Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 84 IV 60



84 IV 60

20. Urteil des Kassationshofes vom 20. Juni 1958 i.S. Staatsanwaltschaft
des Kantons Basel-Landschaft gegen Poschung. Regeste

    Art. 49 Abs. 3 MFV. Aufstellen eines Motorfahrzeuges an einer
engen Strassenstelle; Wirkung des Parkverbotes auch ohne entsprechende
Signalisation (Erw. 1).

    Art. 117, 125 Abs. 2, 237 Ziff. 2 StGB. Rechtserheblicher
Kausalzusammenhang bei Mitverschulden; Unterbrechung der Ursachenfolge
verneint (Erw. 3).

Sachverhalt

    A.- Am 24. November 1955, gegen 15.00 Uhr, steuerte Poschung einen
Lastwagen auf der über den Oberen Hauenstein führenden Strasse bergwärts
durch die Ortschaft Langenbruck. Beim Hotel Bären, wo sich die Fahrbahn
in einer leichten Biegung auf 5,65 m verengt, hielt er rechts an, um
einige Kisten Wein abzuladen. Während er mit seinem Mitfahrer im Keller
des besagten Hotels die Weinflaschen auspackte, näherte sich ebenfalls
von Balsthal her ein von Hugi geführter Lastenzug. Beim Engpass bog Hugi
wegen des dort aufgestellten Fahrzeuges nach links aus, um auf der noch
freien Fahrbahnhälfte das Hindernis zu umfahren. Als er sich bereits
auf dessen Höhe befand, kam ihm Wyler mit seinem VW-Bus entgegen. Da
feuchter, mit Regen vermischter Schnee fiel und die Strasse nass war,
konnte Wyler bei der von ihm eingehaltenen Geschwindigkeit von mindestens
60 km/Std. nicht mehr rechtzeitig anhalten und fuhr frontal in den von
Hugi inzwischen zum Stillstand gebrachten Lastenzug hinein. Infolge
des heftigen Anpralls wurden Wyler und seine Mitinsassen Robellaz und
Stefanowitsch schwer verletzt, während Marquès, der neben Wyler sass,
aus dem Wagen geschleudert und getötet wurde.

    B.- Der Ausschuss des Strafgerichtes des Kantons Basel-Landschaft
verurteilte am 27. Juni 1957 Wyler wegen fahrlässiger Tötung, fahrlässiger
schwerer Körperverletzung und fahrlässiger Störung des öffentlichen
Verkehrs zu einer bedingt aufgeschobenen Freiheitsstrafe von drei Monaten
Gefängnis und Fr. 300.-- Busse. Poschung wurde wegen derselben Vergehen
mit Fr. 200.-- gebüsst.

    In Abänderung dieses Urteils sprach das Obergericht des Kantons
Basel-Landschaft Poschung am 13. Dezember 1957 von Schuld und Strafe
frei. Es nahm an, der Angeklagte habe zwar Art. 49 Abs. 3 MFV verletzt,
indem er an einer engen Strassenstelle stationiert habe. Es fehle jedoch
am rechtserheblichen Kausalzusammenhang zwischen dieser übrigens verjährten
Übertretung und den schweren Unfallfolgen.

    C.- Die Staatsanwaltschaft des Kantons Basel-Landschaft führt
Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag, das Urteil des Obergerichtes sei
aufzuheben und die Sache zur Bestrafung Poschungs wegen fahrrlässiger
Tötung, fahrlässiger schwerer Körperverletzung und fahrlässiger Störung
des öffentlichen Verkehrs an die Vorinstanz zurückzuweisen.

    D.- Poschung beantragt Abweisung der Beschwerde.

Auszug aus den Erwägungen:

              Der Kassationshof zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- Nach Art. 49 Abs. 3 MFV dürfen Motorfahrzeuge an engen
Strassenstellen nicht aufgestellt werden. Der Grund des Verbotes liegt,
wie sich aus dem Zusammenhang dieser Bestimmung mit Abs. 2 ergibt, darin,
dass ein solcherweise stationiertes Fahrzeug den Verkehr stört, indem es
für ihn ein erhebliches Hindernis darstellt, das trotz der den anderen
Strassenbenützern zuzumutenden Aufmerksamkeit zu Unfällen Anlass geben
kann oder andere in besonderem Masse hindert, ihren Weg fortzusetzen
(vgl. BGE 77 IV 120, 81 IV 297).

    Unbestritten ist, dass der Beschwerdegegner seinen Lastwagen auf der
durch Langenbruck führenden Hauensteinstrasse in einem Engpass aufgestellt
hat, der durch die beidseits unmittelbar an die Fahrrbahn gebauten Häuser
gebildet wird. Dadurch wurde die eine Hälfte der nach dem Polizeirapport
vom 29. November 1955 an dieser Stelle samt der seitlichen Rinne bloss
5,65 m breiten Strasse völlig gesperrt und der dem Verkehr zur Verfügung
stehende Raum insoweit eingeengt, dass jeweils nur ein Fahrzeug den Engpass
durchfahren konnte. Zieht man in Betracht, dass es sich bei der fraglichen
Verkehrsader um die vielbefahrene Hauptstrasse Basel-Bern handelt und
die Strecke, auf der der Beschwerdegegner während ungefähr 20 Minuten
parkierte, innerorts liegt, wo erfahrungsgemäss der Betrieb auf der Strasse
durch das Zusammentreffen von Durchgangs- und Ortsverkehr noch erhöht wird,
so kann kein Zweifel darüber aufkommen, dass der Lastwagen Poschungs ein
erhebliches Hindernis im Sinne der angeführten Rechtsprechung bildete und
somit verbotswidrig aufgestellt war. Daran ändert nichts, dass sich beim
Hotel Bären keine Parkverbotstafel befand und die Stelle "knapp ausserhalb"
der Strecke lag, in deren Bereich das Stationieren von Fahrzeugen in den
Jahren 1947 bis 1949 als unzulässig signalisiert war. Das in Art. 49 Abs. 3
MFV normierte Verbot wirkt, ohne dass es der Aufstellung entsprechender
Verkehrszeichen bedarf. Tatsächlich musste sich im vorliegenden Fall jedem
vorsichtigen Automobilisten unvermittelt die Einsicht aufdrängen, dass an
einem solchen Orte nicht parkiert werden darf. Darin liegt offenbar auch
der Grund, warum seinerzeit an der vom Lastwagen des Beschwerdegegners
belegten Stelle, welche die erste Instanz als die schmalste des Engpasses
bezeichnet, keine Verbotstafel angebracht und bloss die davor liegende
breitere Strassenstrecke, bei welcher der Motorfahrzeugführer über die
Zulässigkeit des Parkierens im Zweifel sein konnte, signalisiert wurde.

    Unter diesen Umständen bestand für Poschung, der übrigens selber
nicht geltend macht, die frühere Verkehrslage gekannt zu haben, auch
kein zureichender Anlass, sich zum Parkieren an der engen Strassenstelle
für berechtigt zu halten (Art. 20 StGB). Der Vorwurf, Art. 49 Abs. 3 MFV
übertreten zu haben, trifft ihn somit zu Recht; dies umso mehr, als er den
Lastwagen kaum 20 m weiter vorne auf einem Parrkplatz hätte aufstellen
können, und es ihm zuzumuten gewesen wäre, die vier für das Hotel Bären
bestimmten Harassen Wein auf dem ihm zur Verfügung gestellten Handwagen
auch über diese zusätzliche kurze Strecke ums Haus herumzuführen.

Erwägung 2

    2.- Hat demnach Poschung gegen Art. 49 Abs. 3 MFV verstossen, so
fällt ihm Fahrlässigkeit im Sinne von Art. 18 Abs. 3 StGB zur Last. Er
hat die Folgen seines Verhaltens nicht bedacht, weil er es an der nach
den Umständen und seinen persönlichen Verhältnissen gebotenen Vorsicht
fehlen liess.

Erwägung 3

    3.- Nach dem erstinstanzlichen Urteil steht das verkehrswidrige
Verhalten Poschungs in ursächlichem Zusammenhang sowohl mit der konkreten
Gefährdung der Wageninsassen des Lastenzuges Hugi als auch mit dem
Tod von Marquès und den schweren Körperverletzungen, welche Wyler,
Robellaz und Stefanowitsch erlitten haben. Diese auch vom Obergericht
nicht widerlegte Feststellung bindet den Kassationshof, soweit sie den
natürlichen Kausalzusammenhang betrifft (Art. 277bis Abs. 1 BStP). Zu
bejahen ist aber auch die Rechtserheblichkeit der Ursachenfolge. Das
vorschriftswidrige Parkieren des Beschwerdegegners war nach der Erfahrung
des Lebens und dem gewöhnlichen Lauf der Dinge geeignet, zum tatsächlich
eingetretenen Erfolg zu führen. Denn die Missachtung von Art. 49
Abs. 3 MFV, der gerade dazu bestimmt ist, Zusammenstösse zwischen
Fahrzeugen zu verhüten, schloss unter den obwaltenden Umständen die
Gefahr einer Kollision in sich. Das bestreitet im Grunde genommen auch
die Vorinstanz nicht. Sie nimmt jedoch an, der Kausalzusammenhang sei
durch das schuldhafte Verhalten Wylers unterbrochen worden. Davon könnte
indessen nur die Rede sein, wenn die von diesem gesetzte Mitursache
einem derart unsinnigen Verhalten zuzuschreiben wäre, dass nach dem
gewöhnlichen Lauf der Dinge damit schlechthin nicht hätte gerechnet
werden müssen (BGE 68 IV 19, 77 IV 181, 83 IV 38). Das trifft nicht
zu. Die Möglichkeit, dass ein von der Passhöhe des Oberen Hauenstein
herunterkommender Motorfahrzeugführer trotz der schlechten Witterungs-
und Strassenverhältnisse mit übersetzter Geschwindigkeit und unaufmerksam
das Dorf Langenbruck durchquere und infolgedessen mit einem gleichzeitig
in entgegengesetzter Richtung links am Lastwagen des Beschwerdegegners
vorbeifahrenden Auto zusammenstosse, lag sowenig ausserhalb des normalen
Geschehens wie die schweren und zum Teil tödlichen Verletzungen der an der
Kollision beteiligten Personen. Dabei ist ohne Belang, ob vorauszusehen
war, dass sich die Ereignisse bis in alle Einzelheiten genau so abwickeln
würden, wie sie sich tatsächlich abgewickelt haben (BGE 73 IV 232). Auch
ist zur Annahme des rechtserheblichen Kausalzusammenhanges nicht
erforderlich, dass die Pflichtwidrigkeit des Täters die alleinige und
unmittelbare Ursache des Erfolges sei (BGE 83 IV 18). Es genügt, dass
sein Verhalten nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge zu den tatsächlich
eingetretenen Folgen führen konnte. Hiezu aber war, wie bereits ausgeführt,
das schuldhafte Verhalten Poschungs objektiv geeignet. Er hat daher für
den durch sein unzulässiges Parkieren mitverursachten Unfall einzustehen
und ist dementsprechend von der Vorinstanz wegen fahrlässiger Tötung,
fahrlässiger schwerer Körperverletzung und fahrlässiger Störung des
öffentlichen Verkehrs zu bestrafen.

Entscheid:

               Demnach erkennt der Kassationshof:

    Die Nichtigkeitsbeschwerde wird gutgeheissen, das Urteil des
Obergerichtes des Kantons Basel-Landschaft vom 13. Dezember 1957 insoweit
aufgehoben, als es Poschung betrifft, und die Sache zu neuer Entscheidung
im Sinne der Erwägungen an die Vorinstanz zurückgewiesen.