Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 84 I 63



84 I 63

9. Urteil vom 12. März 1958 i.S. Verband konzessionierter schweizerischer
Versicherungsgesellschaften gegen Kanton Luzern. Regeste

    Art. 84 Abs. 1 OG. Kantonale Erlasse, die der Genehmigung durch den
Bundesrat bedürfen; wird diese verweigert, so liegt kein kantonaler
Hoheitsakt vor, gegen den staatsrechtliche Beschwerde geführt werden
könnte.

Sachverhalt

    A.- Der Grosse Rat des Kantons Luzern verabschiedete am 14. Mai 1957
ein Gesetz über die obligatorische Krankenversicherung ausländischer
Arbeitnehmer, das sich auf Art. 2 KUVG stützt. § 2 des kantonalen Gesetzes
lautete in der vom Grossen Rat angenommenen Fassung:

    "Die Versicherungspflicht wird erfüllt durch die Mitgliedschaft des
Versicherungspflichtigen bei einer vom Bunde anerkannten Krankenkasse,
die zu den in § 3 dieses Gesetzes genannten Bedingungen Versicherungen
abschliesst.

    Von der Beitrittspflicht zu einer Krankenkasse sind diejenigen
ausländischen Arbeitskräfte ausgenommen, die bei einem vom Bunde
beaufsichtigten Versicherer für die in § 3 vorgeschriebenen Leistungen
versichert sind.

    Die Bedingungen der konzessionierten Versicherungsgesellschaften
dürfen nicht schlechter sein als diejenigen der anerkannten Krankenkassen."

    Der Regierungsrat stellte am 4. Juli 1957 fest, dass die
Referendumsfrist unbenützt abgelaufen war; er beschloss, das Gesetz auf den
darin genannten Zeitpunkt (1. Januar 1958) in Kraft zu setzen. Vorgängig
hatte er es indes gemäss Art. 2 Abs. 3 KUVG dem Bundesrat zur Genehmigung
zu unterbreiten. Dieser stimmte am 29. Oktober 1957 dem Erlass zu mit
Ausnahme des zweiten und dritten Absatzes des oben angeführten § 2,
die er als bundesrechtswidrig erklärte.

    In der Sitzung vom 5. November 1957 unterrichtete der Vorsitzende
den Grossen Rat über diesen Sachverhalt. Der Rat nahm formlos davon
Kenntnis. Die Staatskanzlei machte ihrerseits im Luzerner Kantonsblatt
vom 9. November 1957 vom Beschluss des Bundesrats Mitteilung. In einer
Bekanntmachung, die im Kantonsblatt vom 28. Dezember 1957 erschien, wies
das Staatswirtschaftsdepartement auf das bevorstehende Inkrafttreten des
Gesetzes und auf die sich daraus ergebenden Rechte und Pflichten hin.

    B.- Mit Eingabe vom 24. Januar 1958 hat der Verband konzessionierter
schweizerischer Versicherungsgesellschaften gegen das Gesetz
staatsrechtliche Beschwerde wegen Verletzung der Art. 4 und 31 BV erhoben
mit dem Antrag, die Bestimmungen aufzuheben, "welche vorschreiben, dass
die Versicherungspflicht ausländischer Arbeitnehmer ausschliesslich bei den
vom Bunde anerkannten Krankenkassen zu erfüllen ist". Der Beschwerdeführer
macht geltend, § 2 des Gesetzes sei in seiner endgültigen Fassung erstmals
am 28. Dezember 1957 veröffentlicht worden, weshalb die Beschwerde
rechtzeitig erhoben worden sei. In materieller Hinsicht wendet er ein,
das KUVG sehe nicht vor, dass sich die Kantone bei der Durchführung des
Obligatoriums der Krankenversicherung nur der anerkannten Krankenkassen zu
bedienen hätten. Die Kantone seien demnach gemäss KUVG nicht befugt, die
Versicherungsgesellschaften von dieser Aufgabe auszuschliessen. Für einen
solchen Ausschluss lägen auch keine polizeilichen oder sonstigen Gründe
vor, die vor Art. 4 und 31 BV standhielten. Bei der Prüfung der Frage,
ob diese Verfassungssätze verletzt seien, sei der Staatsgerichtshof, wie
sich aus BGE 52 I 159 ff. und 71 I 251 ff. ergebe, nicht an den Entscheid
des Bundesrats gebunden.

    C.- Der Regierungsrat des Kantons Luzern schliesst, die Beschwerde sei
als verspätet nicht an Hand zu nehmen. Vom Beschluss des Bundesrats auf
teilweise Verweigerung der Genehmigung des Gesetzes sei im Kantonsblatt
vom 9. November 1957 Mitteilung gemacht worden. Die Beschwerdefrist habe
deshalb an jenem Tag zu laufen begonnen; sie sei am 24. Januar 1958
längst verstrichen gewesen.

Auszug aus den Erwägungen:

              Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

    Gemäss Art. 84 OG kann "gegen kantonale Erlasse oder Verfügungen
(Entscheide)" beim Bundesgericht wegen Verletzung verfassungsmässiger
Rechte der Bürger Beschwerde geführt werden. Gegenstand der
staatsrechtlichen Beschwerde können somit nur Hoheitsakte bilden, die
von einer kantonalen Behörde ausgehen, auf kantonaler Herrschaftsgewalt
beruhen.

    Der mit der vorliegenden Beschwerde gerügte Ausschluss der
Versicherungsgesellschaften von der Mitwirkung bei der Durchführung des
Obligatoriums der Krankenversicherung hat dadurch im Gesetz Eingang
gefunden, dass der Bundesrat den zweiten und den dritten Absatz der
in Frage stehenden kantonalen Bestimmung nicht genehmigt hat, welche
die Versicherungsgesellschaften zu dieser Aufgabe zulassen wollten. Die
Verfügung des Bundesrates ist auf Grund von Art. 102 Ziff. 13 BV ergangen,
wonach ihm die Prüfung jener Gesetze und Verordnungen obliegt, die der
Genehmigung des Bundes bedürfen. Verlangt die Bundesgesetzgebung für
kantonale Gesetze und Verordnungen über einen bestimmten Gegenstand die
Genehmigung des Bundesrats, wie es in Art. 2 Abs. 3 KUVG geschehen ist,
so muss der Verweigerung der Genehmigung zum mindesten kassatorische
-Wirrkung in dem Sinne beigemessen werden, dass die davon betroffene Norm
keinen Rechtsbestand mehr hat, wenn man nicht so weit gehen will, die der
Genehmigung bedürftigen Bestimmungen bis zur Erteilung der Genehmigung
überhaupt nicht als verbindlich zu betrachten (BGE 52 I 161). Die
Verweigerung der Genehmigung wird mithin unmittelbar, und ohne dass es
hiefür kantonaler Ausführungsmassnahmen bedürfte, rechtswirksam. Der
Grosse Rat hat denn auch im vorliegenden Falle lediglich formlos vom
entsprechenden Beschluss des Bundesrats Kenntnis genommen. Ein kantonaler
Hoheitsakt, an den die staatsrechtliche Beschwerde angeknüpft werden
könnte, liegt somit nicht vor.

    Die vom Beschwerdeführer verlangte Nachprüfung liefe nach dem
Gesagten auf eine (prinzipale) Beurteilung der Verfügung hinaus, die der
Bundesrat gestützt auf Art. 102 Ziff. 13 BV getroffen hat. Wie im ersten in
diesem Zusammenhang angerufenen Entscheid (BGE 52 I 161/162) einlässlich
dargelegt und im zweiten (BGE 71 I 253 oben) bestätigt worden ist, steht
dem Bundesgericht im Verfahren der staatsrechtlichen Beschwerde eine
solche Überprüfung der Verfügung einer eidgenössischen Behörde nicht zu.

    Bei dieser Sachlage erübrigt sich eine Untersuchung der Frage der
Rechtzeitigkeit der Beschwerde.

Entscheid:

               Demnach erkennt das Bundesgericht:

    Auf die Beschwerde wird nicht eingetreten.