Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 84 II 292



84 II 292

40. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung vom 13. Mai 1958 i.S. X
gegen Y. Regeste

    Haftpflicht des Halters bei Tod eines Mitfahrers. Genugtuung;
Versorgerschaden. Art. 37 Abs. 3, 41, 42 MFG, Art. 45 Abs. 3 OR.

    Verschulden des Halters, der in betrunkenem Zustand bei Nebel eine
Fahrt unternimmt (Erw. 2).

    Mitverschulden des Mitfahrers, der trotz Betrunkenheit des Lenkers
an der Fahrt teilnimmt (Erw. 3 a).

    Herabsetzung der Schadenersatzpflicht wegen des Mitverschuldens des
getöteten Mitfahrers; Verschuldensabwägung (Erw. 3 b)

    Genugtuungsanspruch der Hinterbliebenen des getöteten Mitfahrers
(Erw. 4).

    Kapitalisierung des Versorgerschadens auf den Zeitpunkt des Todes
des Versorgers (Anderunrung der Rechtsprechung) (Erw. 7).

Sachverhalt

    A.- Im Anschluss an eine geschäftliche Besprechung fuhren der
Architekt X., der Polizeidirektor Y., die Gemeindebeamten W. und Z. am
27. Februar 1953 um 18.30 Uhr mit dem Auto des X. zu einem auswärtigen
gemeinsamen Abendessen. Wie schon auf der Hinfahrt, so herrschte auch auf
der Rückfahrt, die ungefähr um 22 Uhr angetreten wurde, dichter Nebel. X.,
der den Wagen steuerte, Y. und W. waren angetrunken. In einer leichten
Rechtskurve geriet X., der eine Geschwindigkeit von 30-35 km hatte, auf die
linke Strassenseite, weil er, statt der Kurve zu folgen, geradeaus fuhr.
Infolgedessen stiess er mit einem aus der Gegenrichtung kommenden Lastauto,
das eine Geschwindigkeit von ca. 25 km hatte und dessen Lenker ebenfalls
angetrunken war, frontal zusammen. Dabei wurden Y. und W. getötet, X. und
die übrigen Insassen seines Wagens verletzt.

    Wegen dieses Unfalles wurde X. durch das Obergericht des Kantons
Bern am 7. Mai 1954 bedingt zu 8 Monaten Gefängnis und zu Fr. 500.--
Busse verurteilt.

    B.- Mit Klage vom 16. November 1954 belangten die Witwe und der Sohn
des getöteten Y. den Autohalter X. auf Bezahlung von Schadenersatz für
Versorgerschaden und Genugtuung.

    Der Beklagte anerkannte seine grundsätzliche Haftung,
machte aber geltend, wegen Mitverschuldens des getöteten Y. sei
der Schadenersatzanspruch der Kläger um 40% zu kürzen und ein
Genugtuungsanspruch abzulehnen.

    C.- Der Appellationshof des Kantons Bern setzte mit Urteil vom 29. Mai
1957 den Anspruch der Kläger aus Versorgerschaden wegen Mitverschuldens
des Y. um 25% herab, billigte aber den Klägern gleichwohl einen
Genugtuungsanspruch zu.

    D.- In seiner Berufung an das Bundesgericht hielt der Beklagte an
seinen im kantonalen Verfahren eingenommenen Standpunkten fest.

    Die Kläger beantragten auf dem Wege der Anschlussberufung, ein Abzug
wegen Mitverschuldens des Y. habe zu unterbleiben.

    E.- Das Bundesgericht erhöht in teilweiser Gutheissung der Berufung
des Beklagten den Abzug wegen Mitverschuldens auf 1/3 und nimmt am
Urteil der Vorinstanz hinsichtlich des Zeitpunktes der Kapitalisierung
der Versorgerschadensansprüche eine Änderung vor.

Auszug aus den Erwägungen:

                       Aus den Erwägungen:

Erwägung 1

    1.- Der Beklagte anerkennt grundsätzlich seine Haftbarkeit. Er
macht jedoch geltend, die Vorinstanz habe sein Verschulden zu schwer,
das Mitverschulden des getöteten Y. dagegen zu leicht bewertet. Die
Kläger bestreiten demgegenüber jedes Mitverschulden des Y.

Erwägung 2

    2.- a) Bei der Entscheidung über die Schwere des dem Beklagten
zur Last fallenden Verschuldens ist zunächst festzuhalten, dass nach
den verbindlichen Feststellungen der Vorinstanz die Sichtverhältnisse
infolge des dichten Nebels sowohl bei der Hin- wie bei der Rückfahrt
aussergewöhnlich schlecht waren. Dass der Beklagte trotzdem die Fahrt
unternahm, kann ihm jedoch für sich allein betrachtet gleichwohl nicht
als Verschulden angerechnet werden; denn die blosse Tatsache des Fahrens
vermag ein Verschulden für solange nicht zu begründen, als die Verhältnisse
es nicht überhaupt - weil zu gefährlich - verbieten. Dagegen mahnten die
Umstände zu grosser Vorsicht. Das entging auch dem Beklagten nicht. Er
riet wegen des Nebels, sowie weil er überhaupt nicht gerne bei Nacht
fuhr, von der Fahrt ab und liess sich nur auf das Drängen des W., der das
gemeinsame auswärtige Nachtessen vorgeschlagen und organisiert hatte,
schliesslich doch zu ihr überreden. Umso unverständlicher erscheint es
dann aber, dass er trotz richtiger Beurteilung der besonderen Gefahren,
welche die Fahrt in sich schloss, beim Nachtessen alkoholische Getränke
in einem zu Angetrunkenheit führenden Ausmass zu sich nahm. Wer weiss,
dass er nachher ein Auto zu steuern hat, ist ganz allgemein verpflichtet,
beim Genuss von Alkohol grosse Zurückhaltung zu üben, wenn er darauf nicht
überhaupt verzichten will. Für den Beklagten war umso grössere Vorsicht
am Platze, als die ungünstigen Witterungsverhältnisse ein zusätzliches
Gefahrenmoment bildeten und er überhaupt nachts nicht gerne fuhr, offenbar
weil er sich dabei unsicher fühlte. Der übermässige Alkoholgenuss stellte
im Hinblick auf die Gefahr eines Unfalles eine grobe Fahrlässigkeit des
Beklagten dar, wie schon die Vorinstanz und das Strafgericht zutreffend
entschieden haben. Es liegt entgegen der Behauptung der Berufung nicht
bloss "ein verkehrstechnisches Versagen" des Beklagten vor, das durch
die leichte Strassenbiegung und die Beleuchtungsverhältnisse am Unfallort
bedingt wäre. Die Vorinstanz hat vielmehr auf Grund des Beweisverfahrens
und gestützt auf die Strafakten für das Bundesgericht verbindlich
festgestellt, dass der Unfall auf die durch den Alkoholgenuss bedingte
ungenügende Aufmerksamkeit des Beklagten zurückgeführt werden müsse;
denn er hätte sich bei genügender Aufmerksamkeit trotz dem Nebel an dem
am rechten Strassenrand entlang verlaufenden Geländer orientieren und auf
seiner Strassenseite bleiben können. Danach war die Angetrunkenheit des
Beklagten auf jeden Fall mit kausal für den Unfall, was für die Annahme
grobfahrlässiger Verursachung genügt.

    b) Der Beklagte nahm dadurch, dass er trotz den ungünstigen
objektiven und subjektiven Verhältnissen fuhr, die volle Verantwortung
als Autolenker auf sich. Aus den Bedenken, die er vor Antritt und bei
der Durchführung der Fahrt hatte, zog er nicht die Folgerungen, die sich
aufgedrängt hätten. Am Zusammenstoss als solchem trifft ihn das alleinige
Verschulden. Dem Lenker des Lastwagens kann trotz seiner Angetrunkenheit
ein für den Unfall kausales Verschulden nicht zur Last gelegt werden; seine
Geschwindigkeit von ca. 25 km war den Sichtverhältnissen angepasst. Er
reagierte unmittelbar vor dem Zusammenstoss normal, indem er bei
Ansichtigwerden des Scheinwerferkegels des Wagens des Beklagten seine Fahrt
noch verlangsamte. Dass der Beklagte seine Fahrbahn verliess und geradewegs
auf ihn zufuhr, konnte er nach den Feststellungen des Strafrichters erst
eine Sekunde vor dem Zusammenstoss erkennen, als er weder durch Bremsen
noch durch Rechtsausweichen den Unfall noch hätte verhüten können.

Erwägung 3

    3.- a) Hinsichtlich der Frage eines Mitverschuldens des getöteten
Y. ist davon auszugehen, dass die Gefahr aus dem Betrieb eines
Motorfahrzeuges grundsätzlich den Halter trifft und ohne besonderen Grund
auch nicht teilweise auf den beim Unfall verletzten Mitfahrer, bzw. bei
dessen Tod auf seine Hinterbliebenen, überwälzt werden kann. Anders
verhält es sich, wenn die normale Betriebsgefahr infolge besonderer
Umstände (wie z.B. Betrunkenheit oder Übermüdung des Lenkers oder
allgemein mangelnde Eignung desselben als Fahrer) erhöht wird und
der Mitfahrer diese Gefahrerhöhung kennt oder bei genügender Sorgfalt
erkennen musste. Lässt er sich dann trotzdem mitführen oder drängt er gar
darauf, so ist ein Abzug wegen Mitverschuldens hinsichtlich des erhöhten
Unfallrisikos gerechtfertigt. Zum gleichen Ergebnis führt der Gedanke, dass
wer sich bewusst einer aussergewöhnlich erhöhten Betriebsgefahr aussetzt,
dadurch mindestens einen Teil des gesamten Unfallrisikos übernimmt. Auf
Grund solcher Erwägungen hat das Bundesgericht in ständiger Rechtsprechung
schon vor dem Inkrafttreten des MFG wie auch unter dessen Herrschaft in
Fällen dieser Art eine Minderung der Schadenersatzpflicht des Halters
eintreten lassen (BGE 43 II 187, 57 II 471, 79 II 397 f.).

    Im Hinblick auf diese Rechtsprechung hat die Vorinstanz entgegen
der Auffassung der Kläger nicht gegen Bundesrecht verstossen, wenn sie
ein Mitverschulden des getöteten Y. annahm. Der Einwand der Kläger, die
Mitfahrer des Beklagten hätten nicht den mindesten Grund gehabt, sich durch
seine Fahrweise gefährdet zu fühlen, geht fehl. Denn vorliegend steht nicht
die Fahrweise des Beklagten als solche in Frage, sondern die durch seine
Angetrunkenheit bedingte, angesichts der Witterungsverhältnisse besonders
ausgeprägte Erhöhung der gewöhnlichen Betriebsgefahr. Ebenso glauben die
Kläger zu Unrecht, sich darauf berufen zu können, das Fahren im Nebel
sei, weil klimabedingt, zu gewissen Zeiten in der fraglichen Gegend
nicht zu umgehen. Nicht das ist entscheidend, sondern dass Y. gemäss
vorinstanzlicher Feststellung trotz erkannter erhöhter Gefahr sich zur
Rückfahrt im Auto des Beklagten bereitfand. Die Anfechtung dieser auf
Beweiswürdigung beruhenden Feststellung der Vorinstanz durch die Kläger
ist im Berufungsverfahren unzulässig (Art. 55 Abs. 1 lit. c OG). Der
Standpunkt der Anschlussberufung, es sei kein Abzug am Schadenersatz
vorzunehmen, erweist sich somit als unbegründet.

    b) Fraglich kann nur das Mass der Herabsetzung sein. Die Vorinstanz
hat sie auf 25% festgesetzt; der Beklagte will sie auf 40% erhöht wissen.

    Das Bundesgericht hat in seiner bisherigen Rechtsprechung bis zu
einem Drittel gehende Abzüge gemacht, wenn das Verhalten des verletzten
oder getöteten Mitfahrers als nicht besonders schwerwiegend erschien,
so z.B. wenn er trotz erkennbarer schwerer Ermüdung des Lenkers an
der Fahrt teilnahm, ohne jedoch besonders auf diese zu drängen oder
den Fahrer zu unvorsichtigem Verhalten anzufeuern (BGE 58 II 139); auf
1/4 wurde der Abzug festgesetzt in einem Falle, wo der Mitfahrer mit
einer gewissen Ermüdung des Lenkers rechnen musste und auf der Fahrt
verschiedentlich eingekehrt und Alkohol getrunken wurde (BGE 79 II 397
f.). In Fällen hingegen, welche hinsichtlich des Verhaltens des Mitfahrers
als besonders krass erschienen, wurde der Abzug auf 50% erhöht, so z.B. in
einem Falle, in welchem der Mitfahrer vor der Rückfahrt von Zeugen auf
die Angetrunkenheit des Lenkers aufmerksam gemacht und ihm vorgeschlagen
wurde, mit einem andern Wagen zurückzufahren (BGE 40 II 279); ein Abzug
von ebenfalls 50% erfolgte gegenüber einem Mitfahrer, der einen nicht im
Besitz der Fahrbewilligung befindlichen, zum Fahren ungeeigneten Mechaniker
einer Garage trotz Einwendungen eines andern Garageangestellten und obwohl
er vom Fehlen der Fahrbewilligung Kenntnis hatte, zum Fahren drängte und
mit ihm verschiedene Wirtschaften besuchte (BGE 43 II 181 ff.).

    Die Kläger berufen sich im vorliegenden Falle darauf, dass Y. bei der
Organisation und der Durchführung der Fahrt eine durchaus passive Rolle
gespielt habe. Nun ist nach der Rechtsprechung allerdings das Verhalten
des verunfallten Mitfahrers im allgemeinen milder zu beurteilen, wenn
er den Lenker nicht zum Fahren unter den erhöhten gefährdeten Umständen
veranlasst hat; an einer eigentlichen Veranlassung seitens des Y. fehlte
es im vorliegenden Fall. Dagegen fällt hier ins Gewicht, dass der Beklagte
schon vor der Abfahrt von Biel und während der Fahrt Bedenken äusserte
und vor der Rückfahrt dem nüchtern gebliebenen Mitfahrer Z. vorschlug,
er solle den Wagen steuern. Das alles musste Y. wie auch den übrigen
Mitfahrern auffallen; gleichwohl hat er geschwiegen. Ob man sich zu solchen
besonderen Umständen passiv verhalte oder nur gegenüber der Organisation
und Durchführung einer Fahrt im allgemeinen, ist nicht dasselbe. Es bestand
stillschweigendes Einverständnis zwischen allen übrigen Beteiligten,
dass der Beklagte trotz den von ihm geäusserten Bedenken und trotz
seinem Widerstreben fahren solle. Das entlastet den Beklagten mehr als
die Vorinstanz annimmt; denn es bestand für Y. wiederholt und genügend
Anlass, aus seiner Passivität herauszutreten.

    Dazu kommt, dass auch die subjektiven Verhältnisse auf Seiten des
Y. eine strengere Beurteilung seines Verhaltens nahelegen. Gewiss hatte
seine Stellung als städtischer Polizeidirektor mit der Fahrt als solcher
nichts zu tun und handelte es sich nicht um eine amtliche Fahrt. Worauf
es hier jedoch ankommt, ist die Einsicht in die besondere Gefährlichkeit
der Lage, über welche Y. verfügte, kraft dem Wissen und der Erfahrung,
die er auf Grund seiner amtlichen Stellung haben musste. Wer Einsicht
in eine Gefahr hat und sie trotzdem missachtet, handelt schuldhafter
als der Unwissende und Unerfahrene. Daraus muss bei der Bemessung des
Mitverschuldens der entsprechende Schluss gezogen werden.

    Der von der Vorinstanz vorgenommene Abzug von 1/4 trägt daher den
besonderen Verhältnissen des vorliegenden Falles in objektiver und
subjektiver Hinsicht nicht genügend Rechnung. Es rechtfertigt sich
vielmehr, ihn auf 1/3 zu erhöhen.

Erwägung 4

    4.- Der Beklagte beanstandet, dass die Vorinstanz den Klägern
Genugtuungssummen von je Fr. 5000.-- zugesprochen hat. Er vertritt die
Ansicht, dass ein Genugtuungsanspruch wegen groben Selbstverschuldens
des getöteten Y. überhaupt nicht in Frage kommen könne. Dem kann
nicht beigepflichtet werden. Wenn auch das Selbstverschulden des Y. als
erheblich bewertet werden muss, so wiegt es doch nicht derart schwer, dass
es einen Genugtuungsanspruch der Kläger zum vorneherein auszuschliessen
vermöchte. Das schwere Verschulden des Beklagten, der sich trotz Einsicht
in die witterungsbedingte besondere Gefährlichkeit der Fahrt angetrunken
ans Steuer setzte, lässt zusammen mit den schweren Unfallfolgen und dem
dadurch den Klägern zugefügten seelischen Schmerz einen Genugtuungsanspruch
in der von der Vorinstanz zugesprochenen Höhe von je Fr. 5000.-- als
berechtigt erscheinen. Der Einwand des Beklagten, der mit ihm eng verbunden
gewesene Y. hätte ihn selber nie zu Genugtuungsleistungen herangezogen,
ist unbehelflich. Denn mit der Genugtuungsforderung machen die Kläger
nicht Ansprüche des Getöteten geltend, die durch Rechtsnachfolge auf sie
übergegangen sind, sondern eigene Ansprüche, die ihnen das Gesetz (Art.
42 MFG, Art. 47 OR) unmittelbar zubilligt.

    .....

Erwägung 7

    7.- Die Vorinstanz hat entsprechend der gegenwärtigen
bundesgerichtlichen Rechtsprechung (BGE 77 II 152, 314 oben) den
Schaden bis zum Urteilstag konkret berechnet, bei der Kapitalisierung
des zukünftigen Schadens gemäss BGE 81 II 38 auf zwei verbundene Leben
abgestellt und das Mittel zwischen den aus den Lebenserwartungstafeln
einerseits und den Aktivitätstafeln von Stauffer/Schätzle anderseits sich
ergebenden Zahlen genommen.

    a) In Bezug auf den Zeitpunkt, auf den die Kapitalisierung vorzunehmen
ist, beantragt der Beklagte, es sei auf das Unfalldatum abzustellen. Er
macht geltend, angesichts der zwischen Unfall und Urteil verstrichenen
langen Zeitspanne von 4 1/4 Jahren müsse auch die Wahrscheinlichkeit
berücksichtigt werden, dass Y. in der Zwischenzeit hätte sterben können;
diese Wahrscheinlichkeit sei angesichts des Alters, der angeschlagenen
Gesundheit und des Lebensstils des Verunfallten keineswegs als gering
zu achten.

    Die Einwendungen des Beklagten sind in der Tat grundsätzlich
gerechtfertigt. Die konkrete Schadensberechnung bis zum Urteilstag hat ihre
Berechtigung bei der Bestimmung des Schadens aus bleibender Invalidität;
denn hier weiss man, ob der Geschädigte den Urteilstag erlebt hat oder
nicht. Zu einer Wahrscheinlichkeitsrechnung besteht nur für die Zukunft
Anlass. Wird dagegen auch bei der Ermittlung eines Versorgerschadens
in dieser Weise vorgegangen, dann tut man so, als ob der Versorger den
Abrechnungstag ohne den Unfall sicher erlebt hätte. Das führt dann zu
beträchtlichen Fehlern, wenn das kantonale Urteil erst Jahre nach dem
Unfall ergeht oder wenn der verunfallte Versorger schon ziemlich alt
war. Dabei kann das Risiko, dass er in der Zwischenzeit verstorben
oder arbeitsunfähig geworden wäre, recht bedeutend sein. Vier Jahre
nach dem Unfalltag abgerechnet ergibt sich z.B. bei einem Alter des
versorgenden Ehemannes von 60 Jahren am Todestag und einem Alter der
Ehefrau von 50 Jahren ein Fehler, der bereits 10% übersteigt; bei einem
Alter des Versorgers von 69 Jahren beträgt die Differenz sogar 20%
(vgl. STAUFFER/SCHÄTZLE, Barwerttafeln 2. Aufl. 1958, S. 24/5).

    Das Bundesgericht hat allerdings in seinem Urteil vom 13. März 1951
i.S. Lorétan und "Helvetia" gegen Monnier (nicht veröffentl. Erw. 2 c,
angeführt bei PICCARD, Kapitalisierung, 6. Aufl. S. 118) den Standpunkt
eingenommen, die Methode der konkreten Schadensberechnung bis zum
Urteilstag und der Kapitalisierung des zukünftigen Schadens auf diesen
Zeitpunkt sei auch bei der Berechnung von Versorgerschaden anzuwenden, da
das Risiko eines Versterbens des Versorgers in der im allgemeinen kurzen
Zeitspanne zwischen Unfall- und Urteilstag vernachlässigt werden dürfe.

    Hieran kann nicht festgehalten werden. Fehlerquellen, die unter
Umständen zu Differenzen des oben erwähnten Ausmasses führen können,
sind nach Möglichkeit schon grundsätzlich auszuschliessen (nicht nur in
besonders krassen Fällen durch einen Abzug auszugleichen, wie PICCARD,
aaO, vorschlägt). Sobald eine mathematisch genauere Berechnungsmethode zur
Verfügung steht, ist auf sie abzustellen (BGE 77 II 42). Eine ganz genaue
Berechnung wäre jedoch nach den Darlegungen bei STAUFFER/SCHÄTZLE (S. 23)
zu umständlich. Für eine etwas weniger genaue, aber der Praxis dienliche
vereinfachte Korrektur werden von den genannten Autoren (S. 24/5) zwei
Methoden in Erwägung gezogen. Die eine besteht in prozentualen Abzügen
von dem nach der bisherigen Berechnungsart ermittelten Betrag gemäss einer
neuen Tabelle (S. 24). Nach der andern Methode wird eine Verbindungsrente
auf den Zeitpunkt des Todes des Versorgers kapitalisiert; dann genügt,
abgesehen vom Zins, eine einzige Berechnung für den ganzen Versorgerschaden
(S. 25). Dieses zweite Verfahren leidet allerdings seinerseits am Fehler,
dass die Wahrscheinlichkeitsrechnung gegenüber der versorgten Person,
die den Urteilstag erlebt hat, auch auf die Vergangenheit angewendet
wird. Dafür wird ihr aber für die Zeit zwischen Unfall und Urteil ein
Schadenszins von 5% zugesprochen. Die Differenz zwischen diesem und dem
derzeitigen Satz der Kapitalisierung von 3 1/2% gibt in der Regel einen
vollen Ausgleich.

    Dieser zweiten der verbesserten Methoden ist der Vorzug zu geben. Sie
vermeidet die Anwendung einer zusätzlichen Korrekturtabelle. Ausserdem
hat sie für die Praxis wie auch für das Verständnis des Geschädigten den
Vorteil, dass auf die einmal gemachte Berechnung in der Folge immer wieder
abgestellt werden kann und jeweilen nur gleichbleibender Zins ab Urteilstag
zuzuschlagen ist, während der Verfalltag gemäss der ersten Korrekturmethode
je nach dem Abrechnungsdatum ständiger Veränderung unterliegt. Zudem ist
die zweite Berechnungsmethode dem Geschädigten im allgemeinen günstiger
(STAUFFER/SCHÄTZLE S. 25). Von zwei Berechnungsarten, die der blossen
Korrektur dienen, ist die dem Geschädigten vorteilhaftere zu wählen,
weil sie seinem grundsätzlichen Anspruch auf volle Schadloshaltung besser
Rechnung trägt.

    b) Hinsichtlich der Methode der Kapitalisierung haben sich die Parteien
im Berufungsverfahren dahin geeinigt, die Kapitalisierung ausschliesslich
auf Grund der kürzlich in 2. Auflage erschienen Barwerttafeln von
Stauffer/Schätzle vorzunehmen. Diese Wahl bindet das Bundesgericht, und
zu der Frage der grundsätzlichen Anwendbarkeit dieser Tafeln ist daher
heute nicht Stellung zu nehmen.

    Für die Witwe Y. ergibt sich nach Tafel 4 der genannten
Aktivitätstafeln bei einem Alter des Versorgers von 52 Jahren und bei
einem Alter der Ehefrau von 46 Jahren ein Koeffizient von 1165. Der
volle Versorgerschaden der Ehefrau beläuft sich somit, auf den Unfalltag
berechnet, bei einer jährlichen Rente von Fr. 5000.-- auf 1165 x 50 =
Fr. 58'250.--.

    Für den Sohn Y. beträgt nach Tafel 5 der Aktivitätstafeln bei einem
Alter des Versorgers von 52 Jahren und einer Versorgungsdauer von 16 Jahren
der Koeffizient 1054. Da die Jahresrente während der ersten 11 Jahre
Fr. 4500.--, während der folgenden 5 Jahre dagegen Fr. 6000.-- beträgt,
wird am zweckmässigsten so gerechnet, dass man zunächst eine Rente von
Fr. 6000.-- für die ganze Versorgungsdauer von 16 Jahren kapitalisiert und
vom Ergebnis den Kapitalwert einer 11 Jahre laufenden Rente von Fr. 1500.--
in Abzug bringt.

    Danach ergibt sich die folgende Rechnung:

    Kapitalwert einer Rente von Fr. 6000.--

    während 16 Jahren: 1054 x 60  = Fr. 63'240.--

    abzüglich Kapitalwert einer Rente von

    Fr. 1500.-- während 11 Jahren: 839 x 15 =     "  12'585.--

    Totaler Versorgerschaden des Sohnes Y.

    per Unfalltag = Fr. 50'655.--

    .....