Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 84 I 221



84 I 221

31. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung als staatsrechtlicher
Kammer vom 20. November 1958 i.S. Lippuner gegen Margelisch und
Kantonsgericht Schwyz. Regeste

    Verbot der Klageänderung (§ 205 Ziff. 1 der ZPO des Kantons Schwyz).

    Verletzt der Richter dieses Verbot in willkürlicher Weise durch
Berücksichtigung einer nachträglichen eventuellen Faustpfandansprache im
Widerspruchsprozess, nachdem anfänglich nur auf Anerkennung des Eigentums
geklagt worden war?

    Gegenstand der Widerspruchsklage (Art. 106-109 SchKG).

Sachverhalt

                     Aus dem Tatbestand:

    In einer von Lippuner gegen Janser angehobenen Betreibung wurde ein auf
der Liegenschaft des Schuldners errichteter, im Besitze des Bauunternehmers
Margelisch befindlicher Inhaberschuldbrief von Fr. 10'000.-- gepfändet. An
diesem Pfandtitel beanspruchte Margelisch ein Faustpfandrecht für eine
Forderung von Fr. 7000.--. Es handelte sich um eine restliche Bauforderung
mit Verzugszinsen. Das Betreibungsamt eröffnete über dieses Pfandrecht
ein Widerspruchsverfahren nach Art. 106/7 SchKG (mit Klägerrolle des
Pfandansprechers, der sich darüber nicht beschwerte), bezeichnete dann
aber bei der Ansetzung der Klagefrist den vom betreibenden Gläubiger
bestrittenen Anspruch als Eigentumsanspruch. Hierauf klagte Margelisch
auf Anerkennung des ihm an diesem Schuldbrief zustehenden Eigentums
und brachte zur Begründung vor, Janser habe ihm den Schuldbrief an
Zahlungsstatt übergeben. In der Klagebeantwortung wies Lippuner darauf
hin, dass Margelisch bisher den Schuldbrief immer nur als Sicherheit für
seine restliche Bauforderung beansprucht habe. Erst nach Abschluss dieses
Schriftenwechsels stellte Margelisch ein Eventualbegehren um Anerkennung
eines ihm am streitigen Schuldbrief zustehenden Faustpfandrechtes. Darin
sah Lippuner eine unzulässige Klageänderung, und er stellte den Antrag,
es sei auf das Eventualbegehren nicht einzutreten. Die kantonalen Gerichte
verwarfen diese Einrede und hiessen das Eventualbegehren gut.

    Gegen das Urteil des Kantonsgerichts Schwyz vom 22. April 1958
richtet sich die vorliegende staatsrechtliche Beschwerde des Beklagten
Lippuner. Er rügt insbesondere eine willkürliche Verletzung des in §
205 Ziff. 1 der kantonalen ausgesprochenen Verbotes der Klageänderung.

    Diese Vorschrift lautet: "§ 205.

    Die Rechtshängigkeit der Klage hat folgende Wirkungen: 1. jede
Änderung des aufgestellten Rechtsbegehrens und der Parteibezeichnungen,
vorbehältlich der blossen Verdeutlichung derselben, sowie der Berichtigung
von Rechnungsirrtümern oder offenbaren Schreibfehlern, ist ausgeschlossen;"

    Das Bundesgericht hat die Beschwerde abgewiesen.

Auszug aus den Erwägungen:

                       Aus den Erwägungen:

    Nach Ansicht des Beschwerdeführers durfte in diesem Widerspruchsprozess
nur über das mit der Klage geltend gemachte Eigentum an dem gepfändeten
Inhaberschuldbrief entschieden werden. Das erst nach Abschluss des
Schriftenwechsels in eventuellem Sinn gestellte Rechtsbegehren betrachtet
er, wie er sogleich nach Empfang der Nachtragseingabe vom 9. Mai 1957
einwendete, als eine vom kantonalen Prozessrecht (§ 205 Ziffer 1 der
schwyzerischen ZPO) verpönte Klageänderung.

    Demgegenüber beruft sich der Kläger in der Beschwerdebeantwortung auf
die rechtliche Natur der Widerspruchsklage. Es geht im Widerspruchsprozess
nach seinen Ausführungen gar nicht um ein bestimmtes vom Dritten
beanspruchtes dingliches Recht, sei es Eigentum oder Pfandrecht, sondern
einfach um "ein die Pfändungspfandrechte des betreibenden Gläubigers
ausschliessendes oder zurückdrängendes Recht". Der Drittansprecher habe in
seinem Rechtsbegehren nur dies zu behaupten; die dingliche Qualität seines
Anspruchs habe also nicht als Gegenstand des Widerspruchsprozesses zu
gelten, und das Urteil habe darüber und namentlich über eine dem dinglichen
Recht zugrunde liegende Forderung nichts Verbindliches auszusagen. Dieser
Betrachtungsweise ist nicht beizutreten. Man mag zwar zusammenfassend
das Recht eines Dritten an gepfändeten Sachen als "ein die Pfändung
ausschliessendes oder zurückdrängendes Recht" bezeichnen. Es ist aber
für die Wirkung des Urteils auf den Fortgang der Betreibung von Belang,
ob ein "die Pfändung ausschliessendes Recht" (Eigentum) oder bloss ein
"sie zurückdrängendes Recht" (Pfandrecht) vorliege. Das Rechtsbegehren
des Ansprechers hat daher anzugeben, ob das eine oder das andere dieser
Rechte oder beide, nämlich in erster Linie Eigentum und in eventuellem
Sinn Pfandrecht, geltend gemacht werden. Übrigens würde statt von einem
"die Pfändung zurückdrängenden Recht" besser von einem "bei der Verwertung
zu berücksichtigenden Vorzugsrecht" gesprochen. Denn das Pfandrecht lässt
im Unterschied zum Eigentum die Pfändung als solche gänzlich zu Recht
bestehen, so dass unter den gesetzlichen Voraussetzungen alsdann die
Verwertung anzuordnen sein wird. Zum Zuschlag bei der Zwangsversteigerung
(oder zu einem Freihandverkaufe) darf es dann aber nur kommen, wenn die
als pfandgesichert befundenen Forderungen überboten werden, da nur ein
nach deren Deckung verbleibender Überschuss den pfändenden Gläubigern
zufällt (Art. 126 SchKG). Daher hat das Urteil im Widerspruchsprozess
die Art des Drittmannsrechtes zu bezeichnen und bei Anerkennung eines
Pfandrechtes auch den Betrag der pfandgesicherten Forderung, der bei
der Verwertung überboten werden muss, rechtsverbindlich festzusetzen
(wenn auch natürlich nur für das betreffende Betreibungsverfahren und
mit Rechtskraftwirkung nur für die Parteien des Rechtsstreites). Nur
so wird Klarheit darüber geschaffen, ob die Sache gepfändet bleibe und,
bei blossem Pfandrecht, unter welchen Bedingungen sie verwertet werden
dürfe. Dementsprechend unterscheiden die Betreibungsbehörden genau
zwischen Eigentums- und Pfandansprachen (vgl. BGE 81 III 54 ff.). Auch
die für die Fristansetzungen nach Art. 107 und 109 SchKG zu verwendenden
obligatorischen Formulare (vgl. Nr. 18 und 24) verlangen die Angabe des
beanspruchten Rechtes und bei Pfand- und Retentionsrechtsansprachen die
Bezifferung der gesicherten Forderung. Somit erweist sich der Einwand
des Beschwerdegegners, es liege von vornherein keine Klageänderung vor,
weil die Angabe der Art des von ihm beanspruchten dinglichen Rechtes
keinen wesentlichen Bestandteil des Klagebegehrens bilde, als unzutreffend.

    Nun bestanden aber sachlich vertretbare Gründe, das nachträglich vom
Kläger gestellte Eventualbegehren nicht unter das Klageänderungsverbot
der kantonalen Prozessordnung fallen zu lassen. In der Lehre des
Prozessrechts ist allgemein anerkannt, dass die blosse Verminderung des
anfänglich gestellten Klagebegehrens, sei es durch teilweisen Verzicht
oder durch Stellung eines weniger weit gehenden Eventualbegehrens,
nicht als Klageänderung zu gelten hat (vgl. GULDENER, Schweizeriches
Zivilprozessrecht, 2. Auflage, S. 244/45; LEUCH, Kommentar zur bernischen
ZPO, N. 2 zu Art. 94). Ein Pfandrecht kann allerdings im allgemeinen
gegenüber dem Eigentum nicht in dem Sinn als ein geringeres Recht
gelten, dass es in jenem begrifflich schon enthalten wäre und also
jede Eigentumsklage eine Pfandrechtsklage in sich schlösse. Vielmehr
wird oft um das Eigentum gestritten, ohne dass bei dessen Verneinung
ein Pfandrecht in Frage käme. Hängt doch des Pfandrecht notwendig mit
einer durch es zu sichernden Forderung zusammen, was für das Eigentum
nicht zutrifft. Beruft sich aber der dritte Besitzer einer gepfändeten
Sache auf ein ihm mit Rücksicht auf eine ihm zustehende unbeglichene
Forderung übertragenes Eigentum, so kann es sich um endgültige
Eigentumsübertragung (an Zahlungsstatt oder zahlungshalber) oder um
fiduziarischen Eigentumserwerb (Sicherungsübereignung) handeln, und es
mag sich alsdann im Prozess erweisen, dass ihm gar nicht Eigentum, wohl
aber ein Pfandrecht zusteht. Bei der Übertragung einer Sache oder eines
Inhaberpapiers an einen drängenden Gläubiger wird denn auch mitunter der
Inhalt des ihm daran zustehenden Rechtes nicht eindeutig vereinbart.
Deshalb kommt es bei Pfändungen häufig zu Drittansprachen, die auf
Eigentum und zugleich eventuell auf Pfandrecht lauten, worauf in der
Regel über die beiden alternativ erhobenen Ansprachen ein einheitliches
WWiderspruchsverfahren durchzuführen ist (vgl. BGE 69 III 38 ff.). Bei
solchem Zusammenhang des Bestzierwerbs mit einer unbeglichenen Forderung
erscheint fiduziarisches Eigentum (zur Sicherstellung) als ein geringeres
Recht als endgültig (an Zahlungsstatt oder zahlungshalber) übertragenes
Eigentum und ein Pfandrecht als geringeres Recht als fiduziarisches
Eigentum. Diese dem Zweck der Tilgung oder Sicherstellung entsprechende
praktische Betrachtungsweise kann es hinreichend rechtfertigen, gegenüber
einem erst im Laufe des Widerspruchsprozesses erfolgenden Übergang von
einem stärkeren zum schwächeren dieser Ansprüche, und ebenso gegenüber
der ergänzenden Geltendmachung eines schwächern Anspruchs in eventuellem
Sinne, ein vom Prozessgesetz aufgestelltes Klageänderungsverbot nicht Platz
greifen zu lassen. Es handelt sich um eine sinnvolle Milderung, nicht um
eine willkürliche Missachtung dieses Verbotes. So hat denn das zürcherische
Obergericht sogar eine im Widerspruchsprozess nachträglich erhobene
eventuelle Faustpfandansprache, die beim Betreibungsamt nicht angemeldet
worden war, vom Klageänderungsverbot ausgenommen (BlZR 11 Nr. 49),
was JAEGER, Schuldbetreibungs- und Konkurspraxis I, N. 5 C zu Art. 107
SchKG, billigen zu dürfen glaubte. Von willkürlicher Nichtanwendung
des Klageänderungsverbotes kann im vorliegenden Falle vollends nicht
gesprochen werden. Hat doch der Kläger mit seinem Eventualbegehren das
beim Betreibungsamt einzig, und zwar ordnungsgemäss schon anlässlich
der Pfändung, angemeldete Faustpfandrecht zur Geltung gebracht, nachdem
er sich durch die unrichtige Benennung des bestrittenen Rechtes in der
betreibungsamtlichen Klagefristansetzung hatte dazu verleiten lassen,
vorerst Eigentum einzuklagen. Durfte somit das Eventualbegehren als dem
Klageänderungsverbot nicht unterstehend gelten, so brauchte auch der
vom Beschwerdeführer aufgezeigte Weg einer Klageänderung (§ 317 ZPO)
nicht beschritten zu werden.