Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 84 II 146



84 II 146

20. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung vom 28. April 1958
i.S. N. gegen Bezirksrat Winterthur. Regeste

    Entmündigungsverfahren. Anhörung der zu entmündigenden Person (Art. 374
ZGB). Bedeutung des Kreisschreibens des Bundesgerichtes vom 18. Mai 1914.

Auszug aus den Erwägungen:

    Der Berufungskläger (dessen vom Bezirksrat Winterthur gestützt auf Art.
370 ZGB beschlossene Entmündigung vom Bezirksgericht Winterthur und vom
Obergericht des Kantons Zürich bestätigt worden ist) macht mit seiner
Berufung gegen das obergerichtliche Urteil in erster Linie geltend, in
dem gegen ihn durchgeführten Verfahren seien in mehrfacher Hinsicht die
Grundsätze verletzt worden, die das Kreisschreiben des Bundesgerichtes
an die kantonalen Regierungen vom 18. Mai 1914 betr. das Verfahren bei
Entmündigungen (BGE 40 II 182 ff.) aufgestellt hat. Dieses Kreisschreiben
hat jedoch nicht die Bedeutung einer Rechtsquelle. Es kann sich nicht
auf eine Verordnungs- bezw. Weisungskompetenz stützen, wie sie dem
Bundesgericht gemäss Art. 15 SchKG im Bereiche dieses Gesetzes zusteht. Es
stellt vielmehr nur eine Anleitung dar, mit der das Bundesgericht den
kantonalen Behörden (namentlich den nach kantonalem Recht mancherorts
für die Entmündigung zuständigen Verwaltungsbehörden) zur Vermeidung
der in der ersten Zeit nach dem Inkrafttreten des ZGB immer wieder
festgestellten Verfahrensmängel zeigen wollte, wie sie erreichen können,
dass das von ihnen durchzuführende Verfahren den Anforderungen von Art. 374
ZGB sowie von Art. 63 und 94 (heute Art. 51) OG genügt. Die Richtlinien,
die es enthält, sind dagegen nicht in dem Sinne verbindlich, dass ein
Entmündigungsentscheid nur dann Bestand haben könnte, wenn sie in allen
Einzelheiten befolgt wurden. Den erwähnten gesetzlichen Vorschriften,
die allein massgebend sind, insbesondere der Vorschrift von Art. 374
ZGB über die Anhörung der zu entmündigenden Person, kann im einzelnen
Fall Genüge geschehen sein, auch wenn das Verfahren den zur Erläuterung
dieser Vorschriften dienenden Richtlinien in gewissen Punkten nicht ganz
entsprach. So verhält es sich hier. Im gerichtlichen Verfahren, das
auf Verlangen des Berufungsklägers durchgeführt wurde, war diesem das
rechtliche Gehör in weitestem Masse gewährleistet. Der Berufungskläger
genoss unbeschränkte Akteneinsicht, kam vor Bezirksgericht wiederholt
persönlich zu Wort und konnte sich dabei über die ihm zur Last gelegten
Tatsachen äussern, erhielt das bezirksgerichtliche Urteil, das die Gründe
der Entmündigung einlässlich darlegt, und konnte dazu vor Obergericht,
wo er durch einen Anwalt vertreten war, in aller Freiheit Stellung
nehmen. Er hatte auch Gelegenheit, sich zu dem von der Klägerschaft erst
vor Obergericht eingereichten neusten Polizeibericht auszusprechen. Er
ist also in einer Weise angehört worden, die den Anforderungen von
Art. 374 ZGB vollauf genügt. An der (übrigens gar nicht bestrittenen)
Zuverlässigkeit der Protokolle über seine Einvernahmen vor Gericht besteht
kein begründeter Zweifel, auch wenn sie entgegen dem zweiten Satze von
Ziff. 4 des Kreisschreibens, der nur den Sinn einer Empfehlung haben kann,
die Unterschrift des Berufungsklägers nicht tragen und auch nicht die
amtliche Bescheinigung enthalten, dass sie ihm vorgelegt oder vorgelesen
wurden und dass er sich mit ihrem Inhalt einverstanden erklärt habe. Wenn
dem Berufungskläger gewisse zur Begründung des Entmündigungsbegehrens
angerufene Tatsachen nicht schon bei der ersten gerichtlichen Einvernahme,
sondern erst später vorgehalten wurden, so kommt darauf nichts an. Es
genügt, dass der Berufungskläger im Laufe des kantonalen Verfahrens
zu allen ihm vorgeworfenen Tatsachen Stellung nehmen konnte. Die
Malermeister, bei denen der Berufungskläger 1950/52 gearbeitet hatte,
brauchten schon deswegen nicht als Zeugen angehört zu werden, weil die
kantonalen Gerichte auf die Polizeirapporte über die Erhebungen bei diesen
Arbeitgebern nicht abgestellt haben, soweit die betreffenden Angaben für
den Berufungskläger ungünstig und von ihm bestritten waren. Die Rügen,
die sich auf die Durchführung des Entmündigungsverfahrens beziehen,
sind also nicht begründet.