Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 84 II 149



84 II 149

21. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung vom 29. April 1958
i.S. Hans Ralm & Co. gegen Phoebus Handelsgesellschaft A. G. Regeste

    Art. 82 OR trifft nur zu, wenn beide Leistungen in ein und dem selben
Vertrage versprochen worden sind und die eine die Gegenleistung für die
andere ist.

Auszug aus den Erwägungen:

    Die Klägerin beharrt auf der Einrede des nichterfüllten Vertrages
(Art. 82 OR) und will die Auffassung des Handelsgerichts, dass sie schon
vor dem Prozesse hätte erhoben werden müssen, um berücksichtigt werden
zu können, nicht gelten lassen.

    Ob diese Kritik begründet ist, kann dahingestellt bleiben. Art. 82 OR
bestimmt, wer bei einem zweiseitigen Vertrage den andern zur Erfüllung
anhalten wolle, müsse entweder bereits erfüllt haben oder die Erfüllung
anbieten, es sei denn, dass er nach dem Inhalte oder der Natur des
Vertrages erst später zu erfüllen habe. Diese Bestimmung betrifft die
Ordnung in der Erfüllung (s. Randtitel) von Leistung und Gegenleistung aus
einem zweiseitigen Vertrage, und nur dieses Verhältnis. Sie hat nicht den
Sinn, dass jeder, der zugleich Gläubiger und Schuldner eines andern ist,
die geschuldete Leistung solange zurückbehalten dürfe, bis der andere die
eigene Leistung erfüllt oder angeboten habe. Nur wenn die eine und die
andere Leistung in ein und demselben Vertrage versprochen worden sind und
gegenseitig derart aufeinander Bezug haben, dass die eine die Gegenleistung
für die andere ist, trifft Art. 82 OR zu (BGE 44 II 74, 67 II 126). Im
Sukzessivlieferungsvertrag besteht dieses Austauschverhältnis zwischen
allen Raten des Verkäufers einerseits und dem gesamten Kaufpreis anderseits
und braucht daher der Verkäufer weitere Leistungen nicht zu erbringen,
solange der Käufer mit der Zahlung des Preises für frühere Lieferungen
im Verzug ist (BGE 52 II 139 f., 78 II 34 f., 79 II 304). Weiter reicht
die Befugnis aus Art. 82 OR nicht. Die Tatsache, dass die Beklagte schon
zur Zeit, da sie die Erfüllung der ausstehenden 15 t Brom verlangte,
Schuldnerin der Klägerin gewesen sein soll, berechtigte daher für sich
allein die Klägerin nicht, die Bromlieferungen zurückzuhalten. Die Klägerin
hätte vielmehr dartun müssen, dass ihre Forderung zum mindesten teilweise
Kaufpreisforderung für frühere Teillieferungen aus den Verträgen vom
16. und 19. Juni 1953 sei. Dass das zutreffe, hat sie in ihren Eingaben und
Vorträgen vor dem Handelsgericht nicht behauptet, wie sie es übrigens auch
im Berufungsverfahren nicht darzutun versucht. Daher ist davon auszugehen,
dass ihr die Einrede des nichterfüllten Vertrages nicht zustand und die
Beklagte sie berechtigterweise zur Lieferung aufforderte, insbesondere
auch noch am 6. April 1955, als sie ihr die letzte Nachfrist ansetzte.