Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 84 IV 115



84 IV 115

34. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 11. September 1958
i.S. Riederer gegen Polizeirichteramt der Stadt Zürich. Regeste

    Art. 47 MFV. Pflicht des Führers, vor dem Abbiegen nach links einem
gleichzeitig entgegenkommenden Fahrzeug den Vortritt zu lassen.

Sachverhalt

    Am 27. März 1957, gegen 20.00 Uhr, führte Riederer seinen Personenwagen
in Zürich die Beckenhofstrasse hinunter. Auf der Höhe des Steinhausweges
bog er nach links ab und steuerte sein Fahrzeug gegen die dortige private
Hofeinfahrt. Dadurch wurde ein die Beckenhofstrasse heraufkommender
Rollerfahrer gezwungen, brüsk zu bremsen und auszuweichen, um eine
Kollision zu vermeiden.

    Der Einzelrichter in Strafsachen des Bezirksgerichtes Zürich büsste
Riederer am 7. November 1957 wegen Übertretung von Art. 47 MFV mit Fr.
25.-.

Auszug aus den Erwägungen:

                       Aus den Erwägungen:

    Das Gebot des Art. 47 MFV verpflichtet den nach links abbiegenden
Führer, das Vortrittsrecht des gleichzeitig entgegenkommenden Fahrzeuges
strikte zu beachten. Der nach links Abbiegende hat demnach nicht bloss
wie der Überholende gemäss Art. 46 Abs. 3 MFV besonders vorsichtig
zu fahren und auf die übrigen Strassenbenützer Rücksicht zu nehmen,
sondern alles vorzukehren, um das Vortrittsrecht des andern nicht
zu verletzen. Insbesondere ist es seine Pflicht, vor dem Abbiegen mit
erhöhter Aufmerksamkeit die vor ihm liegende Strassenstrecke zu beobachten
und sich zu überzeugen, dass aus der Gegenrichtung kein Fahrzeug nahe,
dessen Vortritt durch das Manöver in Frage gestellt würde.

    Im vorliegenden Fall konnte der Beschwerdeführer die Beckenhofstrasse
auf eine Strecke von 40 m überblicken. Daraus schliesst die Vorinstanz,
dass er den Rollerfahrer rechtzeitig hätte erkennen und ihm den Vortritt
lassen können. Der Grund, warum Riederer dem Rollerfahrer den Weg
abschnitt, liegt somit in der Tatsache, dass er es an einer aufmerksamen
Beobachtung der vor ihm liegenden Strassenstrecke fehlen liess. Dabei
vermag ihn nicht zu entlasten, dass er vor Beginn des Manövers sein
Augenmerk ausser auf den Gegenverkehr auch nach links richten musste, um
festzustellen, ob er durch sein Einschwenken nicht allfällige Benützer der
an die Hofeinfahrt angrenzenden öffentlichen Treppe gefährde. Es ist nichts
Aussergewöhnliches, sondern gehört zu den alltäglichen Erscheinungen des
Strassenverkehrs, dass ein Fahrzeugführer in einer bestimmten Verkehrslage
nach verschiedenen Seiten beobachten und auf andere, aus unterschiedlichen
Richtungen herankommende Strassenbenützer Rücksicht nehmen muss (vgl. BGE
83 IV 164). Sollte jedoch der Beschwerdeführer dadurch, dass er seine
Aufmerksamkeit auf die Hofeinfahrt richtete, an der Beobachtung der
Beckenhofstrasse gehindert worden sein, so hätte er, was ihm zuzumuten
gewesen wäre, einen Sicherheitshalt einschalten müssen.

    Das Ergebnis wäre übrigens kein anderes, wenn mit dem Beschwerdeführer
anzunehmen wäre, er habe trotz der gebotenen Aufmerksamkeit den
entgegenkommenden Rollerfahrer nicht rechtzeitig erkennen können. Denn
nach Art. 47 MFV genügt nicht, dass der Führer im Moment, da er sich zum
Abbiegen entschliesst, kein Fahrzeug entgegenkommen sieht. Er darf nur
abbiegen, wenn das vor ihm liegende Strassenstück soweit überblickbar
ist, als die Verkehrslage Gefahren für den störungsfreien Ablauf des
Manövers in sich bergen kann. Ist das nicht der Fall und besteht daher
keine Gewissheit, dass ohne Beeinträchtigung des vortrittsberechtigten
Gegenverkehrs die Fahrbahn überquert werden kann, so darf das Manöver
nicht ausgeführt werden. Vielmehr hat der Motorfahrzeugführer unter
solchen Umständen seine Fahrt in gerader Richtung soweit fortzusetzen,
bis die Strassen- und Verkehrsverhältnisse es ihm gestatten, gemäss
Art. 48 Abs. 3 MFV seinen Wagen zu wenden, um auf der andern Seite der
Strasse zurückzufahren und dann rechts in die Einfahrt einzubiegen.