Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 84 III 72



84 III 72

19. Entscheid vom 4. September 1958 i.S. Immobiliengesellschaft
Schwanengasse 1 A.-G. Regeste

    Einleitung der Betreibung.

    Der Einwand, die für den Gläubiger handelnde Person sei nicht
vertretungsberechtigt, ist nicht durch Rechtsvorschlag, sondern durch
Beschwerde zu erheben.

    Beim Entscheid darüber, wer eine Aktiengesellschaft vertreten könne,
haben sich die Betreibungsbehörden grundsätzlich an die Eintragungen im
Handelsregister zu halten. Ein hienach nur zur Kollektivunterschrift
berechtigtes Mitglied eines zweigliedrigen Verwaltungsrates kann das
Betreibungsbegehren nicht allein stellen, wenn das zweite Mitglied die
Mitwirkung ablehnt.

Sachverhalt

    Am 5. Mai 1958 stellte das Betreibungsamt Bern 1 der durch ihr einziges
Verwaltungsmitglied Frau Margrit Beyeler-Jörns vertretenen H. Jörns A.-G.
einen Zahlungsbefehl zu, in dem die "Immobiliengesellschaft Schwanengasse 1
A.-G., Bern, vertreten durch den Verwaltungsratspräsidenten Hermann Jörns"
als Gläubigerin bezeichnet war (Betreibung Nr. 66915). Hierauf führte die
Betriebene am 13. Mai 1958 Beschwerde mit dem Begehren, die Betreibung sei
aufzuheben und die Zustellung des Zahlungsbefehls zu annullieren, weil
die Immobiliengesellschaft Schwanengasse 1 A.-G. laut Handelsregister
nicht durch den Verwaltungsratspräsidenten allein, sondern nur durch
diesen zusammen mit einem weitern Mitglied des Verwaltungsrats vertreten
werden könne. Fürsprecher Werner OEsch machte demgegenüber gestützt auf
eine vom Verwaltungsratspräsidenten Jörns unterzeichnete Vollmacht der
Immobiliengesellschaft in deren Namen geltend, es müsse Jörns gestattet
sein, die Gesellschaft in dieser Betreibungssache allein zu vertreten,
weil dem Verwaltungsrat seit dem am 19. Februar 1958 erfolgten Tode von
Frau Wwe. Jörns-Vuille ausser ihm nur noch Frau Margrit Beyeler-Jörns
angehöre, die der in Frage stehenden Betreibung wegen Interessenkollision
nicht zustimme, was aber kein Hindernis für die Durchsetzung der streitigen
Forderung sein dürfe; deren Geltendmachnung sei übrigens vom Verwaltungsrat
am 11. November 1957 noch unter Mitwirkung von Frau Jörns-Vuille mit
Mehrheit beschlossen worden.

    Am 7. Juli 1958 hat die kantonale Aufsichtsbehörde die Beschwerde
gutgeheissen und die Betreibung Nr. 66915 aufgehoben.

    Mit dem vorliegenden Rekurs beantragt Fürsprecher OEsch namens der
Immobiliengesellschaft die Abweisung der Beschwerde.

Auszug aus den Erwägungen:

    Die Schuldbetreibungs- und Konkurskammer zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- Nach Art. 67 Ziff. 1 SchKG sind im Betreibungsbegehren u.a. der
Name und Wohnort des Gläubigers und seines allfälligen Bevollmächtigten
anzugeben. Diese Angaben sind nach Art. 69 Ziff. 1 SchKG in den
Zahlungsbefehl zu übertragen. Der Betreibungsbeamte hat nicht von
Amtes wegen zu prüfen, ob die Personen, die ein Betreibungsbegehren im
Namen des Gläubigers unterzeichnet haben, die von ihnen beanspruchte
Vertretungsmacht wirklich besitzen. Vielmehr muss es grundsätzlich dem
Betriebenen überlassen bleiben, sich gegen eine Betreibung zu wehren, die
von einer zur Vertretung des Gläubigers nicht befugten Person angehoben
worden ist. Da der Einwand, die im Namen des Gläubigers handelnde Person
sei nicht vertretungsberechtigt, nicht gegen die Forderung als solche oder
das Recht des Gläubigers, sie auf dem Betreibungswege geltend zu machen,
sondern gegen die Gültigkeit des Betreibungsbegehrens gerichtet ist, hat
ihn der Betriebene nicht durch Rechtsvorschlag, sondern durch Beschwerde
zu erheben; durch diesen Einwand wird eine verfahrensrechtliche Frage
aufgeworfen, über welche die Aufsichtsbehörden zu befinden haben (vgl. BGE
48 III 181 und 53 III 57/58 im Gegensatz zu dem bei JAEGER, Praxis II, und
JAEGER/DAENIKER, Schuldbetreibungs- und Konkurspraxis der Jahre 1911-1945,
je in N. 5 zu Art. 67 SchKG zutreffend kritisierten Entscheide BGE 43 III
174, der den die Vollmacht des Gläubigervertreters bestreitenden Schuldner
auf den Weg des Rechtsvorschlags verwiesen hatte). Im vorliegenden Rekurs
wird denn auch nicht beanstandet, dass die Vorinstanz auf die Beschwerde
der Betriebenen eingetreten ist.

Erwägung 2

    2.- In der Sache selbst ist der Vorinstanz im Ergebnis
beizustimmen. Bei Prüfung der Frage, wer eine Aktiengesellschaft
rechtsgültig vertreten könne, haben sich die Betreibungsbehörden
grundsätzlich an die Eintragungen im Handelsregister zu
halten. Da nach dem Handelsregister des Amtsbezirkes Bern der
Verwaltungsratspräsident der Immobiliengesellschaft Schwanengasse 1 A.-G.
nicht einzelzeichnungsberechtigt ist, sondern kollektiv mit einem andern
Mitglied des Verwaltungsrates zeichnet, ist die vorliegende Betreibung,
die er allein eingeleitet hat, wegen Ungültigkeit des Betreibungsbegehrens
aufzuheben. Der Verwaltungsratspräsident ist nicht etwa durch eine gehörig
unterzeichnete Sondervollmacht ermächtigt worden, die Gesellschaft in
dieser Betreibungssache ausnahmsweise allein zu vertreten. Ebensowenig
konnte er die fehlende zweite Unterschrift nachträglich beibringen. Im
Gegenteil steht fest, dass Frau Beyeler, die heute ausser ihm das
einzige Mitglied des Verwaltungsrats der Immobiliengesellschaft ist,
sich weigert, bei der Betreibung gegen die H. Jörns A.-G. mitzuwirken,
die von ihr verwaltet wird und deren einzige Aktionärin sie sein
soll. Diese Weigerung ist im Hinblick auf die aus dem Handelsregister
ersichtliche statutarische Regelung der Vertretungsbefugnis zu beachten,
ohne dass zu untersuchen wäre, weshalb sie erfolgte und ob das Verhalten
der Frau Beyeler mit ihren Pflichten als Mitglied des Verwaltungsrats
der Immobiliengesellschaft vereinbar sei oder nicht. Die im Rekurs
verfochtene Ansicht, der Verwaltungsratspräsident müsse die Gesellschaft
trotz dem statutarischen Erfordernis der Kollektivunterschrift allein
vertreten können, wenn das einzige weitere Verwaltungsratsmiglied in
einer bestimmten Angelegenheit wegen Interessenkollision die Mitwirkung
ablehne, findet im Gesetz keine Stütze, sondern stellt ein blosses Postulat
dar. Der im Rekurs angerufene Schlusssatz von Art. 717 Abs. 1 OR, wonach
wenigstens ein Mitglied der Verwaltung zur Vertretung der Gesellschaft
befugt sein muss, hat mit der vorliegenden Frage nichts zu tun. Wenn
der Verwaltungsratspräsident der Rekurrentin glaubt, diese müsse zur
Wahrung ihrer Interessen die Möglichkeit erhalten, die H. Jörns A.-G. zu
betreiben, so mag er für eine Ergänzung der Verwaltung oder eine Änderung
der Statuten sorgen. Den Betreibungsbehörden ist es keinesfalls erlaubt,
dem Begehren eines einzelnen Verwaltungsratsmitglieds zu entsprechen,
wenn gemäss Handelsregister die Unterschrift zweier Mitglieder nötig
ist und die erforderliche zweite Unterschrift verweigert wird. Der nach
der Darstellung der Rekurrentin am 11. November 1957 zustandegekommene
Mehrheitsbeschluss des Verwaltungsrats, die streitige Forderung sei
geltend zu machen, ist ein rein interner Akt der Gesellschaft, der die
fehlende Kollektivunterschrift auf dem Betreibungsbegehren bezw. auf der
Anwaltsvollmacht für das Betreibungsverfahren nicht ersetzen kann. Ebenso
bezieht sich die statutarische Vorschrift, dass bei Stimmengleichheit
die Stimme des Präsidenten den Ausschlag gebe, nur auf die interne
Willensbildung, nicht auf die Vertretung nach aussen.

Entscheid:

       Demnach erkennt die Schuldbetr.- u. Konkurskammer:

    Der Rekurs wird abgewiesen.