Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 83 I 41



83 I 41

7. Urteil der I. Zivilabteilung vom 7. März 1957 i.S. Waggoner und Rowley
gegen Eidgenössisches Amt für geistiges Eigentum. Regeste

    Art. 2 Ziff. 4 aPatG, Art. 111 PatG.

    a)  Diese Bestimmungen gelten auch für Textilfasern aus Glas (Erw. 2).

    b)  Wann ist die Herstellung der synthetischen Textilfaser beendet,
wann beginnt ihre Veredlung? (Erw. 3, 4).

    c)  Wann kommt die Erfindung "für die Textilindustrie in
Betracht"? (Erw. 5).

Sachverhalt

    A.- Jack Waggoner und Warren Rowley ersuchten das Eidgenössische Amt
für geistiges Eigentum am 12. Juli 1951, die Erfindung eines Verfahrens
zu patentieren, das sie wie folgt umschrieben: "Verfahren zur Herstellung
von Textilerzeugnissen aus Glasfasern und die Gewinnung von gekräuselten
Fasern daraus, dadurch gekennzeichnet, dass ein Textilgut aus Glasfasern
zunächst bei Temperaturen von 200-7000 C behandelt wird, um die Fasern
in dem Textilgut möglichst weitgehend zu entspannen, darauf mit einem
Überzugsmaterial für die Oberfläche der Fasern versehen wird, worauf man
das Überzugsmittel auf die Faseroberfläche fixiert."

    Das Gesuch wurde vom Amte beanstandet, weil die Erfindung eine nicht
rein mechanische Veredlung von Textilfasern betreffe und daher, soweit
sie für die Textilindustrie in Betracht komme, gemäss Art. 2 Ziff. 3
aPatG nicht patentiert werden könne.

    Dem hielten die Gesuchsteller zunächst entgegen, unter Textilfasern
im Sinne dieser Bestimmung seien nur organische Fasern zu verstehen;
Glasfasern fielen nicht unter den Begriff. Um ihre Auffassung zu stützen,
änderten sie im Patentanspruch die Wörter "Textilerzeugnisse" und
"Textilgut" in "Erzeugnisse" bezw. "Gut" ab und merzten die Ausdrücke
"Textil", "Textilien" und "Stoff" auch aus der Beschreibung der Erfindung
aus. Später stellten sie sich auf den Standpunkt, die Glasfasern, mögen sie
auch verspinnbar und verwebbar sein, würden erst durch das zur Patentierung
angemeldete Verfahren für Bekleidungs- und Dekorationszwecke brauchbar;
das Verfahren diene also nicht der Veredlung, sondern der Herstellung von
Textilfasern. Übrigens überlasse die schweizerische Textilindustrie schon
die bisher bekannten nicht rein mechanischen Verfahren zur Veredlung von
Glasfasern einer Spezialindustrie und verarbeite selber die Glasfasern
nur auf rein mechanischem Wege, weshalb mit Sicherheit gesagt werden
könne, dass das vorliegende Verfahren, das eine Erwärmung auf 200-7000
C erfordere, für sie gar nicht in Betracht falle. Die Gesuchsteller
lehnten es ab, das Gesuch auf nicht textile Zwecke einzuschränken oder
sein Anmeldedatum auf den Tag der Einführung der amtlichen Vorprüfung zu
verschieben (Art. 115 Abs. 2 PatG).

    B.- Am 31. Oktober 1956 wies das Eidgenössische Amt für geistiges
Eigentum das Gesuch auf Grund des Art. 111 PatG zurück.

    C.- Die Gesuchsteller führen gemäss Art. 97 ff. OG Beschwerde mit dem
Antrag, dieser Entscheid sei aufzuheben und das Amt anzuweisen, die Prüfung
des Gesuches auf Grund des Art. 13 Abs. 2 VollzVo. PatG fortzusetzen.

    Das Amt beantragt, die Beschwerde sei abzuweisen.

Auszug aus den Erwägungen:

              Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- "Erfindungen von Erzeugnissen, welche durch Anwendung
nicht rein mechanischer Verfahren zur Veredlung von rohen oder
verarbeiteten Textilfasern jeder Art erhalten werden, sowie von derartigen
Veredlungsverfahren, soweit als diese Erfindungen für die Textilindustrie
in Betracht kommen", konnten gemäss Art. 2 Ziff. 4 aPatG nicht patentiert
werden und können es gemäss Art. 111 PatG auch heute noch nicht, solange
die Vorschriften über die amtliche Vorprüfung (Art. 87 ff. PatG) nicht
in Kraft gesetzt sind.

Erwägung 2

    2.- Durch die Wendung "Textilfasern jeder Art" bringt das Gesetz zum
Ausdruck, dass das Material, aus dem eine Faser hergestellt ist, ihrer
Würdigung als Textilfaser nicht im Wege stehen kann. Die Beschwerdeführer
anerkennen das und halten an ihrem im Beanstandungsverfahren eingenommenen
Standpunkt, wonach aus Glas hergestellte Fasern wegen ihrer anorganischen
Beschaffenheit nie Textilfasern seien, nicht mehr fest. Sie sehen
im Erzeugnis, das in dem zur Patentierung angemeldeten Verfahren
bearrbeitet werden soll, lediglich deshalb keine Textilfaser, weil es
vor dieser Bearbeitung zu Bekleidungs- und Dekorationszwecken unbrauchbar
sei. Die Streitfrage, ob das Verfahren an Textilfasern angewendet werde,
deckt sich also mit der Frage, ob solche in ihm veredelt oder, wie die
Beschwerdeführer geltend machen, erst hergestellt werden.

Erwägung 3

    3.- Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts zu Art. 2 Ziff. 4
aPatG (BGE 79 II 224 ff.) ist die synthetische Textilfaser nicht schon
hergestellt, wenn der Faden aus der Spinndüse austritt, sondern erst, wenn
er die aus chemisch-technischen und betriebswirtschaftlichen Gründen mit
seiner Bildung in den nämlichen fortlaufenden Arbeitsgang verlegte weitere
Behandlung erfahren hat, so dass er von den Zweigen der Textilindustrie
übernommen zu werden pflegt. Die Behandlungen, die nach hergebrachter
Anschauung von diesen Zweigen besorgt werden, z.B. Färben, Schlichten,
Mattieren und Konditionnieren, gehören zur Veredlung der Faser, auch wenn
sie ausnahmsweise vom Hersteller besorgt werden, und anderseits gibt
es Behandlungen, die an sich auch in einem Betrieb der Textilindustrie
erfolgen können, aber üblicherweise in den der Herstellung dienenden
Arbeitsvorgang verlegt werden und daher zur Herstellung zu rechnen sind,
z.B. das Verstrecken des Fadens.

    Diese Auslegung von Art. 2 Ziff. 4 aPatG trifft auch auf Art. 111
PatG zu, der die bis zur Einführung der amtlichen Vorprüfung von der
Patentierung ausgeschlossenen Erfindungen wörtlich gleich umschreibt
wie jene Bestimmung. Die Beschwerdeführer selbst setzen sich dafür
ein, dass nach den Grundsätzen der erwähnten Rechtsprechung entschieden
werde, ob ihre Erfindung der Herstellung oder vielmehr der Veredlung der
Textilfaser dient.

Erwägung 4

    4.- Dass die Textilindustrie Glasfasern verwendet, ist nicht neu. Schon
A. HAUSSENER, Professor an der Technischen Hochschule in Brünn, wies in
seinen im Jahre 1907 erschienenen "Vorlesungen über mechanische Technologie
der Faserstoffe" darauf hin, dass Glasfäden zu Phantasiezwecken benützt
würden (S. 244). BERNARD KOZLIK sodann führte im Jahre 1920 in der
"Materialkunde der Textilindustrie" aus, Glasfäden würden in vereinzelten
Fällen in der Textilindustrie verwendet, wenn auch wegen ihrer Sprödigkeit
nur als Schussmaterial in Seidenstoffe zu Dekorationszwecken (S. 32).
Professor P. A. KOCH in Netstal (Glarus) spricht sich im Abschnitt
über "die Eigenschaften der Textil-Glasfäden" des im Jahre 1953 von
Professor R. PUMMERER herausgegebenen Buches "Chemische Textilfasern,
Filme und Folien" dahin aus, es sei 1931 gelungen, Glasfasern, später auch
Glasseide als Garn, in solcher Feinheit herzustellen, dass ihre textile
Weiterverarbeitung sowie die Fertigung entsprechend feiner Gewebe, Bänder
und Litzen aus ihnen möglich geworden sei, womit diese Textil-Glasfäden als
Faserstoff Eingang in die Textilindustrie gefunden hätten (S. 1023). Er
bezeichnet die Textil-Glasfäden als das feinste Textilmaterial (S. 1028)
und führt aus, sie seien dort, wo eine Dehnung von wenigen Prozent
ausreiche und die fehlende Geschmeidigkeit der Ware keinen Mangel
darstelle, den übrigen Faserstoffen überlegen, zumal sie mit anderen
Eigenschaften, wie Unbrennbarkeit, Widerstandsfähigkeit gegen Hitze und
chemische Einwirkungen sowie elektrischem und thermischem Isoliervermögen,
alle Textilien mit Ausnahme von Asbest überragten (S. 1033). Auch in der
Ausgabe 1954 des Brockhaus-Lexikons wird die Glasfaser als Textilprodukt
bezeichnet und ausgeführt, sie lasse sich zu spinnfähigen Fäden und
weiter zu feuerhemmenden und akustisch wirksamen farbigen Vorhang- und
Spannstoffen mit schönem Seidenglanz verarbeiten (Bd. 4 S. 668).

    Die Glasfaser wird also nicht erst durch die zur Patentierung
angemeldete Erfindung in die Textilindustrie eindringen können. Die
Behauptung der Beschwerdeführer, bevor die Erzeugnisse aus Glas
das erfundene Verfahren durchlaufen hätten, würden sie weder von der
verarbeitenden noch von der ausrüstenden Textilindustrie, sondern nur von
Spezialbetrieben für technische Zwecke (Herstellung von Isolationsmatten,
Filtern und dgl.) gekauft, stimmt nicht. Dass die erwähnten Äusserungen in
ausländischen Werken stehen, die den Besonderheiten des schweizerischen
Patentrechts nicht Rechnung trügen, wie die Beschwerdeführer geltend
machen, ist unerheblich. Sie betreffen nicht Fragen des Patentrechts,
sondern technische und betriebswirtschaftliche Fragen, die für die
schweizerische Textilindustrie nicht anders zu beantworten sind als für
die ausländische, ganz abgesehen davon, dass Prof. Koch als in der Schweiz
wohnender Fachmann auch mit den schweizerischen Verhältnissen vertraut ist.

    Übrigens haben die Beschwerdeführer in ihrer Patentbeschreibung
selber auf die bisherige Verwendung von Glasfasern zur Herstellung
von Wandbehängen, Überwürfen und Vorhängen, also von Erzeugnissen
der Textilindustrie hingewiesen und in der ursprünglichen Fassung des
Patentanspruches und der Patentbeschreibung die im erfundenen Verfahren zu
behandelnde Ware als "Textilgut" bezeichnet. Die nachträgliche Ausmerzung
dieses Ausdrucks ändert an der Sache nichts.

    Aus der Beschreibung des Patentes ergibt sich ferner, dass das
angemeldete Verfahren auf Glasfasern angewendet werden soll, die bereits
zu einem Gewebe, Gewirke oder dergleichen verarbeitet sind. Weberei
und Wirkerei, die solche Erzeugnisse herstellen, sind Betriebe der
Textilindustrie. Daraus erhellt, dass die Glasfaser schon vor der Anwendung
des angemeldeten Verfahrens den Textilbetrieben zur Verfügung steht und von
ihnen verlangt und gekauft wird, dass sie also die Phase der Herstellung
fertig durchlaufen hat. Nicht nötig ist, dass sie sich, nachdem die
Textilbetriebe sie im übernommenen Zustande gewoben oder gewirkt haben,
bereits zu Bekleidungs- oder Dekorationszwecken eignen. Die weitere
Behandlung, die ihnen diese Eignung erst verschafft, gehört zur Veredlung,
so auch die Behandlung im angemeldeten Verfahren. Mit diesem wollen die
Beschwerdeführer dem Gewebe oder Gewirke von Glasfasern neue Eigenschaften
verleihen, die es befähigen, über die bis dahin beschränkte Verwendung
als Textilstoffe weitere Möglichkeiten auf diesem Gebiete zu finden.

Erwägung 5

    5.- Nach Art. 111 PatG muss die Erfindung, um von der Patentierung
ausgeschlossen zu sein, "für die Textilindustrie in Betracht kommen". Die
Beschwerdeführer sprechen dem angemeldeten Verfahren dieses Merkmal
ab, indem sie behaupten, die heutige Textilindustrie des Inlandes
wäre nicht in der Lage, es auch nur teilweise anzuwenden. Schon mit
den bisher bekannten nicht rein mechanischen Verfahren zur Herstellung
brauchbarer Textil-Glasfasern befasse sie sich nicht, sondern sie überlasse
diese Verfahren der chemischen Industrie. Deshalb sei sicher, dass das
vorliegende Verfahren, das umfangreiche Kapitalanlagen (Entspannungsöfen)
erfordere und die Umschulung ganzer Teile der Belegschaft notwendig machen
würde, für sie jetzt und auch später ganz ausser Betracht falle.

    Darauf kommt nichts an. Für die Textilindustrie kommt eine
Erfindung nicht nur dann "in Betracht", wenn sie in eigenen Betrieben
ausgeführt wird, sondern schon dann, wenn sie für die Textilindustrie
von wirtschaftlicher Bedeutung ist. Das trifft hier zu; diese Industrie
ist daran interessiert, dass den Textilfasern aus Glas mit Hilfe des von
den Beschwerdeführern angemeldeten Verfahrens neue Eigenschaften gegeben
werden, welche die aus diesen Fasern hergestellten Textilien verbessern
oder ihnen neue Möglichkeiten der Verwendung schaffen.

Erwägung 6

    6.- Die Beschwerdeführer selber gehen davon aus, dass das zur
Patentierung angemeldete Verfahren "nicht rein mechanischer" Art
ist. Art. 111 PatG trifft also auch in dieser Hinsicht zu. Mithin sind
alle Voraussetzungen dieser Norm erfüllt. Das Eidgenössische Amt für
geistiges Eigentum hat das Gesuch zu Recht zurückgewiesen.

Entscheid:

               Demnach erkennt das Bundesgericht:

    Die Beschwerde wird abgewiesen.