Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 84 IV 117



84 IV 117

35. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 27. Juni 1958 i.S. Jost
gegen Cosandey und Generalprokurator des Kantons Bern. Regeste

    Beleuchtung der vom Felde kommenden landwirtschaftlichen
Fuhrwerke. Verhältnis kantonaler Bestimmungen, die sie vorschreiben,
zu Art. 33 Abs. 1 a.E. MFG.

Auszug aus den Erwägungen:

                       Aus den Erwägungen:

    Gemäss § 16 Abs. 1 lit. c der bernischen Verordnung über die
Strassenpolizei und Strassensignalisation vom 31. Dezember 1940 sind
Fuhrwerke zum Verkehr u.a. nur dann zugelassen, wenn sie auf der Rückseite
links mit einer roten oder orangefarbigen Reflexlinse von mindestens 5
cm Durchmesser versehen sind. Der Beschwerdeführer bestreitet nicht,
dass er sich über diese Vorschrift hinweggesetzt hat und dass diese
Widerhandlung eine rechtserhebliche Ursache des Zusammenstosses und damit
der Verletzung des Cosandey wie der Störung des öffentlichen Verkehrs
war. Er macht jedoch geltend, die angeführte Vorschrift widerspreche dem
Art. 33 MFG, sei also bundesrechtswidrig, weshalb ihre Nichtbeachtung
keine Pflichtwidrigkeit im Sinne des Art. 18 Abs. 3 StGB darstelle und
der Beschwerdeführer infolgedessen weder die Verletzung des Cosandey noch
die Störung des öffentlichen Verkehrs schuldhaft verursacht habe.

    Dieser Einwand geht fehl. Die Befugnis zum Erlass von Vorschriften
über den Strassenverkehr steht nicht ausschliesslich dem Bunde zu,
sondern ist zwischen diesem und den Kantonen geteilt. Bundessache ist
gemäss Art. 37bis Abs. 1 BV die Gesetzgebung über den Verkehr mit
Automobilen und Fahrrädern, während die Kompetenz, Vorschriften für
die übrigen Strassenbenützer aufzustellen, grundsätzlich den Kantonen
verblieben ist (Botschaft des Bundesrates, BBl. 1930 S. 851). Das ergibt
sich auch daraus, dass die im Jahre 1927 eingereichte Initiative, welche
durch eine entsprechende Ergänzung des Art. 37bis Abs. 1 BV dem Bunde die
Gesetzgebung für den gesamten Strassenverkehr übertragen wollte, am 12.
Mai 1929 verworfen worden ist. In diese Befugnis der Kantone kann der
Bund nur soweit eingreifen, als es zur richtigen Durchführung der für den
Motorfahrzeug- und Fahrradverkehr aufgestellten Vorschriften notwendig ist.
Anderseits dürfen die von den Kantonen erlassenen Vorschriften für die
anderen Strassenbenützer der bundesrechtlichen Ordnung des Motorfahrzeug-
und Fahrradverkehrs nicht zuwiderlaufen (Botschaft des Bundesrates,
BBl. 1930 S. 867; STREBEL, Kommentar, N. 18 der Einleitung, N. 5 f. zu
Art. 2 - 3).

    Demgemäss stellt das BG über den Motorfahrzeug- und Fahrradverkehr
für die anderen Strassenbenützer keine abschliessende Verkehrsordnung auf,
vielmehr enthält es unter diesem Titel in den Art. 33 - 35 lediglich einige
für die Sicherheit des Motorfahrzeug- und Fahrradverkehrs als unerlässlich
erachtete Mindestanforderungen für die sonstige Benützung der Strassen, die
unter dem oben angeführten Vorbehalt durch kantonale Vorschriften ergänzt
werden können. So sind die Kantone insbesondere befugt, für alle Fahrzeuge,
die weder Automobile noch Fahrräder im Sinne des Art. 37bis Abs. 1 BV
sind, Beleuchtungsvorschriften zu erlassen, die über die in Art. 33 Abs. 1
MFG aufgestellten Grundsätze hinausgehen. Dazu gehört auch die Ausdehnung
der Beleuchtungspflicht auf die vom Felde kommenden landwirtschaftlichen
Fahrzeuge, von der sie gemäss Art. 33 Abs. 1 MFG ausgenommen sind (STREBEL,
aaO N. 1 zu Art. 33; STADLER, Kommentar, N. 7 zu Art. 33; BUSSY, Kommentar,
N. 2 zu Art. 33). Diese Vorzugsbehandlung könnte nach dem Gesagten durch
kantonale Erlasse nur dann weder eingeschränkt noch aufgehoben werden,
wenn sie im Hinblick auf den Motorfahrzeug- und Fahrradverkehr geboten
wäre. Es bedarf keiner Begründung, dass gerade das Gegenteil zutrifft.

    Ist demnach davon auszugehen, dass die Kantone berechtigt sind,
die Beleuchtung der vom Felde kommenden landwirtschaftlichen Fuhrwerke
und damit auch - was weniger weit geht - das Anbringen von Reflexlinsen
an solchen vorzuschreiben, so ist die dahingehende Bestimmung des
§ 16 Abs. 1 lit. c der bernischen VO über die Strassenpolizei und
Strassensignalisation nicht bundesrechtswidrig und verletzt daher auch
die Annahme der Vorinstanz, in der Missachtung dieser Vorschrift liege
eine Pflichtwidrigkeit im Sinne des Art. 18 Abs. 3 StGB, eidgenössisches
Recht nicht.