Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 83 I 145



83 I 145

20. Urteil vom 29. Mai 1957 i.S. Sameli gegen Regierungsrat des Kantons
Basel-Landschaft. Regeste

    Rechtsgleichheit, Handels- und Gewerbefreiheit, Eigentumsgarantie.

    Unter welchen Voraussetzungen können die Behörden gegen die Erstellung
einer Benzintankstelle auf einem an die öffentliche Strasse grenzenden
privaten Grundstück wegen Behinderung des Strassenverkehrs einschreiten?

Sachverhalt

    A.- Nach § 30 des basellandschaftlichen Gesetzes vom 30.  November
1916 über das Strassenwesen ist "jede Vorrichtung oder Handlung, die den
Verkehr auf der Strasse gefährdet, verboten".

    Gemäss einem Regierungsratsbeschluss vom 21. Juni 1929 unterliegt die
Aufstellung fester und beweglicher Benzinabfüllapparate der Bewilligung der
Baudirektion und der Finanzdirektion (§ 1) und hat über den Aufstellungsort
an öffentlichen Strassen die Baudirektion von Fall zu Fall zu bestimmen
nach Anhörung der Gemeindebehörden und "unter Berücksichtigung der
jeweiligen Platzverhältnisse und der Ansprüche des öffentlichen Verkehrs"
(§ 2 lit. c).

    B.- Die Beschwerdeführerin Susanna Sameli-Biedert ist Eigentümerin
der an die Hauptstrasse grenzenden Parzelle Nr. 517 in Binningen. Vor
der Nachbarparzelle Nr. 518 verbreitert sich die Hauptstrasse zu einem
Platz, auf dem sich die Endstation der Tramlinie von Basel nach Binningen
befindet und in den die Oberwiler-, Benken- und Paradiesstrasse sowie
der Sängerweg einmünden. Auf der Parzelle der Beschwerdeführerin ist
neben den Gebäulichkeiten eine etwa 12 m breite und (von der Baulinie
gemessen) 11 m tiefe freie Fläche. Die Beschwerdeführerin möchte dort
eine Benzintankstelle einrichten und stellte am 23. Juni 1955 bei der
Baudirektion ein dahingehendes Gesuch. Der Gemeinderat von Binningen
und das kantonale Polizeikommando sprachen sich gegen die Bewilligung
aus, da die Lage der Tankstelle in der Nähe der Strassenkreuzung und der
Tramendstation verkehrstechnisch äusserst ungünstig sei. Die Baudirektion
schloss sich dieser Auffassung an und wies das Gesuch durch Verfügung
vom 15. Oktober 1955 ab.

    Die Beschwerdeführerin rekurrierte hiegegen an den Regierungsrat,
indem sie geltend machte, dass für die Tankstelle kein öffentlicher Boden
in Anspruch genommen werde und die Zu- und Abfahrt gefahrlos sei.

    Der Regierungsrat wies die Beschwerde mit Entscheid vom 11. September
1956 ab. Zur Begründung wird unter Berufung auf die eingangs erwähnten
Bestimmungen ausgeführt: Die Behörden seien bestrebt, die Errichtung
von Tankstellen überall dort zu verhindern, wo sie den flüssigen
Verkehr übermässig behindern, insbesondere also an Brennpunkten des
Verkehrs, an Strassenkreuzungen und -einmündungen, an Strassenkurven,
an Haltstellen öffentlicher Verkehrsbetriebe und dergleichen. Die von der
Beschwerdeführerin geplante Tankstelle liege in unmittelbarer Nähe einer
Tramendstation. Überdies mündeten dort drei Strassen in die Hauptstrasse,
die dadurch einen grossen Teil des Verkehrs aus dem Birsigtal Richtung
Basel aufnehme und umgekehrt. Diese Stelle sei somit als ein Brennpunkt
des Verkehrs zu betrachten und eigne sich daher nicht für die Errichtung
einer Tankstelle, zumal der Platz für die Zufahrt zu dieser sehr
beschränkt sei. Die Behörden seien im Interesse der Verkehrssicherheit
verpflichtet, den neuen Gefahren, die zweifellos durch die Errichtung der
Tankstelle entstehen würden, rechtzeitig vorzubeugen. Mit dem Ansteigen
des Motorfahrzeugverkehrs sei die Bewilligungspraxis für Tankstellen in
letzter Zeit strenger geworden, doch sei diese begründete Praxisänderung
aus dem Gesichtspunkt des Art. 4 BV nicht zu beanstanden.

    C.- Frau Sameli hat gegen diesen Entscheid des Regierungsrates
rechtzeitig staatsrechtliche Beschwerde erhoben. Sie beruft sich auf
Art. 4 und 31 BV sowie auf die Eigentumsgarantie.

    D.- Der Regierungsrat des Kantons Basel-Landschaft beantragt die
Abweisung der Beschwerde.

    E.- Eine Instruktionskommission des Bundesgerichts hat am 2. April
1957 in Binningen einen Augenschein genommen.

Auszug aus den Erwägungen:

              Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- .....

Erwägung 2

    2.- Der Regierungsrat hat im bundesgerichtlichen Verfahren u.a. auch
den Einwand erhoben, der Betrieb einer Tankstelle ziehe eine gesteigerte
Benützung von öffentlichem Grund und Boden nach sich. Damit will er
offenbar geltend machen, dass ein solcher Betrieb selbst dann, wenn er
sich auf einem privaten Grundstück befindet, wegen der vermehrten Zu- und
Wegfahrt von Motorfahrzeugen zu einem über den gewöhnlichen hinausgehenden,
sogenannten gesteigerten Gemeingebrauch an der öffentlichen Strasse
führe und daher den für diesen geltenden Beschränkungen unterliege. Diese
Auffassung erweckt indessen Bedenken. Da zur Ausübung des Gemeingebrauchs,
zu dem vor allem das Gehen und Fahren auf der Strasse gehört, diese
von privaten Grundstücken aus muss betreten werden können, ist in dem
jedermann offen stehenden Gemeingebrauch an der Strasse grundsätzlich auch
der Zutritt von der Strasse zu den anstossenden privaten Grundstücken und
von diesen auf die Strasse mitenthalten (Urteil vom 4. Juli 1956 i.S. Haus-
und Chaletfabrik Murer A.-G. Erw. 3, abgedruckt in ZBl 58 S. 21 ff.). Ob
und gegebenenfalls unter welchen Voraussetzungen dieser Grundsatz
Ausnahmen zulässt für ein auf privatem Grundstück betriebenes Gewerbe
und den Zutritt der Kundschaft desselben, ist zweifelhaft. Die Frage,
ob der Betrieb einer Tankstelle auf dem Grundstück der Beschwerdeführerin
mit einem gesteigerten Gemeingebrauch verbunden sei, kann aber, wie sich
aus den folgenden Erwägungen ergibt, offen gelassen werden.

Erwägung 3

    3.- Der angefochtene Entscheid stützt sich rechtlich auf das
kantonale Strassengesetz, das in § 30 jede Vorrichtung oder Handlung,
die den Verkehr auf der Strasse gefährdet, verbietet, sowie auf den
Regierungsratsbeschluss vom 21. Juni 1929, wonach die Aufstellung von
Benzinabfüllapparaten eine Bewilligung erfordert und der Aufstellungsort
an öffentlichen Strassen "unter Berücksichtigung der jeweiligen
Platzverhältnisse und der Ansprüche des öffentlichen Verkehrs" zu
bestimmen ist. Die Beschwerdeführerin behauptet nicht, dass diese
Vorschriften verfassungswidrig seien. Aus ihnen lässt sich aber ohne
Willkür ableiten, dass die Bewilligung für den Betrieb einer Tankstelle,
gleichgültig ob es sich bei der Zu- und Wegfahrt um gewöhnlichen oder
gesteigerten Gemeingebrauch handelt, aus strassenpolizeilichen Gründen
verweigert werden darf. Die allgemein gefasste Vorschrift in § 30 des
Strassengesetzes gestattet ein Verbot verkehrsgefährdender Handlungen
auch dann, wenn diese an sich zum Gemeingebrauch gehören. Und wenn der
Baudirektion, die (zusammen mit der Finanzdirektion) über die Bewilligung
von Tankstellen entscheidet, in § 2 lit. c des RRB vorgeschrieben wird,
bei der Bestimmung des Aufstellungsortes die "Ansprüche des öffentlichen
Verkehrs" zu berücksichtigen, so kann dies sehr wohl dahin verstanden
werden, dass die Bewilligung verweigert werden darf für Orte, wo die
Benützung der Tankstelle eine erhebliche Störung oder Gefährdung des
Strassenverkehrs zur Folge hätte.

Erwägung 4

    4.- Gegenüber einer hiermit begründeten Verweigerung der Bewilligung
für eine Tankstelle auf privatem Boden vermag weder die Berufung auf die
Eigentumsgarantie noch diejenige auf die Handels- und Gewerbefreiheit
aufzukommen.

    a) Da dem Anstösser kein besseres Recht am Gemeingebrauch zukommt als
jedem andern Volksgenossen (BGE 61 I 230 mit Zitaten), kann er sich einer
strassenpolizeilichen Beschränkung des Gemeingebrauchs, als welche die
Nichtzulassung der mit dem Betrieb einer Tankstelle verbundenen vermehrten
Zu- und Wegfahrt zu und von seinem Grundstück betrachtet werden kann, nicht
unter Berufung auf seine Stellung als Anstösser widersetzen. Zu den vom
Standpunkt der Eigentumsgarantie erforderlichen öffentlichen Interessen,
welche eine öffentlich-rechtliche Eigentumsbeschränkung zu rechtfertigen
vermögen, gehört sodann auch dasjenige der Verkehrssicherheit.
Das Bundesgericht hat daher schon wiederholt kantonale Vorschriften,
wonach den Staatsstrassen entlang ein Landstreifen von 3 oder 4 m
unüberbaut zu bleiben hat, als eine im öffentlichen Interesse liegende
Eigentumsbeschränkung anerkannt (nicht veröffentlichte Urteile vom 9.
November 1928 i.S. Schnyder S. 9 und vom 15. Dezember 1948 i.S. Mohn
S. 13). Aus dem gleichen Grund ist auch gegen Vorschriften, welche die
Ausübung bestimmter Gewerbe an gewissen Strassen oder Strassenstrecken
im Interesse der Verkehrssicherheit ausschliessen, nichts einzuwenden.

    b) Ähnlich verhält es sich mit der Handels- und Gewerbefreiheit. Sie
bietet keinen Schutz gegen Vorschriften und Massnahmen, welche die Ausübung
eines Gewerbes auf öffentlicher Strasse oder auf privaten, an bestimmten
Strassenstrecken gelegenen Grundstücken im Interesse der Verkehrssicherheit
beschränkt oder ausschliesst. Gegen die Handels- und Gewerbefreiheit
verstösst es dagegen, wenn die Bewilligung für eine Tankstelle mangels
Bedürfnisses verweigert wird. Dass das im vorliegenden Falle geschehen sei,
hat die Beschwerdeführerin - offensichtlich mit Recht - nicht behauptet.

Erwägung 5

    5.- Der Entscheid darüber, ob der Betrieb einer geplanten Tankstelle
eine erhebliche Beeinträchtigung des Strassenverkehrs zur Folge hätte,
hängt von der Würdigung der örtlichen Verhältnisse ab, bei der den
kantonalen Behörden ein gewisses Ermessen eingeräumt werden muss. Es
kann nicht Sache des Bundesgerichts sein, sein Ermessen an Stelle
desjenigen der kantonalen Behörden zu setzen und im Einzelfall alle für
und gegen die Erteilung der Bewilligung sprechenden Gründe gegeneinander
abzuwägen. Vielmehr kann es nur einschreiten, wenn die Annahme der
kantonalen Behörden, dass ein neben der Strasse gelegenes Grundstück
sich nicht für eine Tankstelle eigne, weil deren Betrieb den Verkehr
behindern würde, willkürlich ist. Dieser Vorwurf wird denn auch von der
Beschwerdeführerin erhoben. Er ist indessen unbegründet.

    Die Hauptstrasse von Binningen verbreitert sich unmittelbar nach
der Liegenschaft der Beschwerdeführerin zu einem Platz, auf dem die
tagsüber alle 6 Minuten verkehrende Strassenbahn ihre Endstation mit
einer Schleife hat. Die Oberwilerstrasse setzt die Hauptstrasse
nicht geradlinig, sondern mit einer ziemlich scharfen Kurve fort,
in die ausserdem zwei Nebenstrassen und der Sängerweg einmünden. Der
Strassenverkehr ist, wie auch der Augenschein ergeben hat, auf der
Hauptstrasse/Oberwilerstrasse dicht und wird in der nächsten Zeit mit
der allgemeinen Zunahme der Motorfahrzeuge und der wachsenden Überbauung
der stadtnahen Gebiete des Birsigtals noch dichter werden. Angesichts
dieser Verhältnisse leuchtet es ohne weiteres ein, dass das Grundstück
der Beschwerdeführerin sich für eine Tankstelle nicht eignet, da die zu-
und wegfahrenden Automobile den durchgehenden Verkehr erheblich behindern
und damit seine Sicherheit gefährden. Dass die Automobilisten, wie in der
Beschwerde hervorgehoben wird, an dieser Stelle ohnehin die Geschwindigkeit
mässigen und besonders aufmerksam sein müssen, spricht nicht für, sondern
gegen die Beschwerdeführerin, da es als unerwünscht erscheint, wenn an
einer solchen Stelle der Verkehr durch zu- und wegfahrende Fahrzeuge
blockiert und eine zusätzliche Gefahrenstelle geschaffen wird, die auch
durch einen ständigen Tankwart nicht ausgeschaltet werden kann. Die
Verweigerung der Bewilligung ist daher nicht zu beanstanden, sofern darin
nicht eine rechtsungleiche Behandlung der Beschwerdeführerin liegt.

Erwägung 6

    6.- Gegen den Grundsatz der Rechtsgleichheit verstösst jedenfalls
nicht die Verschärfung der Bewilligungspraxis als solche, denn es kann
einer Behörde, namentlich wenn es um die Sicherheit des öffentlichen
Verkehrs geht, nicht verwehrt sein, veränderten Verhältnissen Rechnung zu
tragen, die bisherige Praxis zu überprüfen und sie gegebenfalls, besserer
Erkenntnis folgend, zu ändern (BGE 78 I 101 Erw. 5 und dort zitierte
frühere Urteile). So verhielt es sich aber hier, indem die Behörden
verschiedener Kantone (Baselland, Aargau und Solothurn) auf Grund einer
im Dezember 1955 getroffenen Vereinbarung Richtlinien für die Bewilligung
von Tankstellen aufstellten, auf Grund deren sich der Regierungsrat zu
einer Änderung seiner Praxis entschloss. Diese Richtlinien entsprechen
im wesentlichen den dann im Oktober 1956 aufgestellten Richtlinien der
Vereinigung Schweizerischer Strassenfachmänner und erscheinen als sachlich
begründet. Dass die Behörden des Kantons Baselland nicht gewillt wären,
die neue verschärfte Praxis insskünftig gegenüber allen Gesuchstellern
anzuwenden, ist nicht dargetan; der vom Regierungsrat eingelegte Entscheid
vom 2. August 1956 i.S. Mohler zeigt vielmehr, dass er sie auch in andern
Fällen handhabt.

    Der Hinweis der Beschwerdeführerin auf die übrigen, an der
Hauptstrasse von Binningen befindlichen Tankstellen ist zur Begründung
des Vorwurfs rechtsungleicher Behandlung schon deshalb untauglich,
weil diese Tankstellen von der Baudirektion und nicht vom Regierungsrat,
gegen den sich die vorliegende Beschwerde richtet, bewilligt worden sind,
und zwar, was entscheidend ins Gewicht fällt, bevor der Regierungsrat
zur neuen, verschärften Praxis übergegangen ist. Das gilt auch für
die von der Beschwerdeführerin erst in der Replik genannte Tankstelle
"Eldorado", die von der Baudirektion am 29. November 1955 bewilligt
worden ist. Übrigens liegen die Verhältnisse bei diesen Tankstellen,
wie der Augenschein bestätigt hat, insofern wesentlich günstiger als
beim Grundstück der Beschwerdeführerin, als dort die Hauptstrasse auf
eine längere Strecke gerade und übersichtlich ist, sodass von einer
rechtsungleichen Behandlung auch deshalb nicht gesprochen werden kann.

Entscheid:

               Demnach erkennt das Bundesgericht:

    Die Beschwerde wird abgewiesen.