Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 84 IV 8



84 IV 8

4. Urteil des Kassationshofes vom 14. Februar 1958 i.S. Bächtiger gegen
Staatsanwaltschaft des Kantons Basel-Stadt. Regeste

    Art. 67 StGB. Rückfall liegt auch vor, wenn die frühere Zuchthaus-
oder Gefängnisstrafe nicht vollstreckt, jedoch durch Anrechnung der
Untersuchungshaft ganz oder teilweise als getilgt erklärt worden ist.

Sachverhalt

    A.- Am 18. Juni 1951 wurde Bächtiger vom Obergericht des Kantons
Zürich wegen wiederholten und fortgesetzten Betruges zu einem Jahr und
sechs Monaten Gefängnis verurteilt. Auf die Freiheitsstrafe wurden 379
Tage Sicherheitshaft angerechnet. Den Rest der Strafe verbüsste Bächtiger
aus Gesundheitsgründen erst im Jahre 1956.

    B.- Von 1952 bis 1954 beging Bächtiger eine Reihe von
Betrugshandlungen, Urkundenfälschungen und zahlreiche Sittlichkeitsdelikte.
Das Appellationsgericht des Kantons Basel-Stadt verurteilte ihn deswegen
am 16. Oktober 1957 zu zehn Jahren Zuchthaus und zu fünf Jahren Einstellung
in der bürgerlichen Ehrenfähigkeit. Dabei wendete es mit Rücksicht auf die
Anrechnung der Untersuchungshaft im früheren Urteil die Rückfallsbestimmung
des Art. 67 Ziff. 1 StGB an.

    C.- Bächtiger macht mit der Nichtigkeitsbeschwerde geltend, das
angefochtene Urteil verletze die Bestimmung über den Rückfall, welche
eine Strafverbüssung voraussetze; dieser könne die Anrechnung der
Untersuchungshaft nicht gleichgestellt werden.

Auszug aus den Erwägungen:

              Der Kassationshof zieht in Erwägung:

    Nach Art. 67 StGB liegt Rückfall vor, wenn der Täter zu Zuchthaus
oder Gefängnis verurteilt wird und zur Zeit der Tat noch nicht fünf Jahre
vergangen sind, seit er eine Zuchthaus- oder Gefängnisstrafe ganz oder
teilweise verbüsst hat.

    Die Anrechnung der Untersuchungshaft gemäss Art. 69 StGB bedeutet
nach ständiger Rechtsprechung, dass die Strafe in dem Umfang, in dem
die angerechnete Untersuchungshaft gedauert hat, als getilgt gilt und
nur noch für den allenfalls nicht erstandenen Teil zu vollstrecken ist
(BGE 68 IV 103; 69 IV 52/53, 152; 73 IV 10; 81 IV 211). Der angerechneten
Untersuchungshaft wird mit anderen Worten die rechtliche Wirkung der
Strafvollstreckung beigelegt. Insoweit ist die Untersuchungshaft einer
verbüssten Strafe rechtlich gleichgestellt. In der Tat wird niemand im
Ernst behaupten, dass derjenige, dem die Untersuchungshaft so angerechnet
worden ist, dass nichts mehr zu vollstrecken ist, die Strafe nicht verbüsst
habe. Vernünftigerweise kann nicht das Gegenteil gelten, wenn nach
Anrechnung der Untersuchungshaft ein Teil der Strafe noch zu verbüssen
bleibt. Die gesetzliche Bedeutung der Anrechnung der Untersuchungshaft
bleibt die gleiche, auch wenn sie sich zum Nachteil des Verurteilten
auswirkt. Daher muss notwendig Rückfall angenommen werden, falls er vor
der Vollstreckung des durch die Anrechnung der Untersuchungshaft nicht
getilgten Strafteils die Voraussetzungen des Art. 67 StGB erfüllt (HAFTER,
Allg. Teil S. 370; LOGOZ N. 3 A lit. b zu Art. 67 StGB).

    Dieser Auffassung steht nicht entgegen, dass im Falle der Verurteilung
mit bedingtem Strafvollzug die Anrechnung der Untersuchungshaft nicht als
Strafverbüssung gilt, auch nicht, wenn die Dauer der Untersuchungshaft
der verhängten Strafe gleichkommt. Wird einem Verurteilten, dem die
Untersuchungshaft angerechnet wird, der bedingte Strafaufschub zugebilligt,
so bezieht sich die Massnahme auf die ganze ausgesprochene Strafe und
nicht bloss auf den allenfalls noch zu verbüssenden Strafrest. Die Wirkung
der Anrechnung tritt somit nicht schon mit der Rechtskraft des Urteils
ein, sondern erst, wenn der bedingte Strafvollzug wegen Nichtbewährung
widerrufen wird (BGE 81 IV 211).

    Die vom Beschwerdeführer aufgeworfene Frage, wie es sich verhalte,
wenn die Untersuchungshaft nicht angerechnet werde, stellt sich nur soweit,
als sie für den vorliegenden Fall Bedeutung hat. Gewiss kann der Eindruck,
den die Untersuchungshaft beim Verurteilten hinterlässt, der gleiche sein,
ob sie angerechnet wird oder nicht, und es kann als störend empfunden
werden, dass derjenige, der die Nichtanrechnung selber verschuldet,
besser gestellt sein soll als der andere, dem die Untersuchungshaft
als Strafverbüssung angerechnet wird. Diese Überlegung führt aber nicht
zwingend dazu, die Fälle der Anrechnung und der Nichtanrechnung einander
gleichzusetzen, und vor allem folgt daraus nichts Entscheidendes gegen
den Grundsatz, dass die Strafe, soweit die Untersuchungshaft angerechnet
wird, als verbüsst zu gelten hat. Es kann nicht übersehen werden, dass
der Grund dieser Wirkung nicht in der Untersuchungshaft als solcher
liegt, sondern im Urteil des Richters, der aus Billigkeitserwägungen die
ausgefällte Strafe als durch die erlittene Untersuchungshaft getilgt
erklärt. Insofern besteht zwischen Anrechnung und Nichtanrechnung ein
wesentlicher Unterschied, der sich auch beim Verurteilten dahin auswirkt,
dass ihm im Falle der Anrechnung durch den Urteilsspruch eindrücklich
zum Bewusstsein gebracht wird, dass die ausgestandene Untersuchungshaft
Strafe war und dass er fortan als vorbestraft gilt, gleichgültig, wann
der Rest der Strafe vollzogen wird. Begeht er trotz dieser Mahnung
ein Verbrechen oder Vergehen, ehe der Strafrest verbüsst wird, so
hat er die dann für ihn nachteilige Wirkung der Anrechnung sich selber
zuzuschreiben. In gleicher Weise kann auch der Erlass durch Begnadigung,
welcher der Verbüssung gleichgestellt ist (Art. 67 Ziff. 1 Abs. 2 StGB),
dem Verurteilten nachträglich zum Nachteil werden.

Entscheid:

               Demnach erkennt der Kassationshof:

    Die Nichtigkeitsbeschwerde wird abgewiesen.