Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 83 I 240



83 I 240

32. Auszug aus dem Urteil vom 2. Oktober 1957 i.S. Sch. gegen
Regierungsrat des Kantons Schwyz. Regeste

    Anspruch auf rechtliches Gehör: Bevor jemand, sei es erstmals, sei
es erneut wegen seines Verhaltens nach bedingter Entlassung, in eine
Zwangsarbeitsanstalt eingewiesen wird, muss er Gelegenheit erhalten,
seine Einwendungen vorzubringen.

Sachverhalt

    Der Beschwerdeführer, der gemäss Art. 370 ZGB bevormundet ist, wurde
seit 1940 auf Grund der schwyzerischen Polizeiverordnung betreffend
Unterbringung arbeitsfähiger Personen in Zwangsarbeitsanstalten vom
17. Mai 1892 wiederholt versorgt. Mit Beschluss vom 23. März 1953 wies
ihn der Regierungsrat des Kantons Schwyz aufunbestimmte Zeit in die
Anstalt Bellechasse ein. Am 25. Mai 1955 ordnete dieselbe Behörde die
bedingte Entlassung des Beschwerdeführers an, wobei sie ihm eröffnete,
dass er wieder versorgt würde, sobald seine Lebensweise neuerdings zu
berechtigten Klagen Anlass geben sollte. Mit Beschluss vom 8. Juni 1957
hob sie die bedingte Entlassung auf und verfügte die Einweisung des
Beschwerdeführers in die Arbeitserziehungsanstalt Realta auf unbestimmte
Zeit, mit der Begründung, er habe sich seit der Entlassung nicht bewährt.

    Gegen diesen Entscheid erhebt Sch. staatsrechtliche Beschwerde
wegen Verletzung des Art. 4 BV. Er wirft dem Regierungsrat unter anderm
Gehörsverweigerung vor.

    Das Bundesgericht heisst die Beschwerde gut.

Auszug aus den Erwägungen:

                       Aus den Erwägungen:

    Der Bürger, der auf Grund der kantonalen Gesetzgebung oder des
Vormundschaftsrechts (Art. 406 ZGB) in eine Zwangsarbeits- oder
Arbeitserziehungsanstalt eingewiesen werden soll, hat nach ständiger
Rechtsprechung des Bundesgerichtes gemäss Art. 4 BV Anspruch auf
rechtliches Gehör; er muss Gelegenheit erhalten, seine Einwendungen
gegen die Gründe, aus denen die Versorgung erwogen wird, der Behörde
vorzubringen, bevor diese die Massnahme anordnet (BGE 30 I 280, 65 I 268,
74 I 247/8; nicht veröffentlichte Urteile i.S. des Beschwerdeführers
Sch. vom 25. Oktober 1940 und 4. Juni 1953). Dieser Grundsatz ist nicht
nur bei erstmaliger Zwangsversorgung zu beachten, sondern auch dann,
wenn jemand wegen ungehörigen Verhaltens nach bedingter Entlassung
erneut in eine Arbeitsanstalt eingewiesen werden soll; denn hier trifft
der Grund jener Praxis, ungerechtfertigten schweren Eingriffen in die
Persönlichkeitssphäre des Bürgers vorzubeugen, ebenfalls zu, besonders wenn
die Wiederversorgung, wie im vorliegenden Falle, für eine unbestimmte
Dauer vorgesehen ist. Die Erwägungen, aus denen im Urteil Sch. vom
4. Juni 1953 die Rüge der Gehörsverweigerung verworfen wurde, sind hier
nicht massgebend. Dort handelte es sich um eine Wiedereinweisung aus den
gleichen Gründen, die schon zur früheren Internierung geführt hatten, um
eine blosse Fortsetzung der vorher angeordneten, nur vorübergehend mit
Rücksicht auf den Gesundheitszustand des Beschwerdeführers und auf den
Anstaltsbetrieb unterbrochenen Versorgung, während es hier darum geht,
ob der Beschwerdeführer durch seine Lebensweise seit der Entlassung,
also aus neuen Gründen, Anlass zu abermaliger Zwangsversorgung gegeben
habe. Dem Beschwerdeführer musste Gelegenheit geboten werden, sich im
Verfahren vor der zuständigen Behörde, dem Regierungsrat, zu den neuen
Vorwürfen zu äussern, bevor er wiederum in eine Anstalt eingewiesen wurde.