Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 84 IV 36



84 IV 36

13. Urteil des Kassationshofes vom 24. Januar 1958 i.S. Staatsanwaltschaft
des Kantons Aargau gegen Keusch. Regeste

    Art. 11 der Vollziehungsverordnung vom 22. Dezember 1950 zum BG über
die Bekämpfung der Rindertuberkulose hat bloss die Verstellung von Tieren,
nicht auch den Halterwechsel mit Eigentumsübertragung zum Gegenstand.

Sachverhalt

    A.- Nach Art. 9 bis des Bundesratsbeschlusses vom 4. Oktober 1955
über die Abänderung der Vollziehungsverordnung zum Bundesgesetz über die
Bekämpfung der Rindertuberkulose dürfen Tiere der Rindergattung aus nicht
amtlich als tuberkulosefrei erklärten Beständen von den Besitzern nur noch
direkt zur Schlachtung veräussert werden. Die Abgabe zu andern Zwecken
ist verboten. Nach Art. 11 der Vollziehungsverordnung vom 22. Dezember
1950, den Art. 9 bis Abs. 3 des BRB ausdrücklich vorbehält, dürfen Tiere,
die lediglich Reaktionstuberkulose aufweisen, unter sichernden Massnahmen
in Bestände eingestellt werden, deren Verhältnisse vorläufig eine Tilgung
der Tuberkulose noch nicht zulassen. Hierzu ist in allen Fällen die
Bewilligung des Kantonstierarztes am neuen Standort erforderlich.

    B.- Im Frühjahr 1956 kaufte Robert Keusch, Metzger in Mühlau, vom
Viehhändler Fritz Schwegler in Eschenbach eine als Tuberkulosereagent
gekennzeichnete, im Bestand des Franz Dober in Mühlau befindliche Kuh. Er
erwarb das Tier nicht zur Schlachtung, sondern um es zu nutzen. Eine
Bewilligung des Kantonstierarztes wurde nicht eingeholt.

    C.- Am 22. November 1957 sprach das Obergericht des Kantons
Aargau Keusch von der Anklage der Widerhandlung gegen Art. 11 der
Vollziehungsverordnung vom 22. Dezember 1950 zum Bundesgesetz über die
Bekämpfung der Rindertuberkulose (RTubV; AS 1950 II S. 1486) bzw. Art. 9
bis des Bundesratsbeschlusses vom 4. Oktober 1955 über die Abänderung
der Verordnung (AS 1955 S. 845) frei.

    D.- Die Staatsanwaltschaft des Kantons Aargau führt
Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag, das Urteil des Obergerichtes
sei aufzuheben und die Sache zur Bestrafung des Beschwerdegegners wegen
Übertretung von Art. 11 RTubV an die Vorinstanz zurückzuweisen.

Auszug aus den Erwägungen:

              Der Kassationshof zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- Unbestritten ist, dass zur Zeit des vom Beschwerdegegner getätigten
Viehkaufes in der Gemeinde Mühlau das im Sinne des Art. 11 RTubV
kontrollierte "Einstellen" von Tieren, die bloss Reaktionstuberkulose
aufweisen, zulässig war. Zur Entscheidung steht lediglich die Frage, ob
Keusch beim zuständigen Kantonstierarzt eine Bewilligung hätte einholen
müssen.

    Die Staatsanwaltschaft hält dafür, dass Art. 11 RTubV einerseits
Veräusserer und Übernehmer eines Tuberkulosereagenten zur Einholung der
Bewilligung verpflichte und anderseits sowohl für die Verstellung wie
für den Verkauf solcher Tiere gelte.

    Die Frage, ob bei einem Halterwechsel die Pflicht, eine Bewilligung
einzuholen, beiden Parteien obliege, kann dahingestellt bleiben. Denn
entgegen der Auffassung der Staatsanwaltschaft muss es beim angefochtenen
Urteil sein Bewenden haben, weil Art. 11 RTubV bloss die Verstellung,
nicht aber auch den Halterwechsel mit Eigentumsübertragung zum Gegenstand
hat. Das ergibt sich nicht nur aus dem deutschen Gesetzeswortlaut, der
gleich den Art. 302 und 303 OR, die die Viehverstellung regeln, von
"einstellen" spricht, sondern auch aus dem französischen Text, der das
Wort "placer" verwendet, womit im allgemeinen nicht ein Halterwechsel
mit Veräusserung, sondern bloss ein Wechsel des Standortes oder des
tatsächlichen Besitzers bezeichnet zu werden pflegt. Von der gleichen
Auffassung geht offenbar auch die Botschaft des Bundesrates zum Entwurf
eines Bundesgesetzes über die Bekämpfung der Rindertuberkulose vom
26. September 1949 (BBl 1949 II S. 559) aus, wenn sie ausführt, dass
Tiere mit Reaktionstuberkulose, soweit sie noch als wirtschaftlich
erschienen, unter kantonstierärztlicher Überwachung zur Weiternutzung
in tuberkulöse Drittbestände eingestellt werden dürften. Dazu kommt,
dass die Beschränkung des Art. 11 auf den Fall der Verstellung eine
wirksamere Bekämpfung der Rindertuberkulose gewährleistet, als wenn der
Halterwechsel mit Eigentumsübertragung miteinbezogen würde. Nach Art. 9
bis des BRB vom 4. Oktober 1955 ist die Veräusserung von Tieren der
Rindergattung aus nicht amtlich als tuberkulosefrei erklärten Beständen
zu andern Zwecken als zur Schlachtung untersagt. Dieses Verbot würde
in seiner Wirksamkeit beeinträchtigt, wäre mit der Staatsanwaltschaft
anzunehmen, Art. 11 RTubV erfasse sowohl die Verstellung als auch den
Verkauf von kranken Tieren. Denn in diesem Fall könnten, da Art. 9 bis
Abs. 3 BRB ausdrücklich Art. 11 der Verordnung vorbehält, Veräusserungen
von Tuberkulosereagenten auch zu andern Zwecken als zur Schlachtung
bewilligt werden. Dass eine solche Ordnung der Erreichung des gesetzten
Zieles hinderlich wäre, versteht sich von selbst. Demgegenüber ist es
keineswegs widersinnig, zwar die Verstellung von Reagenten zu gestatten,
ihre Veräusserung dagegen zu verbieten. Vielmehr erscheint es sachlich
gerechtfertigt, dem Eigentümer die Weiternutzung von Tieren mit blosser
Reaktionstuberkulose durch die Verstellung in infizierte Drittbestände
zu ermöglichen, ihn dagegen zur Schlachtung der tuberkulösen Tiere zu
verhalten, wenn er sich ihrer entledigen will.

Erwägung 2

    2.- Ist nach dem Gesagten Art. 11 RTubV lediglich auf die Verstellung
von Tuberkulosereagenten anwendbar, so wurde der Beschwerdegegner,
der nicht Einsteller, sondern Käufer war, zu Recht von der Anklage der
Widerhandlung gegen diese Vorschrift freigesprochen. Eine Verletzung des
Art. 9 bis BRB ist nicht gerügt, weswegen die Beschwerde abzuweisen ist.

Entscheid:

               Demnach erkennt der Kassationshof:

    Die Nichtigkeitsbeschwerde wird abgewiesen.