Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 85 III 6



85 III 6

2. Entscheid vom 19. Februar 1959 i.S. Mosimann. Regeste

    Rechtsverweigerung, die jederzeit der Beschwerde unterliegt (Art. 17
Abs. 3 SchKG), oder Verfügung, die nur binnen zehn Tagen seit der
Kenntnisnahme anfechtbar ist (Art. 17 Abs. 2 SchKG)?

    Wenn das Betreibungsamt die vom Schuldner behauptete Erhebung
oder Ergänzung eines Rechtsvorschlages (im vorliegenden Fall: gemäss
Art. 265 Abs. 3 SchKG) verneint und es daher ausdrücklich ablehnt, die
behauptete Erklärung zu berücksichtigen, liegt eine Verfügung vor, die
nach Ablauf von zehn Tagen seit der Kenntnisnahme nicht mehr angefochten
werden kann. Genügende Kenntnisgabe dieser Stellungnahme des Amtes in
den Erwägungen eines Rechtsöffnungsentscheides.

Sachverhalt

    A.- Ernst Mosimann, über den in den Jahren 1951-1953 ein
Konkursverfahren durchgeführt worden war, wurde mit dem Zahlungsbefehl
Nr. 76262 des Betreibungsamtes Bern 1 für eine vor dem Konkurs
entstandene Forderung von Fr. 10'000.-- nebst Zins betrieben. Der
Zahlungsbefehl wurde am 10. Oktober 1958 der Ehefrau des Schuldners
zugestellt. Diese erhob Rechtsvorschlag ohne Begründung mit den Worten
"erhebe Rechtsvorschlag". Der Gläubiger, dem das Zahlungsbefehlsdoppel mit
entsprechendem Vermerk übermittelt wurde, verlangte die provisorische
Rechtsöffnung. Er bemerkte auf Seite 3 des Gesuches: "Wiewohl die
vorliegende Forderung des Gesuchstellers gegenüber dem Gesuchsgegner
aus der Zeit vor der Konkurseröffnung über den letzteren stammt und
im Konkurs nicht eingegeben wurde, ist die Frage des neuen Vermögens
unerheblich, da der Schuldner seinen Rechtsvorschlag nicht begründet hat
(BGE 45 III 232 ff.)." Dazu liess sich der Schuldner vernehmen wie folgt:
Er habe am 13. Oktober persönlich auf dem Konkursamt vorgesprochen und
erklärt, er sei als Konkursit zu keinem neuen Vermögen gekommen und
erhebe in diesem Sinne Rechtsvorschlag. Der Beamte habe ihm versprochen,
den Rechtsvorschlagsvermerk demgemäss zu ergänzen, und den von ihm - dem
Schuldner - mitgebrachten Zahlungsbefehl zurückbehalten. Mit Rücksicht auf
diese Vorbringen holte der Richter einen Bericht des Betreibungsamtes ein.
Daraus ergab sich, dass sich das Schuldnerexemplar des Zahlungsbefehles
tatsächlich in Händen des Betreibungsamtes befand. Dieses führte jedoch
aus, die Darstellung des Schuldners könne nicht richtig sein: "Es ist
einfach nicht denkbar, dass Angestellte unseres Amtes einem Schuldner
versprechen würden, einen Rechtsvorschlag mit der Konkursiteneinrede
zu ergänzen." Ein Schuldner werde jeweils angewiesen, die Bemerkung in
bezug auf den Rechtsvorschlag schriftlich zu tun, oder aber es werde
auf sein Verlangen die Rechtsvorschlagsbemerkung geschrieben und ihm zur
unterschriftlichen Bestätigung vorgelegt. Da hier weder das eine noch das
andere zutraf, erklärte der Richter auf Seite 2 des die provisorische
Rechtsöffnung für den Kapitalbetrag von Fr. 10'000.-- erteilenden
Entscheides vom 18. Dezember 1958, die nachträgliche Einrede des mangelnden
neuen Vermögens könne nicht gehört werden. Die Appellation des Schuldners
gegen diesen am 6. Januar 1959 zugestellten Rechtsöffnungsentscheid
war erfolglos.

    B.- Am 19. Januar 1959 führte der Schuldner gegen das Betreibungsamt
Bern 1 Beschwerde mit dem Antrag auf Aufhebung des Zahlungsbefehls,
eventuell auf Feststellung, dass er den Rechtsvorschlag rechtzeitig
ergänzt habe mit der mündlichen Erklärung, er sei zu keinem neuen Vermögen
gelangt, was das Betreibungsamt zu berücksichtigen habe. Er warf dem Amte
Rechtsverweigerung vor und bot Zeugenbeweis für die behauptete Ergänzung
des Rechtsvorschlages an.

    C.- Die kantonale Aufsichtsbehörde ist mit Entscheid vom
2. Februar 1959 auf die Beschwerde nicht eingetreten. Sie verneinte
die vom Schuldner behauptete Rechtsverweigerung und wies darauf hin,
der Schuldner habe schon aus den Angaben des ihm zur Beantwortung
zugestellten Rechtsöffnungsgesuches vom 8. Dezember 1958 ersehen können,
dass das Betreibungsamt nur einen einfachen Rechtsvorschlag als erfolgt
betrachtet und dem Gläubiger mitgeteilt hatte. Von diesem Zeitpunkt an
sei die Beschwerdefrist gelaufen; der Schuldner habe sie versäumt.

    D.- Mit vorliegendem Rekurs hält der Schuldner an der Beschwerde und
an der Rüge der Rechtsverweigerung fest. Er beantragt die Rückweisung
der Sache an die Vorinstanz zur Durchführung der von ihm verlangten
Beweismassnahmen und zur materiellen Entscheidung.

Auszug aus den Erwägungen:

    Die Schuldbetreibungs- und Konkurskammer zieht in Erwägung:

    Art. 17 SchKG unterstellt die Verfügungen des Betreibungsamtes der
Anfechtung durch Beschwerde binnen zehn Tagen, seitdem sie dem Betroffenen
zur Kenntnis gelangt sind. Wegen Rechtsverweigerung oder Rechtsverzögerung
kann nach Abs. 3 daselbst jederzeit Beschwerde geführt werden.

    Als Verfügungen, die binnen zehn Tagen seit Kenntnisnahme angefochten
werden müssen, sofern sie nicht in Rechtskraft treten sollen, sind nicht
bloss die vom Betreibungsamt getroffenen Anordnungen und Massnahmen
anzusehen, sondern es gilt als Verfügung auch die Ablehnung einer von
Beteiligten verlangten oder sonstwie in Betracht kommenden Anordnung oder
Massnahme, sofern die Ablehnung ausdrücklich ausgesprochen wird oder sich
aus dem Vorgehen des Betreibungsamtes unzweifelhaft ergibt (vgl. BGE
73 III 146 und 154, 75 III 81 ff.). Mit der eindeutigen Ablehnung aus
bestimmten Gründen hat das Betreibungsamt eine Entscheidung getroffen, was
den Vorwurf der Rechtsverweigerung ausschliesst und nur noch die Anfechtung
wegen sachlicher Unrichtigkeit (Gesetzwidrigkeit oder Unangemessenheit)
offen lässt, wobei sich der Betroffene an die Beschwerdefrist von zehn
Tagen zu halten hat (vgl. auch BGE 79 III 166). Freilich stellt selbst
eine ausdrückliche Ablehnung nicht in jedem Fall eine der Rechtskraft
fähige Sachentscheidung dar. Stützt sie sich auf gar keine oder jedenfalls
auf keine sachlichen Gründe, so bleibt die Rechtsverweigerung bestehen
(vgl. BGE 77 III 85, 80 III 135).

    Im vorliegenden Falle behauptet der Schuldner, den Rechtsvorschlag drei
Tage nach Zustellung des Zahlungsbefehls mündlich auf dem Betreibungsamt
im Sinne der Einrede nach Art. 265 Abs. 3 SchKG ergänzt zu haben, die nach
der Rechtsprechung ausdrücklich im Rechtsvorschlag erhoben werden muss
(BGE 45 III 232 ff.; siehe auch BGE 71 I 225), worauf im Zahlungsbefehl
ausdrücklich hingewiesen wird. In den Akten des Betreibungsamtes findet
sich keine Spur einer solchen Erklärung vor. Das Amt will von der
behaupteten Erklärung auch nichts wissen und verneint die vom Schuldner
behauptete Zusicherung eines Beamten oder Angestellten. Diese Frage
ist indessen zwischen dem Schuldner und dem Betreibungsamt vor dem
Rechtsöffnungsverfahren nicht erörtert worden. Im Rechtsöffnungsgesuch
berief sich der Gläubiger dann freilich auf den einfachen Rechtsvorschlag,
wie er in dem für ihn bestimmten Doppel des Zahlungsbefehls vermerkt
worden war. Da das diese Angabe enthaltende Rechtsöffnungsgesuch dem
Schuldner zur Beantwortung zugestellt wurde, nimmt die Vorinstanz an,
der Schuldner habe daraus ersehen müssen, dass das Betreibungsamt die von
ihm wirklich oder vermeintlich erklärte Ergänzung des Rechtsvorschlages
nicht berücksichtigen wolle, und daher bereits von diesem Zeitpunkt an
Grund zur Beschwerde gehabt. Eine solche Betrachtungsweise erscheint
jedoch nicht hinreichend begründet, da bis dahin keine Äusserung des
Betreibungsamtes zu dem vom Schuldner behaupteten Sachverhalte vorlag.
Selbst wenn der Schuldner jene Angaben des Rechtsöffnungsgesuches als
verlässlich betrachten durfte und nicht mit einer nachträglich erfolgten
Mitteilung der in Frage stehenden Ergänzung des Rechtsvorschlages an den
Gläubiger zu rechnen hatte, kam vorerst auch eine bloss versehentliche
Unterlassung des Amtes in Frage. Es ist daher dem Schuldner zugute zu
halten, dass er sich einstweilen damit begnügen zu dürfen glaubte, seinen
Standpunkt in der Beantwortung des Rechtsöffnungsgesuches darzulegen.

    Dem am 6. Januar 1959 mit der Begründung eröffneten erstinstanzlichen
Rechtsöffnungsentscheid war dann aber zu entnehmen, dass das Betreibungsamt
in dem vom Richter eingeholten Bericht die Sachdarstellung des Schuldners
aufs entschiedenste bestritten und als mit den Gepflogenheiten des Amtes
unvereinbar bezeichnet hatte. Darin lag eine eindeutige Ablehnung der vom
Schuldner gewünschten Berücksichtigung der Einrede des fehlenden Vermögens,
und zwar aus dem sachlichen Grunde, dass entgegen seiner Darstellung der
Rechtsvorschlag nicht binnen gesetzlicher Frist in solchem Sinn ergänzt
worden sei. Das war eine Verfügung, die binnen zehn Tagen, seitdem
sie dem Schuldner zur Kenntnis gelangt worden war, also spätestens am
16. Januar 1959 hätte durch Beschwerde angefochten werden müssen, was
nicht geschehen ist. Art. 17 Abs. 2 SchKG lässt die Beschwerdefrist mit
der Kenntnisnahme in Lauf kommen, setzt also keine förmliche Eröffnung der
Verfügung an den Betroffenen durch das Betreibungsamt voraus (sofern eine
solche Eröffnung nicht besonders vorgeschrieben ist, vgl. BGE 38 I 307 =
Sep.-Ausg. 15 S. 126; BGE 65 III 70). Allerdings ist der Rechtskraft
nur eine dem Betroffenen mit hinreichender Gewissheit und Genauigkeit
zur Kenntnis gelangte Verfügung fähig. Dieser Anforderung genügt aber die
Wiedergabe der Stellungnahme des Betreibungsamtes in den Erwägungen des
erstinstanzlichen Rechtsöffnungsentscheides vollauf. Ja, diese Art der
Kenntnisgabe in einem gerichtlichen Zwischenverfahren der Schuldbetreibung
kam einer Eröffnung durch das Betreibungsamt selbst gleich.

Entscheid:

       Demnach erkennt die Schuldbetr.- u. Konkurskammer:

    Der Rekurs wird abgewiesen.