Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 84 II 229



84 II 229

32. Urteil der I. Zivilabteilung vom 31. Mai 1958 i.S.
Immobiliengesellschaft Schwarztorstrasse 71 gegen Schermann. Regeste

    1.  Art. 48 OG. Begriff des Endentscheides.

    2.  Art. 50 OG ist nur anwendbar, wenn der Vor- oder Zwischenentscheid
den im Streite liegenden materiellen Anspruch betrifft.

Sachverhalt

    A.- Hedwig Schermann betrieb die Immobiliengesellschaft
Schwarztorstrasse 71 in Bern für Fr. 25'273.45 und erwirkte auf
Rechtsvorschlag hin am 19. Januar 1957 die provisorische Rechtsöffnung. Dr.
Zürcher reichte im Namen der Betriebenen beim Appellationshof des Kantons
Bern Aberkennungsklage ein. Der Appellationshof wies sie am 23. Dezember
1957 ohne Prüfung der materiellen Begründetheit zurück, weil Dr. Zürcher
nicht gehörig bevollmächtigt sei, und auferlegte diesem die Kosten.

    B.- Die Klägerin hat die Berufung erklärt. Sie beantragt, es sei
festzustellen, dass Dr. Zürcher rechtsgültig bevollmächtigt sei, und das
Urteil sei infolgedessen aufzuheben und der Appellationshof anzuweisen,
die Sache materiell zu beurteilen.

Auszug aus den Erwägungen:

              Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- Art. 58 Abs. 1 aoG liess die Berufung nur gegen "Haupturteile" zu.
Dieser Begriff wurde von der Rechtsprechung ausdehnend ausgelegt, indem
sie darunter nicht nur Urteile über den materiellen Anspruch verstand,
sondern auch Entscheide, durch die der Richter aus einem im materiellen
Recht liegenden Grunde die Beurteilung des Anspruches ablehnte und damit
diesen im Ergebnis endgültig abwies (BGE 41 II 60, 54 II 227, 63 II 265
f., 70 II 281; WEISS, Die Berufung an das Bundesgericht in Zivilsachen 34
ff.). Nicht als Haupturteile galten dagegen Entscheide über prozessuale
Vorfragen (BGE 32 I 652, 47 II 108), z.B. darüber, ob die Klage von
einer zur Vertretung des Klägers befugten Person eingereicht worden sei
(BGE 50 II 209).

    Art. 48 OG bezeichnet als berufungsfähig nicht mehr Haupturteile,
sondern Endentscheide. Durch diese Änderung wollten die gesetzgebenden
Behörden in Anlehnung an die Rechtsprechung bestimmen, dass die Berufung
auch zulässig sei, wenn eine zerstörliche Einrede die Beurteilung der
Hauptstreitfrage verunmöglicht und damit die gerichtliche Geltendmachung
des Anspruchs endgültig ausschliesst (vgl. Botschaft zum Entwurf des OG,
BBl 1943 122; BGE 72 II 57, 74 II 177, 80 I 261 ff.). Entscheide über
Prozessvoraussetzungen, die zwar das Verfahren vor der kantonalen Instanz
beenden, aber einer erneuten, den prozessualen Voraussetzungen Rechnung
tragenden Klage über den materiellen Anspruch nicht im Wege stehen, sind
dagegen nach wie vor nicht berufungsfähig. Ob der Entscheid ausschliesslich
in Anwendung kantonalen Prozessrechts ergeht - dessen Verletzung mit der
Berufung zum vornherein nicht gerügt werden könnte (Art. 43 Abs. 1 OG) -
oder ob er auch zu Fragen des eidgenössischen Rechts Stellung nimmt oder
hätte nehmen sollen, ist unerheblich.

    Im vorliegenden Falle richtet sich daher die Berufung nicht gegen einen
Endentscheid im Sinne des Art. 48 OG. Der Appellationshof hat zur Frage, ob
die in Betreibung gesetzte Forderung bestehe, nicht Stellung genommen und
auch nicht deren Beurteilung endgültig abgelehnt, sondern nur entschieden,
dass der Vertreter der Klägerin zur Führung des Prozesses nicht ermächtigt
sei. Damit hat das Gericht lediglich eine Prozessvoraussetzung verneint
(s. Art. 192 bern. ZPO; LEUCH, Kommentar Art. 161 N. 4, Art. 192 N. 9),
nicht aber erkannt, dass der Anspruch der Beklagten bestehe oder ein
Prozess über dessen Bestand endgültig ausgeschlossen sei. Dass ein
neuer Aberkennungsprozess nicht mehr in Frage kommt und die Betreibung
ihren Fortgang nehmen kann, wie die Klägerin unter Hinweis auf die
Möglichkeit der Stellung eines Konkursbegehrens seitens der Beklagten
vorbringt, ändert nichts. Das ist nicht die unmittelbare rechtliche
Auswirkung des angefochtenen Entscheides, sondern nur dessen mittelbare
Folge, weil inzwischen die zehntägige Frist des Art. 83 Abs. 2 SchKG
abgelaufen ist und damit aus diesem Grunde nicht mehr geklagt werden
kann. Würde die Frist noch laufen, so wäre der Klägerin die Einreichung
einer zweiten Aberkennungsklage nicht verwehrt; dieses Recht ist ihr
durch den angefochtenen Entscheid nicht abgesprochen worden. Übrigens
ist ein Erkenntnis, das eine Aberkennungsklage aus prozessualen Gründen
zurückweist, auch deshalb nicht ein Endentscheid im Sinne des Art. 48 OG,
weil damit - unter der Voraussetzung, dass die Klagefrist inzwischen
abgelaufen sei - lediglich der Fortgang der Betreibung ermöglicht und
nicht auch über den Bestand der Forderung entschieden ist; denn dem
Betriebenen bleibt vorbehalten, dem Richter den Streit über die Forderung
innerhalb eines Jahres nach Zahlung der angeblichen Nichtschuld durch
Rückforderungsklage gemäss Art. 86 Abs. 1 SchKG erneut zu unterbreiten
(BGE 47 III 103 ff.).

Erwägung 2

    2.- Die Berufung ist entgegen der Auffassung der Klägerin auch nicht
unter dem Gesichtspunkt des Art. 50 OG zulässig. Diese Bestimmung gestattet
sie gegen die nicht dem Art. 49 OG unterstehenden selbständigen Vor- oder
Zwischenentscheide dann, wenn dadurch sofort ein Endentscheid herbeigeführt
und ein bedeutender Aufwand an Zeit und Kosten für ein weitläufiges
Beweisverfahren erspart werden kann. Damit will das Gesetz in Fällen,
wo die kantonale Instanz einen Vor- oder Zwischenentscheid fällt, der
zur Folge hätte, dass das Verfahren vor ihr weitergeführt werden müsste,
die vorzeitige Herbeiführung des Endentscheides durch das Bundesgericht
ermöglichen. Daraus ergibt sich, dass Art. 50 nur anwendbar ist, wenn
der Vor- oder Zwischenentscheid den im Streite liegenden materiellen
Anspruch betrifft (BGE 71 II 250 f., 81 II 398, 82 II 170). Ergeht
er nur über eine prozessuale Frage, so vermöchte die Berufung zwar
allenfalls das Verfahren abzukürzen, nicht aber zu einem Endentscheid im
Sinne des Gesetzes (Art. 48, 50 OG) zu führen, z.B. wenn das kantonale
Gericht die Legitimation des Vertreters des Klägers durch den Vor- oder
Zwischenentscheid bejaht und der Beklagte sie auf dem Wege der Berufung
bestreiten möchte. Daher ist dieses Rechtsmittel auch nicht zulässig, wenn
die kantonale Instanz wegen Fehlens einer Prozessvoraussetzung auf eine
Klage nicht eintritt. Die Berufung vermöchte auch in diesem Falle nicht
zu einem Endentscheid zu führen. Übrigens würde sie, wenn gutgeheissen,
das Verfahren nicht abkürzen, sondern gegenteils verlängern.

Entscheid:

               Demnach erkennt das Bundesgericht:

    Auf die Berufung wird nicht eingetreten.