Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 84 III 33



84 III 33

11. Auszug aus dem Entscheid vom 20. Januar 1958 i.S. Eheleute Sch.
Regeste

    Unpfändbarkeit und Widerspruchsverfahren. Art. 92 und 106-109 SchKG.

    1.  Wo sind Beschwerden wegen unrichtiger Anwendung von Art. 92 SchKG
bei Requisitorialpfändung anzubringen? (Erw. 2).

    2.  Auch bei Sachen, die er als Eigentum eines Dritten bezeichnet
hat, ist der Schuldner zur Geltendmachung der Unpfändbarkeit an die vom
Empfang der Pfändungsurkunde an laufende Beschwerdefrist des Art. 17
SchKG gebunden. Das Beschwerdeverfahren ist zuerst durchzuführen und
ein Widerspruchsverfahren erst nachher und nur für pfändbares Vermögen
einzuleiten (Erw. 3).

    3.  Inwieweit hat das Betreibungsamt die Frage der Pfändbarkeit von
Amtes wegen zu prüfen? (Erw. 4).

    4.  Was ist dem Schuldner auch bei Versäumung der Beschwerdefrist
als unpfändbar freizugeben? (Erw. 5).

Sachverhalt

                     Aus dem Tatbestand:

    A.- In der gegen Sch. hängigen Betreibung wurde die Pfändung im Juli
1956 am Wohnort Schaffhausen und requisitionsweise in Zürich vollzogen. Die
Pfändungsurkunde wurde am 7. August 1956 abgeschlossen und am 11. gleichen
Monats den Beteiligten zugestellt. Der Schuldner hatte eine Anzahl der
gepfändeten Sachen als Eigentum des B. bezeichnet. Dieser verfocht den
Eigentumsanspruch denn auch gegenüber der betreibenden Gläubigerin,
wurde aber vom Richter abgewiesen; ebenso war eine von ihm gegen das
Urteil ergriffene Nichtigkeitsbeschwerde erfolglos. Hierauf verlangte
die Gläubigerin die Verwertung.

    B.- Dieser Massnahme traten der Schuldner und seine Ehefrau entgegen,
indem sie eine Anzahl der von B. angesprochenen Gegenstände nun als
zur Berufsausübung unentbehrlich bezeichneten und deren Freigabe
verlangten. Das Betreibungsamt lehnte dieses Begehren jedoch als
verspätet ab, und die kantonale Aufsichtsbehörde trat mit Entscheid vom
20. Dezember 1957 auf die Beschwerde der Eheleute Sch. wegen Versäumung
der Beschwerdefrist nicht ein.

    C.- Mit vorliegendem Rekurs halten die Beschwerdeführer an der
Beschwerde fest. Wie schon in kantonaler Instanz, erklären sie, sie seien
überzeugt gewesen, dass die nun als Kompetenzstücke herausverlangten Sachen
dem Drittansprecher B. gehörten. Zur Geltendmachung der Unpfändbarkeit
habe erst die unerwartete Abweisung der Drittansprache Anlass gegeben. Mit
Rücksicht auf das von ihnen anerkannte Dritteigentum hätten sie es als
"unrechtlich" erachtet, Kompetenzansprüche zu erheben.

Auszug aus den Erwägungen:

    Die Schuldbetreibungs- und Konkurskammer zieht in Erwägung:

    . . . . . . . . . .

Erwägung 2

    2.- Die dem Schuldner am 11. August 1956 zugestellte Pfändungsurkunde
enthält als Anhang den Pfändungsbericht des um Rechtshilfe nach Art. 89
SchKG ersuchten Betreibungsamtes Zürich 8 mit getrennter Numerierung
der Gegenstände. Die Kompetenzansprache der Rekurrenten bezieht sich zum
Teil auf die in Schaffhausen und zum Teil auf die in Zürich gepfändeten
Sachen. Mit Unrecht verfochten die Rekurrenten diesen Anspruch in vollem
Umfange bei der Aufsichtsbehörde des Kantons Schaffhausen. Diese war
nur zuständig zur Überprüfung der in Schaffhausen, nicht auch der in
Zürich requisitionsweise, aber doch selbständig vorgenommenen Pfändung,
wobei dem ersuchten Amte auch die Anwendung von Art. 92 SchKG oblag
(vgl. JAEGER, N. 6 zu Art. 89 SchKG; BGE 79 III 29, wo die verschiedene
Bedeutung einer Requisition im Konkurse dargelegt wird). Inbezug auf
die in Zürich vollzogene Pfändung bleibt es somit bei dem angefochtenen
Nichteintretensentscheid wegen örtlicher Unzuständigkeit.

Erwägung 3

    3.- Was die Pfändung durch das Betreibungsamt Schaffhausen betrifft,
war die Beschwerde verspätet. Über die Unpfändbarrkeit gemäss Art. 92
SchKG ist beim Pfändungsvollzug zu befinden. Im Anschluss an diesen
Akt, binnen zehn Tagen seit Zustellung der Pfändungsurkunde, sind
daher Beschwerden wegen Verletzung dieses Artikels einzureichen,
wie es auf der Pfändungsurkunde vermerkt ist. (Dass die Ehefrau erst
später von der Pfändung erfahren habe, ist nicht dargetan und gar nicht
behauptet worden.) So verhält es sich auch dann, wenn der Schuldner oder
einer seiner Angehörigen (BGE 80 III 20) als Kompetenzstück eine Sache
ansprechen will, die er als Eigentum eines Dritten betrachtet. Denn das
Widerspruchsverfahren ist nur für pfändbares Vermögen einzuleiten. Bei
gleichzeitigem Vorliegen von Kompetenz- und Dritteigentumsansprachen ist
daher zuerst (im Beschwerdeverfahren) die Frage der Kompetenzqualität zu
erledigen (BGE 83 III 20 mit Zitaten; siehe auch BGE 42 III 59 und 77 III
108/9). Den Beteiligten ist nicht zuzumuten, ein mit beträchtlichem Aufwand
verbundenes Widerspruchsverfahren auf die Gefahr hin durchzuführen, dass
die betreffenden Gegenstände allenfalls ohnehin als unpfändbar freizugeben
sind. Daher dürfen der Schuldner und seine Angehörigen, auch wenn sie
einen Dritten als Eigentümer betrachten und dessen Ansprache anerkennen,
mit der Beschwerdeführung wegen allfälliger Unpfändbarkeit nicht zuwarten
(BGE 71 III 98). Der Einwand der Rekurrenten, die Rücksichtnahme auf
den Drittansprecher habe sie von solchem Vorgehen abgehalten, kann ihnen
nicht helfen. Durch eine Freigabe von Sachen als Kompetenzstücke werden
die Rechte eines Dritten in keiner Weise berührt.

Erwägung 4

    4.- Auf eine nach Art. 17 SchKG verspätete Beschwerde kann
grundsätzlich auch dann nicht eingetreten werden, wenn sie rügt, beim
Pfändungsvollzug sei die Frage der Pfändbarkeit nicht pflichtgemäss
von Amtes wegen geprüft worden (BGE 62 III 138). Übrigens geht diese
Amtspflicht, was die Ziffern 1 und 3 von Art. 92 SchKG belangt, im
wesentlichen dahin, die beim Familienbestand des Schuldners offensichtlich
unentbehrlichen Gegenstände (Tische, Stühle, Betten, Küchengeräte und
dergleichen sowie Kleider) und ferner die für die Ausübung seines Berufes
nach landläufiger Auffassung notwendigen Werkzeuge und Geräte auch ohne
dahingehendes Begehren der Betroffenen frei zu geben. Solch zweifellose
Kompetenzqualität kommt jedoch den in Schaffhausen gepfändeten Sachen
nicht zu (es handelt sich um einen Schreibtisch, zwei Sessel und
eine Schreibmaschine). Da der Schuldner, ein Geschäftsmann, lediglich
Dritteigentum geltend machte, ohne sich auf Eigenbedarf (wozu die fremden
Sachen etwa auf Grund einer Miete oder eines Abzahlungsgeschäftes zu dienen
hätten) zu berufen, war das Betreibungsamt nicht gehalten, von Amtes wegen
zu untersuchen, warum sich diese angeblich fremden Sachen beim Schuldner
befanden, und ob er oder seine Ehefrau sie zu eigenem Gebrauch benötige.

Erwägung 5

    5.- Nur dann wäre ein Verzicht auf Unpfändbarkeit ungültig und
könnten die Verwirkungsfolgen der Fristversäumnis nicht Platz greifen,
wenn man es mit Gegenständen zu tun hätte, die dem.Schuldner und seinen
Angehörigen aus Gründen der Menschlichkeit und der öffentlichen Ordnung
belassen werden müssen (BGE 71 III 148, 75 III 5, 76 III 34, 80 III 24). Zu
dieser Frage spricht sich der angefochtene Entscheid nicht aus. Nach der
Vernehmlassung des Betreibungsamtes ist nicht anzunehmen, dass die Pfändung
und Verwertung der in Schaffhausen befindlichen Gegenstände den Schuldner
und seine Familie in eine schlechterdings unhaltbare Lage bringt, was
allein es rechtfertigen würde, diese Pfändung als nichtig zu betrachten.

Entscheid:

       Demnach erkennt die Schuldbetr.- u. Konkurskammer:

    Der Rekurs wird abgewiesen.