Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 85 III 43



85 III 43

10. Auszug aus dem Entscheid vom 26. März 1959 i.S. Hunziker. Regeste

    Lohnpfändung (Art. 93 SchKG). Soweit die wirklichen Bezüge des
Schuldners nach Abzug der notwendigen Gewinnungskosten das Existenzminimum
übersteigen, sind sie ohne Rücksicht darauf, ob der Dienstvertrag sie als
Lohn oder als Spesenersatz bezeichnet, als unbestrittenes Lohnguthaben
zu pfänden.

    Kognition der Betreibungsbehörden.

Sachverhalt

    In der Betreibung, die Frau Hunziker gegen Ramstein führt, gab der
Schuldner beim Pfändungsvollzug an, er beziehe als Geschäftsführer einer
AG kein Fixum und keine Provision, sondern nur eine Reiseentschädigung
von monatlich Fr. 600.-- nebst Fr. 120.-- Entschädigung für das
SBB-Generalabonnement. Das Betreibungsamt Bern 2 berechnete den Notbedarf
des Schuldners auf Fr. 675.50 und pfändete auf Grund der Angabe der
Gläubigerin, dass der Schuldner in Wirklichkeit Fr. 1000.-- pro Monat
verdiene, als streitiges Lohnguthaben den Betrag von Fr. 324.50 pro
Monat, wovon bis zum 29. September 1959 Fr. 175.-- als zugunsten einer
vorgehenden Betreibung gepfändet abgehen sollten. Auf Beschwerde der
Gläubigerin hin hat die kantonale Aufsichtsbehörde mit Entscheid vom
11. März 1959 den Notbedarf des Schuldners auf Fr. 244.-- herabgesetzt
und demgemäss die Pfändung einer streitigen Lohnforderung von Fr. 756.--
(bis 29. September 1959 Fr. 581.--) pro Monat angeordnet. Die von der
Gläubigerin verlangte Pfändung eines Teils der unbestrittenen Bezüge
des Schuldners hat sie dagegen abgelehnt mit der Begründung, nach den
tatsächlichen Anstellungsbedingungen, an welche die Betreibungsbehörden
sich gemäss BGE 75 III 99 und 84 III 38 zu halten hätten, handle es
sich bei diesen Bezügen um eine Spesenentschädigung, die den Ersatz von
Gewinnungskosten bilde und daher der Lohnpfändung nicht unterliege. "Anders
wäre es nur, wenn die Spesenentschädigung offenkundig sich ganz oder
teilweise als verdeckte Lohnzahlung erweisen würde", was hier aber nicht
der Fall sei. Wenn die Gläubigerin behaupten wolle, die ausgerichtete
Reiseentschädigung stelle teilweise eine verdeckte Lohnzahlung dar,
so stehe ihr frei, sie teilweise als streitigen Lohnbetrag pfänden zu
lassen und die Streitfrage vor dem Richter zum Austrag zu bringen.

    Diesen Entscheid hat die Gläubigerin an das Bundesgericht
weitergezogen. Das Bundesgericht hebt den angefochtenen Entscheid auf
und weist die Sache zu neuer Entscheidung an die Vorinstanz zurück.

Auszug aus den Erwägungen:

                       Aus den Erwägungen:

    In BGE 75 III 99 hat das Bundesgericht erklärt, die feste Lohnpfändung
habe sich auf die vereinbarten Anstellungsbedingungen zu stützen, und in
BGE 84 III 38 heisst es u.a., bei der Pfändung eines das Existenzminimum
übersteigenden bestimmten oder bestimmbaren Lohnbetrags sei auf den
wirklichen Verdienst des Schuldners abzustellen, nicht auf die Behauptung
des Gläubigers, dass der Schuldner nach dem Gesetz (nämlich nach dem
Bundesgesetz über das Anstellungsverhältnis der Handelsreisenden)
einen höhern Lohn erhalten könnte und sollte. Beides hat jedoch,
wie aus dem Zusammenhang hervorgeht, nur den Sinn, dass sich nach den
tatsächlich gegebenen Anstellungsbedingungen bestimme, ob und wieweit
eine feste Lohnpfändung (verstanden als Gegensatz zur Pfändung streitiger
Lohnansprüche) vollzogen werden könne. Die Meinung ist keineswegs die,
dass die Pfändbarkeit der wirklichen Bezüge des Schuldners davon abhänge,
ob der Dienstvertrag sie als Lohn (festes Gehalt, Provision) oder aber als
Spesenersatz bezeichne. Auf diese Bezeichnung kann beim Pfändungsvollzug
nichts ankommen. Die wirklichen Bezüge des Schuldners unterliegen gemäss
Art. 93 SchKG nach Abzug der notwendigen Gewinnungskosten (BGE 75 III
99/100) der Lohnpfändung, soweit sie den Notbedarf übersteigen. Die Höhe
dieser Gewinnungskosten (insbesondere auch der Reiseauslagen) ist wie die
Höhe des Notbedarfs von den Betreibungsbehörden festzustellen, und zwar
haben diese Behörden hierüber frei und abschliessend zu befinden. Es
kann keine Rede davon sein, dass sie die im Anstellungsvertrag als
Spesenvergütung bezeichnete Leistung des Arbeitgebers nur insoweit den für
den Lohn geltenden Vorschriften unterwerfen dürften, als es sich dabei
offenkundig um eine verdeckte Lohnzahlung handelt. Dem Richter kann der
Entscheid darüber, ob ein Teil der vereinbarten Spesenentschädigung in
Wirklichkeit nicht zur Bestreitung von Spesen benötigt werde und daher
im Sinne von Art. 93 SchKG Lohn darstelle, entgegen der Auffassung der
Vorinstanz unmöglich überantwortet werden; denn der Streit hierüber
geht den Arbeitgeber, mit dem im Falle der Pfändung eines streitigen
Lohnguthabens prozessiert werden müsste, nichts an. Der angefochtene
Entscheid, der die vertragliche Spesenvergütung von Fr. 720.-- ohne Prüfung
des wirklichen Spesenbedarfs des Schuldners als unpfändbaren Ersatz
von Gewinnungskosten betrachtet, ist daher aufzuheben und die Sache an
die Vorinstanz zurückzuweisen zur Prüfung der Frage, welchen Betrag der
Schuldner für Spesen und für den Lebensunterhalt wirklich benötige. Ein
allfälliger Überschuss der festgestellten Bezüge über diesen Betrag wäre
als unbestrittenes Lohnguthaben zu pfänden. Als bestrittene Forderung ist
nur zu pfänden, was der Schuldner gemäss Behauptung der Gläubigerin über
die festgestellten Bezüge hinaus an Lohn zu beanspruchen hat.