Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 85 II 1



85 II 1

1. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung vom 30. Januar 1959
i.S. Schmidhauser gegen Schmidhauser. Regeste

    Scheidungsklage nach Trennung, Art. 147 Abs. 2 und 3 ZGB.

    Klageausschliessungsgrund der Wiedervereinigung.

    Wiedervereinigung liegt nicht vor, wenn die Ehefrau vorübergehend in
die Wohnung des Mannes - unter ausdrücklichem Ausschluss der Wiederaufnahme
ehelicher Beziehungen - zurückkehrt, nur um die Kinder zu betreuen.

Sachverhalt

    A.- Im Jahre 1954 erhob die Ehefrau Klage auf Scheidung wegen tiefer
Zerrüttung. Mit Urteil vom 15. Juni 1955 sprach das Bezirksgericht Zürich
in Anwendung von Art. 142 und 146 ZGB die Trennung der Ehe für die Dauer
eines Jahres aus, welches Urteil in Rechtskraft erwuchs. Während der
Dauer dieser gerichtlichen Trennung, ab 5. September 1955, kam die Ehefrau
vorübergehend täglich in die eheliche Wohnung, um morgens und abends die
Kinder zu betreuen, und blieb dann vom 15. Dezember 1955 bis Ende August
1956, also während rund 8 Monaten, ständig dort und besorgte den Haushalt
und die beiden 8- bezw. 4jährigen Kinder; die Eheleute schliefen jedoch in
getrennten Zimmern, und es kam nie mehr zu intimem Verkehr zwischen ihnen.

    Nachdem die Ehefrau Ende August 1956 die eheliche Wohnung wieder
verlassen hatte, leitete sie beim Bezirksgericht Zürich Klage aufScheidung
auf Grund von Art. 147 und 148, eventuell Art. 142 ZGB ein.

    Der Ehemann widersetzte sich der Scheidung.

    Das Bezirksgericht wies die Scheidungsklage ab, weil in dem
Zusammenleben der Klägerin mit Mann und Kindern, auch ohne intimen
Verkehr, eine Wiedervereinigung im Sinne von Art. 147 Abs. 2 und 3 ZGB
zu erblicken sei.

    In Gutheissung der Berufung der Klägerin hat dagegen das Obergericht
dies verneint, die Scheidung gestützt auf Art. 147/148 ausgesprochen und
die Kinder der Mutter zugeteilt.

    B.- Mit der vorliegenden Berufung beantragt der Beklagte Abweisung
der Scheidungsklage. Er macht geltend, wer, wie die Klägerin, in den
ehelichen Haushalt zurückkehre, hier schlafe, den Haushalt besorge,
koche, wasche, die Kinder ernähre und kleide, für die Familie einkaufe
und sogar Haushaltschulden begründe, kurz sämtliche Pflichten und Rechte
einer Hausfrau, Gattin und Mutter übernehme und ausübe, nehme in allen
Teilen wieder die der gesetzlichen Ehefrau zugewiesene Stellung in der
ehelichen Gemeinschaft ein. Daran ändere das Fehlen des intimen Verkehrs
nichts, den ihm die Klägerin schon seit 1951 verweigere. Würde aber die
Wiedervereinigung verneint, so wäre doch die Klägerin an der Zerrüttung
ausschliesslich schuldig und daher nach Art. 148 ZGB nicht klageberechtigt.

    Die Berufungsbeklagte trägt auf Abweisung der Berufung an.

Auszug aus den Erwägungen:

              Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- Gemäss Art. 147 Abs. 2 ZGB fällt, wenn die Ehe auf bestimmte
Zeit getrennt war, nach Ablauf dieser Zeit die Trennung dahin, und es
kann - ebenso wie bei Trennung auf unbestimmte Zeit nach dreijähriger
Dauer derselben - jeder Ehegatte die Scheidung verlangen, "wenn eine
Wiedervereinigung nicht erfolgt ist". Zwischen letzterem und dem
von den romanischen Texten verwendeten Begriffe "réconciliation",
"riconciliazione" besteht zweifellos ein deutlicher Unterschied, indem
von einer "Wiedervereinigung" schon dann gesprochen werden kann, wenn
die getrennten Eheleute das äusserliche Zusammenleben wieder aufgenommen
haben, d.h. wieder in gemeinsamer Wohnung leben und damit nach aussen das
Bild einer Familie darbieten; während "réconciliation" = Aussöhnung weiter
geht, nämlich die innere Überwindung und Beseitigung des Trennungsgrundes,
die Wiederherstellung des Ehefriedens in sich schliesst. Kann hiemit
freilich nicht eine wirkliche, dauernde Aussöhnung gemeint sein - denn
in diesem Falle käme es nicht mehr zur Scheidungsklage der einen Partei
-, so genügt anderseits als Wiedervereinigung nicht die Wiederaufnahme
des bloss äusserlichen Zusammenlebens, selbst wenn es nach aussen als
eheliche Gemeinschaft in Erscheinung tritt. Wenn dies in einem ältern
Urteil als zum Ausschluss der Scheidungsklage ausreichend bezeichnet wurde,
so ist zu beachten, dass die Parteien dort trotz ausgesprochener Trennung
überhaupt nicht auseinandergegangen, sondern beisammen geblieben waren und
weiterhin im gleichen Zimmer geschlafen hatten, sodass die Trennung nie
effektiv geworden war (BGE 56 II 156 f.). Es kann nicht darauf ankommen,
wie das wiederaufgenommene Zusammenleben nach aussen in Erscheinung
tritt; denn anders als etwa hinsichtlich der Rechtswirkungen von Besitz
und Gewahrsam ist es hier ohne Belang, welchen Schein das nach aussen
sichtbare Verhältnis der getrennt gewesenen Eheleute bei Dritten zu
erwecken geeignet ist. Wie die Vorinstanz annimmt, ist massgebend
der Wille, der dem Entschluss zur Rückkehr eines Ehegatten in die
eheliche Wohnung zu Grunde liegt. "Die rechtliche Bedeutung, die der
Wiedervereinigung zukommt - nämlich eben der Ausschluss der Scheidungsklage
- erfordert, dass beiderseits der ernste Wille - der Entschluss - auf
dauernde Wiederherstellung der ehelichen Gemeinschaft gerichtet sei"
(EGGER, Art. 147/48 N. 3), und zwar der vollen, uneingeschränkten
Gemeinschaft. Dass nur dies der Inhalt der "Wiedervereinigung" sein
kann, geht auch daraus hervor, dass sich die genau gleichen Ausdrücke -
Wiedervereinigung und réconciliation - auch in Art. 146 Abs. 3 ZGB finden,
wo ohne weiteres einleuchtet, dass bei gegebenem Scheidungsgrund statt der
verlangten Scheidung nur dann blosse Trennung ausgesprochen werden kann,
wenn Aussicht auf volle, vorbehaltlose Wiederherstellung des ehelichen
Verhältnisses, nicht bloss des äussern Scheins eines solchen besteht;
die Aussicht, dass die Ehefrau wieder einmal, wenn die Kinder sich in
einer Notlage befänden, vorübergehend zur Besorgung des Haushaltes
in die Wohnung käme, würde zweifellos nicht genügen. Nun stellt die
Vorinstanz - und zwar, da es sich dabei um einen innern Tatbestand
handelt, für das Bundesgericht verbindlich - fest, dass die Klägerin bei
ihrer Intervention im Haushalt des Beklagten nicht die Absicht hatte,
die eheliche Gemeinschaft wieder aufzunehmen oder sich auch nur auf einen
dahingehenden Versuch einzulassen, sondern nur ihren infolge Wegzugs der
ältern Tochter des Beklagten in Not befindlichen Kindern zu Hilfe kam. Über
diesen strikte limitierten, eheliche Beziehungen und die Hoffnung auf
Wiederherstellung solcher ausschliessenden Sinn ihrer Anwesenheit liess die
Klägerin den Mann nicht im Zweifel und wies Annäherungsversuche desselben
beharrlich ab. Die vom Berufungskläger als nur einer Ehefrau zustehend
aufgezählten Funktionen, auch das Einkaufen auf Kredit, könnten ohne
weiteres auch einer Haushälterin zukommen. So wie die Doktrin es ablehnt,
schon die geringste Annäherung als Wiedervereinigung genügen zu lassen,
weil dies eine Aussöhnung der Ehegatten zu erschweren, ja zu verhindern
geeignet sei (EGGER aaO), so wäre es in casu unbillig, die Klägerin
für ihre Hilfsbereitschaft für die Kinder mit dem Verlust des durch
das Trennungsurteil gesetzmässig erworbenen Anspruchs auf erleichterte
Scheidung büssen zu lassen, was darauf hinausliefe, eine Mutter in dieser
Lage vor eine unzumutbare Alternative zu stellen. Unter den vorliegenden
Umständen war zwischen den Parteien klargestellt, dass die Klägerin,
indem sie in den Haushalt zurückkehrte, nicht in eine Wiederherstellung
der ehelichen Gemeinschaft oder auch nur in einen Versuch einer solchen
einwilligte, und die tatsächliche Durchführung des "Zusammenlebens"
widersprach diesem Vorbehalt nicht. Es ist daher mit der Vorinstanz eine
Wiedervereinigung zu verneinen.

Erwägung 2

    2.- Ebensowenig steht der Klage der Ehefrau der Ausschliessungsgrund
des alleinigen Verschuldens an der Zerrüttung entgegen...

Entscheid:

               Demnach erkennt das Bundesgericht:

    Die Berufung wird abgewiesen und das angefochtene Urteil bestätigt.