Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 85 III 137



85 III 137

31. Entscheid vom 18. September 1959 i.S. Hagist. Regeste

    1.  Verfügung des Betreibungsamtes im Hinblick auf die Art. 157 und
158 SchKG betreffend den Abschluss einer Grundpfandbetreibung, die erst
nach rechtskräftiger Verwertung der Liegenschaft durch nachträglichen
Rechtsvorschlag gehemmt worden und in der Folgezeit durch Fristablauf
erloschen war. Beschwerderecht, Art. 17 ff. SchKG. Nichtigkeit? (Erw. 1).

    2.  Pfandausfallschein (Art. 158 SchKG, Art. 120 Satz 1 VZG) oder
einfache Bescheinigung (Art. 120 Satz 2 VZG)? Voraussetzungen. Wirkungen
(Erw. 2).

Sachverhalt

    A.- Raggenbass wurde im August 1954 von Hagist für eine durch
Grundpfandverschreibung im 13. Rang gesicherte Forderung auf Verwertung
des Grundpfandes betrieben. Er erhob keinen Rechtsvorschlag. Die
Aufnahme der in Betreibung gesetzten Forderung in das Lastenverzeichnis
(anscheinend als fällig) blieb gleichfalls unangefochten. Am 12. Mai
1955, dem Vortag der Steigerung, suchte Raggenbass um Bewilligung eines
nachträglichen Rechtsvorschlages nach und führte gleichzeitig gegen das
Betreibungsamt Beschwerde mit dem Begehren um Aufhebung aller gegen ihn
gerichteten Betreibungshandlungen und um Sistierung und Widerruf der
Steigerung. Indessen wurde der Beschwerde nicht aufschiebende Wirkung
erteilt und die Betreibung auch nicht vom Richter nach Art. 77 Abs. 3
SchKG vorläufig eingestellt. Die Steigerung fand, wie vorgesehen, am
13. Mai 1955 statt. Den Zuschlag erhielt Walser, der die Liegenschaft
später weiter veräusserte.

    B.- Am 31. Januar 1956 bewilligte der Rekursrichter des Kantonsgerichts
St. Gallen den nachträglichen Rechtsvorschlag. Hierauf lehnte die von
Raggenbass angerufene obere kantonale Aufsichtsbehörde mit Entscheid
vom 21. März 1956 zwar die Aufhebung der Steigerung ab, wies aber das
Betreibungsamt an, die Betreibung Nr. 3755 nicht weiterzuführen, bis über
den Rechtsvorschlag endgültig entschieden sei; ferner sei dem Gläubiger
Hagist eine Frist von zehn Tagen anzusetzen, binnen der er entweder
Rechtsöffnung zu verlangen oder auf Anerkennung seiner Forderung zu
klagen habe, "widrigenfalls Verzicht auf die Fortsetzung der Betreibung
angenommen würde". Ein Rekurs des Raggenbass an das Bundesgericht hatte
keinen Erfolg, so dass es bei der Versteigerung der Liegenschaft sein
Bewenden hatte (Entscheid vom 19. April 1956, BGE 82 III 17 ff.).

    C.- Hagist vermochte den nachträglichen Rechtsvorschlag nicht zu
beseitigen. Die Rechtsöffnung wurde ihm am 5. Juni 1956 verweigert wegen
mangelnder Fälligkeit seiner Forderung, die laut Grundbuchauszug und
Pfandvertrag bis Ende 1956 unkündbar sei. Im übrigen unterliess er es, die
beim Friedensrichter angebrachte Klage dann beim Gericht hängig zu machen.

    D.- Nachdem Raggenbass eine Grundbuchbeschwerde zurückgezogen hatte
und eine von ihm gegen das Betreibungsamt angehobene neue Beschwerde
rechtskräftig abgewiesen worden war, erklärte das Betreibungsamt in einem
an dessen Vertreter gerichteten Schreiben vom 5. Mai 1959, nach seiner
Ansicht könne die Betreibung Nr. 3755 nun abgeschlossen werden,

    "und wir verfügen hiermit:

    1. Der Erlös aus der Steigerung wird gemäss Verteilungsplan verteilt.

    2. Die Pfandausfallscheine werden auf den Namen des Herrn Max
Raggenbass ... lautend ausgestellt und den Gläubigern zugestellt.

    Wir eröffnen Ihnen hiermit eine Frist von 10 Tagen, innert welcher
Sie gegen unsere Verfügung bei der untern Aufsichtsbehörde für SchKG
Beschwerde führen können."

    E.- Gegen diese Verfügung führte Raggenbass am 15. Mai 1959 Beschwerde
mit dem Antrag, es seien keine Pfandausfallscheine auf seinen Namen
auszustellen und den Gläubigern zuzustellen; demzufolge sei der Entscheid
des Betreibungsamtes aufzuheben.

    Hagist antwortete auf die Beschwerde in erster Linie mit dem Antrag
auf Nichteintreten, da gar keine der Beschwerde unterliegende Verfügung
ergangen sei. Eventuell beantragte er die Abweisung der Beschwerde.

    F.- Die untere Aufsichtsbehörde wies die Beschwerde schlechthin ab, die
obere mit Entscheid vom 25. August 1959 nur "im Sinne der Erwägungen". Der
Entscheid führt aus, eigentliche Pfandausfallscheine seien nur den
Gläubigern mit fälligen Forderungen auszustellen, wobei es auf den
Zeitpunkt der Verwertung (13. Mai 1955) ankomme. Die andern Gläubiger
hätten nur Anspruch auf eine einfache Bescheinigung gemäss Art. 120 Satz
2 VZG. Das gelte insbesondere auch für Hagist, dem die Rechtsöffnung eben
wegen mangelnder Fälligkeit seiner Forderung verweigert worden sei.

    G.- Raggenbass hat es bei diesem Entscheide bewenden lassen. Dagegen
hat Hagist an das Bundesgericht rekurriert mit den Anträgen:

    "1. Der Entscheid der Vorinstanz sei aufzuheben. Eventuell
sei er aufzuheben und die Angelegenheit zur Ausfällung eines
Nichteintretensentscheides an die Vorinstanz zurückzuweisen.

    2. Eventuell sei die Beschwerde, wenigstens insoweit sie den Gläubiger
Ernst Hagist betrifft, in Abänderung des vorinstanzlichen Entscheides
gänzlich abzuweisen."

Auszug aus den Erwägungen:

    Die Schuldbetreibungs- und Konkurskammer zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- Der Ansicht des Rekurrenten, der Brief des Betreibungsamtes
vom 5. Mai 1959 an Raggenbass enthalte gar keine der Beschwerde
unterliegende Verfügung, ist nicht beizutreten. Einmal hat
das Betreibungsamt ausdrücklich "verfügt" und zudem auf die
Beschwerdefrist hingewiesen. Sodann enthält der Brief auch sachlich eine
betreibungsamtliche Anordnung, indem er genau festlegt, es werde nun
zur Verteilung gemäss einem aufzustellenden Verteilungsplan geschritten
mit anschliessender Ausstellung von Pfandausfallscheinen zu Handen der
Gläubiger. Nach dem eindeutigen Wortlaut des Briefes wäre der Betriebene,
hätte er die Beschwerdefrist unbenützt verstreichen lassen, Gefahr
gelaufen, die vom Betreibungsamt beschlossenen Amtshandlungen nicht mehr
grundsätzlich, sondern allenfalls nur noch wegen der Art ihrer Ausführung
anfechten zu können.

    Der Rekurrent ist freilich der Auffassung, das Betreibungsamt habe
nicht in dieser Weise die vorgesehenen Verteilungs- und Abschlussmassnahmen
vorerst einmal grundsätzlich festlegen dürfen, um sie erst später,
wenn die grundsätzliche Verfügung in Rechtskraft getreten sein würde,
auszuführen. Unter diesem Gesichtspunkt ist die im Briefe vom 5. Mai 1959
enthaltene Vor-Verfügung jedoch nicht angefochten worden. Die Beschwerde
des Betriebenen bezog sich nur auf Ziff. 2 der Verfügung, und zwar
beanstandete er sie lediglich um ihres sachlichen Inhaltes willen. Der
heutige Rekurrent aber führte, als ihm jener Brief zur Kenntnis gelangte,
nicht auch seinerseits Beschwerde, sondern begnügte sich damit, der
Beschwerde des Betriebenen entgegenzutreten.

    Die in Frage stehende Verfügung kann auch nicht etwa als nichtig
betrachtet werden. Freilich wird gewöhnlich zur Verteilung nach
Art. 157/158 SchKG geschritten, ohne dass diese Massnahmen vorerst in
einer grundsätzlichen Verfügung festgelegt würden. Der eigenartige Stand
der Betreibung Nr. 3755 - die nachträglich erloschen war, während die am
13. Mai 1955 durchgeführte Verwertung nicht mehr dem Widerruf unterlag -
mochte aber ein solches Vorgehen (um der Vermeidung unnützen Arbeits-
und Kostenaufwandes willen) nahelegen. Die auf praktischen Erwägungen
beruhende Verfügung verdient daher den Beteiligten gegenüber, denen sie
zur Kenntnis gelangte, massgebend zu bleiben, soweit sie nicht binnen
gesetzlicher Frist angefochten wurde.

Erwägung 2

    2.- Der Pfandausfallschein (Art. 158 SchKG) hat eine doppelte
rechtliche Bedeutung: Er verurkundet die Tatsache, dass eine Pfandforderung
im Pfandverwertungsverfahren ganz oder teilweise ungedeckt geblieben
ist (Abs. 1). Ferner gibt er dem Gläubiger das Recht, die Betreibung
für die ungedeckt gebliebene Forderung in das übrige Vermögen des
Schuldners fortzusetzen (sofern nicht, wie bei einer Gült oder einer
andern Grundlast, blosse Pfandhaftung besteht; vgl. auch Art. 121 VZG)
und zwar, wenn es binnen Monatsfrist geschieht, ohne neuen Zahlungsbefehl
(Art. 158 Abs. 2 SchKG). Nach Art. 120 Satz 1 VZG erhalten auch die nicht
betreibenden Pfandgläubiger, sofern ihre Forderungen fällig sind, einen
Pfandausfallschein. Für die nicht fälligen Pfandforderungen wird nach
Satz 2 daselbst eine einfache den Ausfall verurkundende Bescheinigung
ausgestellt, die kein Recht auf Zugriff auf das übrige Vermögen des
Schuldners ohne (neuen) Zahlungsbefehl gibt.

    Da der Zahlungsbefehl in der Betreibung Nr. 3755 sich nachträglich
als nicht vollstreckbar erwies und die Betreibung erlosch, ist fraglich,
ob überhaupt irgendwelchen Gläubigern, deren Pfandforderungen nach Ausweis
des Lastenverzeichnisses zur Zeit der Versteigerung der Liegenschaft fällig
waren, Pfandausfallscheine auszustellen seien. Diese dem Bundesgericht
mit dem vorliegenden Rekurs nicht unterbreitete Frage kann jedoch auf
sich beruhen bleiben. Jedenfalls der Rekurrent Hagist hat nicht Anspruch
auf einen Pfandausfallschein, dessen Ausstellung er mit dem zweiten
Rekursantrag erstrebt. Aus zwei Gründen:

    a) Nachdem der Rekurrent den dem Betriebenen nachträglich bewilligten
Rechtsvorschlag nicht zu beseitigen vermocht hat, und nachdem seine
Betreibung mit Vorbehalt der Abrechnung über den Erlös aus der nicht mehr
rückgängig zu machenden Verwertung erloschen ist, hat er nicht mehr als
betreibender Pfandgläubiger im Sinne von Art. 158 SchKG zu gelten.

    b) Er kann sich auch nicht auf Art. 120 VZG berufen, wonach nicht
betreibende Pfandgläubiger ebenfalls Pfandausfallscheine erhalten,
sofern ihre Forderungen fällig sind (gemeint ist im Zeitpunkt der
Verwertung, wie sich aus dem Formular VZG Nr. 21 ergibt). Hinsichtlich der
Fälligkeit kann nicht mehr auf den seinerzeit unbestritten gebliebenen
Zahlungsbefehl und auch nicht auf das in diesem Punkt unangefochten
gebliebene Lastenverzeichnis abgestellt werden. Vielmehr steht der vom
Rekurrenten nicht beseitigte nachträgliche Rechtsvorschlag der Annahme
einer im massgebenden Zeitpunkt fällig gewesenen Forderung entgegen,
zumal die Rechtsöffnung gerade deshalb verweigert worden ist, weil
die Forderung bei Anhebung der Betreibung (und nach den Feststellungen
des Rechtsöffnungsentscheides auch im Zeitpunkt der Verwertung) nicht
fällig war.

    Unter diesen Umständen hat sich der Rekurrent mit einer einfachen
Bescheinigung über das Ergebnis der Pfandverwertung in bezug auf seine
Forderung im Sinne von Art. 120 Satz 2 VZG zu begnügen. Ja es wird nicht
einmal der ganze Text des Formulars VZG Nr. 21 stehen gelassen werden
können, da angesichts des aufrecht gebliebenen Rechtsvorschlages keine
"vom Schuldner nicht bestrittene Forderung" vorliegt.

Entscheid:

       Demnach erkennt die Schuldbetr.- u. Konkurskammer:

    Der Rekurs wird abgewiesen.