Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 84 I 247



84 I 247

35. Urteil vom 12. Dezember 1958 i.S. Bula & Gasser G.m.b.H. und Migy
gegen Eidg. Volkswirtschaftsdepartement. Regeste

    Übernahme eines Unternehmens mit Aktiven und Passiven.

    1.  Entscheidungen über Bestand und Umfang von Fabrikationsrechten
fallen in die Zuständigkeit der Bewilligungsbehörde und unterliegen der
Verwaltungsgerichtsbeschwerde.

    2.  Legitimation zur Verwaltungsgerichtsbeschwerde.

    3.  Ein Unternehmen, das sein Fabrikationsrecht infolge überjährigen
Unterbruchs der industriellen Tätigkeit verloren hat und keine Bewilligung
für die Wiedereröffnung besitzt, kann nicht Gegenstand einer Übernahme
mit Aktiven und Passiven im Sinne des Uhrenstatuts bilden.

Sachverhalt

    A.- Die Firma Bula & Gasser G.m.b.H., Uhrensteinfabrik in Thun,
erhielt im Jahre 1946 die Bewilligung, das Unternehmen mit 13 Arbeitern
zu eröffnen. Gegenwärtig darf sie 56 Arbeiter beschäftigen.

    Louis Migy, Landwirt und Futtermittelhändler, erwarb im Jahre 1948 ein
Perçage-Atelier (Uhrensteinbohrerei) in Coeuve. Im Jahre 1951 wurde ihm
bewilligt, die Arbeiterzahl (ursprünglich 3) auf 15 zu erhöhen, und vom 1.
Januar 1952 an durfte er weitere 3 Arbeiter beschäftigen. Der Umsatz
des Ateliers machte im Jahre 1955 noch etwas mehr als Fr. 15 000.--
aus. In der Folge sank er auf unbedeutende Beträge. Im Februar/März
1957 teilte Migy der Kontrollstelle seines Verbandes mit, er habe das
Perçage aufgegeben und die Arbeiter nach und nach entlassen. Um die
gleiche Zeit nahm er Verhandlungen mit der Firma Bula & Gasser auf, und
am 10. September 1957 schloss er mit ihr einen Vertrag, wonach sie sein
Perçage-Atelier mit Aktiven und Passiven zum Preise von Fr. 25 000.--
übernahm. Darauf suchte die Firma Bula & Gasser um die Bewilligung nach,
diesen Betrieb ihrem Unternehmen anzugliedern.

    B.- Durch Entscheid vom 30. April 1958 verfügte das
eidg. Volkswirtschaftsdepartement die Streichung Louis Migys im Register
der Unternehmungen der Uhrenindustrie. Mit Entscheid vom gleichen Tage
verweigerte es der Firma Bula & Gasser die erbetene Bewilligung. Zur
Begründung der Entscheide führte es aus, Migy habe seit dem Mai 1956 keine
industrielle Tätigkeit in der Branche der Uhrensteinbohrerei mehr ausgeübt,
so dass sein bisheriges Fabrikationsrecht erloschen sei. Er dürfe daher
sein Unternehmen nicht ohne Bewilligung neu eröffnen, und erst recht
könne er nicht einen Betrieb übertragen, der nicht mehr bestehe. Mit
einem Fabrikationsrecht dürfe nicht Handel getrieben werden.

    C.- Louis Migy erhebt Verwaltungsgerichtsbeschwerde gegen die
Streichung seiner Unternehmung im Register. Er beantragt die Feststellung,
dass sein Fabrikationsrecht noch bestehe und die Streichung unbegründet
sei.

    Die Firma Bula & Gasser führt Verwaltungsgerichtsbeschwerde gegen die
Ablehnung ihres Bewilligungsgesuches. Sie beantragt, es sei festzustellen,
dass für die Angliederung des Perçage-Ateliers Migys an ihr Unternehmen
eine Bewilligung nicht notwendig sei; eventuell sei die Bewilligung
zu erteilen.

    Beide Beschwerdeführer machen geltend:

    a) Es handle sich um die Übernahme eines bestehenden Unternehmens
der Uhrenindustrie mit Aktiven und Passiven, wofür eine Bewilligung nicht
erforderlich sei.

    b) Würde die Bewilligungspflicht bejaht, so wäre die Bewilligung
gestützt auf Art. 4 Abs. 2 UB zu erteilen. Eine Uhrensteinfabrik sei ohne
weiteres imstande, einen Perçage-Betrieb zu führen. Die Angliederung eines
schon bestehenden solchen Betriebes an sie verletze die Interessen der
gesamten Uhrenindustrie nicht. Art. 4 Abs. 1 UB sei hier nicht anwendbar.

    c) Das Produktionsrecht Migys sei nicht erloschen. Es treffe nicht
zu, dass er seine industrielle Tätigkeit mindestens seit einem Jahre
unterbrochen habe (Art. 3 Abs. 1 UB, Art. 7 Abs. 2 UV). Er habe weder
seine Produktion wenigstens ein Jahr lang vollständig eingestellt noch
seinen Betrieb je vollkommen geschlossen.

    d) Habe somit die Unternehmung Migys fortbestanden, so habe sie
mit Aktiven - einschliesslich des Fabrikationsrechts - und Passiven
gültig übertragen werden können. Von einem unzulässigen Handel mit dem
Fabrikationsrecht könne keine Rede sein.

    D.- Das eidg. Volkswirtschaftsdepartement beantragt, die Beschwerden
abzuweisen, soweit darauf eingetreten werden könne. Es zweifelt daran,
dass die Firma Bula & Gasser zur Beschwerde legitimiert ist.

Auszug aus den Erwägungen:

              Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- Streitig ist, ob das Fabrikationsrecht Migys erloschen sei,
und ferner, ob die Übertragung seines Betriebes auf die Firma Bula &
Gasser einer Bewilligung bedürfe, wenn ja, ob die Bewilligung zu erteilen
sei. Es ist festzulegen, wie sich die Entwicklung der industriellen
Tätigkeit Migys und die Veräusserung seines Geschäftes auf Bestand
und Umfang der Fabrikationsrechte der Beteiligten auswirken. Darüber
haben notwendigerweise die nach der gesetzlichen Ordnung für Entscheide
betreffend Betriebsbewilligungen zuständigen Behörden, also das eidg.
Volkswirtschaftsdepartement und auf Beschwerde hin das Bundesgericht,
auch dann zu befinden, wenn keine Bewilligungspflicht besteht (BGE 79 I
105, 80 I 405 Erw. 2). Die angefochtenen Entscheide unterliegen im vollen
Umfange der Verwaltungsgerichtsbeschwerde.

Erwägung 2

    2.- Durch den Abschluss des Übernahmevertrages haben sowohl Migy als
auch Bula & Gasser Rechte erworben. Der Entscheid, mit dem das Departement
der Geschäftsübernahme die Anerkennung unter dem Gesichtspunkte des
Uhrenstatuts versagt, greift in die Rechtsstellung beider Vertragspartner
ein. Die Firma Bula & Gasser ist in dem Entscheide auch als Prozesspartei
beteiligt; sie hat beim Departement um die Anerkennung der Übernahme
nachgesucht. Beide Vertragspartner sind daher zur Beschwerde gegen diesen
Entscheid legitimiert (Art. 103 OG). Migy ist auch legitimiert, die
Feststellung des Departements anzufechten, dass sein Fabrikationsrecht -
unabhängig von der Geschäftsübernahme - erloschen sei.

Erwägung 3

    3.- Nach Art. 3 Abs. 1 Satz 2 UB und Art. 7 Abs. 2 UV ist die
Wiedereröffnung von Unternehmungen, die ihre industrielle Tätigkeit
mindestens seit einem Jahre unterbrochen haben, der Bewilligungspflicht
unterstellt. Ein Unterbruch des Betriebes während jener Mindestdauer
hat zur Folge, dass das bisherige Fabrikationsrecht dahinfällt. Eine
industrielle Tätigkeit im Sinne des Uhrenstatuts wird in der Regel
vorliegen, wenn und solange die Unternehmung mit einer gewissen Stetigkeit
und in Mengen, die ein gewisses Minimum nicht unterschreiten, Waren für
Kunden produziert.

    Louis Migy hat im Februar/März 1957 ausdrücklich erklärt, er habe das
Perçage aufgegeben und die Arbeiter nach und nach entlassen. Er selbst
hat in der Produktion nicht gearbeitet. Auf jeden Fall seit Ende Juni
1956, wenn nicht schon seit einem früheren Zeitpunkte, war sein Betrieb
vollständig eingestellt, und dabei ist es während des ganzen dritten
Vierteljahres 1956 geblieben. Im folgenden Vierteljahr, im Herbst, hat
die Firma eine einzige Rechnung im Betrage von Fr. 144.32 ausgestellt,
für Arbeiten, die zu einem grossen Teil an einen Unterakkordanten vergeben
worden sind, welcher Fr. 118.-- erhalten hat, während gleichzeitig die
Tochter Louis Migys, Marie Falbriard, nach den Lohnbüchern Fr. 58.25
bezogen hat. Im ersten Vierteljahr 1957 hat Migy wiederum gar nichts
produziert. Im April 1957 sind lediglich 10 000 Bohrungen ausgeführt
worden, wofür Marie Falbriard nach den Lohnbüchern Fr. 126.55 erhalten hat
und der Firma Bula & Gasser Rechnung im Betrage von Fr. 298.44 gestellt
worden ist. Im Mai, Juni und Juli 1957 war der Betrieb neuerdings
vollständig stillgelegt. Im August 1957 hat Migy der Firma Bula &
Gasser nochmals für 10 000 Bohrungen Rechnung im Betrage von Fr. 300.85
gestellt, doch hat er diese Arbeit durch einen Unterakkordanten ausführen
lassen. Sonst ist in diesem Monat nichts gegangen. Auch im September 1957
hat Migy nichts produziert.

    In der Zeit vom 1. Juli 1956 bis zum 10. September 1957, dem Tage
des Abschlusses des Übernahmevertrages, also während rund 14 Monaten,
sind somit im Atelier Migys nur noch vereinzelt, im Herbst 1956 und im
Frühling 1957, unbedeutende Arbeiten ausgeführt worden, für welche die
einzige im Betriebe noch mit Bohrungen beschäftigte Person insgesamt bloss
Fr. 185.-- erhalten hat. Das war keine industrielle Tätigkeit im Sinne des
Uhrenstatuts mehr. Unter den gegebenen Umständen muss angenommen werden,
dass die industrielle Tätigkeit Migys über ein Jahr lang unterbrochen
war. Sein Fabrikationsrecht ist daher erloschen.

Erwägung 4

    4.- Das Uhrenstatut ordnet die Wirkungen der Übernahme eines
Unternehmens der Uhrenindustrie mit Aktiven und Passiven. Es setzt
voraus, dass das Unternehmen, welches übernommen werden soll, "besteht"
(Art. 3 Abs. 1 letzter Satz UB). Ein Unternehmen, das seine industrielle
Tätigkeit mindestens seit einem Jahre unterbrochen hat und dessen
Fabrikationsrecht daher dahingefallen ist, hat aber keinen Bestand
im Sinne des Uhrenstatuts mehr. Es kann den Betrieb nicht ohne neue
Bewilligung wieder eröffnen. Fehlt eine solche Bewilligung, so kann
es auch nicht Gegenstand einer Übernahme mit Aktiven und Passiven
im Sinne des Uhrenstatuts bilden. So verhält es sich hier; denn Migy
hat infolge überjährigen Unterbruches seiner industriellen Tätigkeit
das Fabrikationsrecht verloren und besitzt keine Bewilligung für die
Wiedereröffnung seines Betriebes. Das Bewilligungsgesuch, welches die
Firma Bula & Gasser für sich gestellt und ausdrücklich mit der Übernahme
des Unternehmens Migy mit Aktiven und Passiven begründet hat, ist daher
mit Recht abgelehnt worden. Beide Beschwerden erweisen sich somit als
unbegründet.

Entscheid:

               Demnach erkennt das Bundesgericht:

    Die Beschwerden werden abgewiesen.