen:

              Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

    Im Vaterschaftsprozess hat die Klägerschaft nur die Beiwohnung
der Kindesmutter mit dem Beklagten in der kritischen Zeit nachzuweisen
und damit die Vermutung des Art. 314 Abs. 1 ZGB zu begründen. Sache des
Beklagten ist es dann, allenfalls Tatsachen nachzuweisen, die nach seiner
Meinung erhebliche Zweifel an seiner Vaterschaft rechtfertigen, und damit
jene Vermutung wieder zu entkräften. Mit dieser bundesrechtlich geregelten
Beweislastverteilung ist es unvereinbar, auf Antrag des Beklagten der
Kindsmutter den Eid dafür aufzuerlegen, dass sie in der kritischen Zeit
überhaupt mit keinem andern Mann als dem Beklagten Geschlechtsverkehr
gehabt habe. Nur wenn es dem Beklagten gelingt, mindestens den Beweis
für anderweitigen verdächtigen Umgang der Mutter mit einem oder mehreren
bestimmten Männern zu erbringen, darf der Kindsmutter der Eid dafür
auferlegt werden, dass sie mit diesen bestimmten Dritten in der kritischen
Zeit nicht geschlechtlich verkehrt habe. Dieser Eid soll sich also nicht
allgemein auf anderweitigen Geschlechtsverkehr beziehen, sondern nur auf
den Verkehr mit dem oder den bestimmten Dritten, mit dem bezw. denen ihr
ein verdächtiger Umgang nachgewiesen worden ist. (BGE 57 II 2).

    Im vorliegenden Falle hat die Vorinstanz der Kindsmutter auf Antrag
des Beklagten einen Reinigungseid auferlegt, der sich auf irgendwelchen
möglichen Drittverkehr bezog, ohne zuvor festgestellt zu haben, ob und
mit welchen bestimmten Dritten die Mutter verdächtigen Umgang gepflogen
habe. Die ohne solche Feststellung und entsprechende Beschränkung
des Eidesthemas erfolgte Eidesauferlegung ist bundesrechtswidrig,
demgemäss auch die aus der Eidesverweigerung gezogene Schlussfolgerung,
die Kindsmutter habe ausser mit dem Beklagten und S. noch mit weitern
Dritten in der kritischen Zeit geschlechtlich verkehrt, und ebenso die
auf diese Annahme gestützte Weigerung, die Klägerinnen zum Beweis dafür
zuzulassen, dass S. nicht als Vater in Frage komme, - ganz abgesehen
übrigens von der Frage, ob das Kind, das auch Klagepartei ist, durch das
Verhalten der Mutter hinsichtlich des Eides in seinen eigenen Beweisrechten
geschmälert werden darf.

    Das angefochtene Urteil ist daher aufzuheben und die Sache zu neuer
Entscheidung unter Beobachtung der dem Bundesrecht entsprechenden
Beweislastverteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen. Dabei wird
einerseits zu beachten sein, dass der Beklagte durch den Verzicht auf die
Einvernahme des als Zeuge angerufenen X. wohl auch die Behauptung eines
Geschlechtsverkehrs dieses Zeugen mit der Kindsmutter fallen gelassen hat.
Anderseits wird, falls erhebliche Zweifel im Sinne des Art. 314 Abs. 2
ZGB verneint werden müssten, zu prüfen sein, ob, wie es der Beklagte -
auch noch vor Bundesgericht - behauptet, die Kindsmutter um die Zeit
der Empfängnis einen unzüchtigen Lebenswandel geführt hat, wobei es der
Vorinstanz selbstverständlich freisteht, die Prüfung dieser Frage vorweg
zu nehmen.

Entscheid:

               Demnach erkennt das Bundesgericht:

    Die Berufung wird dahin gutgeheissen, dass das angefochtene Urteil
aufgehoben und die Sache zu neuer Entscheidung im Sinne der Erwägungen
an die Vorinstanz zurückgewiesen wird.