Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 84 III 1



84 III 1

1. Entscheid vom 29. April 1958 i.S. O. Regeste

    Zwangsvollstreckung unter Ehegatten (Art. 173 ff.  ZGB).

    Prozessentschädigungen sind nur dann gemäss Art. 176 Abs. 2 ZGB
vom Betreibungsverbot ausgenommen, wenn sie mit der Zuerkennung von
Unterhaltsansprüchen zusammenhängen.

    Bei Prüfung der Frage, ob die dem Ehemann auferlegten periodischen
Leistungen als Unterhaltsbeiträge oder aber als Haushaltungsgeld (wofür
die Zwangsvollstreckung ausgeschlossen ist) anzusehen seien, haben die
Betreibungsbehörden darauf abzustellen, ob die Ehegatten tatsächlich
getrennt leben oder einen gemeinsamen Haushalt führen.

    Lohnpfändung (Art. 93 SchKG).

    Der Notbedarf eines getrennt lebenden Ehemannes ist ohne Rücksicht
darauf, ob er zum Getrenntleben berechtigt sei oder nicht, nach Massgabe
der tatsächlich vorhandenen Verhältnisse zu berechnen.

Sachverhalt

    A.- Mit Urteil vom 5. Oktober 1956 wies das Bezirksgericht die
Scheidungsklage des O. ab. Nachdem O. die Berufung gegen dieses Urteil
zurückgezogen hatte, schrieb das Obergericht des Kantons Zürich den
Prozess am 21. Januar 1957 als erledigt ab und verpflichtete O., die
Anwaltsrechnung der Ehefrau für das Berufungsverfahren bis zum Betrage
von Fr. 200.-- zu bezahlen.

    Am 5. Februar 1957 verliess O. die eheliche Wohnung unter Mitnahme von
Mobiliar. Hierauf forderte ihn der Eheschutzrichter mit Verfügung vom 23.
Februar 1957 auf, in die eheliche Wohnung zurückzukehren und die von
ihm weggeschafften Gegenstände zurückzubringen, und verpflichtete ihn,
seine Ehefrau für Umtriebe mit Fr. 50.- zu entschädigen.

    Da O. der an ihn ergangenen Aufforderung keine Folge leistete
und für den Unterhalt der Ehefrau nicht mehr aufkam, befahl
ihm der Eheschutzrichter am 27. April 1957 unter Androhung der
Zwangsvollstreckung, die weggenommenen Gegenstände in die eheliche Wohnung
zurückzubringen, verpflichtete ihn, der Ehefrau mit Wirkung ab 1. März
1957 Unterhaltsbeiträge von Fr. 110.-- pro 14tägige Zahltagsperiode zu
bezahlen, und wies seine Arbeitgeberin an, diesen Betrag jeweilen der
Ehefrau zu überweisen. Gleichzeitig wurde O. verpflichtet, dem Vertreter
der Ehefrau eine Prozessentschädigung von Fr. 30.- zu bezahlen.

    B.- In der Betreibung Nr. 493, mit welcher die Ehefrau vom Ehemann
die Bezahlung der im obergerichtlichen Abschreibungsbeschluss vom
21. Januar 1957 festgesetzten Prozessentschädigung verlangte, pfändete das
Betreibungsamt am 4. März 1957 vom Lohn des Schuldners Fr. 90.- pro Monat.
Die gleiche Lohnpfändung verfügte es in der Folge auch in den Betreibungen
Nr. 2230 und 2643, mit denen die Ehefrau die Prozessentschädigungen gemäss
den Verfügungen des Eheschutzrichters vom 23. Februar bzw. 27. April 1957
geltend machte.

    C.- Mit einem Revisionsgesuch, das er am 3. Juli 1957 an das
Betreibungsamt richtete, verlangte O. die Aufhebung der Lohnpfändung. Zur
Begründung berief er sich auf den Lohnabzug gemäss Verfügung des
Eheschutzrichters vom 27. April 1957 sowie darauf, dass er für unter
Eigentumsvorbehalt gelieferte notwendige Einrichtungsgegenstände, die er
nach Rückschaffung des aus der ehelichen Wohnung mitgenommenen Mobiliars
zur Ausstattung seiner eigenen Kleinwohnung habe kaufen müssen, monatlich
Fr. 90.- abzuzahlen habe. Das Betreibungsamt berechnete seinen Notbedarf
unter Berücksichtigung der von ihm geltend gemachten Aufwendungen neu
auf Fr. 694.-- und hob, da sein Verdienst diesen Betrag nicht erreichte,
mit Verfügung vom 5. Juli 1957 die Lohnpfändung in allen drei Betreibungen
mit sofortiger Wirkung auf.

    D.- Gegen diese Verfügung führte die Ehefrau Beschwerde, mit der
sie vor allem geltend machte, bei der Festsetzung des Notbedarfs des
Ehemannes dürfe nicht berücksichtigt werden, dass er einen selbständigen
Haushalt führe, weil er nach den ergangenen Gerichtsentscheiden nicht
zum Getrenntleben berechtigt, sondern im Gegenteil zur Rückkehr in
die eheliche Wohnung und zur Wiederaufnahme der ehelichen Gemeinschaft
verpflichtet sei. Die untere und die obere kantonale Aufsichtsbehörde
haben die Beschwerde, der sie aufschiebende Wirkung erteilten, abgewiesen,
die obere mit Entscheid vom 7. März 1958.

    E.- Diesen Entscheid hat die Ehefrau an das Bundesgericht
weitergezogen.

Auszug aus den Erwägungen:

    Die Schuldbetreibungs- und Konkurskammer zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- (Prozessuales.)

Erwägung 2

    2.- Die Vorinstanz hat mit Recht von Amtes wegen geprüft, ob die
in Frage stehenden Betreibungen vor den Bestimmungen des ZGB über die
Beschränkung der Zwangsvollstreckung unter Ehegatten Bestand haben;
denn diese Bestimmungen sind, da im öffentlichen Interesse erlassen,
zwingender Natur, so dass die dagegen verstossenden Betreibungen nichtig
sind (BGE 77 III 55, 80 III 147).

    Die streitigen Betreibungen sind nach Art. 173 ff. ZGB nur dann
zulässig, wenn Art. 176 Abs. 2 ZGB auf sie zutrifft, d.h. wenn sie für
Beiträge angehoben wurden, die dem einen Ehegatten gegenüber dem andern
durch den Richter auferlegt worden sind.

    Im Entscheide BGE 82 III 1 ff., an den die Erwägungen der Vorinstanz
anknüpfen, hat das Bundesgericht erklärt, es rechtfertige sich allgemein,
die Prozessentschädigung, die einem Ehegatten gegenüber dem andern
ausser (d.h. neben) Unterhaltsbeiträgen vom Richter zugesprochen wird
- sei es in einem Verfahren gemäss Art. 145 oder 170 ZGB oder auch bei
gerichtlicher Trennung der Ehe -, als vom Betreibungsverbot ausgenommenen
Beitrag im Sinne von Art. 176 Abs. 2 ZGB gelten zu lassen. Die Frage,
ob noch weitergehend jede einem Ehegatten vom andern geschuldete
Prozessentschädigung zu den Beiträgen in diesem Sinne zu rechnen sei,
hat das Bundesgericht damals ausdrücklich offen gelassen (S. 6). Im
angefochtenen Entscheid ist die Vorinstanz dazu gelangt, diese Frage
wenigstens für den Fall zu bejahen, dass die Ehegatten tatsächlich
getrennt leben und dem betreibenden Ehegatten nicht etwa entgegengehalten
werden kann, er selber lehne das Zusammenleben pflichtwidrig ab. (Ob
die Betreibung eines so handelnden Ehegatten wegen Rechtsmissbrauchs
unzulässig wäre, liess die Vorinstanz als im vorliegenden Falle unerheblich
dahingestellt.) Das Bundesgericht hat jedoch in dem bei Erlass des
angefochtenen Urteils bereits veröffentlichten Entscheide BGE 83 III
89 ff. die in BGE 82 III 1 ff. offen gelassene Frage in klarer Weise
verneint, indem es feststellte, nach geltendem Recht lasse sich die in
Art. 176 Abs. 2 ZGB für Beiträge, d.h. Unterhaltsbeihilfen, vorgesehene
Befreiung vom Betreibungsverbot nur auf Prozessentschädigungen ausdehnen,
die dem unterhaltsberechtigten Ehegatten als Nebenfolge des (u.a.) den
Unterhaltsanspruch bestimmenden Urteils gewährt werden und sich damit
(ganz oder doch teilweise) als Aufwand zur Erwirkung eines vollstreckbaren
Unterhaltsanspruchs erweisen; dagegen sei es unzulässig, zu den Beiträgen
des Art. 176 Abs. 2 ZGB auch solche Prozessentschädigungen zu rechnen,
die nicht mit der Zuerkennung von Unterhaltsansprüchen zusammenhängen
(S. 91/92). An diesem Entscheide, mit dem die Vorinstanz sich nicht
auseinandergesetzt hat, ist festzuhalten. Der kantonale Entscheid,
den das Bundesgericht damals aufgehoben hat, war ähnlich begründet wie
der heute angefochtene Entscheid, so dass zur Widerlegung der Auffassung
der Vorinstanz auf die damaligen Erwägungen des Bundesgerichts verwiesen
werden kann.

    Die Betreibungen Nr. 493 und 2230 betreffen Prozessentschädigungen,
die nicht mit der Zuerkennung von Unterhaltsansprüchen zusammenhängen
(vgl. oben A u. B). Sie sind daher nichtig, was ohne weiteres zur Abweisung
des Rekurses mit Bezug auf diese beiden Betreibungen führt.

Erwägung 3

    3.- Mit Betreibung Nr. 2643 wird dagegen eine Prozessentschädigung
eingefordert, die der Rekurrentin in einer Verfügung zugesprochen wurde,
mit welcher ihr Ehemann u.a. zur Zahlung von Unterhaltsbeiträgen
verpflichtet und seine Arbeitgeberin angewiesen wurde, jeweilen
den entsprechenden Betrag vom Lohn des Ehemannes abzuziehen und der
Rekurrentin zu überweisen. Wie die Vorinstanz mit Recht angenommen hat,
handelt es sich bei diesen dem Ehemann auferlegten Leistungen um Beiträge
(Unterhaltsbeihilfen) im Sinne von Art. 176 Abs. 2 ZGB, so dass die der
Rekurrentin im gleichen Entscheid zugesprochene Prozessentschädigung nach
der Rechtsprechung auf dem Betreibungsweg geltend gemacht werden kann.

    Die Rekurrentin hatte freilich nicht behauptet, dass der eine
oder andere Ehegatte zum Getrenntleben berechtigt sei, und die ihr
zugesprochenen periodischen Leistungen nicht als Unterhaltsbeiträge,
sondern als Beiträge an die Haushaltskosten bezeichnet, wobei ihr nach
den Feststellungen der Vorinstanz vorschwebte, es handle sich um das ihr
als Führerin des ehelichen Haushalts gebührende Haushaltungsgeld. Hieraus
hat jedoch die Vorinstanz mit Recht nicht geschlossen, man habe es bei
den fraglichen Leistungen nicht mit wirrklichen Unterhaltsbeiträgen,
sondern mit einem Haushaltungsgeld, d.h. mit Geldbeträgen zu tun, die der
Ehemann der Ehefrau zur Bestreitung der Kosten des gemeinsamen Haushalts
zur Verfügung zu stellen hätte, wofür die Zwangsvollstreckung nach BGE 81
III 1 ff. nicht zulässig wäre. Der Eheschutzrichter hat der Rekurrentin die
erwähnten Leistungen in der Verfügung vom 27. April 1957 unter Berufung auf
Art. 170 ZGB zugesprochen. Vor allem aber ist ein gemeinsamer Haushalt der
Eheleute O. zur Zeit tatsächlich nicht vorhanden. Auf diesen Sachverhalt,
der es ausschliesst, die streitigen Leistungen als Haushaltungsgeld zu
betrachten, haben die Betreibungsbehörden abzustellen. Es kann nicht
ihre Sache sein, darüber zu befinden, ob ein Ehepaar zu Recht oder zu
Unrecht getrennt lebe. Selbst wenn gerichtliche Urteile und Verfügungen
vorliegen, die bezügliche Ausführungen enthalten, lässt sich diese
Frage im Betreibungsverfahren nicht so zuverlässig abklären, dass es
anginge, die Zulässigkeit der Betreibung vom Ergebnis dieser Untersuchung
abhängig zu machen. So beweist die Abweisung einer Scheidungsklage an sich
(entgegen der in BGE 80 I 308 Erw. 3 geäusserten, für die damals getroffene
Entscheidung aber nicht ausschlaggebenden Auffassung) noch nicht, dass die
Ehegatten zur Wiederaufnahme der ehelichen Gemeinschaft verpflichtet seien.
Die Voraussetzungen für das Getrenntleben gemäss Art. 170 Abs. 1 ZGB
können sehr wohl auch beim Fehlen eines Scheidungsgrundes gegeben sein
(z.B. ernstliche Gefährdung der Gesundheit infolge ansteckender schwerer
Krankheit des andern Ehegatten). Aber auch eine auf Wiederherstellung
der Gemeinschaft gerichtete Massnahme des Eheschutzrichters erlaubt
in der Folge nicht ohne weiteres den Schluss, dass das Getrenntleben
unrechtmässig sei. Die Verhältnisse können sich von einem Tag auf den
andern ändern, sei es, dass ein Grund zum Getrenntleben entsteht, sei
es, dass ein solcher nunmehr bewiesen werden kann. Angesichts solcher
Möglichkeiten könnten die Betreibungsbehörden auch beim Vorliegen
gerichtlicher Urteile und Verfügungen nicht zuverlässig feststellen,
ob das als Tatsache gegebene Getrenntleben rechtlich begründet sei oder
nicht. Es bleibt ihnen daher gar nichts anderes übrig, als sich in dieser
Beziehung an die tatsächlichen Verhältnisse zu halten, wie die Vorinstanz
es getan hat, und diese Verhältnisse lassen die Betreibung Nr. 2643 wie
gesagt als zulässig erscheinen.

Erwägung 4

    4.- Ist diese Betreibung mit Rücksicht darauf, dass die in der
Verfügung vom 27. April 1957 festgesetzten periodischen Leistungen
nach der tatsächlichen Lage nicht als Haushaltungsgeld, sondern als
Unterhaltsbeihilfen gelten müssen, zu gestatten, so können nach Vernunft
und Billigkeit für die Berechnung des Notbedarfs auch nur die tatsächlich
vorhandenen Verhältnisse massgebend sein und kann auch in diesem Punkte
nichts darauf ankommen, ob der Ehemann der Rekurrentin zum Getrenntleben
berechtigt sei oder nicht.

    Das Begehren der Rekurrentin, der Notbedarf ihres Ehemannes sei
ohne Rücksicht auf die aus dem Getrenntleben sich ergebenden erhöhten
Bedürfnisse festzusetzen, läuft darauf hinaus, dass auf den Ehemann durch
Entzug von Mitteln, die er wirklich benötigt, um als alleinstehender
Mann sein Leben zu fristen, ein Druck ausgeübt werden soll, um ihn zur
Wiederaufnahme der ehelichen Gemeinschaft zu bestimmen. Einen derartigen
Zwang erlaubt das Gesetz ebensowenig wie einen solchen durch Verpflichtung
des widerspenstigen Ehegatten zu Schadenersatzleistungen (BGE 80 I 309
Erw. 4).

    Dass der Notbedarf des Ehemannes seinen Verdienst auch bei
Berücksichtigung der Bedürfnisse eines alleinstehenden Mannes nicht
erreiche, wird von der Rekurrentin nicht behauptet.

    Aus diesen Gründen ist der Rekurs auch mit Bezug auf die Betreibung Nr.
2643 abzuweisen.

Entscheid:

       Demnach erkennt die Schuldbetr.- u. Konkurskammer:

    Der Rekurs wird abgewiesen.