Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 84 IV 73



84 IV 73

23. Urteil des Kassationshofes vom 25. April 1958 i.S. Kläsi gegen
Schweizerische Bundesanwaltschaft. Regeste

    1. Art. 113 Abs. 3 BV.

    Frage der Gesetzmässigkeit einer Verordnung des Bundesrates,
die sich.. auf eine in einem Bundesgesetz erteilte Delegation stützt;
Überprüfungsbefugnis des Bundesgerichtes (Erw. II, 1).

    2. Art. 104 Abs. 2 LMV.

    a)  Verbot der Bezeichnung "zum Brotaufstrich" für Margarine und
andere streichfähige Speisefette (Erw. I);

    b)  Gesetzmässigkeit des Verbotes verneint, soweit es sich auf das
Speisefett "Nussa" bezieht (Erw. II, 2-3).

Sachverhalt

    A.- Die Nuxo-Werk A.-G., deren verantwortlicher Leiter Kläsi ist,
stellt unter anderem das Speisefett "Nussa" her. Am 28. Februar 1956
erstattete das Kantonale Laboratorium St. Gallen auf Grund eines
Reklameprospektes der genannten Firma gegen Kläsi Strafanzeige wegen
Übertretung der eidgenössischen Verordnung vom 26. Mai 1936 über den
Verkehr mit Lebensmitteln und Gebrauchsgegenständen (LMV). Es warf ihm
vor, einerseits das Publikum über die Zusammensetzung des Nussa-Fettes
irregeführt (Art. 13, 15 und 18 LMV) und anderseits dieses Produkt entgegen
der Vorschrift des Art. 104 Abs. 2 der Verordnung als Brotaufstrich
angepriesen zu haben.

    B.- Das Kantonsgericht des Kantons St. Gallen verurteilte Kläsi
am 8. Januar 1958 wegen Widerhandlung gegen Art. 13 Abs. 1 und 2 sowie
Art. 104 Abs. 2 LMV zu einer bedingt löschbaren Busse von Fr. 500.--.

    C.- Kläsi ficht mit der Nichtigkeitsbeschwerde das Urteil des
Kantonsgerichtes insoweit an, als es ihn wegen Übertretung von Art. 104
Abs. 2 LMV bestrafte. Er macht geltend, das Speisefett "Nussa" sei keine
Margarine und falle daher nicht unter diese Bestimmung. Auch bestreitet
er die Gesetzmässigkeit von Art. 104 Abs. 2 LMV.

    D.- Die Schweizerische Bundesanwaltschaft beantragt Abweisung der
Beschwerde.

Auszug aus den Erwägungen:

              Der Kassationshof zieht in Erwägung:

    I. - Für Margarine und andere streichfähige Speisefette sind
Qualitätsbezeichungen, wie Tafel-, Dessert-, Delikatess- usw., ebenso
Bezeichnungen, die, wie "Streichmargarine", "zum Brotaufstrich" usw.,
auf die Verwendungsmöglichkeit von Margarine an Stelle von Butter zum
Brotaufstrich hinweisen, verboten (Art. 104 Abs. 2 LMV).

    Der Umstand, dass die beispielsweise angeführten Bezeichungen
"Streichmargarine" und "zum Brotaufstrich" teils an sich, jedenfalls aber
nach dem Wortlaut des Nachsatzes bloss auf Margarine Bezug nehmen, besagt
keineswegs, dass andere Butterersatzfette vom Verbot dieser Bezeichnungen
ausgenommen seien. Dagegen spräche schon der Eingang der genannten
Bestimmung, der ausdrücklich neben der Margarine "andere streichfähige
Speisefette" erwähnt und damit zugleich zum Ausdruck bringt, dass die
Margarine selber zu diesen Fetten zählt. Zudem wären keine sachlichen
Gründe ersichtlich, unter dem Gesichtspunkt der öffentlichen Gesundheit
und des Schutzes des Publikums gegen Täuschungen im Verkehr Margarine und
andere Butterersatzfette zwar mit Bezug auf die Qualitätsbezeichnungen
"Tafel-, Dessert-, Delikatess- usw." gleich, hinsichtlich der Bezeichnung
"als Brotaufstrich" aber unterschiedlich zu behandeln. Daran ändert auch
nichts, dass Art. 104 Abs. 2 LMV unter dem Titel "Margarine" eingeordnet
ist. Massgebend ist in erster Linie die Gesetzesbestimmung selber, nicht
der Titel. Dieser gibt nur eine allgemeine Bezeichnung der Tatbestände,
die er umfasst (BGE 74 IV 208).

    Das von der Nuxo-Werk A.-G. hergestellte Nussa-Fett unterscheidet sich
zwar nach der verbindlichen Feststellung der Vorinstanz von der Margarine,
stellt aber unbestrittenermassen ein anderes streichfähiges Speisefett dar.
Der Einwand des Beschwerdeführers, Art. 104 Abs. 2 LMV sei auf das Fett
"Nussa" nicht anwendbar und verbiete daher nicht, dieses Produkt als
Brotaufstrich anzupreisen, trifft somit nicht zu.

    II. - Kläsi macht geltend, Art. 104 Abs. 2 LMV entbehre in dem Masse
der gesetzlichen Grundlage, als er die Bezeichnung "zum Brotaufstrich"
für das Nussa-Fett verbiete.

Erwägung 1

    1.- Die Rüge unterliegt der Prüfung durch den Richter. Dieser ist
zwar an die von der Bundesversammlung erlassenen Gesetze und allgemein
verbindlichen Bundesbeschlüsse gebunden (Art. 113 Abs. 3 BV) und hat
daher bei Verordnungen, die der Bundesrat auf Grund einer von den
eidgenössischen Räten in einem Gesetz erteilten Delegation erlässt,
über die Verfassungsmässigkeit der Delegation nicht zu befinden. Dagegen
hat er zu überprüfen, ob der bundesrätliche Erlass sich im Rahmen der
Ermächtigung hält (BGE 81 I 371, 82 I 27).

    Diese Befugnis beschlägt in erster Linie die Frage, ob die
Verordnungsvorschriften den von der Delegationsnorm verfolgten Zweck
objektiv überhaupt erreichen können (BGE 61 I 369; 64 I 222, 369; 68 II
95). Dagegen hat sich der Richter nicht darüber auszusprechen, ob der
eingeschlagene Weg auch der zur Erreichung des Zweckes geeignetste sei,
noch ist zu prüfen, von welchen Überlegungen und Beweggründen sich der
Bundesrat bei Erlass der Verordnung leiten liess. Etwas anderes wollte
weder in BGE 75 IV 79 noch in BGE 76 IV 290 gesagt werden, wenn darin
ausgeführt wurde, der Richter habe zu untersuchen, ob der Bundesrat mit
den von ihm erlassenen Vorschriften den in der Delegationsnorm genannten
Zweck habe verfolgen wollen. Dieser Hinweis hatte lediglich den Sinn,
deutlich zu machen, dass es für die Entscheidung der Frage nach der
Gesetzmässigkeit einer Verordnungsvorschrift belanglos sei, in welchem
Masse sich diese zur Erreichung des gesetzten Zieles eigne. Das erhellt
ohne weiteres aus den übrigen Erwägungen der beiden genannten Urteile,
in denen der Kassationshof unter Anführung der bisherigen Rechtsprechung
lediglich prüfte, ob die angefochtenen Bestimmungen objektiv geeignet
waren, überhaupt dem gesetzlichen Zweck zu dienen.

    Wo die Delegationsnorm nicht bloss den Zweck umschreibt, sondern den
Erlass von Verordnungsvorschriften an bestimmte Voraussetzungen knüpft
und die Mittel zur Erreichung des gesetzten Zieles nennt, steht dem
Richter das freie Überprüfungsrecht auch hinsichtlich dieser gesetzlichen
Erfordernisse zu. Dabei versteht sich von selbst, dass der Bundesrat
allgemein in der Auslegung des ihm zustehenden Verordnungsrechtes über
ein gewisses Ermessen verfügen muss.

Erwägung 2

    2.- Im vorliegenden Fall kommt als gesetzliche Grundlage des
Art. 104 Abs. 2 LMV ausschliesslich Art. 54 Abs. 1 des Bundesgesetzes
vom 8. Dezember 1905 betreffend den Verkehr mit Lebensmitteln und
Gebrauchsgegenständen (LMG) in Frage. Diese Bestimmung beauftragt den
Bundesrat, die nötigen Vorschriften zum Schutze der Gesundheit und zur
Verhütung von Täuschung im Verkehr mit Waren und Gegenständen, welche
den Bestimmungen des Lebensmittelgesetzes unterliegen, zu erlassen. Wie
schon in BGE 39 I 412 ausgeführt wurde, wollten damit dem Bundesrat
sehr weitgehende Verordnungskompetenzen eingeräumt werden. Tatsächlich
nennt denn auch die erwähnte Delegationsnorm lediglich den Zweck der zu
ergreifenden Massnahmen, ohne diese selbst von bestimmten Voraussetzungen
abhängig zu machen oder sie nach Art und Umfang zu umschreiben. Zur
Überprüfung der Gesetzmässigkeit von Art. 104 Abs. 2 LMV genügt es
daher zu untersuchen, ob der Bundesrat mit Erlass dieser Bestimmung
sich eines Mittels bediente, das objektiv geeignet ist, den durch die
Delegationsnorm verfolgten Zweck zu erreichen, mit andern Worten, ob
das Verbot, für Margarine und andere streichfähige Fette die Bezeichnung
"zum Brotaufstrich" zu verwenden, überhaupt zum Schutz der öffentlichen
Gesundheit oder zur Verhütung von Täuschung im Verkehr dienen kann. Das
wäre zweifellos der Fall, wenn durch eine derartige Bezeichnung von
Margarine oder Butterersatzfetten die öffentliche Gesundheit gefährdet,
bzw. die Gefahr einer Täuschung im Verkehr geschaffen oder erhöht
würde. Davon kann jedoch, zumindest was das Speisefett "Nussa" anbelangt,
nicht die Rede sein.

    a) Ausser Zweifel steht, dass die Hersteller von Margarine und andern
streichfähigen Fetten mit der Bezeichnung "zum Brotaufstrich" den Absatz
ihrer Produkte fördern wollen. Indessen kann eine unmittelbare Gefahr
für die öffentliche Gesundheit nicht in der Bezeichnung selber, sondern
nur in allfälligen Mängeln der genannten Lebensmittel liegen. Dass das
Fett "Nussa" Mängel habe, die es als gesundheitsschädlich erscheinen
liessen, ist weder behauptet noch aktenmässig belegt. Fragen kann sich
daher bloss, ob die öffentliche Gesundheit durch die Anpreisung von
Butterersatzfetten als Brotaufstrich nicht mittelbar gefährdet werde,
indem durch den vermehrten Absatz von Margarine und andern streichfähigen
Speisefetten der Konsum von Butter als eines möglicherweise höherwertigen
Produktes vermindert werde. Das wäre wohl zu bejahen, wenn die Butter
nicht durch andere Lebensmittel von gleichem Nährwert ersetzt werden
könnte. Davon kann jedoch unter den heutigen Marktverhältnissen nicht
die Rede sein. Vorausgesetzt, dass die Butterersatzfette weniger nahrhaft
sind als die Butter selber, hat das Publikum die Möglichkeit, sich eine
Menge anderer Lebensmittel zu verschaffen, die geeignet sind, jenen Mangel
auszugleichen. Die Bezeichnung von Margarine und andern streichfähigen
Fetten als Brotaufstrich schafft somit keine Gefahr für die öffentliche
Gesundheit. Ansonst müsste folgerichtig jede Reklame für Butterersatzfette
untersagt werden.

    b) Die Bezeichnung "zum Brotaufstrich" gibt als solche auch zu keiner
Täuschung im Verkehr Anlass. Da die Butter dasjenige Lebensmittel ist,
das in unserem Lande in erster Linie als Brotaufstrich Verwendung findet
und daher allgemein als solches bekannt ist, ist nicht anzunehmen, das
Publikum werde alle streichfähigen Lebensmittel für Butter halten. Vielmehr
unterscheidet jede Hausfrau ohne weiteres zwischen Butter und andern
Brotaufstrichen, beispielsweise den Produkten "Cenovis", "Pain Bell"
usw. Nicht anders verhält es sich mit den streichfähigen Speisefetten,
soweit diese hinsichtlich Farbe und Konsistenz von der Butter
abweichen. Bei Lebensmitteln dieser Art genügt somit die Bezeichnung
"zum Brotaufstrich" für sich allein noch nicht, um eine Täuschung im
Verkehr herbeizuführen. Sie kann höchstens die durch eine allfällige
Butterähnlichkeit eines streichfähigen Speisefettes begründete Gefahr
der Täuschung des Publikums erhöhen.

    In dem am 12. Oktober 1927 i.S. Gesundheitswesen der Stadt Zürich
gegen Kläsi gefällten Urteil hat sich das Bundesgericht bereits mit der
Frage der Butterähnlichkeit des Nussa-Fettes befasst und sie verneint mit
der Begründung, "dass die Nussa, die die Vorinstanz den drei Hausfrauen
zur Begutachtung vorgelegt hat, blassgelblich gewesen ist gleich wie die
eingeklagte Nussa, so zwar, dass sie bei der Aufmerksamkeit, die einer
Hausfrau bei ihren Einkäufen zugemutet werden darf, der Farbe nach, dann
aber auch ihrem Festigkeitszustande nach von der Butter unterschieden
werden konnte... Bei dem Fett, das der Kassationsbeklagte in den Handel
gebracht hat, kann daher von einer Täuschung bewirkenden Butterähnlichkeit
nicht gesprochen werden". Da nach der verbindlichen Annahme des
Kantonsgerichtes die heutige Zusammensetzung des Speisefettes "Nussa"
dieselbe ist wie 1927 und die damalige Würdigung des Bundesgerichtes
weiterhin Bestand hat, vermag die Bezeichnung "zum Brotaufstrich"
jedenfalls hinsichtlich des vom Beschwerdeführer produzierten Speisefettes
keine Täuschung im Verkehr zu bewirken.

Erwägung 3

    3.- Das Verbot des Art. 104 Abs. 2 LMV, Margarine und andere
streichfähige Speisefette als Brotaufstrich anzupreisen, ist daher
zumindest insoweit, als es sich auf das Fett "Nussa" bezieht, weder
zum Schutz der öffentlichen Gesundheit noch zur Verhütung von Täuschung
im Verkehr geeignet. Wird es aber durch keinen der in Art. 54 Abs. 1
LMG umschriebenen Zwecke gedeckt, so entbehrt es der gesetzlichen
Grundlage. Kläsi wurde daher zu Unrecht wegen Übertretung von Art. 104
Abs. 2 LMV bestraft.

Entscheid:

               Demnach erkennt der Kassationshof:

    Die Nichtigkeitsbeschwerde wird gutgeheissen, das Urteil des
Kantonsgerichtes des Kantons St. Gallen vom 8. Januar 1958 aufgehoben und
die Sache zu neuer Entscheidung im Sinne der Erwägungen an die Vorinstanz
zurückgewiesen.