Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 84 II 329



84 II 329

44. Urteil der II. Zivilabteilung vom 10. Juli 1958 i.S. H. gegen L.
Regeste

    Genugtuung wegen Ehestörung (Art. 28 ZGB, Art. 49 OR).  Zulässigkeit
und Voraussetzungen der Klage eines Ehegatten gegen die Drittperson,
mit welcher der andere Ehegatte ehewidrige Beziehungen unterhält, auf
Leistung einer Geldsumme als Genugtuung.

Sachverhalt

    A.- Der zweimal geschiedene Mechaniker L. heiratete nach Ablauf der
ihm bei der zweiten Scheidung auferlegten Wartefrist am 23. November 1946
eine geschiedene Frau, die unmittelbar vor der Geburt eines von einem
andern Manne gezeugten Kindes stand. Am 24. Februar 1948 gebar Frau L.
ein zweites Kind. Von 1950/51 an arbeitete sie als Verkäuferin im
Geschäft des H. Mitte Februar 1955 leitete sie gegen ihren Ehemann Klage
auf Scheidung wegen tiefer Zerrüttung des ehelichen Verhältnisses ein,
weil ihr Ehemann sie schlecht behandelt habe. L. beantragte zunächst
Abweisung der Klage mit der Begründung, die bestehende Zerrüttung sei
von seiner Frau verschuldet worden, die in der Ehe nur ihren Vorteil
gesucht und ihn zu übermässigen Aufwendungen für die Wohnung, neue Möbel
und Kleider gedrängt habe und seit einiger Zeit mit ihrem Arbeitgeber
ein Verhältnis unterhalte, einigte sich dann aber mit ihr auf ein
gemeinsames Scheidungsbegehren. Darauf sprach das Gericht mit Urteil vom
30. Juni 1955 die Scheidung aus, ohne zu untersuchen, ob die gegenseitigen
Anschuldigungen, insbesondere der gegen die Ehefrau erhobene Vorwurf der
Untreue, den sie entschieden bestritt, begründet seien oder nicht.

    B.- Am 22. August 1955 leitete L. gegen H. Klage ein mit dem Begehren,
der Beklagte sei zu verpflichten, ihm als Schadenersatz und Genugtuung
Fr. 10'000.-- zu bezahlen, weil er, wie unterdessen in einem mit dem
Scheidungsprozess des Beklagten zusammenhängenden Strafverfahren an den
Tag gekommen sei, mit seiner Frau unter Ausnützung seiner Stellung als
Millionär und Arbeitgeber ein ehebrecherisches Verhältnis angeknüpft
und ihm auf diese Weise Frau und Familie, die sein Glück gewesen seien,
weggenommen habe. Der Beklagte, der heute mit der geschiedenen Frau des
Klägers verheiratet ist, machte demgegenüber geltend, nicht er, sondern
das eigene Verhalten des Klägers, der gewalttätig sei und seine Frau nicht
verstanden habe, sei am Zerwürfnis zwischen den Eheleuten L. schuld und
habe Frau L. veranlasst, sich ihm (dem Beklagten) zuzuwenden.

    Nach Durchführung eines Beweisverfahrens sprach das untere kantonale
Gericht dem Kläger mit Urteil vom 21. November 1957 als Genugtuung
Fr. 3000.-- zu und wies die Klage im Mehrbetrag ab. Das obere kantonale
Gericht, vor dem der Beklagte Abweisung der Klage, der Kläger mit
Anschlussberufung Zusprechung von Fr. 6000.-- als Schadenersatz und
Genugtuung verlangte, hat mit Urteil vom 24. März 1958 den Beklagten zur
Zablung einer Genugtuungssumme von Fr. 6000.-- verpflichtet.

    C.- Mit seiner Berufung an das Bundesgericht erneuert der Beklagte
seinen Antrag auf Abweisung der Klage. Der Kläger schliesst auf Bestätigung
des angefochtenen Urteils. Das Bundesgericht schützt die Berufung und
weist die Klage ab.

Auszug aus den Erwägungen:

                           Erwägungen:

Erwägung 1

    1.- Wie das Bundesgericht in ständiger Rechtsprechung angenommen und
in einem neuern Entscheid unter Widerlegung von gegen diese Auffassung
erhobenen Einwänden bestätigt hat, verletzt ein Dritter, der mit einem
Ehegatten ehewidrige Beziehungen unterhält und so die Ehe stört, den andern
Ehegatten in seinen persönlichen Verhältnissen und kann dieser in einem
solchen Falle gemäss Art. 49 OR, wenn die besondere Schwere der Verletzung
und des Verschuldens es rechtfertigt, vom Dritten die Leistung einer
Genugtuung verlangen, und zwar ohne Rücksicht darauf, ob die Ehe geschieden
worden sei oder nicht (BGE 43 II 323 Erw. 5; Urteile der I. Zivilabteilung
vom 28. März 1927 i.S. Sch. gegen G., vom 14. Januar 1936 i.S. B. gegen
Sch., vom 27. März 1945 i.S. J. gegen St.; BGE 78 II 291 Erw. 2 und
297 Erw. 6). Die in BGE 35 II 576 erwähnte Gefahr der missbräuchlichen
Erhebung solcher Ansprüche ist kein genügender Grund, dem beleidigten
Ehegatten diesen Anspruch grundsätzlich abzuerkennen, und es lässt sich
auch nicht allgemein sagen, eine Verurteilung der Drittperson sei sinnlos,
weil sie praktisch doch nicht diese, sondern den am ehewidrigen Verhältnis
beteiligten Ehegatten treffe, wie GUHL dies bei Besprechung des Entscheides
BGE 78 II 289 ff. über die Klage einer Ehefrau gegen die Geliebte des
Mannes geltend gemacht hat (ZBJV 1954 S. 243). Ebensowenig kann man die
Genugtuungsklage gegen den Dritten mit der Begründung als unzulässig
erklären, "der Hauptschuldige, Ehemann oder Ehefrau, dürfe doch nicht in
die Rolle eines tertius gaudens gedrängt werden" (GUHL aaO). Abgesehen
davon, dass kein Grundsatz des Zivilrechts den Geschädigten hindert, von
zwei Schädigern allein den weniger schuldigen zu belangen (BGE 78 II 299),
ist dieses Argument auch schon deswegen nicht stichhaltig, weil der untreue
Ehegatte im Vergleich zum Dritten nicht notwendig der Hauptschuldige zu
sein braucht, wenn auch der von ihm begangene Fehler insofern schwerer
wiegt, als er sich gegen die eheliche Treuepflicht vergeht, während der
Dritte zum beleidigten Ehegatten nicht in einem besondern Rechtsverhältnis
steht, sondern nur die für jedermann bestehende Pflicht zur Respektierung
der Ehe eines andern verletzt. Dagegen lässt sich nicht bestreiten, dass
eine Geldleistung, die hier praktisch allein in Betracht kommende Art der
Genugtuung, ohnehin nur ein sehr unvollkommenes Mittel zur Wiedergutmachung
seelischer Kränkungen bildet und als Mittel hiezu besonders problematisch
wird, wenn es sich um eine Beleidigung der hier in Frage stehenden Art
handelt (vgl. BGE 35 II 576 und Urteil vom 28. März 1927 i.S. Sch. gegen
G.). Auch dies reicht aber nicht aus, um in solchen Fällen die Anwendung
von Art. 49 OR schlechtweg auszuschliessen, sondern kann nur dazu Anlass
geben, bei Prüfung der Frage, ob die gesetzlichen Voraussetzungen für eine
Genugtuung gegeben seien, einen besonders strengen Massstab anzulegen.
Bereits unter der Herrschaft des alten OR, nach dessen Art. 55 die
Befugnis des Richters, auch ohne Nachweis eines Vermögensschadens auf
eine angemessene Geldsumme zu erkennen, schon gegeben war, wenn jemand in
seinen persönlichen Verhältnissen unbefugterweise "ernstlich verletzt"
wurde, hat deshalb das Bundesgericht gefunden, die Störung einer Ehe
könne die Zusprechung einer solchen Geldleistung höchstens in "speziell
qualifizierten Fällen" rechtfertigen (BGE 35 II 576). Unter dem neuen
OR, dessen Art. 49 den Anspruch auf Genugtuung wegen Verletzung in den
persönlichen Verhältnissen ausdrücklich von einer besondern Schwere
der Verletzung und des Verschuldens abhängig macht, ist eine solche
Zurückhaltung erst recht am Platze (vgl. das Urteil vom 28. März 1927
i.S. Sch. gegen G.).

Erwägung 2

    2.- Im vorliegenden Fall ist festgestellt, dass der Beklagte mit der
Frau des Klägers seit Januar 1955 geschlechtliche Beziehungen unterhielt
und diese nicht aufgab, als er erfuhr, dass der Kläger seine Frau vor dem
Eheschutzrichter solcher Beziehungen bezichtigt hatte, sondern dem Kläger
gegenüber das Bestehen eines Verhältnisses bestritt und mit rechtlichen
Schritten gegen den Urheber dieser Beschuldigung drohte. Angesichts der
Tatsache, dass der Beklagte sich fortgesetzt des Ehebruchs mitschuldig
machte und an seinem Verhältnis mit der Frau des Klägers trotz dessen
Gegenwehr unter frecher Bestreitung unerlaubter Beziehungen festhielt,
lässt sich nicht in Abrede stellen, dass sein Verhalten, rein objektiv
betrachtet, in besonders schwerer Weise gegen die Pflicht zur Achtung der
Ehe des Klägers verstiess. Für die Annahme, dass der Kläger besonders
schwer in seinen persönlichen Verhältnissen verletzt worden sei, wäre
jedoch ausserdem erforderlich, dass die Verfehlung des Beklagten den
Kläger auch besonders empfindlich traf. Hieran sind Zweifel möglich. Die
Behauptung des Klägers, Frau und Familie, die ihm der Beklagte weggenommen
habe, seien "sein Glück" gewesen, verträgt sich schlecht mit seinen eigenen
Ausführungen im Scheidungsprozess, wonach seine Frau als Egoistin ohne
Anpassungsfähigkeit und Gemeinschaftswillen nur auf ihren Vorteil bedacht
war und ihn veranlasste, Schulden zu machen, damit er ihre zunehmenden
materiellen Bedürfnisse befriedigen konnte. Die Vorinstanz stellt denn
auch nicht fest, dass die Ehe des Klägers noch glücklich gewesen sei,
als der Beklagte sie zu stören begann, sondern sagt, der Beklagte sei
in eine Ehe eingedrungen, die vielleicht nicht mehr glücklich, sondern
zeitweise getrübt, aber bis dahin "auch nicht völlig zerrüttet" bzw. "nicht
scheidungsreif" gewesen sei. Die Beeinträchtigung einer Ehe, die ohnehin
schon gestört war, kann den andern Ehegatten nicht so stark treffen wie
die Beeinträchtigung einer gesunden Ehe. Dass etwa der Beklagte sich
vor Bekannten des Klägers als dessen Nebenbuhler zu erkennen gegeben und
so den Kläger empfindlich in seinem Ansehen geschädigt hätte oder dass
er mit Frau L. unter für den Kläger als Ehemann besonders verletzenden
Umständen (z.B. in der ehelichen Wohnung) zusammengekommen wäre, wird
nicht behauptet. Daher lässt sich kaum sagen, dass man es mit einer
besonders schweren Verletzung zu tun habe.

    Auf jeden Fall aber fehlt es an einem besonders schweren Verschulden
des Beklagten. Die Vorinstanz nimmt zwar an, zweifellos habe der Beklagte
Frau L. verführt und nicht diese ihn; denn er habe seine Möglichkeiten
ausgenützt und seine Mittel spielen lassen. Konkrete Feststellungen
hierüber fehlen jedoch. Man weiss nichts darüber, wie die ehebrecherischen
Beziehungen zwischen der Frau des Klägers und dem Beklagten entstanden
sind. Als der Beklagte Frau L. zu gemeinsamen Reisen und Ausflügen einlud,
bestanden diese Beziehungen bereits. Es ist sehr wohl möglich, dass
Frau L., die sich schon ca. 1953 gegenüber einer Drittperson über ihren
Ehemann beklagt hatte, und der Beklagte, der mit seiner Frau auch nicht
im besten Einvernehmen lebte, mit der Zeit aneinander Gefallen fanden und
dass ihre zunächst rein geschäftlichen Beziehungen immer enger wurden und
sich schliesslich zu einem intimen Verhältnis entwickelten, ohne dass es
dazu besonderer Bemühungen des Beklagten bedurft hätte. Auch wenn man aber
noch annehmen will, der Beklagte habe diese Entwicklung aktiv gefördert, so
machte ihm die von der Vorinstanz festgestellte Sehnsucht der Frau L. nach
einem höhern Lebensstandard die Erreichung seiner Ziele zweifellos leicht
und musste er sich angesichts ihrer Einstellung zum Kläger nicht sagen,
dass er in eine ungetrübte Ehe eindringe. Wenn damit sein Verhalten auch
keineswegs entschuldigt wird, so kann ihm unter den gegebenen Umständen
doch kein besonders schweres Verschulden vorgeworfen werden (vgl. das
Urteil vom 27. März 1945 i.S. J. gegen St., wo das Vorliegen eines solchen
Verschuldens aus ähnlichen Gründen verneint wurde). Dabei bleibt es auch,
wenn man mitberücksichtigt, dass er sich durch den Widerstand des Klägers
von der Fortsetzung seines Verhältnisses mit Frau L. nicht abhalten
liess, sondern den Kläger sogar noch einzuschüchtern suchte. Dass Frau
L. wirtschaftlich von ihm abhängig gewesen sei und er dies benützt habe, um
sie gefügig zu machen, ist nicht dargetan. Als tüchtige Verkäuferin hätte
sie zweifellos auch anderwärts eine Stelle finden können. Es kann auch
keine Rede davon sein, dass sie ihm etwa geistig unterlegen gewesen sei
und er diesen Umstand ausgenützt habe. Ebensowenig kann sich der Vorwurf
eines besonders schweren Verschuldens gegenüber dem Kläger darauf stützen,
dass der Beklagte Frau L. "in aller Heimlichkeit" für sich gewann und sich
"auch über die Schranken hinwegsetzte, die für ihn als verheirateten Mann
hätten bestehen sollen."

    Die strengen Voraussetzungen, unter denen ein Ehegatte vom Dritten,
der mit dem andern Gatten ehewidrige Beziehungen unterhält, ausnahmsweise
eine Genugtuungssumme verlangen kann, sind hier also nicht verwirklicht.