Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 84 I 24



84 I 24

5. Urteil vom 12. Februar 1958 i.S. X. gegen Obergericht des Kantons
Zürich. Regeste

    Freizügigkeit des Anwalts: Eine Bewilligung zur Ausübung des
Anwaltsberufes, die ein Kanton erteilt, ohne gewisse minimale Anforderungen
an die wissenschaftliche Ausbildung und an die praktischen Kenntnisse und
Erfahrungen des Bewerbers zu stellen, braucht in anderen Kantonen nicht als
Befähigungsausweis im Sinne des Art. 5 Üb. Best. BV anerkannt zu werden.

Sachverhalt

    A.- § 42 der Zivilprozessordnung des Kantons Glarus bestimmt:

    "Den Anwaltsberuf dürfen nur solche Personen betreiben, welche
im Besitz des Aktivbürgerrechts sind und die zur Ausübung des Berufes
notwendigen Kenntnisse besitzen. Sie haben sich beim Obergericht anzumelden
unter Vorweisung allfälliger Zeugnisse und Ausweise über Studiengang und
praktische Betätigung, über deren Zulänglichkeit das Obergericht nach
freiem Ermessen befindet. Das Obergericht führt ein Verzeichnis über die
zur Ausübung des Anwaltsberufes zugelassenen Personen."

    Gestützt auf diese Vorschrift suchte der Beschwerdeführer am 17. Juli
1950 die Bewilligung zur Ausübung des Anwaltsberufes im Kanton Glarus
nach. Er machte geltend, er habe acht Semester Rechtsstudium hinter sich
und absolviere gegenwärtig an der Universität das Examen; er habe an
einem aargauischen Bezirksgericht als Gerichtsschreiber gearbeitet und
sei zur Zeit als Substitut in einem aargauischen Anwaltsbureau tätig. Dem
Gesuch waren ein Leumundszeugnis, Ausweise über den Studiengang und ein
Zeugnis der Kanzlei jenes Bezirksgerichtes beigelegt. Am 5. September
1950 erteilte das Obergericht des Kantons Glarus dem Beschwerdeführer
"auf Grund seiner Bewerbung vom 17. Juli 1950, sowie seiner Ausweise über
Studiengang und praktische Tätigkeit" die erbetene Bewilligung.

    B.- Im August 1957 ersuchte der Beschwerdeführer, der inzwischen
den Grad eines Doktors der Rechte erlangt hatte, das Obergericht des
Kantons Zürich unter Berufung auf Art. 5 Üb. Best. BV, ihm die Ausübung
des Rechtsanwaltsberufes auch in diesem Kanton zu bewilligen.

    Mit Entscheid vom 26. November 1957 wies das Obergericht das
Gesuch ab. Es anerkannte die vorgelegte glarnerische Bewilligung
nicht als Fähigkeitsausweis im Sinne des Art. 5 Üb. Best. BV. Es fand,
die Untersuchung des glarnerischen Obergerichtes über die praktischen
Fähigkeiten des Gesuchstellers könne einzig darin bestanden haben, dass
das vorgelegte Zeugnis einer aargauischen Gerichtsbehörde vom 17. Mai 1950,
das einen aussergewöhnlich kurzen Zeitraum - bloss rund zweieinhalb Monate
- betreffe, zur Kenntnis genommen worden sei. Der Gesuchsteller habe im
Kanton Glarus vor der Bewilligung keine praktische Tätigkeit ausgeübt, so
dass die dortige Behörde keine Gelegenheit gehabt habe, seine Leistungen
aus eigener Anschauung zu beurteilen. Dazu komme, dass in Wirklichkeit die
Bewilligung lediglich auf Grund der Studienausweise erteilt worden sei;
jenes Zeugnis habe gar keine Rolle gespielt.

    C.- Mit staatsrechtlicher Beschwerde beantragt X., den Entscheid
des Obergerichtes des Kantons Zürich aufzuheben und dieses anzuweisen,
die nachgesuchte Bewilligung zu erteilen. Er rügt Verstösse gegen Art. 31
und 33 BV sowie Art. 5 Üb. Best. BV und Art. 4 BV.

    Das zürcherische Obergericht, so führt er aus, habe nur zu untersuchen
gehabt, ob die glarnerische Bewilligung einen Fähigkeitsausweis im Sinne
des Art. 5 Üb. Best. BV darstelle; zu einer "materiellen Nachprüfung"
des Ausweises sei es nicht befugt gewesen. Es nehme aber selber an,
dass die dem Beschwerdeführer erteilte glarnerische Bewilligung nach
ihrem Wortlaute den Anforderungen an einen Fähigkeitsausweis im Sinne der
Verfassung genüge. In der Tat habe der Kanton Glarus einen solchen Ausweis
schaffen wollen (§ 42 ZPO). Die vom zürcherischen Obergericht eingeholte
Vernehmlassung des Obergerichtspräsidiums Glarus stehe dieser Auffassung
nicht entgegen, wenn sie auch das Hauptgewicht auf die Studienzeugnisse
lege. In allen Kantonen sei das theoretische Wissen ausschlaggebend. § 42
glarn. ZPO räume zwar dem Obergericht eine weite Spanne freien Ermessens
ein, stelle aber doch materielle Anforderungen an das fachliche Können
des Bewerbers.

    Das glarnerische Obergericht habe, was die praktischen Fähigkeiten
des Beschwerdeführers anbelange, nicht bloss das Zeugnis des aargauischen
Bezirksgerichtes gewürdigt. Die Bewilligungsurkunde nehme ausdrücklich
auch auf das Gesuch vom 17. Juli 1950 Bezug. Die ausstellende Behörde habe
danach gewusst, dass der Beschwerdeführer im Zeitpunkte der Bewilligung
nicht bloss zweieinhalb, sondern sechs Monate praktisch tätig gewesen sei
und sich bei Beginn seiner Praxis als Anwalt, d.h. am 1. Januar 1951,
über weitere vier Monate solcher Tätigkeit werde ausweisen können. Das
genüge aber vor Art. 5 Üb.Best. BV, ohne dass noch Zeugnisse vorliegen
müssten. Ein Ausweis über den Erfolg der praktischen Tätigkeit sei so
wenig erforderlich wie ein Hochschuldiplom.

    Man könne auch nicht verlangen, dass die praktische Tätigkeit
mindestens zum Teil in dem den Fähigkeitsausweis erteilenden Kanton
ausgeübt worden sei. Es sei zu beachten, dass der Beschwerdeführer
sich ohne Erfolg bemüht habe, eine Praktikantenstelle im Kanton Glarus
zu erhalten.

    D.- Das Obergericht des Kantons Zürich hat auf eine Vernehmlassung
verzichtet.

Auszug aus den Erwägungen:

              Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- Der Anwaltsberuf gehört zu den wissenschaftlichen Berufsarten,
deren Ausübung die Kantone von einem Nachweis der Befähigung
abhängig machen dürfen (Art. 33 Abs. 1 BV). Der in einem Kanton
erlangte Befähigungsausweis berechtigt zur Berufsausübung in der ganzen
Eidgenossenschaft (Art. 5 Üb.Best. BV). Will jemand auf Grund eines solchen
Ausweises in einem anderen Kanton zur Anwaltstätigkeit zugelassen werden,
so darf daher die Behörde des ersuchten Kantons die Bewilligung nicht
davon abhängen lassen, ob die Voraussetzungen vorliegen, an welche die
eigene Ordnung dieses Kantons die Erlangung des Fähigkeitsausweises
knüpft. Anderseits braucht sie den ausserkantonalen Ausweis auch
nicht unbesehen hinzunehmen. Sie darf in gewissem Umfange prüfen, ob
damit die berufliche Eignung des Bewerbers dargetan sei. Sie muss sich
mit der Feststellung der Behörde des anderen Kantons, dass bestimmte
Formerfordernisse erfüllt sind, nicht begnügen, sondern darf verlangen,
dass der Ausstellung des Ausweises eine materielle Untersuchung über
die erforderlichen wissenschaftlichen und auch praktischen Fähigkeiten
des Bewerbers, sei es im Wege eines Examens, sei es in anderer Weise,
vorausgegangen ist (BGE 69 I 2 ff.). Sie ist angesichts der Bedeutung der
Anwaltstätigkeit für die Rechtsuchenden und die Gerichte auch berechtigt,
gewisse minimale Anforderungen an die wissenschaftliche Ausbildung und die
praktischen Kenntnisse und Erfahrungen des Bewerbers zu stellen. Sie darf
prüfen, ob diese Anforderungen vom Kanton, der den Ausweis ausgestellt
hat, berücksichtigt worden sind. Dies drängt sich insbesondere dann auf,
wenn dieser Kanton ein Anwaltsexamen nicht kennt.

Erwägung 2

    2.- Ob ein Bewerber die für die Ausübung des Anwaltsberufes notwendigen
Kenntnisse besitze, wird im Kanton Glarus nicht in einem Examen, sondern
bloss auf Grund "allfälliger Zeugnisse und Ausweise über Studiengang und
praktische Betätigung" geprüft (§ 42 ZPO). Gewiss ist es möglich, auf
diesem Wege die berufliche Eignung des Anwärters einigermassen zuverlässig
festzustellen, allein nur dann, wenn nicht nur die Studienausweise,
sondern auch die Zeugnisse über die praktische Betätigung, die für den
Anwaltsberuf grosse Bedeutung hat, einer ernsthaften und gründlichen
Prüfung unterzogen werden. Diese Prüfung muss sich nicht bloss auf
die Dauer und den Ort, sondern auch auf den Erfolg der bescheinigten
praktischen Tätigkeit beziehen.

    Es steht fest, dass der Beschwerdeführer dem glarnerischen Obergericht
neben Ausweisen über Leumund und Studien nur eine einzige Bescheinigung
über seine praktische Betätigung, nämlich ein Zeugnis einer aargauischen
Gerichtskanzlei, vorgelegt hat. Er bezeichnet die Annahme, dass das
glarnerische Obergericht bei der Untersuchung der praktischen Fähigkeiten
lediglich auf dieses Zeugnis abgestellt habe, als "nicht haltbar, ja
aktenwidrig", doch bringt er zur Begründung dieser Rüge nichts Triftiges
vor. Die im Ingress der Bewilligungsurkunde stehende Wendung "auf Grund
seiner Bewerbung vom 17. Juli 1950" ist ein rein formaler Hinweis;
sie hat nicht den Sinn, dass die Behauptungen im Bewerbungsschreiben
des Beschwerdeführers auch insoweit, als keine Beweise dafür vorlagen,
als Tatsachen gewürdigt wurden.

    Jene Bescheinigung einer aargauischen Gerichtsstelle bezieht sich
auf einen Zeitraum von bloss rund zweieinhalb Monaten (Anfang März bis
Mitte Mai 1950). Es liegt aber auf der Hand, dass aus einem Zeugnis über
praktische Tätigkeit eines Juristen auf einer Gerichtskanzlei während
so kurzer Zeit unmöglich ein zuverlässiger Schluss auf dessen Fähigkeit
zur Ausübung des Anwaltsberufes gezogen werden kann, selbst wenn seine
Studienausweise gut sind. Da der Beschwerdeführer in seinem Gesuch an das
glarnerische Obergericht selber erklärt hat, er habe seine Hochschulstudien
noch nicht mit einem Examen abgeschlossen, hätte er umsomehr Anlass gehabt,
besser genügende Ausweise über seine praktische Betätigung beizubringen.

    Indessen hat das glarnerische Obergericht nicht einmal auf das Zeugnis
der aargauischen Gerichtsbehörde Gewicht gelegt. In der Tat hat sein
Präsident dem zürcherischen Obergerichte mitgeteilt, nach glarnerischer
Praxis seien die Studienausweise ausschlaggebend, da Bewerber, die sich
über genügende Hochschulstudien ausweisen können, selbst dann zugelassen
würden, wenn sie überhaupt kein Praktikum absolviert haben; mit der
Neufassung des § 42 ZPO im Jahre 1930 habe man lediglich den Übelstand
beseitigen wollen, dass jedem Laien habe gestattet werden müssen, Parteien
vor Gericht zu vertreten, wenn er nur im Besitze des Aktivbürgerrechtes
gewesen sei.

    Unter diesen Umständen ist nicht zu beanstanden, dass das zürcherische
Obergericht die glarnerische Bewilligung, auf welche der Beschwerdeführer
sich beruft, nicht als genügenden Ausweis der Befähigung im Sinne des
Art. 5 Üb.Best. BV hat gelten lassen.

Entscheid:

               Demnach erkennt das Bundesgericht:

    Die Beschwerde wird abgewiesen.