Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 83 IV 99



83 IV 99

28. Urteil des Kassationshofes vom 3. Mai 1957 i.S. Denicolà gegen
Polizeiabteilung des Kantons Graubünden. Regeste

    Art.2 Abs. 1 lit. c, Abs.2lit. b und c HRG.

    a)  Begriff der Muster- oder Modellausstellung (Erw. 1-2).

    b)  Wer im Namen und auf Rechnung einer auswärtigen Firma Bestellungen
aufnimmt, ist nicht Platzreisender (Erw. 3 Abs. 1).

    c)  Wann geht an einer Ausstellung der Anstoss vom Kunden aus? (Erw. 3
Abs. 2).

Sachverhalt

    A.- Die Beltone Service AG, St. Gallen, liess im April 1956 in
sechs Ortschaften des Kantons Graubünden durch ihren Vertreter Denicolà
während je eines Tages Hörberatungen für Schwerhörige durchführen, die
sie vorher in der Tagespresse angekündigt hatte. Die Beratungen fanden
in den namentlich bezeichneten Apotheken und Drogerien statt, die als
Ortsservicestellen der Beltone Service AG den erforderlichen Raum zur
Verfügung stellten. Denicolà benützte die Beratungen, um im Namen und auf
Rechnung seiner Firma Bestellungen auf den Hörapparat Beltone aufzunehmen.

    B.- Die kantonale Polizeiabteilung Graubünden, die in diesen
Bestellungsaufnahmen eine Widerhandlung gegen das Bundesgesetz über die
Handelsreisenden und der dazu gehörenden Vollziehungsverordnung erblickte,
verfällte mit Strafmandat vom 14. Mai 1956 Denicolà in eine Busse von
Fr. 30.-.

    Auf Einsprache des Gebüssten bestätigte der Kleine Rat des Kantons
Graubünden am 15. Oktober 1956 den Entscheid der Polizeiabteilung. Er fand,
einerseits habe Denicolà als Handelsreisender im Sinne des Art. 1 Abs. 1
HRG gehandelt, indem die Initiative zu Verkaufsverhandlungen von ihm
und nicht von den Bestellern ausgegangen sei, und anderseits seien die
Veranstaltungen als Muster- oder Modellausstellung im Sinne von Art. 2
Abs. 1 lit. c HRG anzusprechen. Da gemäss Art. 9 HRG in Verbindung mit
Art. 14 VV die Bestellungsaufnahme auf Apparaten für Schwerhörige durch
Kleinreisende verboten sei, falle Denicolà unter die Strafbestimmung des
Art. 14 Abs. 1 lit. c HRG.

    C.- Demcolà führt Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag, der Entscheid
des Kleinen Rates sei aufzuheben und die Sache zu seiner Freisprechung an
die Vorinstanz zurückzuweisen. Er macht geltend, Art. 1 Abs. 1 HRG treffe
nicht zu, weil er sich nicht zu den als Besteller in Aussicht genommenen
Personen hinbegeben, sondern lediglich seinen Arbeitsplatz aufgesucht und
dort wie ein Ladeninhaber auf Interessenten gewartet habe. Noch weniger
als eine Reisetätigkeit liege eine "Bestellungsaufnahme als Kleinreisender"
im Sinne des Art. 14 VV vor, der voraussetze, dass der Reisende gleich
einem Hausierer von Haus zu Haus gehe, um Bestellungen aufzunehmen. Das
HRG sei aber auch nicht auf Grund von Art. 2 Abs. 1 lit. c anwendbar,
da für eine Muster- oder Modellausstellung das begrifflich notwendige
Vorzeigen einer Mehrzahl von Waren fehle; nur wenn der Interessent eine
Auswahl zu treffen habe, bestehe überhaupt die Gefahr einer übereilten
Bestellungsaufgabe. Ausser den für die Untersuchung und Beratung
erforderlichen Gerätschaften sei nicht einmal ein ganzer Hörapparat,
sondern lediglich ein Gehäuse dazu vorhanden gewesen, und auch dieses nur,
um die bescheidene Grösse des Apparates zu zeigen.

Auszug aus den Erwägungen:

              Der Kassationshof zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- Dem HRG untersteht nicht nur, wer nach der allgemeinen
Definition des Art. 1 Abs. 1 als Inhaber, Angestellter oder Vertreter
eines Fabrikations- oder Handelsgeschäfts Bestellungen auf Waren
"aufsucht", sondern auch derjenige, der in den in Art. 2 Abs. 1
lit. a-c besonders genannten Fällen Bestellungen aufnimmt. Nach lit. c
dieser Bestimmung fällt darunter die Bestellungsaufnahme an Muster- oder
Modellausstellungen, an denen keine Waren abgegeben werden, vorausgesetzt,
dass es sich nicht um eine Ausstellung mit öffentlichem Charakter oder
um eine ihr gleichgestellte Veranstaltung im Sinne des Art. 13 der
Vollziehungsverordnung handelt.

    An einer Muster- oder Modellausstellung, deren Zweck darin besteht,
die Kauflust zu wecken und Bestellungen aufzunehmen, aber keine Waren
abzugeben, werden die zur Schau bestimmten Produkte naturgemäss nur in
einem oder in wenigen Exemplaren vorgelegt. Der Begriff der Muster- oder
Modellausstellung setzt indessen nicht voraus, dass mehrere Geschäfte
an der Veranstaltung beteiligt seien oder dass jede einzelne Firma eine
Mehrzahl von Mustern oder Modellen verschiedener Art vorzeige, damit der
Kaufsinteressent unter ihnen wählen könne. Der Zug zur Spezialisierung
führt vielfach dazu, dass ein Geschäft sich auf die Herstellung oder
den Vertrieb eines einzigen Produkts beschränkt und dementsprechend
auch nur ein Modell zur Schau stellt. Eine andere Auslegung würde dem
Zweck des Gesetzes nicht gerecht, der nebst dem Schutz der einheimischen
Geschäftsleute denjenigen des unerfahrenen Publikums vor unüberlegten
Käufen verfolgt (BGE 76 IV 42). Die Gefahr, dass ein Interessent den
Überredungskünsten eines Reisenden unterliegt und ein übereilter Kauf
zustandekommt, ist beim Vorzeigen nur eines Modells nicht geringer,
als wenn er die Wahl unter menreren hat.

    Auch gehört zur Modellausstellung nicht notwendig, dass der Gegenstand,
auf dem Bestellungen entgegengenommen werden, in seiner vollständigen
und endgültigen Ausrüstung, Zusammensetzung und Grösse, wie er später
geliefert wird, zur Vorführung gelangt. Wo der Besteller entscheidend auf
ein bestimmtes Teilstück einer im übrigen mehr oder weniger bekannten Ware
abstellt oder sein Interesse beispielsweise vorwiegend der äussern Form
oder Aufmachung, weniger der technischen Einrichtung eines Gegenstandes
gilt, genügt das Vorzeigen desjenigen Teils, der für den Kaufsentschluss
bestimmend ist.

Erwägung 2

    2.- Die Voraussetzungen des Art. 2 Abs. 1 lit. c HRG sind im
vorliegenden Fall erfüllt. Der Beschwerdeführer hat den Interessenten,
die sich zu den angekündigten Hörberatungen einfanden, ein Gehäuse des von
seiner Firma vertriebenen Hörapparates vorgeführt und darauf Bestellungen
aufgenommen, ohne die Apparate unmittelbar abzuliefern. Dass nicht der
vollständige Apparat gezeigt wurde, ist schon deshalb unwesentlich,
weil er in jedem Einzelfall dem vorhandenen Hörvermögen noch angepasst
werden muss und die Einstellung der Lautstärke am Geschäftssitz der
Firma erfolgt. Worauf es den Bestellern entscheidend ankam, war gerade
das Gehäuse, dessen kleines und darum unauffälliges Format schon in der
Reklame als besonderer Vorzug des Beltone-Apparates angepriesen wurde.

Erwägung 3

    3.- Der Beschwerdeführer kann sich nicht auf einen der in Art. 2 Abs. 2
HRG erwähnten Ausnahmefälle berufen, auf die das Gesetz keine Anwendung
findet. Er hat die Bestellungen im Namen und auf Rechnung der Beltone
Service AG aufgenommen, die Kaufverträge also nicht, wie Art. 2 Abs. 2
lit. b verlangt, für ein ortsansässiges Geschäft abgeschlossen. Dass die
Ortsservicestellen, wo die Beratungen und Bestellungsaufnahmen stattfanden,
eine gewisse Tätigkeit für die Beltone Service AG entfalten, insbesondere
kleinere Reparaturen selber besorgen und bei grösseren Störungen die
Apparate nach St. Gallen senden, ändert nichts daran, dass eine nicht am
Ort niedergelassene Firma Vertragspartei ist und die Besteller sich an
diese zu halten verpflichtet sind.

    Ziel einer Muster- oder Modellausstellung, an der Bestellungen
aufgenommen werden, ist die Kundenwerbung und Absatzförderung. In
deren Veranstaltung liegt die Aufforderung an Interessenten, am Ort der
Ausstellung die Verbindung mit der ausstellenden Firma aufzunehmen, um
über den Kauf von Waren der ausgestellten Art zu verhandeln. Leistet ein
Interessent der Einladung Folge, so hat nicht er, sondern das Geschäft
den Anstoss dazu gegeben. Darauf, ob der Kunde bereits ein Kaufsinteresse
gehabt habe oder ob es erst an der Ausstellung geweckt worden sei, kommt
es nicht an. Massgebend nach Art. 2 Abs. 2 lit. c HRG ist vielmehr,
von wem die Initiative zur Aufnahme von Kaufsverhandlungen ausgegangen
ist. Wollte man diese nicht in der Einladung des Geschäfts, sondern erst
im Besuch des Kunden erblicken, so wäre die Anwendbarkeit des Art. 2
Abs. 1 lit. c HRG überhaupt ausgeschlossen, denn die Bestellungsaufnahme
an Ausstellungen setzt notwendig voraus, dass der Besteller sich zum
Aussteller hinbegibt. Der Beschwerdeführer könnte sich auf Art. 2 Abs. 2
lit. c nur berufen. wenn die Beltone Service AG die Ausstellung nicht von
sich aus, sondern auf Wunsch bestimmter Interessenten veranstaltet hätte,
und auch dann nur insoweit, als die aufgegebenen Bestellungen von solchen
und keinen andern Kunden stammen. Dieser Fall ist nicht gegeben.

Erwägung 4

    4.- Der Beschwerdeführer war somit auf Grund von Art. 2 Abs. 1 lit. c
HRG den Vorschriften dieses Gesetzes unterstellt, gleich wie derjenige, der
nach Art. 1 Abs. 1 darunter fällt. Ob gleichzeitig auch diese Bestimmung
zutreffe, kann daher offen bleiben.

    Art. 9 HRG verbietet die Aufnahme von Bestellungen auf Waren, die
der Bundesrat in Art. 14 der Vollziehungsverordnung näher bezeichnet
hat. Ob jemand Kleinreisender sei, auf den Art. 14 der Verordnung das
Verbot beschränkt, hängt nicht von der Art der Bestellungsaufnahme ab,
sondern beurteilt sich nach Art. 3 HRG. Danach gilt als Kleinreisender,
wer nicht ausschliesslich mit Geschäftsleuten, Unternehmungen,
Verwaltungen und Anstalten in Verkehr tritt, welche Waren der angebotenen
Art wiederverkaufen oder in ihrem eigenen Betrieb verwenden. Der
Beschwerdeführer hat sich nicht an einen solchen Personenkreis, sondern an
Privatpersonen gewandt. Da unbestritten ist, dass der Beltone-Apparat zu
den von der Bestellungsaufnahme ausgenommenen Apparaten für Schwerhörige
gehört, hat sich der Beschwerdeführer nach Art. 14 Abs. 1 lit. c HRG
wegen verbotener Tätigkeit strafbar gemacht.

Entscheid:

               Demnach erkennt der Kassationshof:

    Die Nichtigkeitsbeschwerde wird abgewiesen.