Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 85 III 185



85 III 185

39. Urteil der II. Zivilabteilung vom 22. Oktober 1959 i.S. W. gegen M.
Regeste

    Paulianische Anfechtung gemäss Art. 288 SchKG.

    Streitwertberechnung (E. 1).

    Die Pauliana setzt eine Schädigung der Exekutionsrechte des
Anfechtenden als Folge der angefochtenen Rechtshandlung voraus. Der
Anfechtungsbeklagte kann daher den Nachweis erbringen, dass diese
Handlung eine solche Benachteiligung in concreto nicht zur Folge hatte,
weil der Anfechtungskläger auch ohne die anfechtbare Handlung zu Verlust
gekommen wäre.

    Verlust von Unterhaltsbeiträgen, die zur Zeit der Rechtshandlung
noch nicht fällig waren (E. 2 a); im Konkurs? (b); Berücksichtigung der
Anschlussfrist (d).

Sachverhalt

    A.- Die Eheleute W.-T. betrieben ab 1942 in Basel ein
Merceriegeschäft. Wegen ehewidriger Beziehungen des Ehemannes W. mit seiner
Angestellten Frau M. kam es 1943 zur Trennung der Eheleute, 1944 zur
Übersiedlung der Frau W. nach Zürich und am 17. März 1948 zur Scheidung
durch das dortige Bezirksgericht, wobei gemäss Parteivereinbarung
dem Manne eine monatliche Unterhaltsrente von Fr. 150.-- an die
Frau auferlegt wurde, die jener bis 1953 regelmässig entrichtete. Mit
Kaufvertrag vom 11. März 1953 übereignete W. seine Liegenschaft in Basel
der mit ihm zusammenlebenden Frau M., wobei diese bei einem Kaufpreis von
Fr. 70'000.-- Hypotheken im Betrage von Fr. 57'200.-- übernahm, während
die Kaufpreisrestanz von Fr. 12'800.-- durch Verrechnung mit Lohnguthaben
der Käuferin gegenüber W. abgegolten wurde. Gleichzeitig übertrug dieser
auch sein Merceriegeschäft mit Aktiven und Passiven auf Frau M. Seither
endeten alle Betreibungen der Frau T. für ihre Rentenforderungen mit
Verlustscheinen.

    Am 18. März 1957 focht Frau T. den Verkauf der Liegenschaft und der
Geschäftsaktiven durch W. an Frau M. gemäss Art. 288 SchKG an, da in
der Absicht vorgenommen, die Klägerin Frau T. als Alimentengläubigerin
des W. zu benachteiligen, eventuell zu deren Nachteil die Beklagte zu
bevorteilen. W. habe sich mit jener Veräusserung seines gesamten Vermögens
entäussert, ohne dafür einen pfändbaren Gegenwert zu erhalten. Der
Kaufpreis der Liegenschaft sei mit Fr. 70'000.-- zu niedrig angesetzt. Die
angebliche Lohnforderung der Frau M. sei eine reine Fiktion, da zwischen
den beiden ein Konkubinats-, kein Dienstverhältnis bestehe.

    B.- Das Zivilgericht schützte die Anfechtungsklage nur bezüglich des
Grundstückes für den Betrag von Fr. 3000.--.

    Hiegegen appellierte die Klägerin mit dem Begehren um Zulassung der
Zwangsvollstreckung in das Grundstück für ihre ganze Verlustscheinforderung
von Fr. 6038.60. Die Beklagte appellierte ebenfalls und beantragte
gänzliche Abweisung der Klage.

    In teilweiser Gutheissung der Appellation der Beklagten hat
das Appellationsgericht die Klage nur für den Betrag von Fr. 150.--
gutgeheissen, gestützt auf folgende Erwägungen:

    Im Zeitpunkt der Vornahme des angefochtenen Rechtsgeschäftes (11. März
1953) schuldete W. der Frau M. aus Dienstvertrag Fr. 14'775.--. Mit der
Tilgung dieser Forderung durch Übertragung seiner Liegenschaft auf sie hat
er sich hablos gemacht. Angesichts seines schlechten Gesundheitszustandes
war er nicht mehr in der Lage, ein angemessenes Einkommen zu erzielen. Mit
der Veräusserung seiner ganzen Aktiven an die Beklagte hat er es mithin
bewusst in Kauf genommen, die später fällig werdenden Unterhaltsbeiträge
an die geschiedene Frau nicht mehr zahlen zu können. Das hat Frau
M. gewusst; daher ist der Tatbestand der Absichtsanfechtung nach Art. 288
SchKG auf beiden Seiten subjektiv erfüllt. Objektiv fehlt es dagegen -
abgesehen von dem einzigen bei Vornahme des Geschäftes schon fälligen
Unterhaltsbeitrag von Fr. 150.-- - an einer Schädigung der Klägerin
durch den Liegenschaftsverkauf. Die Beklagte war berechtigt, von ihrem
Lohnschuldner Zahlung zu fordern und zu erhalten. Ohne das angefochtene
Rechtsgeschäft hätte die Beklagte den W. nach dem normalen Lauf der Dinge
für ihre Lohnforderung von Fr. 14'775.-- betrieben. Daraus hätte sich eine
sofortige Pfändung und Verwertung der Liegenschaft zu Gunsten der Beklagten
für diese Forderung ergeben, ohne dass die Klägerin für die noch nicht
fälligen künftigen Monatsrenten sich hätte der Pfändung anschliessen
können. Konnte sich somit Frau M. damals durch Zwangsvollstreckung
Befriedigung verschaffen, so brauchte der Schuldner deren Durchführung
nicht abzuwarten, sondern durfte das Guthaben der Beklagten sofort
tilgen. Die Klägerin ist somit durch diese Tilgung nur im Betrage der
einzigen damals fälligen Monatsrate von Fr. 150.-- benachteiligt worden,
weshalb die Anfechtung auch nur in dieser Höhe zu schützen ist.

    B.- Mit der vorliegenden Berufung hält der Sohn und alleinige Erbe der
inzwischen verstorbenen Klägerin T., Dr. R. W., an der Anfechtungsklage
für die ganze Alimentenforderung von Fr. 6038.60 fest.

    Die Beklagte beantragt Nichteintreten auf die Berufung, weil der
Streitwert nur Fr. 3800.-- betrage, evtl. Abweisung derselben. Eine gegen
den Kostenentscheid der Vorinstanz gerichtete Anschlussberufung hat sie
zurückgezogen.

Auszug aus den Erwägungen:

              Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- Der Berufungskläger beziffert den Streitwert auf Fr. 6038.60
gleich dem Gesamtbetrag der Verlustscheinforderung seiner Mutter an
W. Die Berufungsbeklagte behauptet dagegen, unter Berücksichtigung ihrer
eigenen, heute anerkannten Lohnforderung von Fr. 14'775.-- entfiele auf
die Forderung desBerufungsklägers von Fr. 6038.60 von einem Nettoerlös
der Liegenschaft von Fr. 12'800.-- nur ein Betrag von Fr. 3800.--; in
Wahrheit sei die Liegenschaft noch weniger wert. Das Prozessinteresse
des Berufungsklägers betrage daher etwa Fr. 3000.--.

    Die Berufungsbeklagte übersieht dabei, dass sich der Streitwert nach
den Rechtsbegehren bemisst, wie sie vor der letzten kantonalen Instanz
noch streitig waren (Art. 46 OG). Vor dem Appellationsgericht war die
Lohnforderung der Beklagten noch bestritten. Das Rechtsbegehren der
Klägerin hatte daher den Sinn, die Liegenschaft zur Deckung ihrer Forderung
allein verwerten zu können. Der Betrag dieser Forderung (Fr. 6038.60)
war aber gedeckt durch den Liegenschaftswert, den die Vorinstanz für das
Bundesgericht verbindlich mit Fr. 70'000.-- angenommen hat, was nach Abzug
der Belastung nach der eigenen Berechnung der Beklagten Fr. 12'800.-- als
Nettowert ergibt. Diese behauptet freilich, dies sei der Wert für das Jahr
1953; seither habe die Liegenschaft an Wert verloren. Dies ist jedoch -
bei einer Liegenschaft an einer belebten Strasse mitten in Kleinbasel -
in Ansehung des Bodenwertes derart unwahrscheinlich, dass ohne Einholung
einer Expertise angenommen werden darf, die Forderung des Berufungsklägers
wäre - bei Nichtbestehen derjenigen der Beklagten - immer noch mindestens
für Fr. 4000.-- gedeckt. Auf die Berufung ist daher einzutreten.

Erwägung 2

    2.- Vor Bundesgericht ist nicht mehr bestritten, dass der Beklagten
gegen W. eine fällige Lohnforderung von Fr. 14'775.-- zustand. Der
Berufungskläger wendet sich einzig gegen die Annahme der Vorinstanz, das
angefochtene Geschäft habe in Ansehung der künftigen Unterhaltsrenten
keine Gläubigerbenachteiligung bewirkt, weil nach seiner Ansicht das
Vorhandensein einer solchen Benachteiligung keine Voraussetzung für die
Anfechtung nach Art. 288 SchKG bildet, und verweist ausserdem auf den
nach seiner Meinung hier erfüllten Tatbestand des Art. 525 Abs. 1 OR
betreffend Anfechtbarkeit eines Verpfründungsvertrags.

    a) Der Wortlaut des Art. 288 SchKG scheint dem Berufungskläger Recht
zu geben. In der Tat spricht das Gesetz nur von der verpönten Absicht
des Schuldners, seine Gläubiger zu benachteiligen, und nicht von der
Verwirklichung dieser Absicht. Daraus folgt jedoch nur, dass der Gläubiger
zur Begründung seiner Anfechtungsklage nicht ausser dieser Absicht und
ihrer Erkennbarkeit noch den Eintritt einer durch das angefochtene Geschäft
tatsächlich bewirkten Gläubigerschädigung beweisen muss. Letztere wird
zugunsten des Verlustscheinsgläubigers und der Konkursmasse vom Gesetze
vermutet (Art. 285 SchKG). Anfechten können soll nur der Gläubiger, der
infolge des anzufechtenden Geschäftes in der Zwangsvollstreckung schlechter
weggekommen ist, als er es ohne dasselbe wäre. Es liegt daher in der Natur
der Sache, dass dem Anfechtungsbeklagten gestattet sein muss, jene aus
dem Verlustschein folgende Vermutung zu widerlegen. DieAnfechtungsklage
dient nicht der Bestrafung des Beklagten, sondern der Wiederherstellung
des Zustandes, in welchem sich ohne das angefochtene Geschäft das
Vermögen des Schuldners im Zeitpunkt des Konkurses oder der Pfändung
befunden, und soweit es dem anfechtenden Gläubiger zu seiner Befriedigung
gedient hätte. Diesem Zweck entspricht es, der Anfechtungsklage auch bei
Vorhandensein der subjektiven Voraussetzungen auf Seiten des Schuldners
und des Beklagten den Erfolg insoweit zu versagen, als bei richtigem
Verhalten des Schuldners der Anfechtungskläger ohnehin zu Verlust
gekommen wäre. Die Pauliana setzt eine Schädigung der Exekutionsrechte
des Anfechtenden als Folge der angefochtenen Rechtshandlung voraus; der
Anfechtungsbeklagte kann daher den Nachweis erbringen, dass diese Handlung
eine solche Benachteiligung in concreto nicht zur Folge haben konnte
(JAEGER Komm. Bd. II S. 358 oben, 386 oben; GAUGLER, Die paul. Anfechtung,
Bd. I S. 102/3; BGE 30 II 163 E. 4, wo von drei Voraussetzungen der
Deliktspauliana die Rede ist, nämlich: 1. Schädigung der Gläubiger,
2. Absicht hiezu, 3. Erkennbarkeit dieser Absicht).

    Im vorliegenden Falle trifft, wie die Vorinstanz überzeugend dartut,
diese Grundvoraussetzung für die bei Abschluss des angefochtenen Verkaufes
noch nicht fällig gewesenen Rentenforderungen der Frau T. nicht zu. Beim
Verkauf seiner Liegenschaft war, wie nicht mehr bestritten, W. der
Beklagten den Lohn für mehr als 8 Jahre im Totalbetrag von Fr. 14'775.--
schuldig. Mit Recht nimmt die Vorinstanz an, dass die Beklagte diesen
Rückstand nicht endlos hingenommen hätte. In jenem Zeitpunkt hätte mithin
die Beklagte den W. für ihre ganze, fällige Forderung von Fr. 14'775.--
betreiben können, während Frau T. dies nur für die einzige damals fällige
Monatsrate von Fr. 150.-- (für März 1953) tun konnte. In den nach der
Schätzung vor der Vorinstanz anzunehmenden Nettowert der Liegenschaft
von Fr. 12'800.--, die gepfändet und verwertet worden wäre, hätten sich
somit diese beiden Forderungen teilen müssen, wären also beide nicht
einmal gedeckt worden. Die Vorinstanz hat daher mit Fug angenommen, auch
wenn W. seine Liegenschaft damals nicht der Beklagten zugeschoben hätte,
wäre Frau T. mit ihren künftigen Monatsrenten zu Verlust gekommen.

    b) Einer Richtigstellung bedarf die - ad abundantiam angebrachte -
Bemerkung der Vorinstanz, die Auffassung der Klägerin, dass die Aktiven
des W. im März 1953 zugunsten auch der nichtverfallenen Rentenforderungen
verfangen gewesen seien, liesse sich allenfalls hören, wenn W. der
Konkursbetreibung unterstanden hätte, weil in diesem Falle die nach dem
Scheidungsurteil unabänderliche Rente, "wenigstens nach der Auffassung des
Bundesgerichts (BGE 40 III 456)" im Konkurse kapitalisierbar gewesen sei.
Dies folgt jedoch keineswegs aus dem zit. Entscheide. Nach diesem ist
eine Unterhaltsrente nicht schon dann als Konkursforderung zu behandeln,
wenn sie "unabänderlich" ist, sondern nur, wenn sie gemäss Vereinbarung
(oder Urteil) "von den gesetzlichen Bedingungen unabhängig" ist (S. 458),
d.h. bei einer gemäss Art. 151 ZGB geschuldeten Rente nur, wenn diese
auch bei Wiederverheiratung des Berechtigten weiterbezahlt werden soll
(vgl. E. BRAND, Schweiz. Jur. Kartothek, Karte 1000, A II 4). Ob in casu,
wo im Scheidungsurteil von 1948 ausdrücklich das Gegenteil vorgesehen ist,
der Ausfall jener Resolutivbedingung im Hinblick auf das damalige Alter
der Klägerin (59 Jahre) hätte angenommen werden dürfen, kann dahingestellt
bleiben, da die Hypothese des Konkurses ja nicht zutrifft.

    c) .....

    d) Dagegen ergibt sich auf dem Boden der zutreffenden Betrachtung
der Vorinstanz (a hievor) eine geringfügige Korrektur zugunsten des
Berufungsklägers daraus, dass, wie die Vorinstanz übrigens schon selber
als möglich bezeichnete, im Falle der Betreibung und Pfändung durch die
Beklagte mit Rücksicht auf die 30-tägige Anschlussfrist gemäss Art. 110
SchKG Frau T. den Anschluss für einen inzwischen fällig gewordenen
weiteren Monatsbeitrag (April 1953) hätte nehmen können und daher für
Fr. 300.-- mit der Beklagten konkurriert hätte. Um diesen Betrag ist
sie somit durch das angefochtene Geschäft effektiv benachteiligt worden
(wobei der wegen Nichtgenügens der Aktiven auf beiden Forderungen
eintretende Ausfall unberücksichtigt bleiben kann); für ihn ist daher
die Klage gutzuheissen.

Entscheid:

               Demnach erkennt das Bundesgericht:

    In teilweiser Gutheissung der Berufung wird Abs. 1 des Dispositivs
der Vorinstanz dahin abgeändert, dass die Anfechtung im Betrage von Fr.
300.-- (statt Fr. 150.--) geschützt wird. Im übrigen wird das angefochtene
Urteil des Appellationsgerichts vom 10. Oktober 1958 bestätigt.