Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 83 I 233



83 I 233

30. Auszug aus dem Urteil vom 18. September 1957 i.S. von Ballmoos gegen
AG für Verwaltungsgeschäfte und Regierungsrat des Kantons Basel-Stadt.
Regeste

    Art. 31 der Verordnung über die Mietzinskontrolle und die Beschränkung
des Kündigungsrechtes vom 28. Dezember 1956 (VMK).

    Inwiefern darf bei der nach dieser Bestimmung vorzunehmenden
Interessenabwägung auch das Interesse des Vermieters, die gekündigten
Räume einem andern Mieter zur Verfügung zu stellen, berücksichtigt werden?

Sachverhalt

    A.- Die AG für Verwaltungsgeschäfte ist Eigentümerin der
Liegenschaft Birsigstrasse 4 in Basel. Im Vorderhaus befindet sich das
Restaurant "Baselbieterstübli", das von F. Führer betrieben wird. Eine
Zweizimmerwohnung im Hinterhaus ist seit Jahren an Ernst von Ballmoos
vermietet. Dieser Mietvertrag wurde von der Eigentümerin auf den 30. Juni
1957 gekündigt mit der Begründung, Führer benötige die Wohnung für die
Unterbringung von Angestellten seiner Wirtschaft.

    Ballmoos focht die Zulässigkeit der Kündigung bei der
Schlichtungsstelle für Mietstreitigkeiten des Kantons Basel-Stadt
an. Diese bestätigte die Kündigung, schob jedoch den Auszugstermin auf
den 1. Oktober 1947 hinaus. Eine hiegegen erhobene Willkürbeschwerde
wies der Regierungsrat am 28. Mai 1957 ab. In der Begründung dieses
Entscheids wird unter Hinweis auf Art. 31 der Verordnung des Bundesrates
über die Mietzinskontrolle und die Beschränkung des Kündigungsrechts
vom 28. Dezember 1956 (VMK) u.a. ausgeführt: Nach der ständigen Praxis
im Kanton Basel-Stadt gelte eine Kündigung dann als gerechtfertigt,
wenn sie erfolge, um einen begründeten Mehrbedarf an Räumlichkeiten
des Hauptmieters zu befriedigen. Der Eigentümer habe ein Interesse
daran, die Wünsche des Hauptmieters vor diejenigen der übrigen Mieter
zu stellen. Unter Hauptmieter sei der Mieter zu verstehen, der den
wirtschaftlich wichtigsten Gebäudeteil gemietet habe und demgemäss den
grössten Teil der eingehenden Mietzinse aufbringe. Der Vermieter habe
ein grosses Interesse an der Zufriedenstellung des Hauptmieters, da er
auf ihn angewiesen sei und nicht riskieren wolle, ihn wegen Raumnot zu
verlieren. Der Mehrbedarf des Hauptmieters müsse allerdings sachlich
begründet und dürfe nicht spekulativ sein. Diese Vorausetzung liege aber
im vorliegenden Fall vor.....

    B.- Gegen den Entscheid des Regierungsrates führt Ballmoos rechtzeitig
staatsrechtliche Beschwerde. Er macht eine Verletzung von Art. 4 BV geltend
und bringt zur Begründung dieser Rüge u.a. vor: Der Regierungsrat habe
das ihm zustehende Ermessen wenn nicht missbraucht, so doch weitgehend
überschritten. Die Auffassung, dass der Mehrraumbedarf des Hauptmieters
beim Vermieter reflektorisch einen Kündigungsanspruch gegenüber einem
anderen Mieter erzeuge, sei "nicht unbedenklich". Im vorliegenden Fall
wirke sie sogar stossend, da der Hauptmieter gar kein Mieter, sondern ein
Pächter sei, der nach den baselstädtischen Vorschriften keinen Mieterschutz
geniesse. Es lasse sich sachlich nicht begründen und widerspreche dem
sozialen Grundgedanken des Mietnotrechts, dass der Mieter, der grössere
Mietzinse erbringt, vor dem Mieter, der ein kleineres Mietobjekt bewohnt,
bevorzugt werde.

    C.- Der Regierungsrat beantragt die Abweisung der Beschwerde. Die AG
für Verwaltungsgeschäfte stellt dem Sinne nach den gleichen Antrag.

    Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab.

Auszug aus den Erwägungen:

                       Aus den Erwägungen:

    Die kantonalen Behörden betrachten auf Grund der nach Art. 31
Abs. 1 VMK vorzunehmenden Interessenabwägung das Interesse der
Vermieterin an der Kündigung des Mietvertrages als schutzwürdiger als das
entgegenstehende Interesse des Beschwerdeführers an der Aufrechterhaltung
des Mietverhältnisses. Bei dieser Interessenabwägung muss dem Ermessen
der kantonalen Behörden ein weiter Spielraum gelassen werden. Das
Bundesgericht könnte nur bei einem offenbaren Ermessensmissbrauch
einschreiten (BGE 73 I 186). Ein solcher liegt aber nicht vor und wird mit
der im wesentlichen rein appellatorischen Kritik des Beschwerdeführers,
als ob dem Bundesgericht eine freie Überprüfung zustehen würde, jedenfalls
nicht dargetan.

    Wie das Bundesgericht schon wiederholt entschieden hat, darf bei der
Interessenabwägung auch das Interesse des Vermieters, die gekündigten
Räume einem anderen Mieter zur Verfügung zu stellen, berücksichtigt
werden (nicht veröffentl. Urteile vom 10. Juli 1947 i.S. Mecanis AG c.
Immobiliengesellschaft Gerbergasse 25 AG Erw. 5, vom 3. Mai 1950
i.S. Voegtle c. Peter Erw. 3 und 4; BIRCHMEIER, Mietnotrechtserlasse
S. 16/17). Dieses Interesse ist besonders gross, wenn es sich dabei um den
Hauptmieter handelt und dieser in den gemieteten Räumen eine Wirtschaft
betreibt, sodass ausser seiner finanziellen Leistungsfähigkeit auch seine
persönlichen Eigenschaften und sein Ruf von wesentlicher Bedeutung für
den Vermieter sind. Es kann dem Vermieter billigerweise nicht zugemutet
werden, aus Rücksicht auf einen minderwichtigen Mieter das Risiko auf sich
zu nehmen, einen solchen in jeder Hinsicht befriedigenden Hauptmieter zu
verlieren und keinen gleichwertigen Nachfolger zu finden.

    Dass der Regierungsrat das Interesse der Vermieterin, den Wirt Führer
als Mieter zu behalten, bei der Interessenabwägung berücksichtigt hat,
ist daher entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers keineswegs
willkürlich. Ebensowenig ist die Auffassung zu beanstanden, dass dieses
Interesse den Vorzug verdiene, wenn die Vermieterin Gefahr laufe, den
Hauptmieter zu verlieren. Als zweifelhaft erscheint freilich, ob diese
Gefahr wirklich besteht, wenn die Vermieterin dem Hauptmieter die bisher
vom Beschwerdeführer bewohnten Räume nicht zur Verfügung stellt. Der
Beschwerdeführer hat indessen die Annahme des Regierungsrates, dass
dies der Fall sei, nicht bestritten, geschweige denn als willkürlich
angefochten, sodass sich das Bundesgericht mit dieser Frage nicht zu
befassen hat. Was der Beschwerdeführer aber in diesem Zusammenhang
weiter geltend macht, ist nicht geeignet, den angefochtenen Entscheid
als willkürlich erscheinen zu lassen.

    So ist es unerheblich, ob der Wirt Führer nicht Mieter, sondern
Pächter im Hause der Vermieterin sei und als solcher nach den
baselstädtischen Vorschriften keinen Mieterschutz beanspruchen könne,
denn dadurch würde sich nichts an der Interessenlage der Vermieterin
ändern. Übrigens erklärt der Regierungsrat in seiner Vernehmlassung,
dass nach der Praxis im Kanton Basel-Stadt Pächter und Mieter in Bezug
auf die Kündigungsbeschränkung gleichgestellt sind, wenn sich, wie hier,
die Pacht auf ein Gebäude bezieht (z.B. Wirtschaft, Metzgerei, Bäckerei),
obgleich in den einschlägigen Verordnungen nur die Rede vom Mietvertrag ist
(vgl. Verordnung betr. Massnahmen gegen die Wohnungsnot vom 29. Dezember
1942 §§ 1 ff. und Verordnung betr. Vollzug der Mietzinskontrolle usw. vom
26. Januar 1954/15. Januar 1957 § 4).

    Die beanstandete Praxis widerspricht auch nicht dem sozialen
Grundgedanken des Mietnotrechts, wie der Beschwerdeführer behauptet. Nach
Art. 31 Abs. 1 VMK ist die Interessenabwägung nicht bloss unter dem
Gesichtspunkte vorzunehmen, ob es sich um einen kleinen oder grossen
Mieter handle, sondern unter Berücksichtigung der gesamten Umstände. Dazu
gehört aber auch das Interesse des Vermieters, einen zahlungsfähigen
und die persönlichen Voraussetzungen erfüllenden Mieter des Hauptteils
des Gebäudes, insbesondere einer Wirtschaft, nicht zu verlieren. Der
Beschwerdeführer hat übrigens die Behauptung, dass er sich keine teurere
Wohnung leisten könne, zwar vor der Schlichtungsstelle erhoben, in der
Beschwerde an den Regierungsrat aber nicht mehr geltend gemacht. Da sich
die staatsrechtliche Beschwerde ausschliesslich gegen den Entscheid des
Regierungsrats richtet, kann jene Behauptung nicht berücksichtigt werden,
denn dem Regierungsrat kann nicht Willkür vorgeworfen werden mit Bezug
auf ein Argument, das vor ihm nicht mehr geltend gemacht worden ist
(BGE 77 I 9 Erw. 3 und dort genannte frühere Entscheide).