Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 83 I 47



83 I 47

8. Urteil vom 25. Januar 1957 i.S. Schweiz. Weinhändlerverband
und Konsorten gegen Generaldirektion der Post-, Telegraphen- und
Telephonverwaltung. Regeste

    Werbestempel der Post.

    1.  Zuständigkeit des Bundesgerichts.

    2.  Legitimation zur Verwaltungsgerichtsbeschwerde.

    3.  Ein Stempel mit dem Text "Mehr Verantwortung - kein Alkohol
am Steuer" und dem Bilde eines Automobils darf auf Sendungen gewisser
am Alkoholkonsum interessierter Postbenützer nicht gegen deren Willen
angebracht werden.

Sachverhalt

    A.- Einem Begehren der Aktion "Gesundes Volk" entsprechend, erklärte
sich die eidg. Postverwaltung Ende 1955 bereit, auf den Postsendungen in
verschiedenen Städten neben dem Poststempel eine Werbeflagge mit dem Text
"Mehr Verantwortung - weniger Alkohol" und der Abbildung einer Weinflasche
einzusetzen. Weil gewisse am Alkoholkonsum interessierte Kreise diese
Flagge beanstandeten, wurde sie im Frühling 1956 zurückgezogen und
ersetzt durch einen Stempel mit dem Text "Mehr Verantwortung - kein
Alkohol am Steuer" und der Abbildung eines Automobils. Der Schweizerische
Weinhändlerverband, der Verband schweizerischer Weinimporteure en gros,
die Interessegemeinschaft für den schweizerischen Weinimport, die
Fédération romande des vignerons und der Verband des schweizerischen
Spirituosengewerbes ersuchten die Generaldirektion der PTT, auch
diese Werbeflagge unverzüglich zurückzuziehen. Die Direktion der
Postabteilung lehnte das Begehren mit Schreiben vom 17. Juli 1956 ab. Der
Weinhändlerverband und die Firma Berger & Co., Weine und Spirituosen,
in Langnau i.E., wandten sich nochmals an die Generaldirektion der PTT,
worauf diese mit Entscheid vom 28. Juli 1956 die Stellungnahme der
Postabteilung bestätigte.

    B.- Mit der vorliegenden Beschwerde beantragen die Firma Berger &
Co., der Schweizerische Weinhändlerverband, die Fédération romande des
vignerons und der Verband des schweizerischen Spirituosengewerbes, den
Entscheid der Generaldirektion der PTT aufzuheben und die Verwendung
der Postwerbeflagge "Mehr Verantwortung - kein Alkohol am Steuer" als
widerrechtlich zu untersagen, eventuell die Postverwaltung anzuhalten,
alle erforderlichen Massnahmen zu treffen, um die Abstempelung sämtlicher
Postsendungen der Beschwerdeführer mit dieser Flagge zu verhindern.

    C.- Auf ein Gesuch der Beschwerdeführer um Erteilung aufschiebender
Wirkung hin hat sich die Generaldirektion der PTT bereit erklärt, den
Weinhändlern und anderen Interessenten zu gestatten, ihre Briefpost
jeweils gebündelt am Postschalter mit dem schriftlichen Vermerk "Nicht
mit der Maschine stempeln" abzugeben, so dass die betreffenden Sendungen
lediglich einen Abdruck des Handstempels ohne Flagge erhalten würden.

    D.- Nach einem Meinungsaustausch mit dem eidg. Post- und
Eisenbahndepartement hat das Bundesgericht die Beurteilung der Beschwerde
insoweit übernommen, als darin eine Verletzung von Rechten der Postbenützer
behauptet wird.

    E.- Die Generaldirektion der PTT beantragt Abweisung der Beschwerde.

Auszug aus den Erwägungen:

              Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

    1. - Gemäss Art. 99 Ziff. XI OG ist die Verwaltungsgerichtsbeschwerde
zulässig gegen Entscheide des eidg. Post- und Eisenbahndepartements
und Entscheide der Generaldirektion der PTT, die an das Departement
nicht weiterziehbar sind, über Ansprüche, die sich stützen auf das
Postverkehrsgesetz oder das Telegraphen- und Telephonverkehrgesetz, die
zugehörigen Vollziehungsverordnungen und gewisse an die Anstaltsbenützer
gerichtete Ausführungsbestimmungen (Abs. 1; s. auch Art. 97, Abs. 2 OG,
der die Konzessionsgebühren und Post- Telegraphen- und Telephontaxen
besonders erwähnt). Ausgenommen sind die Haftpflicht- und die
Straffälle (Art. 99 Ziff. XI Abs. 2 OG). In den Angelegenheiten,
in denen Verwaltungsgerichtsbeschwerde erhoben werden kann, ist die
Generaldirektion der PTT Mittelinstanz im Sinne des Art. 23 BG über
die Organisation der Bundesverwaltung, das Departement also von der
Entscheidungsbefugnis ausgeschlossen (Art. 2 Ziff. 4, Art. 3 Ziff. 4
BRB über die Zuständigkeit im Bereich der PTT-Verwaltung vom 22. März
1946). Entscheide der Generaldirektion über Ansprüche, die unter Art. 99
Ziff. XI Abs. 1 OG fallen, unterliegen der Verwaltungsgerichtsbeschwerde,
ihre sonstigen Entscheide der Verwaltungsbeschwerde an das Departement.

    Art. 99 Ziff. XI unterstellt der Verwaltungsgerichtsbarkeit, mit
Ausnahme der in Abs. 2 genannten Fälle, das ganze Verhältnis gegenseitiger
Rechte und Pflichten, das zwichen den von der PTT-Verwaltung betriebenen
öffentlichen Anstalten und ihren Benützern besteht. Im vorliegenden
Fall kommt eine Verletzung der Rechte der Postbenützer in Betracht,
jedoch nur soweit es sich um die von den Beschwerdeführern selbst
aufgegebenen Sendungen handelt. Die Beschwerdeführer behaupten, dass
eine solche Verletzung ihnen gegenüber vorliege, und stellen deshalb
den Eventualantrag. Dieser richtet sich - wie auch der Hauptantrag -
gegen einen Entscheid der Generaldirektion der PTT. Zur Beurteilung
des Eventualantrages ist daher das Bundesgericht zuständig. Soweit die
Begründung der Beschwerde das Postbenützungsverhältnis berührt, betrifft
sie aber ausschliesslich diesen Antrag. Der Hauptantrag, die Verwendung
der beanstandeten Werbeflagge sei schlechthin zu untersagen, beruht
auf Überlegungen, die nicht das Postbenützungsverhältnis angehen, und
fällt daher nicht in den Bereich der Zuständigkeit des Bundesgerichts.
Hierüber wird vielmehr das Departement zu entscheiden haben.

    2. - Wenn der angefochtene Entscheid rechtswidrig im Sinne
der Begründung des Eventualantrages der Beschwerdeführer ist, so
greift er in deren Rechtsstellung und nicht bloss in ihre Interessen
ein. Das gilt nicht nur für die Firma Berger & Co., sondern auch für
die beschwerdeführenden Verbände. Der Eventualantrag bezieht sich auf
die Postsendungen "der Beschwerdeführer", nicht auch auf diejenigen der
Mitglieder der beteiligten Verbände (abgesehen von der Firma Berger & Co.,
die Mitglied des Weinhändlerverbandes ist), so dass nicht zu prüfen ist,
ob die Verbände berechtigt wären, zur Wahrung der Rechte ihrer Mitglieder
an deren Stelle Verwaltungsgerichtsbeschwerde zu erheben. Sämtliche
Beschwerdeführer sind daher, was den Eventualantrag anbelangt, zur
Verwaltungsgerichtsbeschwerde legitimiert, auch wenn nicht alle in dem
angefochtenen Entscheide als Partei beteiligt waren (Art. 103 Abs. 1 OG).

    3. - Nach Art. 4 des Postverkehrsgesetzes ist die Postverwaltung,
wo die erforderlichen Posteinrichtungen bestehen, gegenüber jedermann
zur Erfüllung der in diesem Gesetz, in der Postordnung und in den
Ausführungsbestimmungen vorgesehenen Leistungen verpflichtet. Insbesondere
hat sie Postsendungen anzunehmen und zu befördern. Anderseits hat
sie zu beachten, dass die Sendungen (Karten, Briefe, Pakete) samt
allfälligem Umschliessungsmaterial (Briefumschlägen usw.) Eigentum des
Postbenützers sind. Sie hat sich ungerechtfertigter Eingriffe in die
Rechte des Eigentümers, der auf ihre Dienste infolge des im Postregal
begründeten Monopols angewiesen ist, zu enthalten. Diese Verpflichtung,
die namentlich in den Bestimmungen über die Haftpflicht der Post zum
Ausdruck kommt (Art. 44 ff. Postverkehrsgesetz), lässt freilich die
Befugnis der Postverwaltung unberührt, von den Sendungen den Gebrauch zu
machen, der zur Erfüllung der Aufgabe der Post erforderlich ist.

    Insbesondere ist die Verwaltung berechtigt, auf den Sendungen zur
Entwertung der für die Frankierung verwendeten Postwertzeichen oder
zu sonstigen postamtlichen Zwecken den Abdruck eines Datumstempels
anzubringen. Ferner darf sie, wie dies bei der Abstempelung mit
der Maschine geschieht, neben dem Datumstempeleine Stempelflagge
einsetzen, damit die auf der Sendung aufgeklebten oder aufgedruckten
Postwertzeichen rasch und sicher entwertet werden können. Die Flagge kann
aus blossen Wellenlinien oder auch aus einem Werbetext mit oder ohne
Abbildung bestehen. Werbeflaggen werden etwa verwendet für Hinweise,
die mit dem Postdienst selbst zusammenhängen ("Benützet die Luftpost",
"Weihnachtspost beizeiten aufgeben" und dgl.), sodann zur Werbung für
sonstige Anliegen des Staates im allgemeinen (Landesverteidigung,
Verkehrssicherheit, Lärmbekämpfung usw.), ferner für gemeinnützige
Sammlungen (Nationalspende, Rotes Kreuz usw.) und auch zur Propaganda
für bedeutende Feste oder wirtschaftliche Veranstaltungen (Mustermesse,
Schweizerwoche und dgl.) oder für touristische Zwecke. Die Verwendung
solcher Werbestempel ist zwar in der Gesetzgebung über das Postwesen
nicht vorgesehen, doch lässt sich nichts Triftiges gegen sie einwenden,
wenn und soweit sie im öffentlichen Interesse liegt und die Rechte des
Eigentümers der Postsendung nicht verletzt.

Erwägung 4

    4.- Es ist klar, dass die Werbeflagge mit dem Text "Mehr Verantwortung
- kein Alkohol am Steuer" dem öffentlichen Interesse an der Sicherheit des
Strassenverkehrs dient; denn es ist bekannt, dass unter Alkoholeinfluss
stehende Fahrzeuglenker zu unvorsichtigem Fahren neigen und deshalb sehr
häufig Unfälle verursachen. Die Beschwerdeführer wenden vergeblich ein,
jener Text fordere mehr, als nach Gesetz zulässig sei, weil er, wie sich
aus der kategorischen Wendung "kein Alkohol" ergebe, über den Inhalt
des Art. 59 MFG (Verbot, in angetrunkenem Zustand ein Motorfahrzeug zu
führen) und des Art. 57 MFV (Verbot des Alkoholgenusses für Führer von
Motorwagen zum gewerbsmässigen Personentransport) hinausgehe. Die im
Text verwendeten Worte "kein Alkohol am Steuer" können nur dann richtig
verstanden werden, wenn ihr Zusammenhang mit der vorausgehenden Wendung
"mehr Verantwortung" berücksichtigt wird, zumal das Wort "Verantwortung"
besonders hervorgehoben ist, indem es mit grösseren Buchstaben als die
übrigen Worte geschrieben ist. Danach bedeutet der Text nicht, dass man
sich schlechterdings nicht ans Steuer setzen könne oder dürfe, wenn man
Alkohol - und sei es auch so wenig - getrunken hat, sondern nur, dass
der Fahrzeuglenker den Sinn für seine Verantwortlichkeit besser bewahrt,
wenn er völlig nüchtern ist. Die Formel bringt in gedrängter Fassung,
aber doch deutlich eine allgemeine Vorsichtsregel zum Ausdruck, die sich
nicht in der Befolgung jener gesetzlichen Verbote erschöpft. Sie hält
sich gewiss im Rahmen dessen, was zur Erhöhung der Verkehrssicherheit
empfohlen werden darf. Daher kann der Postverwaltung grundsätzlich
nicht verwehrt werden, den Fahrzeuglenkern mittels der beanstandeten
Werbeflagge Zurückhaltung im Alkoholgenuss nahezulegen; dies umsoweniger,
als die Verwaltung selber ein Interesse daran hat, dass der Ermahnung
nachgelebt wird, da sie zahlreiche Motorfahrzeuge einsetzt und ausserdem
Tausende von Zustellboten beschäftigt, die zu Fuss oder auf Fahrrädern
die Strasse benützen.

    Gleichwohl brauchen die Beschwerdeführer sich nicht gefallen zu
lassen, dass auf ihren der Post übergebenen Sendungen der streitige
Werbestempel angebracht wird. Man kann ihnen nicht wohl zumuten, bei
einer Propagandaaktion mitzumachen, die nach ihrer Auffassung ihren
Interessen abträglich ist. Ihre Einstellung ist verständlich. In der Tat
werden ihre Postsendungen, wenn sie jenen Stempel tragen, beim Empfänger
einige Verwunderung erregen oder gar lächerlich wirken, besonders dann,
wenn die verwendeten Briefumschläge oder Postkarten mit Texten oder Bildern
ausgestattet sind, die für den Absender werben sollen. Die Postverwaltung
war verpflichtet, auf Begehren der Beschwerdeführer deren Postsendungen
von der Abstempelung mit der beanstandeten Werbeflagge auszunehmen. Der
angefochtene Entscheid verkennt dies und verletzt damit Rechte, die
mit dem Eigentum der Beschwerdeführer an den der Post zur Beförderung
anvertrauten Gegenständen verbunden sind.

    Die Postverwaltung wird dafür zu sorgen haben, dass diese Rechte
beachtet werden. Es ist ihre Sache, die erforderlichen Massnahmen
anzuordnen. Sie wird prüfen, ob das Vorgehen genügt, das die
Generaldirektion auf das Begehren der Beschwerdeführer um Erteilung
aufschiebender Wirkung hin vorgeschlagen hat. Nötigenfalls werden noch
weitere Anordnungen zu treffen sein.

Entscheid:

               Demnach erkennt das Bundesgericht:

Erwägung 1

    1.- Auf das Hauptbegehren der Beschwerde wird nicht eingetreten.

Erwägung 2

    2.- Das Eventualbegehren der Beschwerde wird im Sinne der Erwägungen
gutgeheissen.