Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 85 III 31



85 III 31

7. Entscheid vom 29. Januar 1959 i.S. M. Regeste

    Lohnpfändung.

    Zulässigkeit der Beschwerde, mit welcher der Schuldner die Auszahlung
eines vom Betreibungsamt zu Unrecht eingezogenen Lohnbetrags verlangt.

    Vollzug der Lohnpfändung bei einem Schuldner, der von seiner
Ehefrau einen Beitrag an die ehelichen Lasten verlangen kann. Anzeige
an den Arbeitgeber (Art. 99 SchKG). Unter welchen Voraussetzungen kann
das Betreibungsamt einen gepfändeten Lohnbetrag, der mangels solcher
Anzeige nicht bei ihm eingegangen ist, dadurch hereinbringen, dass es
die Lohnabzüge für die Zukunft erhöht?

Sachverhalt

    A.- In den Betreibungen Nr. 9783 und 12043, die Gerhard
M. für innert des letzten Jahres vor Anhebung der Betreibungen
verfallene Unterhaltsbeiträge gegen seinen Vater führt, pfändete das
Betreibungsamt Zürich 11, 1. Abteilung, zunächst einen festen Betrag pro
Arbeitsstunde. Auf die Mitteilung des Schuldners hin, dass der Stundenlohn
infolge Arbeitszeitverkürzung auf Fr. 2.87 erhöht worden sei und dass er
(der Schuldner) wegen Arbeitsausfalls infolge Krankheit Lohneinbussen
erleide, änderte das Betreibungsamt mit Verfügung vom 12. Mai 1958
die auf einen festen Betrag pro Arbeitsstunde gehende Lohnpfändung in
eine solche "in Prozenten" ab. Den massgebenden Prozentsatz bestimmte
es nach dem Verhältnis zwischen dem monatlichen Unterhaltsbeitrag von
Fr. 100. - einerseits und dem "Existenzminimum der erweiterten Familie"
von Fr. 715.10 (Notbedarf des Schuldners und seiner Ehefrau, vermehrt um
den Unterhaltsbeitrag) anderseits auf 13,5%. Auf Grund dieser Berechnung
verfügte es:

    "Die pfändbare Quote in Prozenten wird mit sofortiger Wirkung auf
13,5 % festgesetzt und wird von folgenden Beträgen berechnet:

    a) vom Bruttolohn,

    b) von den Krankengeldern,

    c) vom Beitrag der Ehefrau an die ehelichen Lasten von Fr. 50.-. Der
Schuldner hat jeden Monat 13,5% von diesem Beitrag der Ehefrau =
Fr. 6.75 an die unterzeichnete Amtsstelle abzuliefern. Nichtbefolgung
dieser Aufforderung würde gemäss Art. 292 des Strafgesetzbuches wegen
Ungehorsam gegen eine amtliche Verfügung bestraft. Die genannte Bestimmung
lautet:...."

    B.- Gegen diese Verfügung führte der Schuldner Beschwerde. Er erreichte
damit lediglich, dass das Betreibungsamt auf Grund des Entscheides der
untern Aufsichtsbehörde (der dann von der kantonalen Aufsichtsbehörde
und am 5. September 1958 auch vom Bundesgericht bestätigt wurde) seine
Verfügung vom 12. Mai 1958 am 9. Juli 1958 wie folgt verdeutlichte:

    "Im Anschluss an den uns heute zugegangenen Entscheid des
Bezirksgerichtes Zürich stellen wir, um Missverständnisse auszuschliessen,
fest, dass zugunsten des Gläubigers in den Betreibungen Nr. 9783 und
12043 von Ihrem Lohn bis längstens 30. November a.c. gepfändet sind:

    13,5 %, berechnet von folgenden Beträgen:

    a) vom Bruttolohn,

    b) von den Krankengeldern,

    c) vom Beitrag der Frau an die ehelichen Lasten, d.h. von Fr. 50.-
monatlich.

    Dabei sind Sie verpflichtet, von Ihrem Lohn 13,5 %, berechnet von den
sub lit. b und c erwähnten Beträgen, monatlich direkt an das Betreibungsamt
abzuliefern."

    Für den Fall der Nichtbefolgung dieser Aufforderung drohte des Amt dem
Schuldner neuerdings die Bestrafung wegen Ungehorsams an. Gleichzeitig
forderte es ihn auf, "die bereits verfallenen Lohnbetreffnisse an uns
abzuliefern." Diese Aufforderung wiederholte es am 29. Juli und am 19.
September 1958.

    C.- Da der Schuldner nichts ablieferte, wies das Betreibungsamt am
16. Oktober 1958 seine Arbeitgeberin an, von seinem nächsten Zahltag ausser
dem bereits verfügten Abzug (von 13,5% des Bruttolohns) einen Betrag von
Fr. 33.75 abzuziehen. Dabei handelt es sich um die Summe der fünf in der
Zeit vom 12. Mai bis 12. Oktober 1958 verfallenen Monatsbetreffnisse von
Fr. 6.75 im Sinne von lit. c der Verfügungen vom 12. Mai und 9. Juli 1958.

    Wegen dieser Massnahme, die ihm bei der Auszahlung des Lohns für die
Periode vom 11. bis 23. Oktober 1958 bekannt wurde, reichte der Schuldner
am 1. November 1958 bei der untern Aufsichtsbehörde "Klageschrift"
gegen den Betreibungsbeamten "betreffend Amtsmissbrauch Art. 312 StGB"
ein. Er verlangte damit die Bestrafung des Beamten und die Herausgabe des
"unrechtmässig eingezogenen Betrages."

    Die untere Aufsichtsbehörde erkannte, auf die Beschwerde werde nicht
eingetreten, weil der Schuldner damit keine Massnahme im Sinne von Art. 21
SchKG verlange. In ihren Erwägungen stellte sie im übrigen fest, dass die
Rügen, die der Schuldner gegenüber dem Vorgehen des Amtes erhebe, völlig
haltlos seien. Auf Grund dieser Annahme auferlegte sie dem Schuldner in
Anwendung von Art. 70 GebT die Kanzleikosten von Fr. 25.20 und eine Busse
von Fr. 30.-.

    Die kantonale Aufsichtsbehörde, an die der Schuldner rekurrierte, nahm
an, dieser verlange mit seiner als Beschwerde zu betrachtenden Klageschrift
in erster Linie eine Überprüfung der Verfügung des Betreibungsamtes vom 16.
Oktober 1958. Insoweit sei auf die Beschwerde einzutreten. Dagegen müsse
die Beschwerde materiell abgewiesen werden. Bei der erstinstanzlichen
Kosten- und Bussenauflage müsse es bleiben, wogegen für die zweite Instanz
keine Kosten zu erheben seien. Demgemäss hat die kantonale Aufsichtsbehörde
am 9. Januar 1959 beschlossen:

    "1. Der Rekurs wird dahingehend entschieden, dass die Beschwerde
abgewiesen und auf die darin weiter gestellten Begehren auf Bestrafung
wegen Amtsmissbrauchs und Rückerstattung gepfändeter Beträge nicht
eingetreten wird.

    2. Die zweitinstanzlichen Kosten fallen ausser Ansatz."

    D.- Diesen Entscheid hat der Schuldner an das Bundesgericht
weitergezogen.

Auszug aus den Erwägungen:

    Die Schuldbetreibungs- und Konkurskammer zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- Die Vorinstanz hat die "Klageschrift" des Rekurrenten mit Recht
als Beschwerde behandelt. Unzutreffend ist dagegen die Auffassung der
Vorinstanz, von den Begehren des Rekurrenten habe nur dasjenige auf
Entscheidung der Frage, ob das Betreibungsamt richtig vorgegangen sei
oder nicht, bei den Aufsichtsbehörden gestellt werden können, wogegen das
Begehren, der "unrechtmässig eingezogene Betrag" sei zurückzuerstatten,
wie der Antrag auf Bestrafung wegen Amtsmissbrauchs von diesen Behörden
nicht beurteilt werden könne. Eine Beschwerde, die einzig die Feststellung
der Unrichtigkeit einer Verfügung des Betreibungsamtes bezweckt, ist
unzulässig, weil eine Beschwerde nach Art. 21 SchKG nur die Aufhebung
oder Berichtigung einer bestimmten Verfügung oder die Vollziehung von
Handlungen, deren Vornahme unbegründeterweise verweigert oder verzögert
worden ist, zum Ziele haben kann (BGE 81 III 72 Erw. 3). Anderseits
ist es zulässig, auf dem Beschwerdeweg eine nach Vollstreckungsrecht
vom Betreibungsamt zu erbringende Zahlung einzufordern, selbst wenn das
einkassierte Geld bereits anders verwendet worden ist (BGE 73 III 88,
76 III 84/85). Auf die vorliegende Beschwerde ist daher einzutreten,
soweit damit die Herausgabe des vom Betreibungsamt eingezogenen Betrages
von Fr. 33.75 verlangt wird.

Erwägung 2

    2.- Zu Unrecht wirft der Rekurrent dem Betreibungsamte vor, es habe
einen Teil des Beitrags der Ehefrau an die ehelichen Lasten gepfändet. Die
Pfändung von monatlich Fr. 6.75 beschlägt nicht diesen Beitrag, sodern
es wurde eine Quote des Lohnes gepfändet, die auf 13,5% dieses Beitrags,
d.h. auf Fr. 6.75, festgesetzt wurde. Dies war im Ergebnis richtig,
wie bereits im Entscheid der Schuldbetreibungs- und Konkurskammer vom 5.
September 1958 festgestellt wurde.

    Dagegen war es falsch, dass das Betreibungsamt der Arbeitgeberin des
Rekurrenten zunächst nur die Pfändung von 13,5% des Bruttolohns anzeigte,
statt sie sofort gemäss Art. 99 SchKG aufzufordern, ausser dieser Lohnquote
noch weitere Fr. 6.75 pro Monat (oder einen entsprechend niedrigeren Betrag
pro Zahltagsperiode von 14 Tagen) an das Betreibungsamt abzuliefern. Dies
war geeignet, den Schuldner, dem es schon schwer fallen musste, die in
solchen Fällen recht komplizierte Berechnung des pfändbaren Lohnbetrages
zu verstehen, vollends zu verwirren. Sein Schreiben an das Betreibungsamt
vom 29. September 1958 zeigt, dass er tatsächlich sogar nach Erhalt des
Bundesgerichtsentscheides vom 5. September 1958 (der sich mit der Art des
Pfändungsvollzuges nicht zu befassen hatte) noch glaubte, wirksam gepfändet
sei nur der bei der Arbeitgeberin gesperrte Betrag. Auf jeden Fall aber
setzte die festgestellte Verletzung von Art. 99 SchKG den Schuldner in
die Lage, den - ihm ausbezahlten - gepfändeten Lohnbetrag von Fr. 6.75
zu verbrauchen. Den Betrag von Fr. 33.75, der dem pfändenden Gläubiger
demzufolge in der Zeit vom 12. Mai bis 12. Oktober 1958 entging, durfte
nun das Betreibungsamt nicht einfach dadurch hereinbringen, dass es, ohne
auf den Notbedarf des Rekurrenten Rücksicht zu nehmen, die Arbeitgeberin
anwies, den Fehlbetrag vom nächsten Zahltag des Rekurrenten abzuziehen. Die
Lohnpfändung bleibt auf den das Existenzminimum übersteigenden Verdienst
oder - wenn der Schuldner für Unterhaltsbeiträge betrieben ist und
sein Einkommen den Notbedarf der "weitern Familie" nicht erreicht -
auf den Betrag beschränkt, der nach der bekannten, im Entscheid vom
5. September 1958 angegebenen Formel (BGE 68 III 26, 67 III 135) pfändbar
ist, selbst wenn es sich darum handelt, Beträge erhältlich zu machen,
die dem Betreibungsamt zu Unrecht nicht abgeliefert wurden. Wird bis zum
Ablauf des Lohnpfändungsjahres (das für die Betreibungen Nr. 9783 und
12043 nach der Verfügung vom 9. Juli 1958 offenbar am 30. November 1958
zu Ende ging) der ganze Überschuss des Einkommens über den Notbedarf der
"engern Familie", d.h. des Schuldners und der bei ihm lebenden Angehörigen
(hier: der Ehefrau), von der laufenden Lohnpfändung erfasst oder greift
diese sogar in diesen Notbedarf ein, so ist es also ausgeschlossen, die
entstandene Einbusse durch erhöhte Lohnabzüge auszugleichen. Zur Deckung
des Fehlbetrags kann nur ein allfälliger Überschuss des dem Schuldner nach
Vollzug der laufenden Lohnpfändung verbleibenden Einkommensbetrages über
den Notbedarf der "engern Familie" herangezogen werden. Dass sich beim
Rekurrenten noch vor Ablauf des Lohnpfändungsjahres ein solcher Überschluss
ergeben habe, ist wenig wahrscheinlich, doch lässt sich diese Möglichkeit
auf Grund der vorliegenden Akten, die über den Verdienst des Rekurrenten
in der fraglichen Zeit nicht vollständig Aufschluss geben, immerhin nicht
von vornherein ausschliessen. (Ein solcher Überschuss wäre vorhanden,
wenn das Einkommen des Schuldners über den Notbedarf der "weitern
Familie" gestiegen wäre.) Die Sache ist daher zur Vervollständigung des
Tatbestandes und zu neuer Entscheidung im Sinne der Erwägungen an die
Vorinstanz zurückzuweisen.

Erwägung 3

    3.- Da sich die Beschwerde unter diesen Umständen nicht als
missbräuchlich bezeichnen lässt, ist die von der Vorinstanz bestätigte
Kosten- und Bussenauflage aufzuheben.

Entscheid:

        Demnach erkennt die Schuldbetr. u. Konkurskammer:

    Der Rekurs wird dahin gutgeheissen, dass der angefochtene Entscheid
und die durch ihn bestätigte Kosten- und Bussenverfügung der untern
Aufsichtsbehörde aufgehoben werden und die Sache zu neuer Entscheidung
im Sinne der Erwägungen an die Vorinstanz zurückgewiesen wird.