Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 83 I 63



83 I 63

10. Urteil vom 8. Februar 1957 i.S. Müller gegen
Schweiz. Eidgenossenschaft. Regeste

    Besoldung des Bundesbeamten: Anrechnung einer Unfallrente der
Militärversicherung? Solange der Beamte die Aufgabe, für die er besoldet
wird, voll erfüllt, hat er Anspruch auf ungekürzte Ausrichtung des Gehalts.

Sachverhalt

    A.- Der Kläger Ernst Müller steht als Kontrolleur im Dienste der
eidg. Zollverwaltung. Am 18. Januar 1952 erlitt er im Militärdienst
einen Unfall. Er zog sich dabei Verletzungen zu, die eine bleibende
Schädigung - "Bildung einer Coxarthrosis mit wesentlichem Hinken sowie
erheblicher Einschränkung der Beweglichkeit des linken Hüftgelenkes und
zeitweise auftretender starker Schmerzhaftigkeit" - zur Folge hatten. Die
eidg. Militärversicherung gewährt ihm seit 1. Juni 1955 für dauernde
"Invalidität bzw. Schädigung der körperlichen Integrität" im Umfange von
25% eine Monatsrente von Fr. 206.25. Er versieht seit dem Unfall den
gleichen Posten wie vorher.

    Die Zollkreisdirektion I verfügte am 25. Oktober 1955
"gestützt auf Art. 45 Abs. 5 BtG" eine teilweise Anrechnung der
Militärversicherungsrente auf die Besoldung des Klägers mit Wirkung
ab 1. November 1955. Sie ordnete an, vorläufig seien 40% der Rente
anzurechnen, in Erwägung, dass die persönlichen und finanziellen
Verhältnisse des Klägers infolge des Integritätsschadens beeinträchtigt
seien und dass möglicherweise der Kläger durch den Unfall auch im
beruflichen Vorwärtskommen behindert werde. Weiter bestimmte sie, dass
im Falle einer Beförderung die Anrechnung sich für jede Besoldungsklasse
um 5% bis auf einen Anteil von 50% der Rente erhöhe.

    Ein Begehren des Klägers um Aufhebung dieser Verfügung wurde vom eidg.
Finanz- und Zolldepartement am 2. August 1956 abgelehnt.

    B.- Mit verwaltungsrechtlicher Klage beantragt Ernst Müller,
die Schweiz. Eidgenossenschaft sei zu verurteilen, ihm die seit
dem 25. Oktober 1955 von der Besoldung durch teilweise Anrechnung
der Militärversicherungsrente abgezogenen Beträge nachzuzahlen und in
Zukunft die volle gesetzliche Besoldung auszurichten. Er macht geltend,
da er für sein Amt nach wie vor voll arbeitsfähig sei, habe er auch
Anspruch auf die ungekürzte Besoldung. Der Gehaltsanspruch des Beamten
sei ein wohlerworbenes Recht. Eine Kürzung sei für den hier vorliegenden
Fall im Gesetz nicht vorgesehen. Art. 45 Abs. 5 BtG ordne einen andern
Sachverhalt und dürfe hier nicht analog angewendet werden. Auch die vom
Departement angerufenen Urteile BGE 62 I 40 ff. und 78 I 180 ff. beträfen
andere Tatbestände.

    C.- Die eidg. Finanzverwaltung schliesst auf Abweisung der Klage. Sie
führt aus, nach dem Beamtenrecht des Bundes müsse der Beamte sich
Leistungen der Militärversicherung oder der Suva auf seine Besoldung und
nach der Pensionierung auf die Pension anrechnen lassen. Dieser Grundsatz
sei in verschiedenen Bestimmungen für besondere Fälle ausgesprochen,
gelte aber allgemein (BGE 62 I 42, 78 I 182). Art. 45 Abs. 5 BtG sei hier
sinngemäss anwendbar. Dass der Kläger nach dem Unfall an seinem bisherigen
Posten habe belassen werden können, sei unerheblich. Übrigens sei er
seither nicht nur im Privatleben, sondern auch bei der Berufsausübung
leicht behindert. Ein Eingriff in ein wohlerworbenes Recht liege nicht vor.

Auszug aus den Erwägungen:

              Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- Es handelt sich um eine vermögensrechtliche Streitigkeit
aus dem Bundesbeamtenverhältnis, die gemäss Art. 110 Abs. 1 lit. a
OG vom Bundesgericht als einziger Instanz zu beurteilen ist. Die
gemäss Art. 114 OG und Art. 67 BO I erforderliche Stellungnahme der
zuständigen Verwaltungsinstanz liegt im Schreiben des eidg. Finanz-
und Zolldepartements vom 2. August 1956 vor. Auf die Klage ist einzutreten.

Erwägung 2

    2.- Auf die Garantie der wohlerworbenen Rechte des Beamten könnte sich
der Kläger nur berufen, wenn der beanstandeten Kürzung eine bestimmte
im Gesetz selbst enthaltene oder individuell abgegebene Zusicherung
entgegenstände (BGE 70 I 20 Erw. 3, 77 I 144). Eine solche Zusicherung
wird vom Kläger nicht behauptet und ist auch nicht ersichtlich. Dass
abgesehen davon der Besoldungsanspruch des Bundesbeamten nur im Rahmen
der gesetzlichen Ordnung besteht, also den gesetzlichen Beschränkungen
unterliegt, ist allgemein anerkannt und wird auch vom Klâger nicht
bestritten. Der Streit geht darum, ob die gesetzliche Ordnung, das
eidgenössische Beamtenrecht, eine Anrechnung der Militärversicherungsrente
auf die Besoldung für den hier vorliegenden Fall vorsieht oder nicht.

Erwägung 3

    3.- Art. 45 Abs. 5 BtG bestimmt, dass der Beamte, dem wegen eines
nicht auf grobem Selbstverschulden beruhenden Gebrechens eine andere
- gemeint ist eine an sich geringer besoldete - Tätigkeit zugewiesen
werden muss, vom Eintritt des Gebrechens an für die Dauer von zwei Jahren
Anspruch auf die bisherige Besoldung hat, mit der Einschränkung, dass
Leistungen der Militärversicherung oder der Suva darauf angerechnet werden
können. Hier ist die Vorschrift offensichtlich nicht anwendbar, weil ihre
Voraussetzung, die Zuweisung einer anderen Tätigkeit, nicht erfüllt ist;
denn es ist unbestritten, dass der Kläger seit dem Unfall den gleichen
Posten versieht wie vorher. In der Klageantwort wird denn auch zugegeben,
dass Art. 45 Abs. 5 BtG einen hier nicht vorliegenden besonderen Fall
regelt. Eine andere Bestimmung, aufwelche sich die Anrechnung für den
hier gegebenen Tatbestand unmittelbar stützen liesse, wird nicht genannt
und ist auch nicht zu finden.

    Die Beklagte macht jedoch unter Hinweis auf die Rechtsprechung
des Bundesgerichts geltend, in Art. 45 Abs. 5 BtG wie auch in anderen
Vorschriften des eidgenössischen Beamtenrechts komme ein allgemeiner
Grundsatz zum Ausdruck, der dieses ganze Rechtsgebiet beherrsche und
daher auch für den vorliegenden Fall Geltung habe. Neben Art. 45 Abs. 5
BtG führt sie Art. 53 Abs. 4 und 5 und Art. 59 Abs. 2 BO I an. Diese
Verordnungsbestimmungen - ebenso Art. 46 Abs. 4 und 5 und Art. 52 Abs. 2 BO
II - sehen vor (Fassung vom 26. Sept. 1952, AS 1952, 686 und 719): Kürzung
der Besoldung nach den Grundsätzen von Art. 75 KUVG, wenn sich der Beamte
auf Kosten der Verwaltung oder der Militärversicherung oder der Suva in
einer Klinik oder Heilanstalt aufhält; Anrechnung von Krankengeldleistungen
der Suva auf die Besoldung; Anrechnung der Leistungen der Suva und der
Militärversicherung auf die Leistungen der Verwaltung an den Beamten
oder seine Hinterbliebenen bei Betriebsunfällen. Sodann ermöglichen die
Statuten der eidgenössischen Versicherungskasse - wie auch diejenigen der
Pensionskasse der SBB - in Art. 9 Abs. 2 die Kürzung der Kassenleistungen
um den Betrag allfälliger Leistungen der Militärversicherung oder der
Suva aus obligatorischer Versicherung einschliesslich der Zuschüsse der
Verwaltung dei Betriebsunfällen. Diese sämtlichen Bestimmungen setzen
voraus, dass die Leistung des Beamten aus dem Dienstverhältnis ganz oder
teilweise aufgehört hat, zum mindestens vorübergehend. Es kann daraus also
wohl auf einen allgemeinen Grundsatz geschlossen werden, dass die Besoldung
und Pension von Bundesbeamten um die Leistung von Fürsorgeeinrichtungen
des Bundes zu kürzen ist in allen Fällen, wo der Beamte seinerseits
keine oder keine volle Leistung mehr erbringt. Doch geht es nicht an,
den Grundsatz auszudehnen auf Fälle, wo der Beamte die Aufgabe, für die
er besoldet wird, nach wie vor unvermindert erfüllt und daher Leistungen
einer Fürsorgeeinrichtung des Bundes wegen Beeinträchtigung der Fähigkeit
zu diesem Dienst nicht beanspruchen kann, sondern solche Leistungen
aus anderen Gründen, insbesondere wegen Schädigung der körperlichen
Integrität, erhält; denn wo es sich so verhält, besteht ein wesentlicher
Unterschied gegenüber sämtlichen gesetzlich geordneten Tatbeständen und
fehlt ein sachlicher Grund, in analoger Anwendung der für diese Tatbestände
aufgestellten Ordnung eine Kumulation der Leistungen auszuschliessen.

    Freilich hat das Bundesgericht in BGE 62 I 43 erklärt, die dort
zitierten Anordnungen beruhten auf dem allgemeinen Gedanken, dass der
Beamte nicht Anspruch auf mehr als den Betrag erheben könne, der seiner
gesetzlichen Besoldung gleichkommt, und dass es nicht darauf ankomme,
ob ihm dieser Betrag als Besoldung oder unter einem andern Titel - von
einer Fürsorgeeinrichtung des Bundes - ausgerichtet wird. Wenn sich mit
dieser Erwägung die Anrechnung allenfalls auch dort begründen liesse,
wo der Beamte nach wie vor seine Aufgabe voll erfüllt, so wäre zu einer
solchen Ausdehnung aber nur der Gesetzgeber befugt. Nachdem er die
Anrechnung bisher auf enger umgrenzte Tatbestände beschränkt hat, darf
die das Gesetz anwendende Behörde sie nicht auf anders geartete Fälle
erstrecken unter Berufung auf einen allgemeinen Grundsatz, der beide
Gruppen umfasse. Es trifft nicht zu, dass die geltende eidgenössische
Beamtengesetzgebung grundsätzlich - also ohne Rücksicht darauf, ob der
Beamte seine Aufgabe voll erfüllt oder nicht - auf dem Boden stehe,
er müsse sich Leistungen der eidgenössischen Sozialversicherungen auf
seine Besoldung anrechnen lassen. Die abweichende Feststellung in BGE
62 I 42 und 78 I 182 geht zu weit, verallgemeinert den Grundsatz, der aus
verschiedenen Einzelbestimmungen abgeleitet werden kann, zu stark. Diese
Urteile wären übrigens nicht anders ausgefallen, falls sie eingeschränkt
worden wäre in dem Sinne, dass die Anrechnung zulässig ist, wenn und
soweit die Leistung des Beamten aufgehört oder herabgesetzt ist.

Erwägung 4

    4.- Mehr beiläufig bemerkt die Beklagte, der Kläger habe zwar an
seinem bisherigen Arbeitsposten belassen werden können, doch sei er "wie
im Privatleben so auch bei der Berufsausübung, namentlich beim Besteigen
von Silos, Hochtanks, Schiffen, Bahnwagen und dergleichen, durch die
Unfallfolgen leicht behindert". Sie macht indessen nicht geltend, dass
er seiner Aufgabe nicht mehr gewachsen sei; sie sagt weder, ob und in
welchem Ausmass die von ihr erwähnten Besteigungen in den Rahmen seiner
Amtstätigkeit fallen, noch, inwiefern diese beeinträchtigt wird. Die
Behinderung durch Hinken und Schmerzhaftigkeit trifft wohl den Kläger
persönlich, wirkt sich aber nicht notwendig auf seine Arbeitsleistung
aus, die ja wesentlich im Kontrollieren besteht. Es ist deshalb davon
auszugehen, dass er gemäss seiner Darstellung seiner Aufgabe wie bisher
in vollem Umfange genügt und dass die Militärrente, die er erhält,
lediglich einen gewissen Ausgleich für die persönlichen und finanziellen
Nachteile schaffen soll, die er wegen der durch den Unfall bewirkten
Beeinträchtigung seiner körperlichen Integrität erleidet. Dann fehlen
aber die Voraussetzungen für eine Anrechnung der Versicherungsleistungen
auf die Besoldung, selbst dann, wenn angenommen wird, es bestehe ein
allgemeiner Grundsatz, wonach sie in allen Fällen zulässig sei, wo der
Beamte keine oder nicht mehr die volle Arbeitsleitung erbringt.

Entscheid:

               Demnach erkennt das Bundesgericht:

    Die Klage wird gutgeheissen. Die Beklagte hat dem Kläger die seit
dem 1. November 1955 von der Besoldung durch teilweise Anrechnung der
Militärversicherungsrente abgezogenen Beträge nachzuzahlen und in Zukunft
die volle gesetzliche Besoldung auszurichten.