Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 84 IV 105



84 IV 105

31. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 20. September 1958
i.S. Steiner gegen Staatsanwaltschaft des Kantons Luzern. Regeste

    Art. 25 Abs. 1 MFG. Wann ist die Geschwindigkeit den Strassen- und
Verkehrsverhältnissen angepasst?

Sachverhalt

    A.- Am Nachmittag des 19. Oktober 1957 fuhr Steiner mit seinem
Personenauto Peugeot von Meggen Richtung Luzern die obere Kreuzbuchstrasse
hinunter, die ein Gefälle von 6% hat. In der unübersichtlichen, 5,3 m
breiten Linkskurve oberhalb der Villa Vallaster stiess sein Wagen, der
eine Geschwindigkeit von 40 km/Std hatte, mit einem in langsamem Tempo
(10-15 km/Std) entgegenkommenden "Plymouth" zusammen, der ca. 40 cm links
der Strassenmitte fuhr. Der Führer des Plymouth, Keller, hatte nach einem
kurz vorher eingeschalteten Halt auch noch während des Anfahrens seinen
Blick auf den See und die Stadt gerichtet und deshalb den herannahenden
Wagen Steiners erst im letzten Augenblick bemerkt. Beide Fahrzeuge wurden
vorne links so stark beschädigt, dass sie abgeschleppt werden mussten.

    B.- Das Amtsgericht Luzern-Stadt erklärte am 19. Juni 1958 beide
Fahrzeugführer der fahrlässigen Störung des öffentlichen Verkehrs gemäss
Art. 237 Ziff. 2 StGB schuldig und verurteilte Keller zu einer Busse
von Fr. 60.-, Steiner zu einer solchen von Fr. 30.-. Diesem legte es
Verletzung von Art. 25 Abs. 1 MFG wegen zu schnellen und unvorsichtigen
Fahrens zur Last.

    C.- Steiner ficht dieses Urteil mit der Nichtigkeitsbeschwerde an
und beantragt, er sei freizusprechen.

Auszug aus den Erwägungen:

              Der Kassationshof zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- Nach Art. 25 Abs. 1 MFG hat der Fahrzeugführer die Geschwindigkeit
den gegebenen Strassen- und Verkehrsverhältnissen anzupassen. Nach
ständiger Rechtsprechung genügt er dieser Pflicht, wenn er die
Geschwindigkeit jederzeit so bemisst, dass er innerhalb der als frei
erkannten Strecke anhalten kann. Frei ist diejenige Strecke, auf der weder
ein Hindernis sichtbar ist, noch mit dem Auftauchen eines solchen gerechnet
werden muss (BGE 60 II 284, 65 I 199, 77 IV 102, 79 IV 66, 84 II 129).

    Nach der Feststellung des Amtsgerichtes betrug die Sichtweite des
Beschwerdeführers nahezu 40 m, wenn er die Linkskurve weit nahm, und
rund 30 m, wenn er in der Strassenmitte fuhr. Sowohl im einen wie im
andern Falle konnte er sein Fahrzeug innerhalb der überblickbaren Strecke
anhalten; denn bei einer Geschwindigkeit von 40 km/Std und einer mittleren
Verzögerung von 5 bis 6 m/sec.2 benötigte er zum Anhalten eine Strecke,
die zwischen 22 und 25 m liegt, darin eingerechnet die durch das Gefälle
bewirkte Verlängerung des Bremsweges um annähernd 1 m. Damit, dass ihm in
einer über 5 m breiten Kurve auf seiner eigenen rechten Strassenhälfte
ein anderes Fahrzeug entgegenkomme, musste der Beschwerdeführer nicht
rechnen. Die gegenteilige Auffassung der Vorinstanz würde dazu führen,
dass unübersichtliche Kurven überhaupt nur noch im Schrittempo befahren
werden könnten. Dass der Beschwerdeführer mit dem Auftauchen einer
anderen Gefahr zu rechnen hatte, ist nicht festgestellt und auch aus den
Akten nicht ersichtlich. Seine Geschwindigkeit war daher der Sichtweite
angepasst und infolgedessen nicht übersetzt.

Erwägung 2

    2.- (Ausführungen darüber, dass der Beschwerdeführer die drohende
Gefahr eines Zusammenstosses rechtzeitig hätte erkennen können, daher
gehalten gewesen wäre, die zur Verhütung eines Unfalles geeigneten
Vorkehrungen zu treffen, insbesondere sofort zu bremsen, und dass er
durch Missachtung dieser Pflicht sich der Nichtbeherrschung des Fahrzeuges
gemäss Art. 25 Abs. 1 MFG schuldig gemacht hat, die auch rechtserhebliche
Ursache der Störung des öffentlichen Verkehrs war.)

Entscheid:

               Demnach erkennt der Kassationshof:

    Die Nichtigkeitsbeschwerde wird abgewiesen.