Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 84 II 247



84 II 247

35. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung vom 22. Mai 1958
i.S. Kettel gegen Graf. Regeste

    "Vorkaufsvertrag" über ein Grundstück. Auslegung und Form des
Vertrags. Verbindung eines im Grundbuch vorgemerkten limitierten
Vorkaufsrechts mit einem beim Tode des Eigentümers wirksam werdenden
Kaufsrecht. Verwirkung dieser Rechte infolge Nichtausübung des
Vorkaufsrechts beim Verkauf eines Teils des Grundstücks? Geschäft unter
Lebenden oder Verfügung von Todes wegen? Schenkung, deren Vollziehbarkeit
auf den Tod des Schenkers gestellt ist? Gemischte Schenkung?

Sachverhalt

                     Aus dem Tatbestand:

    A.- Am 26. November 1946 schloss Frau Bertha Graf mit Heinrich Graf,
einem Neffen ihres vorverstorbenen Ehemannes, einen "Vorkaufsvertrag"
über ihre Liegenschaft in Heiden, den der Gemeindeschreiber und
Grundbuchverwalter Rudolf Messmer öffentlich beurkundete und der wie
folgt lautet:

    "Frau Wwe. Bertha Graf ... räumt ihrem Neffen Heinrich Graf
... ein Vorkaufsrecht an ihrem Grundeigentum Parzelle Nr. 345, Wohnhaus
Assek. Nr. 692 Schützengasse zum Preise von Fr. 10'000.-- ein. Sollte
dieses Vorkaufsrecht innert der gesetzlichen Maximaldauer von 10 Jahren
nicht wirksam werden, so soll dieses Recht erst mit dem Ableben der
heutigen Eigentümerin untergehen. Zu diesem Zeitpunkt soll sich der
Vorkaufsberechtigte entscheiden, ob er alsdann das Objekt antreten oder
der gesetzlichen Erbin überlassen will.

    Dieser Vorkaufsvertrag soll dinglich wirksam sein, er erfüllt daher die
Rechtswirkungen einer Anmeldung zur Eintragung desselben in das Grundbuch."

    Im Grundbuch wurde gestützt auf diesen Vertrag ein Vorkaufsrecht
zugunsten von Graf vorgemerkt.

    B.- Am 28. August 1952 verkaufte Frau Graf von der Parzelle Nr. 345
ein 19 m2 messendes Teilstück mit dem darauf stehenden Schopfzu Fr. 1000.--
an ihren Nachbar Emil Rohner. Heinrich Graf machte bei dieser Gelegenheit
von seinem Vorkaufsrecht keinen Gebrauch.

    C.- Am 27. Februar 1956 starb Frau Graf. Als einzige Erbin hinterliess
sie ihre Nichte Frau Kettel. Da diese dem Verlangen Heinrich Grafs, die
Parzelle Nr. 345 sei auf Grund des Vertrages vom 26. November 1946 gegen
Bezahlung von Fr. 10'000.-- auf ihn zu übertragen, nicht stattgab, leitete
Graf gegen sie Klage ein mit dem Begehren, sie sei zu verpflichten, das
ihm von der Erblasserin eingeräumte Vorkaufsrecht, eventuell Kaufsrecht,
anzuerkennen und zur grundbuchlichen Übertragung der Parzelle Nr. 345
Hand zu bieten.

    Die Beklagte widersetzte sich diesem Begehren u.a. mit der Begründung,
der Kläger habe sein Vorkaufsrecht durch Nichtausübung beim Verkauf vom 28.
August 1952 verwirkt; auf jeden Fall könne er das allein beurkundete und
vorgemerkte Vorkaufsrecht bei der vorliegenden, auf Erbgang beruhenden
Handänderung nicht ausüben; ein Kaufsrecht und gar ein solches zum Preise
von Fr. 10'000.-- sei weder abgemacht noch öffentlich beurkundet noch
vorgemerkt worden; eventuell wäre der Vertrag deswegen ungültig, weil
ein erst beim Tode der Eigentümerin entstehendes Kaufsrecht nur durch
Verfügung von Todes wegen wirksam hätte bestellt werden können; diese Form
wäre nach Art. 245 Abs. 2 OR auf alle Falle deshalb erforderlich gewesen,
weil die Bestellung eines Kaufsrechts zum Preise von Fr. 10'000.-- auf
den Zeitpunkt des Todes der Eigentümerin hin angesichts der Tatsache,
dass die Liegenschaft zur Zeit des Vertragsabschlusses fast den doppelten
Verkehrswert gehabt habe, eine beim Tod des Schenkers vollziehbare
Schenkung in sich schliesse.

    Das Bezirksgericht Vorderland wies die Klage ab. Das Obergericht von
Appenzell A.Rh. hat sie dagegen am 27. Januar 1958 gutgeheissen.

    D.- Gegen dieses Urteil hat die Beklagte die Berufung an
das Bundesgericht erklärt mit dem Antrag, die Klage sei abzuweisen;
eventuell sei die Sache zur Aktenergänzung und zu neuer Entscheidung an
die Vorinstanz zurückzuweisen.

    Das Bundesgericht bestätigt das angefochtene Urteil.

Auszug aus den Erwägungen:

                       Aus den Erwägungen:

Erwägung 4

    4.- Obwohl der Vertrag vom 26. November 1946 als "Vorkaufsvertrag"
überschrieben ist und auch im Text nur von einem Vorkaufsrecht des Klägers
spricht und diesen nur als "Vorkaufsberechtigten" bezeichnet, hat die
Vorinstanz mit Recht angenommen, dass dieser Vertrag dem Kläger mit
der Wendung: "zu diesem Zeitpunkt" (d.h. beim Ableben der Eigentümerin)
"soll sich der Vorkaufsberechtigte entscheiden, ob er alsdann das Objekt
antreten oder der gesetzlichen Erbin überlassen will", ein beim Tode der
Erblasserin wirksam werdendes Kaufsrecht eingeräumt hat, und zwar mit
dem gleichen Preis, wie er für das bis zu diesem Zeitpunkt bestehende
Vorkaufsrecht galt. Dass die Parteien nicht ausdrücklich von einem
Kaufsrecht gesprochen haben, verschlägt nichts; es genügt, dass der
Vertrag die dem Kläger mit dem Tode der Eigentümerin erwachsende (und
dann auch sogleich auszuübende) Befugnis in einer Weise umschrieben hat,
die klar zeigt, dass es sich dabei um ein solches Kaufsrecht handeln
sollte. Was im Vertrag in dieser Weise zum Ausdruck gekommen ist, wird
auch durch die beim Vertragsabschluss beobachtete Form gedeckt, so dass
die Beklagte nicht mit Grund behaupten kann, das Kaufsrecht sei mangels
öffentlicher Beurkundung der darauf bezüglichen Abmachung ungültig. Der
Umstand schliesslich, dass im Grundbuch nur das Vorkaufsrecht, nicht auch
das Kaufsrecht vorgemerkt wurde, vermag dessen Wirksamkeit gegenüber der
Beklagten als Erbin der Bestellerin dieses Rechts nicht zu beeinträchtigen.

Erwägung 5

    5.- Wurde dem Kläger nicht bloss ein Vorkaufsrecht, sondern auch
ein Kaufsrecht eingeräumt, so ist der Einwand der Beklagten, dass das
Vorkaufsrecht gemäss Vertrag mit dem Tode der Eigentümerin untergegangen
sei und dass zudem der Erbgang keinen Vorkaufsfall bilden könnte,
von vornherein unbehelflich, weil dadurch der entscheidende Anspruch
des Klägers, nämlich eben das Kaufsrecht, nicht in Frage gestellt
wird. Das gleiche gilt auch für den weitern Einwand, der Kläger habe
sein Vorkaufsrecht gemäss Art. 681 Abs. 3 ZGB schon zu Lebzeiten der
Eigentümerin verwirkt, weil er es beim Verkauf des Teilstücks von 19
m2 (mit dem Schopf) im Jahre 1952 nicht ausgeübt habe. Im übrigen hat
es die Beklagte an Ausführungen darüber fehlen lassen, inwiefern das
angefochtene Urteil Bundesrecht verletzt habe, indem es diesen Einwand
als unwesentlich behandelte. Sie hätte denn auch nicht mit Grund gelten
machen können, der Kläger habe dadurch, dass er sein Vorkaufsrecht beim
Teilverkauf von 1952 nicht ausübte, seine Rechte auch mit Bezug auf
die der Eigentümerin verbliebene Restliegenschaft eingebüsst. Dass sich
infolge der Verkleinerung der dem Vorkaufs- und Kaufsrecht unterworfenen
Parzelle der von ihm dafür zu bezahlende Preis ermässigt habe, behauptet
der Kläger nicht. Der Teilverkauf von 1952 spielt deshalb bei Beurteilung
der vorliegenden Klage ... überhaupt keine Rolle.

Erwägung 6

    6.- Bei Prüfung der Frage, ob man es bei der Bestellung des in Frage
stehenden Kaufsrechts mit einem Geschäft unter Lebenden oder mit einer
Verfügung von Todes wegen (deren Form nicht gewahrt wäre) zu tun habe,
darf dieser Akt nicht für sich allein betrachtet werden. Im Vertrag vom
26. November 1946 wurde dem Kläger in erster Linie ein sofort wirksames
Vorkaufsrecht eingeräumt. Bei der Bestellung dieses Rechts handelte
es sich ohne Zweifel um ein Geschäft unter Lebenden. Das Kaufsrecht,
das dem Kläger gleichzeitig auf den Tod der Erblasserin hin eingeräumt
wurde, hängt nun mit dem Vorkaufsrecht innerlich eng zusammen. Es bildet
seinem Zweck nach dessen Ergänzung. Das Vorkaufsrecht sollte den Kläger
in den Stand setzen, die Liegenschaft der Erblasserin zu Fr. 10'000.--
an sich zu ziehen, falls die Erblasserin sie noch zu ihren Lebzeiten
veräusserte, und das Kaufsrecht sollte ihm erlauben, sie zum gleichen Preis
zu erwerben, wenn die Erblasserin sie bis zu ihrem Tode behielt. Wie dank
dem Vorkaufsrecht gegenüber einem dritten Käufer, sollte der Kläger dank
dem Kaufsrecht gegenüber der gesetzlichen Erbin ein Vorrecht auf den Erwerb
der Liegenschaft erhalten. Durch die Vormerkung des Vorkaufsrechts wurde
dafür gesorgt, dass der Kläger dieses Recht auch dann durchsetzen konnte,
wenn die Erblasserin ihre Liegenschaft an einen Dritten verkaufte, ohne dem
Kläger Gelegenheit zu geben, dieses Recht auszuüben. Indem die Vormerkung
des Vorkaufsrechts die Erblasserin daran hinderte, die Liegenschaft durch
einen zu ihren Lebzeiten durchgeführten Verkauf dem Zugriff des Klägers zu
entziehen, sicherte sie nicht nur das Vorkaufsrecht, sondern mittelbar auch
das Kaufsrecht des Klägers. Dem Sinn des Vertrags hätte es im übrigen, wie
die Vorinstanz zutreffend annimt, entsprochen, wenn auch das Kaufsrecht
vorgemerkt worden wäre; denn nach dem letzten Absatz des Vertrags war
nicht etwa bloss das Vorkaufsrecht, sondern der ganze "Vorkaufsvertrag",
der eben ausser dem Vorkaufsrecht auch ein Kaufsrecht begründete, durch
"Eintragung" im Grundbuch "dinglich wirksam zu machen". Da der Vertrag
vom 26. November 1946 nach alledem eine Einheit bildet und Bestimmungen
enthält, die darauf angelegt sind, neben dem sofort in Kraft tretenden
Vorkaufsrecht auch das erst mit dem Tode der Erblasserin wirksam werdende
Kaufsrecht schon zu deren Lebzeiten zu sichern, rechtfertigt es sich,
den ganzen Vertrag als ein Geschäft unter Lebenden zu betrachten (vgl. BGE
46 II 234 Erw. 3, 50 II 372 Erw. 1).

Erwägung 7

    7.- Nach Art. 245 Abs. 2 OR steht eine Schenkung, deren Vollziehbarkeit
auf den Tod des Schenkers gestellt ist, unter den Vorschriften über die
Verfügungen von Todes wegen. Ob anzunehmen sei, eine solche Schenkung
sei nichts anderes als eine Art der Verfügung von Todes wegen, nämlich
ein erbvertragliches Vermächtnis, oder ob man sie trotz der Anwendbarkeit
der Vorschriften über die Verfügungen von Todes wegen als Geschäft unter
Lebenden betrachten will (vgl. zu dieser Streitfrage OSER/SCHÖNENBERGER
N. 19 zu Art. 245 OR mit Hinweisen; GUISAN in Festgabe für den
Juristentag 1934 S. 40/41; KNAPP in Festschrift für Tuor 1946 S. 224
ff.; ESCHER, 3. Aufl., N. 7 der Einleitung zum 14. Titel, S. 99/100),
braucht im vorliegenden Falle nicht entschieden zu werden. Selbst wenn
man nämlich der zweiten Ansicht folgen und ausserdem annehmen wollte,
die Erblasserin habe dem Kläger mit der Einraümung eines Vorkaufs- und
Kaufsrechtes zum Preise von Fr. 10'000.-- eine Schenkung gemacht, so hätte
man es doch nicht mit einer Schenkung zu tun, "deren Vollziehbarkeit auf
den Tod des Schenkers gestellt ist". Die in Erwägung 6 hervorgehobenen
Umstände verböten diese Annahme in gleicher Weise wie diejenige, dass
eine Verfügung von Todes wegen vorliege.

    Der Charakter einer gemischten Schenkung, wie sie allein in Frage
käme, könnte der Einräumung des Vorkaufs- und Kaufsrechtes im übrigen
nur dann beigemessen werden, wenn die Parteien den laut Vertrag bei
Ausübung dieses Rechtes zu zahlenden Preis (Fr. 10'000.--) bewusst unter
dem Verkehrswert der Liegenschaft angesetzt hätten, um die Differenz dem
Kläger unentgeltlich zukommen zu lassen (vgl. BGE 77 II 39 und dortige
Hinweise; BGE 82 II 433 Erw. 5). Dass es sich so verhalten habe, ist
nach den für das Bundesgericht verbindlichen Tatsachenfeststellungen
der Vorinstanz nicht dargetan, obwohl der Verkehrswert der Liegenschaft
zur Zeit des Vertragsabschlusses den damals abgemachten Preis nach der
von der Vorinstanz als massgebend gewürdigten Schätzung um Fr. 5000.--
überstieg. Die Vorinstanz betrachtet vielmehr als bewiesen, dass die
Parteien den Betrag von Fr. 10'000.-- zwar wohl als Freundschaftspreis,
aber doch als volles Entgelt für die dem Vorkaufs- und Kaufsrecht
unterworfene Liegenschaft aufgefasst haben. Auch aus diesem Grunde ist
Art. 245 Abs. 2 OR im vorliegenden Falle nicht anwendbar.

    Die Form des Erbvertrags oder allenfalls der letztwilligen Verfügung
war also für die gültige Errichtung des streitigen Kaufsrechts nicht
erforderlich, sondern die vorgenommene öffentliche Beurkundung des Vertrags
war ausreichend. Die Klage ist daher zu Recht geschützt worden.