Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 84 I 107



84 I 107

16. Urteil vom 26. Februar 1958 i.S. Ege gegen Stadtrat von Schaffhausen
und Regierungsrat des Kantons Schaffhausen. Regeste

    1.  Art. 31 Abs. 2 BV. Kantonale Bestimmungen über die Ausübung von
Handel und Gewerben. Grundsatz der Verhältnismässigkeit der polizeilichen
Eingriffe und der Gleichbehandlung der Gewerbegenossen. Kann der
Betrieb von Warenautomaten den Ladenschlussbestimmungen unterstellt
werden? (Erw. 2).

    2.  Art. 90 Abs. 1 lit. a OG. Das Bundesgericht kann die kantonalen
Behörden anweisen, eine zu Unrecht verweigerte Polizeierlaubnis zu erteilen
(Erw. 3).

Sachverhalt

    A.- Nach Art. 52 Abs. 1 des schaffhausischen Gesetzes betreffend den
Warenhandel sowie das Markt- und Hausierwesen (WHG) vom 20. November 1933
dürfen automatische Warenausteiler auf allgemein zugänglichen privaten oder
öffentlichen Plätzen sowie an öffentlichen Strassen nur mit Bewilligung der
Ortsbehörde aufgestellt oder ausgehängt werden. Der Betrieb der Automaten
untersteht gemäss Art. 54 WHG den Bestimmungen des Gesetzes betreffend die
öffentlichen Ruhetage und den Ladenschluss (Ruhetagsgesetz) vom 28. Januar
1920. Nach Art. 11 dieses Gesetzes sind die Verkaufslokale, Kioske und
Magazine aller Art an den Ruhetagen geschlossen zu halten; es dürfen
keine Waren abgegeben oder den Kunden ins Haus geliefert werden. Art.
18 setzt den Ladenschluss an Werktagen auf 19 Uhr fest.

    B.- Die Veromat AG in Zürich, die sich mit dem Vertrieb von
Warenverkaufsautomaten befasst, beantragte dem Stadtrat von Schaffhausen,
ihrem Kunden Eugen Ege in Schaffhausen den Betrieb eines Warenautomaten
zu bewilligen. Der Stadtrat erkannte am 9. Oktober 1957 sinngemäss, das
Gesuch habe als abgewiesen zu gelten, sofern sich der Gesuchsteller nicht
an Art. 11. und 18 des Ruhetagsgesetzes zu halten gedenke.

    Eine Beschwerde, die Ege dagegen erhob, hat der Regierungsrat
des Kantons Schaffhausen am 17. Dezember 1957 abgewiesen. Er hat dazu
ausgeführt, Art. 52 WHG stelle die Erteilung der Bewilligung nicht ins
Belieben der Behörde, sondern gestatte dieser lediglich, zu prüfen, ob
der Ausübung der an sich erlaubten Tätigkeit keine polizeilichen Gründe
entgegenstünden. Im vorliegenden Fall habe der Stadtrat den Betrieb des
Warenautomaten einzig in zeitlicher Hinsicht eingeschränkt, indem er den
Gesuchsteller verpflichtet habe, sich an die Ladenschlussvorschriften zu
halten. Die betreffenden Bestimmungen des Ruhetagsgesetzes dienten in
erster Linie dem Schutz der öffentlichen Gesundheit. Dieser Schutz
lasse sich nur verwirklichen, wenn der in seiner Berufsausübung
eingeschränkte Geschäftsmann vor ungerechtfertigter Konkurrenz geschützt
werde. Wie das Bundesgericht erkannt habe, erfordere der durch Art. 31 BV
gewährrleistete Grundsatz der Gleichbehandlung aller Gewerbegenossen, dass
die Ladenschlussbestimmungen nicht nur auf Geschäfte mit Hilfspersonal
angewendet würden, sondern auch auf solche, die vom Geschäftsinhaber
und seiner Familie betrieben werden. Aus den selben Gründen müssten
auch die Automaten der Ruhetagsregelung unterstellt werden. Entgegen
der Auffassung des Rekurrenten lasse sich der Betrieb eines Automaten
nicht mit dem einer besonderen Ordnung unterstehenden Wirtschaftsgewerbe
vergleichen. Bei diesem stehe die Bewirtung im Vordergrund; der Verkauf
von Rauchwaren und dergleichen gehe lediglich nebenher. Würden Waren
der nämlichen Art ausserhalb der Wirtschaften gehandelt, so falle diese
Tätigkeit nicht unter die einzig im Hinblick auf die Bewirtung erlassenen
Geschäftsschlussbestimmungen des Wirtschaftsgesetzes.

    C.- Mit der vorliegenden staatsrechtlichen Beschwerde wegen Verletzung
des Art. 31 BV beantragt Ege, der Regierungsrat sei in Aufhebung des
Rekursentscheids einzuladen, die nachgesuchte Bewilligung zum Betrieb
eines Automaten ohne zeitliche Einschränkung zu erteilen. Die Begründung
der Beschwerde ist, soweit wesentlich, aus den nachstehenden Erwägungen
ersichtlich.

    D.- Der Regierungsrat des Kantons Schaffhausen schliesst auf Abweisung
der Beschwerde. Der Stadtrat von Schaffhausen hat sich nicht vernehmen
lassen.

Auszug aus den Erwägungen:

              Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- Nach Art. 54 WHG gelten für den Betrieb von Automaten
die Bestimmungen des Ruhetagsgesetzes, das in Art. 11 und 18 die
Ladenöffnungszeiten regelt. Entgegen dem Einwand des Beschwerdeführers,
es sei damit lediglich das Nachfüllen der Automaten nach Ladenschluss
verboten worden, hat der Regierungsrat entschieden, die genannten
Vorschriften schlössen auch den Verkauf durch Automaten ausserhalb der
Ladenöffnungszeiten aus. Der Beschwerdeführer ficht diese Stellungnahme vor
Bundesgericht nicht an. Mit Recht nicht; denn diese Auslegung entspricht
dem klaren Wortlaut und dem Sinn des Art. 54 WHG, der den "Betrieb"
von Automaten und nicht bloss deren Bedienung den Bestimmungen des
Ruhetagsgesetzes unterstellt.

    Mit der staatsrechtlichen Beschwerde wird nur noch geltend gemacht,
wenn Art. 54 WHG diese Bedeutung habe, so verletze er selbst Art. 31
BV. Das ist vom Staatsgerichtshof frei zu prüfen; geht es doch nicht mehr
um die Auslegung kantonalen Rechts, sondern um die Frage, ob dieses,
so wie es ohne Willkür ausgelegt und angewendet werden kann, gegen die
Bundesverfassung verstosse. Freilich kann Art. 54 WHG selbst nicht mehr
mit der staatsrechtlichen Beschwerde angefochten werden, weil die Frist
dazu längst abgelaufen ist; wohl aber kann seine Verfassungswidrigkeit
noch im Anschluss an jeden einzelnen Anwendungsfall gerügt und verlangt
werden, dass die ihn anwendende Entscheidung deswegen aufgehoben werde
(BGE 84 I 21 Erw. 2 und dort angeführte Urteile).

Erwägung 2

    2.- Art. 31 BV, der die Handels- und Gewerbefreiheit gewährleistet,
behält in Abs. 2 kantonale Bestimmungen über die Ausübung von Handel und
Gewerben sowie deren Besteuerung vor; diese dürfen jedoch ihrerseits den
Grundsatz der Handels- und Gewerbefreiheit nicht beeinträchtigen. Gleich
wie lit. e des früheren Art. 31 BV gestattet dieser Verfassungssatz
den Kantonen, gewerbepolizeiliche Massnahmen zu ergreifen, d.h. die
Ausübung von Handel und Gewerben aus polizeilichen Gründen, zum Schutze
der öffentlichen Ordnung, Ruhe, Sicherheit, Gesundheit und Sittlichkeit
sowie von Treu und Glauben im Geschäftsverkehr einzuschränken. Diese
Einschränkungen dürfen aber nicht über das hinausgehen, was erforderlich
ist, um den Zweck zu erreichen, durch den sie gedeckt sind. Überschreiten
sie diese Grenze, so verstossen sie gegen Art. 31 BV (BGE 73 I 99/100
und dort angeführte Urteile).

    Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts sind Vorschriften über den
abendlichen Ladenschluss und über Ruhetage mit dem Grundsatz der Handels-
und Gewerbefreiheit vereinbar. Es handelt sich um eine polizeiliche
Massnahme, welche die öffentliche Ordnung schützt und dem Ladenpersonal
eine angemessene Freizeit verschafft, also der öffentlichen Gesundheit
dient (BGE 70 I 3, 73 I 99 und dort angeführte Urteile). Soweit sich
Art. 11 und 18 des schaffhausischen Ruhetagsgesetzes auf das Offenhalten
von Ladengeschäften und die Belieferung von Kunden beziehen, steht denn
auch ihre Verfassungsmässigkeit nicht in Frage. Unbestrittenermassen hält
ferner das sich schon aus diesen Bestimmungen ergebende Verbot, Automaten
ausserhalb der Ladenöffnungszeiten nachzufüllen (und zu unterhalten),
vor Art. 31 BV stand.

    Zu prüfen ist dagegen, ob es diesem Verfassungssatz entspreche,
wenn Art. 54 WHG auch den eigentlichen Betrieb der Warenautomaten
der Ladenschlussregelung unterstellt. Von den genannten, durch
Art. 11 und 18 des Ruhetagsgesetzes erfassten Ausnahmen abgesehen,
bedürfen Automaten keiner Wartung; ihr Betrieb ist insofern unabhängig
vom Arbeitseinsatz des Halters und seiner Angestellten. Wird die
Betriebsdauer eingeschränkt, so lässt sich damit für niemanden eine
Verkürzung der Arbeitszeit erreichen. Art. 54 W.HG gewährt daher an und
für sich der öffentlichen Gesundheit keinen Schutz. Nach Auffassung der
kantonalen Instanzen dient er indes in Verbindung mit den Bestimmungen des
Ruhetagsgesetzes doch mittelbar diesem Zwecke. Dass sich die Einhaltung
der Ladenschlussvorschriften dieses Gesetzes nur dann erzwingen
oder wirksam überwachen lasse (BGE 49 I 231, 70 I 4), wenn auch die
Automaten lediglich während der Ladenöffnungszeiten in Betrieb stehen,
behauptet der Regierungsrat allerdings nicht. Seiner Ansicht nach geht es
vielmehr darum, die Kaufleute, die sich an die Ladenschlussvorschriften zu
halten haben, vor "ungerechtfertigter Konkurrenz" seitens der Halter von
Automaten zu schützen und so den Gewerbegenossen die Gleichberechtigung
zu gewährleisten.

    In dem vom Regierungsrat in diesem Zusammenhang angerufenen Urteil
BGE 73 I 99 ff. wurde die Frage, ob allen Ladeninhabern einer Gemeinde
vorgeschrieben werden dürfe, am selben Wochennachmittag zu schliessen,
um dem Personal einen freien Halbtag zu verschaffen, mit der Begründung
bejaht, viele kleine Geschäfte könnten ihren Angestellten nicht frei
geben, ohne den Laden zu schliessen, während die grossen Unternehmen nicht
dazu gezwungen seien; eine Benachteiligung der kleinen Betriebe lasse
sich einzig vermeiden, wenn sämtliche Geschäfte am gleichen Nachmittag
schliessen müssten; der angestrebte Schutz des Ladenpersonals lasse sich
deshalb nicht ohne diese Massnahme verwirklichen. Diesem Entscheid liegt
die Erwägung zugrunde, die schon rein tatsächlich bestehende Ungleichheit
der Konkurrenzbedingungen von Gross- und Kleinbetrieben dürfe nicht durch
polizeiliche Anordnungen noch verschärft werden; um eine derartige Störung
des Wettbewerbs zu vermeiden. müsse der Staat unter Umständen tiefer in
die freie Gewerbetätigkeit eingreifen, als dies an sich zur Erreichung
des unmittelbar angestrebten Zwecks erforderlich wäre.

    Ob diese Weiterentwicklung des Grundsatzes der Verhältnismässigkeit
der polizeilichen Eingriffe den dagegen erhobenen Einwendungen
(ZbJV 85 S. 54) standhalte, kann offen bleiben, da sich die in BGE
73 I 99 ff. beantworteten Fragen hier nicht stellen. Während es dem
Inhaber eines kleinen Ladengeschäfts nicht ohne weiteres möglich ist,
zusätzliches Personal einzustellen, um die Angestellten zu ersetzen,
denen der staatlich vorgeschriebene freie Halbtag gewährt werden muss
(BGE 73 I 100), steht die Übernahme eines Automaten in den hiefür in
Betracht fallenden Geschäftszweigen (Lebensmittel-, Kurzwaren-, Rauchwaren,
Ansichtskartenhandel usw.) praktisch jedem Unternehmer und vor allem auch
den Inhabern kleiner Ladengeschäfte offen; wird die Ladenöffnungszeit
kürzer angesetzt als die Betriebsdauer der Automaten, so wirkt sich
das mithin, zum mindesten virtuell, auf alle in gleicher Weise aus. Im
Gegensatz zu dem in BGE 73 I 99 ff. beurteilten Falle braucht hier
demgemäss nicht dafür gesorgt zu werden, dass eine gewerbepolizeiliche
Einschränkung nicht einen Teil der Gewerbegenossen infolge besonderer
wirtschaftlicher Voraussetzungen in einseitiger Weise benachteilige. Die
Berufung auf das angeführte Urteil und den Grundsatz der Gleichbehandlung
der Gewerbegenossen geht daher fehl.

    Die Anwendung der Ladenschlussvorschriften auf den Betrieb von
Automaten liesse sich demnach höchstens aus Gründen der öffentlichen Ruhe
und Ordnung in Erwägung ziehen. Dass die Nachtruhe durch den Betrieb eines
Automaten beeinträchtigt werden könnte, ist nicht anzunehmen. Denkbar
ist hingegen, dass ein Verkauf durch Automaten an Sonntagen und hohen
kirchlichen Feiertagen, namentlich zur Zeit des Gottesdienstes und in der
Nähe von Kirchen, als Störung der Sonntags- und Feiertagsruhe empfunden
werden könnte (vgl. BGE 50 I 176/177, 54 I 369; SALIS, Bundesrecht,
2. Aufl., Nr. 776 II, 984, 1010-1015). Ob dies zutreffe, hängt weitgehend
von den örtlichen Gepflogenheiten ab. Die kantonalen Instanzen haben in
dieser Hinsicht jedoch nichts vorgebracht, was die getroffene Regelung
zu stützen vermöchte.

    Die in Art. 54 WHG angeordnete Ausdehnung der Ladenschlussvorschriften
auf den Betrieb von Automaten wird somit auch in Berücksichtigung
des Grundsatzes der Gleichbehandlung der Gewerbegenossen nicht durch
polizeiliche Gründe gerechtfertigt. Sie beeinträchtigt daher die in
Art. 31 BV gewährleistete Handels- und Gewerbefreiheit.

Erwägung 3

    3.- Da der angefochtene Entscheid in Anwendung einer
verfassungswidrigen Bestimmung ergangen ist, verstösst er selbst gegen
die Verfassung; er ist deshalb aufzuheben. Darin erschöpft sich indes
der Schutz der Beschwerde nicht. Gemäss ständiger Rechtsprechung kann
vielmehr das Bundesgericht die kantonale Behörde anweisen, eine zu Unrecht
verweigerte Polizeierlaubnis zu erteilen (BGE 82 I 111 Erw. 6). Das
rechtfertigt sich auch hier. Wie der Regierungsrat festgestellt hat, hat
der Bürger ein Recht auf die Bewilligung des Betriebs eines Automaten,
wenn der Ausübung dieser Tätigkeit kein polizeiliches Hindernis im Wege
steht. Die kantonalen Instanzen haben in bau- und strassenpolizeilicher
Beziehung nichts gegen die Erstellung des Automaten eingewendet; sie
haben die Auswahl der feilgebotenen Waren nicht beanstandet. Der Betrieb
des Automaten ist denn auch grundsätzlich erlaubt und nur in zeitlicher
Hinsicht Einschränkungen unterworfen worden. Wie dargelegt, hält diese
Auflage (soweit sie nicht nur die Bedienung der Automaten betrifft) vor der
Verfassung nicht stand. Die kantonalen Behörden sind daher anzuweisen, die
nachgesuchte Bewilligung ohne die angefochtene Einschränkung zu erteilen.

Entscheid:

               Demnach erkennt das Bundesgericht:

    Die Beschwerde wird gutgeheissen, der Entscheid des Regierungsrates
des Kantons Schaffhausen vom 17. Dezember 1957 wird aufgehoben, und der
Regierungsrat wird angewiesen, die nachgesuchte Bewilligung im Sinne der
Erwägungen zu erteilen.