Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 84 II 335



84 II 335

45. Auszug aus dem Urteil der III. Zivilabteilung vom 10. Juli 1958
i.S. X. gegen Y. Regeste

    Ehescheidung wegen tiefer Zerrüttung.

    1.  Auf Klage des an der tiefen Zerrüttung mehr schuldigen Ehegatten
kann die Scheidung ausgesprochen werden, wenn der weniger schuldige auf den
Schutz des Art. 142 Abs. 2 ZGB verzichtet und in die Scheidung einwilligt
(Bestätigung der Praxis).

    2.  Der vorwiegend schuldigen Partei ist, obwohl die Scheidung in
Gutheissung ihrer Klage ausgesprochen wird, von Amtes wegen eine Wartefrist
aufzuerlegen, die bei Ehebruch bis auf 3 Jahre gehen kann (Art. 150 ZGB).

Sachverhalt

    Zwei frühere Scheidungsklagen der Ehefrau, denen sich der Beklagte
widersetzte, waren in Anwendung von Art. 142 Abs. 2 ZGB abgewiesen worden,
weil die bestehende Zerrüttung hauptsächlich der ehebrecherischen Bindung
der Klägerin an einen Dritten und ihrer daherigen Abwendung vom Manne
zuzuschreiben war. Eine dritte Klage der Frau wurde von den Vorinstanzen
aus demselben Grunde gleich beschieden.

    Nachdem die Klägerin Berufung an das Bundesgericht eingelegt hatte,
kam zwischen den Parteien eine Konvention zustande, gemäss welcher sich
der Beklagte mit der Scheidung einverstanden erklärt, die güterrechtliche
Auseinandersetzung geregelt und die Gerichts- und Anwaltskosten von der
Klägerin übernommen werden. In seiner Berufungsantwort beantragt demgemäss
der Beklagte seinerseits Gutheissung der Berufung, Scheidung der Ehe und
Genehmigung der Konvention.

Auszug aus den Erwägungen:

              Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

    Den bisherigen Scheidungsklagen sowie noch vor der Vorinstanz auch der
vorliegenden opponierte der Beklagte mit Erfolg unter Anrufung des Art. 142
Abs. 2 ZGB, wonach dem an der Zerrüttung vorwiegend schuldigen Ehegatten
kein Scheidungsrecht zusteht. Diese Einschränkung des Klagerechtes wurde
von der früheren Rechtsprechung des Bundesgerichts dahin ausgelegt,
dass sie nicht der öffentlichen Ordnung wegen aufgestellt sei, sondern
lediglich zum individuellen Schutze des schuldlosen oder weniger schuldigen
Ehegatten. Diesem soll, trotz gegebenem Scheidungsgrund, gegen seinen
Willen die Scheidung nicht aufgedrängt werden können; es soll ihm aber
unverwehrt bleiben, auf diesen gesetzlichen Schutz zu verzichten und,
statt selber die Scheidungsklage zu erheben, in das Scheidungsbegehren
des andern Ehegatten einzuwilligen, sei es auch erst vor Bundesgericht,
sofern nur der Scheidungsgrund an sich, die tiefe Zerrüttung im Sinne
von Art. 142 Abs. 1 ZGB, wirklich vorliegt (BGE 51 II 116, 54 II 2).
Diese Auffassung blieb zwar in der Lehre und kantonalen Rechtsprechung
nicht unangefochten (z.B.: ZR 42 Nr. 138), wurde aber vom Bundesgericht -
nach einigen Schwankungen (Urteile vom 1. Oktober 1948 i.S. Jeanneret,
vom 28. Februar 1949 i.S. Perret-Gentil) - neuerdings bestätigt (Urteile
vom 19. Oktober 1950 1950 i.S. Koller, vom 10. März 1955 i.S. Buchs;
zustimmend HINDERLING, SJZ 45 S. 268 III und Ehescheidungsrecht S. 40
ff.). Es ist daran - aus den ursprünglich und bei HINDERLING dargelegten
Gründen - festzuhalten.

    Demnach ist, nachdem nun der Berufungsbeklagte dem Scheidungsbegehren
der Klägerin zustimmt, diesem ohne weiteres Folge zu geben, vorausgesetzt,
dass der Scheidungsgrund gegeben, d.h. eine so tiefe Zerrüttung des
ehelichen Verhältnisses eingetreten ist, dass den Ehegatten die Fortsetzung
der ehelichen Gemeinschaft nicht zugemutet werden darf. Daran kann,
auch nach der Auffassung beider Vorinstanzen in den Urteilen aller
drei Prozesse, kein Zweifel bestehen. Dem Mann ist die Fortsetzung
der Ehe nicht zuzumuten, weil die Frau nicht zu bewegen ist, zu ihm
zurückzukehren, was genügen muss; und der Frau mit Rücksicht auf ihre -
vom Manne bestätigte - unheilbare Abneigung gegen diesen, gleichgültig
ob sie objektiv gerechtfertigt sei oder nicht.

    Der Umstand, dass der Beklagte in die Scheidung einwilligt und diese
in Gutheissung der Berufung und der Klage der Frau ausgesprochen wird,
ändert nichts daran, dass letztere an der Zerrüttung das vorwiegende
Verschulden trifft. Es ist ihr daher gemäss Art. 150 ZGB von Amtes wegen
eine Wartefrist aufzuerlegen (BGE 68 II 149, 69 II 353, 71 II 53 E. 2,
Urteil vom 18. Oktober 1949 i.S. Meier c. Laugéry). Erfolgt die Scheidung
wegen tiefer Zerrüttung, die wesentlich auf Ehebruch zurückzuführen ist,
gilt für die Wartefrist das Maximum von drei Jahren (BGE 74 II 7). Mit
Rücksicht auf das zeitlich weite Zurückliegen der zerrüttungbegründenden
Fehltritte der Klägerin und die lange faktische Trennung der Parteien
kann die Dauer jedoch auf ein Jahr beschränkt werden.

Entscheid:

               Demnach erkennt das Bundesgericht:

Erwägung 1

    1.- Die Berufung wird gutgeheissen, das Urteil des Obergerichts
aufgehoben und die Ehe geschieden.

Erwägung 2

    2.- Der Klägerin wird die Eingehung einer neuen Ehe für die Dauer
eines Jahres untersagt.

Erwägung 3

    3.- Die Scheidungskonvention der Parteien vom 16. Mai 1958 wird
genehmigt.