Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 85 III 165



85 III 165

35. Auszug aus dem Entscheid vom 12. Oktober 1959 i.S. Sutter. Regeste

    Ein mündlich bei der Zustellung des Zahlungsbefehls dem
Betreibungsgehilfen oder Postboten gegenüber erklärter Rechtsvorschlag
ist sogleich wirksam und gilt als beim Betreibungsamt selbst erhoben.

    Mit Rücksicht hierauf kann sich der Schuldner beschweren, wenn das
Betreibungsamt in Unkenntnis des - vom Boten auf dem Gläubigerdoppel
des Zahlungsbefehls nicht vermerkten - Rechtsvorschlages die Betreibung
fortsetzt.

    Art. 74 und 76 SchKG. Art. 34 Abs. 2 und 3 VV I zum PVG.

Sachverhalt

                     Aus dem Tatbestand:

    A.- Die Rekurrentin erhielt in ihrer Betreibung gegen Fräulein Merz
das Gläubigerdoppel des am 4. Juni 1959 zugestellten Zahlungsbefehls mit
dem Vermerk "Kein Rechtsvorschlag". Auf ihr Fortsetzungsbegehren kündigte
das Betreibungsamt der Schuldnerin am 26. Juni 1959 die Pfändung an,
die am 6. Juli 1959 vollzogen wurde. Gleichen Tages beschwerte sich die
Schuldnerin über die Fortsetzung der Betreibung, da sie bei der Zustellung
des Zahlungsbefehls dem Postboten erklärt habe, sie erhebe Rechtsvorschlag,
was sie ausserdem in Gegenwart des Boten auf dem einen Doppel des
Zahlungsbefehls, das er ihr dann überliess, niedergeschrieben habe.

    B.- Der Postbote bestätigte dies. Er hatte es unterlassen, den
Rechtsvorschlag auf dem Gläubigerdoppel zu vermerken. Das Betreibungsamt
hatte daher bei Fortsetzung der Betreibung keine Kenntnis vom
Rechtsvorschlag.

    C.- Die untere Aufsichtsbehörde wies die Beschwerde ab.
Aus den Gründen: Ein bei der Zustellung des Zahlungsbefehls erhobener
Rechtsvorschlag ist nicht sogleich wirksam, sondern erst beim Eintreffen
auf dem Betreibungsamt. Der Schuldner hat sich zu vergewissern, dass die
Erklärung dem Amte zugehe, was hier nicht geschehen ist.

    D.- Die obere Aufsichtsbehörde hiess dagegen Beschwerde und Rekurs
der Schuldnerin gut.

    E.- Mit vorliegendem Rekurs beantragt die Gläubigerin, es sei
festzustellen, dass kein Rechtsvorschlag innert gesetzlicher Frist erfolgt
sei und die Pfändung daher zu Recht bestehe.

Auszug aus den Erwägungen:

    Die Schuldbetreibungs- und Konkurskammer zieht in Erwägung:

    Der Rechtsvorschlag ist eine Erklärung des Schuldners, die
sich allerdings an das Betreibungsamt zu richten hat, jedoch nach
ständiger Lehre und Rechtsprechung auch anlässlich der Zustellung des
Zahlungsbefehls dem zustellenden Boten abgegeben werden kann. Dieser
hat sie zu Handen des Betreibungsamtes entgegenzunehmen, eine Aufgabe,
die gleichwie einem Betreibungsgehilfen dem Postboten obliegt,
wenn die Zustellung durch die Post erfolgt (so ausdrücklich Art. 34
Abs. 2 und 3 der Vollziehungsverordnung 1 vom 23. Dezember 1955 zum
Postverkehrsgesetz). Wird dergestalt bei der Zustellung des Zahlungsbefehls
Recht vorgeschlagen, so ist die mündliche Erklärung an den Boten ohne
weiteres wirksam, und daher steht auch die Rechtzeitigkeit eines solchen
Rechtsvorschlages ausser Zweifel; früher konnte er gar nicht erhoben
werden. Die Bescheinigung dient zum Nachweis der mündlichen Erklärung; der
Schuldner kann sie nach Vorschrift von Art. 34 Abs. 3 der erwähnten VV 1
auch selbst anbringen. Dass aber das Fehlen einer solchen Bescheinigung
speziell auf dem Gläubigerdoppel und das Unterbleiben der Übermittlung
des Rechtsvorschlages an das Betreibungsamt die Erklärung als solche
unwirksam machen würde, trifft nicht zu. Es kommt nur darauf an, ob sie
wirklich abgegeben worden ist (was der Schuldner unter Umständen nicht
beweisen kann, wenn eine Bescheinigung fehlt und sich der Bote nicht
mehr des Vorganges entsinnt; nur in diesem Sinne trägt der Schuldner
die Gefahr einer fehlenden oder unrichtigen Protokollierung; vgl. BGE 85
III 9 unten). Und da der zustellende Beamte, auch wenn es ein Postbote
ist, gegenüber dem Schuldner unmittelbar das Betreibungsamt vertritt,
gilt der ihm bei der Zustellung erklärte Rechtsvorschlag als an das
Betreibungsamt selbst gerichtet. Entgegen der Ansicht der Rekurrentin
wird eine solche Erklärung daher nicht erst dann wirksam, wenn sie auf
dem Bureau des Betreibungsamtes eintrifft. Somit kann hier offen bleiben,
ob bei brieflicher Rechtsvorschlagserklärung der Schuldner als Absender
die Gefahr eines Nichteintreffens der Postsendung auf dem Betreibungsamte
zu tragen hätte (wie es ein kantonaler Entscheid angenommen hat: JAEGER,
SchK-Praxis 4, Nr. 5 zu Art. 75 SchKG). Im vorliegenden Fall ist ein
bei der Zustellung mündlich erklärter vorbehaltloser Rechtsvorschlag
nachgewiesen. Das ist massgebend, nicht der auf Unkenntnis des wahren
Sachverhaltes durch das Betreibungsamt beruhende negative Vermerk auf dem
Gläubigerdoppel des Zahlungsbefehls (BGE 84 III 13 ff.). Die Fortsetzung
der Betreibung war deshalb unzulässig, die Beschwerde der Schuldnerin
somit begründet. Das Beschwerderecht war auch nicht etwa verwirkt. Denn
die Schuldnerin erfuhr erst durch die Pfändungsankündigung, dass ihr
Rechtsvorschlag, allenfalls aus Versehen, nicht beachtet wurde. Nach
der neuern Rechtsprechung stand ihr daher, um den Rechtsvorschlag zur
Geltung zu bringen, eine erst von der Zustellung der Pfändungsurkunde an
laufende Beschwerdefrist zur Verfügung (BGE 75 III 88), sofern man nicht,
was in BGE 85 III 14 ff. erwogen wurde, überhaupt Nichtigkeit jeder
Fortsetzungshandlung angesichts des formgültigen und durch keinerlei
Rückzugserklärung in Frage gestellten Rechtsvorschlages annimmt. Die
Beschwerde durfte auch schon vor Zustellung der Pfändungsurkunde
erhoben werden. Sie erfolgte im übrigen binnen zehn Tagen seit der
Pfändungsankündigung, so dass ihre Rechtzeitigkeit von vornherein ausser
Zweifel steht.

Entscheid:

       Demnach erkennt die Schuldbetr.- u. Konkurskammer:

    Der Rekurs wird abgewiesen.