Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 84 IV 137



84 IV 137

40. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 31. Oktober 1958
i.S. Grob gegen Staatsanwaltschaft des Kantons Thurgau. Regeste

    Art. 13 Abs. 1 StGB. Psychiatrische Begutachtung.

    Der Richter hat eine solche nicht nur anzuordnen, wenn er zweifelt,
ob oder in welchem Grade die Zurechnungsfähigkeit des Beschuldigten
herabgesetzt sei, sondern auch dann, wenn Zweifel darüber bestehen, ob und
gegebenenfalls welche der in den Art. 14 ff. StGB vorgesehenen Massnahmen
gegen den unzurechnungsfähigen oder vermindert zurechnungsfähigen Täter
anzuordnen seien.

Sachverhalt

Auszug aus den Erwägungen:

                       Aus den Erwägungen:

    Gemäss Art. 13 Abs. 1 StGB hat der Richter den Geisteszustand des
Beschuldigten durch einen oder mehrere Sachverständige untersuchen
zu lassen, wenn er an der Zurechnungsfähigkeit des Beschuldigten
zweifelt. Im vorliegenden Falle hat die Vorinstanz, ohne eine solche
Untersuchung durchführen zu lassen, angenommen, der Beschwerdeführer
habe die ihm zur Last gelegten Taten im Zustande leicht verminderter
Zurechnungsfähigkeit begangen. Der Verurteilte beanstandet das nicht,
hält Art. 13 Abs. 1 StGB jedoch für verletzt, weil die Vorinstanz, ohne
ein psychiatrisches Gutachten einzuholen, von der Anordnung einer der in
Art. 14 f. vorgesehenen Massnahmen abgesehen habe, obwohl ihr Tatsachen
bekannt gewesen seien, die eine Verwahrung oder Versorgung im Sinne dieser
Bestimmungen nahe gelegt hätten.

    Damit setzt der Beschwerdeführer voraus, dass der Richter nach Art. 13
Abs. 1 StGB nicht nur vorzugehen habe, wenn er zweifelt, ob oder in
welchem Grade die Zurechnungsfähigkeit des Beschuldigten herabgesetzt sei,
sondern auch dann, wenn Zweifel darüber bestehen, ob und gegebenenfalls
welche der in den Art. 14 ff. StGB vorgesehenen Massnahmen gegen den
unzurechnungsfähigen oder vermindert zurechnungsfähigen Täter anzuordnen
seien. Das trifft zu. Zweifel darüber, ob eine dieser Massnahmen angezeigt
sei, werden in der Regel darauf zurück zu führen sein, dass der Richter
im unklaren ist über die Natur oder die Auswirrkungen der Störungen
(Beeinträchtigung der geistigen Gesundheit oder des Bewusstseins, geistig
mangelhafte Entwicklung), welche die Fähigkeit des Beschuldigten, das
Unrecht seiner Tat einzusehen oder gemäss der vorhandenen Einsicht zu
handeln, ausschliessen oder herabsetzen. Diese Zweifel unterscheiden
sich ihrem Wesen nach nicht von jenen, die darüber bestehen, ob der
Beschuldigte an Störungen leide, die sein Unrechtsbewusstsein oder seine
Willensfreiheit im Sinne der Art. 10 und 11 StGB beeinträchtigen. In
beiden Fällen beziehen sich die Zweifel auf den biologisch-psychologischen
Zustand des Beschuldigten, zu deren Abklärung ein fachärztliches Gutachten
über den Geisteszustand ebenso unerlässlich ist, wenn sie im Hinblick auf
die Anwendung der Art. 14 ff. StGB vorzunehmen ist, als wenn von ihr die
Beurteilung der Zurechnungsfähigkeit abhängt. Ist der Richter in diesem
Falle gemäss Art. 13 Abs. 1 StGB zur Anordnung einer psychiatrischen
Begutachtung verpflichtet, so muss er es auch sein, wenn er zweifelt, ob
der Zustand des unzurechnungsfähigen oder vermindert zurechnungsfähigen
Täters die Anordnung einer der Massnahmen der Art. 14 ff. StGB erfordere.
Dass Art. 13 Abs. 1 StGB in diesem Sinne auszulegen ist, ergibt sich
übrigens auch aus Abs. 3. Nach dieser Vorschrift hat der Sachverständige
nicht nur den Zustand des Beschuldigten zu begutachten, sondern sich
auch darüber zu äussern, ob er in eine Heil- oder Pflegeanstalt gehöre,
und ob sein Zustand die öffentliche Sicherheit oder Ordnung gefährde.