Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 84 IV 100



84 IV 100

29. Urteil des Kassationshofes vom 10. Oktober 1958 i.S. X. gegen
Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich. Regeste

    Art. 191 Ziff. 1 StGB. Wer am Geschlechtsteil des Mädchens leckt,
begeht eine beischlafsähnliche Handlung.

Sachverhalt

    A.- X. trieb im Oktober 1956 Unzucht mit einem weniger als 15-jährigen
Mädchen, das sein Dienstbote war, indem er unter anderem einmal mit der
Zunge am Geschlechtsteil des Kindes leckte.

    B.- Am 22. April 1958 erklärte ihn das Obergericht des Kantons
Zürich wegen dieser Handlung, die es als beischlafsähnlich würdigte,
der Unzucht im Sinne des Art. 191 Ziff. 1 Abs. 2 StGB und wegen anderer
Handlungen der fortgesetzten Unzucht (Art. 191 Ziff. 2 Abs. 1, 3 und 5)
sowie der unzüchtigen Veröffentlichung (Art. 204 Ziff. 2 StGB) schuldig
und verurteilte ihn zu drei Jahren Zuchthaus und zur Einstellung in der
bürgerlichen Ehrenfähigkeit für die Dauer von zehn Jahren.

    C.- Der Verurteilte beantragt mit der Nichtigkeitsbeschwerde,
das Urteil des Obergerichts sei, soweit es Art. 191 Ziff. 1 Abs. 2
anwende, aufzuheben und die Sache zu neuer Beurteilung an die Vorinstanz
zurückzuweisen. Er vertritt die Auffassung, das Lecken des Geschlechtsteils
stelle keine beischlafsähnliche Handlung dar. Eine solche verlange,
dass der männliche Täter das Kind mit dem Geschlechtsteil berühre.

    D.- Die Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich beantragt Abweisung
des Beschwerde.

Auszug aus den Erwägungen:

              Der Kassationshof zieht in Erwägung:

    Nach ständiger Rechtsprechung begeht der Mann eine beischlafsähnliche
Handlung im Sinne des Art. 191 Ziff. 1 StGB, wenn er mit seinem Glied
in die Scheide des Mädchens einzudringen versucht oder wenn er seinen
Geschlechtsteil von vorne oder hinten einem Kinde zwischen die Oberschenkel
stösst oder ihn in den After oder den Mund seines Opfers einführt (BGE 71
IV 191; 75 IV 165; 76 IV 108, 236). Allen diesen Handlungen ist gemeinsam,
dass der männliche Täter sein Glied mit dem Körper des Kindes in so
enge Berührung bringt, dass die Vereinigung an Innigkeit derjenigen beim
natürlichen Beischlaf ähnlich ist. Diesen Fällen sind jene gleichzusetzen,
in denen der Geschlechtsteil des Kindes sich mit dem Körper des Täters in
beischlafsähnlicher Weise vereinigt. Dem widerspricht nicht, dass in BGE
70 IV 159 erklärt wurde, eine Handlung sei nicht beischlafsähnlich, wenn
der Geschlechtsteil des männlichen Täters das Kind nicht berühre. Dieser
Grundsatz bezieht sich nur auf den (dort beurteilten) Fall, wo der
Täter sich wie ein aktiver Beischläfer verhält. Wie der Kassationshof
seither wiederholt entschieden hat, ist ein Kind zum Beischlaf oder zu
einer beischlafsähnlichen Handlung auch dann missbraucht, wenn der Täter
die Rolle des Beischläfers dem Kinde überlässt und selber die passive
Rolle spielt. Daher macht die Rechtsprechung keinen Unterschied, ob
beispielsweise der Täter sein Glied in den Mund des Kindes einführt oder
ob umgekehrt das Glied des Knaben in den Mund des Täters genommen wird
(BGE 80 IV 173). Daran ist festzuhalten.

    Die Handlung, die der Täter begeht, wenn er seinen Mund an die Scham
des Mädchens hält und dessen Geschlechtsteil mit der Zunge beleckt (sog.
Cunnilinguus), gleicht dem natürlichen Geschlechtsakt ebenso sehr wie die
Einführung des Gliedes des Knaben in den Mund des Täters. Das eine ist das
Gegenstück des anderen, und auch in den nachteiligen Wirkungen, welche
die beiden Formen perverser Geschlechtshandlungen auf das Seelenleben
und die sittliche Entwicklung des Kindes haben können, unterscheiden
sie sich nicht wesentlich voneinander. Die Vereinigung von Mund und
Zunge des Täters mit dem Geschlechtsteil des Kindes zeichnet sich durch
einen besonders hohen Grad körperlicher Intimität aus, wie er bei bloss
manuellen Betastungen nicht anzutreffen ist, ja selbst bei der immissio
inter femora nicht erreicht wird. Ob der Täter längere oder nur kurze
Zeit oder bloss oberflächlich am Geschlechtsteil des Kindes saugt oder
leckt, ist unerheblich, wie es für den Begriff der beischlafsähnlichen
Handlung auch nicht darauf ankommt, ob das Kind dabei Lustgefühle empfinde
oder solcher überhaupt fähig sei. Es genügt, dass sich der Täter in
beischlafsähnlicher Weise mit dem Kinde vereinigt.

Entscheid:

               Demnach erkennt der Kassationshof:

    Die Nichtigkeitsbeschwerde wird abgewiesen.