Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 85 III 14



85 III 14

4. Entscheid vom 20. Februar 1959 i.S. Näpflin. Regeste

    Ist die trotz Rechtsvorschlag erfolgte Fortsetzung der Betreibung nur
auf rechtzeitige (innert zehn Tagen seit Zustellung der Pfändungsurkunde
eingereichte) Beschwerde hin oder von Amtes wegen aufzuheben?

Sachverhalt

    A.- Von Schmid für eine Forderung von Fr. 496.25 mit Zahlungsbefehl
vom 29. September 1958 betrieben, brachte Näpflin auf der für ihn
bestimmten Ausfertigung des Zahlungsbefehls in der Rubrik für den
Rechtsvorschlag die Bemerkung an: "Wegen unrichtiger Aufstellung
der Rechnung bin ich gezwungen, Rekurs zu erheben", und sandte diese
Urkunde am 30. September an das Betreibungsamt zurück. Gleichwohl
setzte dieses auf das Gläubigerdoppel des Zahlungsbefehls den Vermerk
"Kein Rechtsvorschlag". Als der Gläubiger hierauf die Fortsetzung der
Betreibung verlangte, teilte ihm das Betreibungsamt am 6. November mit,
die Betreibung könne nicht fortgesetzt werden, weil der Schuldner "Rekurs"
erhoben habe. Auf eine Reklamation des Gläubigers hin kündigte es dem
Schuldner am 11. November die Pfändung auf den 13. November an, schrieb
dann aber dem Gläubiger am 12. November, der Schuldner habe bereits
Vermittlung anbegehrt (die Anordnung eines Vermittlungsvorstandes
verlangt), weshalb weitere Betreibungshandlungen nicht vorgenommen
würden. Die hiegegen gerichtete Beschwerde des Gläubigers, zu welcher der
Schuldner sich nicht äussern konnte, hatte den Erfolg, dass die untere
Aufsichtsbehörde das Betreibungsamt mit Entscheid vom 19. November 1958
anwies, dem Fortsetzungsbegehren Folge zu geben, da kein Rechtsvorschlag
vorliege. Auf Grund dieses Entscheides, der dem Schuldner nicht mitgeteilt
wurde, vollzog das Betreibungsamt am 26. November die Pfändung.

    B.- Am 24. Dezember 1958 bescheinigte das Betreibungsamt dem Schuldner,
dass er am 30. September "Rekurs mit Rechtsvorschlag gemacht" habe, was
es seinerzeit übersehen habe. Gestützt hierauf führte der Schuldner am
3. Januar 1959 Beschwerde mit dem Begehren, die Fortsetzung der Betreibung
sei aufzuheben. Die untere Aufsichtsbehörde wies diese Beschwerde am 19.
Januar 1959 wegen Verspätung ab, weil der Schuldner es unterlassen habe,
binnen zehn Tagen seit der Zustellung der Pfändungsankündigung vom 11.
November bezw. seit der Pfändung vom 24. (richtig 26.) November Beschwerde
zu führen, obwohl er aus diesen Massnahmen habe schliessen müssen,
dass das Betreibungsamt seine Mitteilung vom 30. September nicht als
Rechtsvorschlag berücksichtigt habe.

    Die kantonale Aufsichtsbehörde hat diesen Entscheid am 31. Januar
1959 bestätigt.

    C.- Mit seinem Rekurs an das Bundesgericht erneuert der Schuldner
sein Beschwerdebegehren.

Auszug aus den Erwägungen:

    Die Schuldbetreibungs- und Konkurskammer zieht in Erwägung:

    In BGE 73 III 147 f. hat das Bundesgericht erklärt, wenn feststehe,
dass ein Zahlungsbefehl infolge Rechtsvorschlags nicht zum vollstreckbaren
Titel geworden sei, aber versehentlich gleichwohl eine Fortsetzungshandlung
stattfinde, so sei die Fortsetzung der Betreibung als nichtig zu betrachten
"und jederzeit als solche aufzuheben"; wenn jedoch das Betreibungsamt
die Gültigkeit eines Rechtsvorschlags verneint und dies den Beteiligten
sei es auch nur in konkludenter Weise durch Fortsetzung der Betreibung
zur Kenntnis gebracht habe, so werde seine Verfügung rechtskräftig, falls
der Schuldner nicht binnen der Frist von Art. 17 Abs. 2 SchKG Beschwerde
führe. In BGE 73 III 154 wurde beigefügt, wenn das Betreibungsamt seine
Auffassung, dass der Rechtsvorschlag ungültig sei, durch Fortsetzung der
Betreibung bekunde, so habe der Schuldner, der diese Auffassung nicht
gelten lassen wolle, "die vom Empfang der Pfändungsankündigung an laufende
Beschwerdefrist zu beobachten". In BGE 75 III 88 hat das Bundesgericht
dann aber in Abweichung vom zuletzt genannten Präjudiz entschieden, die
Frist für eine Beschwerde dieser Art beginne, wenn das Betreibungsamt dem
Schuldner seinen Entscheid über die Gültigkeit des Rechtsvorschlags nicht
schon vor der Fortsetzung der Betreibung durch eine formelle Verfügung
eröffnet habe, erst mit der Zustellung der Pfändungsurkunde, da erst
dieser Akt dem Schuldner mit Bestimmtheit zeige, dass das Betreibungsamt
die Frage, ob die Betreibung fortgesetzt werden dürfe, endgültig zu seinen
Ungunsten beantwortet habe.

    Man kann sich ernstlich fragen, ob einem Schuldner, dessen rechtzeitig
erklärter Rechtsvorschlag vom Betreibungsamt als ungültig zurückgewiesen
wird, wirklich zugemutet werden dürfe, bei Gefahr der Unwirksamkeit des
Rechtsvorschlags binnen der Frist von Art. 17 Abs. 2 SchKG Beschwerde
zu führen, wenn ihm das Betreibungsamt seine Entscheidung nicht durch
eine formelle Verfügung, sondern einfach dadurch zur Kenntnis bringt,
dass es die Betreibung fortsetzt. Gegen eine solche Zumutung bestehen auf
jeden Fall dann erhebliche Bedenken, wenn nicht gesagt werden kann, der
Schuldner oder ein Dritter, für den einzustehen dem Schuldner zugemutet
werden darf (wie etwa seine Ehefrau; vgl. BGE 73 III 145 ff.), habe
durch eine missverständliche und vom Betreibungsamt auch tatsächlich
missverstandene Erklärung oder auf andere Weise zur Fortsetzung der
Betreibung Anlass gegeben. Es lässt sich die Ansicht vertreten, in solchen
Fällen dürfe der Schuldner, der fristgemäss Rechtsvorschlag erhoben hat,
nicht durch blosse Fortsetzung der Betreibung nochmals vor eine - ihm
zudem nicht ausdrücklich angesetzte - Verwirkungsfrist gestellt werden,
sondern unter derartigen Umständen seien die Fortsetzungshandlungen
ohne Rücksicht darauf, ob die Beschwerdefrist eingehalten worden sei
oder nicht, von Amtes wegen aufzuheben. Zu dieser Ansicht abschliessend
Stellung zu nehmen, ist jedoch im vorliegenden Falle nicht notwendig,
weil hier die Fortsetzung der Betreibung schon auf Grund der bisherigen
Rechtsprechung, von der zu Ungunsten des Schuldners abzuweichen nach dem
Gesagten keinesfalls in Frage kommt, aufgehoben werden muss.

    a) Das Betreibungsamt hat die Erklärung, die der Rekurrent innert
der Frist für den Rechtsvorschlag ihm gegenüber abgegeben hatte und mit
der er unzweifelhaft die in Betreibung gesetzte Forderung bestreiten
wollte, trotz ihrer etwas ungeschickten Fassung nicht missverstanden,
sondern zutreffend als Rechtsvorschlag aufgefasst, als sie ihm zu Gesicht
kam. Wenn es auf dem Gläubigerdoppel des Zahlungsbefehls gleichwohl den
Vermerk "Kein Rechtsvorschlag" anbrachte, so geschah dies zugegebenermassen
einfach deswegen, weil es die Erklärung des Rekurrenten zunächst verlegt
hatte. Die Pfändungsankündigung vom 11. November 1958 erliess es nur
darum, weil der Gläubiger sich ihm gegenüber auf den eben erwähnten,
aus Versehen angebrachten Vermerk berief (der jedoch dem Schuldner nicht
schaden konnte, vgl. BGE 84 III 13 ff.). Die untere Aufsichtsbehörde,
die in die Akten des Betreibungsamtes nicht Einsicht nahm und auch
den Rekurrenten nicht anhörte, ordnete den Vollzug der Pfändung am
19. November 1958 in der irrigen Meinung an, der Rekurrent habe keinen
Rechtsvorschlag erhoben. Unter diesen Umständen kann die Fortsetzung der
Betreibung unmöglich als Folge und Kundgabe einer Entscheidung des Inhalts
angesehen werden, dass der Rechtsvorschlag ungültig sei. Vielmehr ist
sie darauf zurückzuführen, dass das Betreibungsamt den Rechtsvorschlag
zunächst übersah und ihn dann (bei Erlass der Pfändungsankündigung)
einfach in den Wind schlug, und dass mangels Beizugs der Akten des
Betreibungsamtes auch die untere Aufsichtsbehörde bei ihrem Entscheid
vom 19. November 1958 davon nichts wusste. Die gegenüber dem Rekurrenten
vollzogenen Fortsetzungshandlungen beruhen also letzlich auf Versehen
bezw. auf einer Unkenntnis oder Missachtung des Akteninhalts, die einem
Versehen gleichzustellen ist. Daher sind sie gemäss BGE 73 III 147 als
nichtig von Amtes wegen aufzuheben, ohne dass zu untersuchen wäre, ob
sie innert der Frist von Art. 17 Abs. 2 SchKG angefochten worden seien.

    b) Der angefochtene Entscheid könnte im übrigen auch dann nicht
bestätigt werden, wenn man annehmen wollte, der Rekurrent habe zur
Wahrung seiner Rechte innert der eben erwähnten Frist Beschwerde führen
müssen. Diese Frist wäre nach BGE 75 III 88 nicht durch den Empfang der
Pfändungsankündigung oder den Pfändungsvollzug, sondern erst durch die
Zustellung der Pfändungsurkunde in Gang gesetzt worden. Im angefochtenen
Entscheid ist aber nur von der Ankündigung und vom Vollzug der Pfändung
(11. bezw. 26. November 1958) die Rede. Dass das Betreibungsamt dem
Rekurrenten auch bereits die Pfändungsurkunde zugestellt habe und wann dies
gegebenenfalls geschehen sei, wird in diesem Entscheid nicht festgestellt
und ist auch aus den übrigen Akten nicht ersichtlich. Insbesondere steht
nicht etwa fest, dass der Rekurrent die Pfändungsurkunde schon mehr als
zehn Tage vor Beginn der Weihnachts-Betreibungsferien (18. Dezember 1958
bis 1. Januar 1959) empfangen habe, so dass die Beschwerdefrist schon
vor diesem Zeitpunkt abgelaufen wäre. Unter diesen Umständen war es
unzulässig, seine Beschwerde, die innert drei Tagen nach Ablauf dieser
Betreibungsferien (Art. 63 SchKG) eingereicht worden war, kurzerhand als
verspätet zu erklären.

    Wie zu entscheiden wäre, wenn der Rekurrent den Entscheid der
untern Aufsichtsbehörde vom 19. November 1958, der die Beschwerde des
Gläubigers guthiess, zugestellt erhalten und nicht weitergezogen hätte,
kann dahingestellt bleiben, weil ihm dieser Entscheid unter Verletzung
von Art. 77 OG vorenthalten wurde.

Entscheid:

       Demnach erkennt die Schuldbetr.- u. Konkurskammer:

    Der Rekurs wird gutgeheissen und der angefochtene Entscheid sowie
die Fortsetzung der Betreibung werden aufgehoben.