Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 83 IV 4



83 IV 4

3. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 1. März 1957 i.S. Schuler
gegen Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich. Regeste

    Art. 42 Ziff. 1 StGB. Massnahmenkonkurrenz.

    Hat der Richter, der einen während der Dauer der Verwahrung rückfällig
gewordenen Täter neuerdings verwahren will, diese Massnahme zusätzlich
zu der bereits laufenden anzuordnen?

Sachverhalt

    A.- Am 26. Januar 1955 verurteilte das Kantonsgericht Schwyz den
vielfach vorbestraften Josef Schuler wegen Betruges zu acht Monaten
Gefängnis und ordnete dessen Verwahrung nach Art. 42 StGB an. Während des
Vollzuges dieser Massnahme entwich Schuler wiederholt aus der Anstalt,
wobei er erneut straffällig wurde.

    Am 31. Juli und 28. September 1956 bestrafte das Bezirksgericht
Zürich Schuler wegen Betruges, Diebstahls und Verweisungsbruches mit je
zwei Monaten Gefängnis. In beiden Fällen ordnete es die Verwahrung des
Verurteilten an.

    Schuler legte gegen diese beiden Urteile Berufung ein.

    B.- Am 13. November 1956 verfällte ihn das Obergericht des Kantons
Zürich in eine durch die Untersuchungshaft erstandene Gesamtstrafe
von vier Monaten Gefängnis. An die Stelle der Strafe liess es die
Verwahrung treten. Die Voraussetzungen des Art. 42 Ziff. 1 StGB seien
gegeben, weswegen die Verwahrung ungeachtet der Fortdauer der durch das
Kantonsgericht Schwyz verhängten Massnahme erneut anzuordnen sei.

    C. - Schuler führt Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag, das Urteil
des Obergerichtes sei insoweit aufzuheben, als es ihn wiederum nach Art. 42
StGB verwahre, und es sei die Sache an die Vorinstanz zurückzuweisen,
damit sie an die Stelle der Freiheitsstrafe die am 26. Januar 1955 vom
Kantonsgericht Schwyz verhängte Verwahrung treten lasse. Es wird geltend
gemacht, das angefochtene Urteil führe zu einer Kumulation gleichartiger
Massnahmen, zu deren Vollzug Behörden verschiedener Kantone zuständig
seien. Angesichts dessen stelle sich die Frage, ob die zuerst angeordnete
Massnahme während mindestens drei Jahren vollzogen sein müsse, um mit
dem Vollzug der zweiten beginnen zu können, oder ob nicht die erstere
durch die zweite abgelöst werde. Hieraus sowie aus der uneinheitlichen
Behandlung des Strafvollzuges in den verschiedenen Kantonen ergäben
sich erhebliche Schwierigkeiten, weswegen eine Kumulation gleichartiger
Massnahmen abzulehnen sei. Werde ein Verurteilter während der Verwahrung
straffällig, könne der Vollzug der im ersten Urteil angeordneten Massnahme
gestützt auf Art. 42 Ziff. 5 StGB ohne weiteres über die Mindestdauer
von drei Jahren hinaus erstreckt werden. Eine zusätzliche Anordnung der
Verwahrung erweise sich daher als überflüssig. Daran ändere der Umstand
nichts, dass das erste Urteil infolge Revision dahinfallen könne. Nach
Art. 42 StGB habe der Richter ohnehin eine Freiheitsstrafe auszusprechen,
die - sollte die früher verhängte Verwahrung aufgehoben werden - vollzogen
oder durch eine neue Verwahrung ersetzt werden könne.

Auszug aus den Erwägungen:

              Der Kassationshof zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- .....

Erwägung 2

    2.- Art. 42 Ziff. 1 StGB räumt dem Richter die Möglichkeit ein, eine
von ihm ausgefällte Strafe durch die sichernde Massnahme der Verwahrung
zu ersetzen. Dafür, dass er an die Stelle der Freiheitsstrafe eine in
einem früheren Urteil und von einem andern Richter angeordnete Verwahrung
treten lassen könne, wenn deren Vollzug noch andauert, ist der angeführten
Bestimmung nichts zu entnehmen. Vielmehr hat der Richter, sofern er von
der ihm durch das Gesetz eingeräumten Befugnis Gebrauch machen will, auch
während der Dauer einer früher verhängten Verwahrung diese Massnahme
in seinem Urteil neuerdings und zusätzlich zu der bereits laufenden
anzuordnen. Liesse er entsprechend dem Antrag des Beschwerdeführers
anstelle der neu ausgefällten Strafe lediglich die frühere Verwahrung
treten, würde der Vollzug seines Urteils von demjenigen des ersteren
abhängig gemacht. Das müsste zu unhaltbaren Ergebnissen führen.

    a) Wie die Vorinstanz zutreffend feststellt, bliebe das zweite
Urteil ohne strafrechtliche Folge, wenn das erste im Weg der Revision
aufgehoben würde. In diesem Fall wäre der weiteren Verwahrung des Täters
die urteilsmässige Grundlage entzogen und könnte gestützt auf das
zweite Erkenntnis selbst von einem Vollzug der darin ausgesprochenen
Freiheitsstrafe nicht die Rede sein. Denn damit, dass der Richter die
Strafe in ihrem Vollzug nicht bloss aufschob (vgl. Art. 43-45 StGB),
sondern durch die sichernde Massnahme der Verwahrung ersetzte, ist gesagt,
dass der Täter das Vertrauen einer dauernden Besserung nicht verdient
(vgl. BGE 73 IV 244, 75 IV 99, 77 IV 78). Angesichts dessen wäre es
widersinnig und mit der ratio legis unvereinbar, die Strafe vollziehen
zu lassen. Entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers könnte die
durch das Dahinfallen des ersten Urteils entstehende Lücke auch nicht
durch nachträgliche Anordnung einer neuen Verwahrung geschlossen werden.
Nicht nur fehlte hiezu die notwendige gesetzliche Ermächtigung, sondern
stünde einem solchen Vorgehen auch die Verbindlichkeit des rechtskräftigen
Urteils entgegen.

    Selbst wenn übrigens der erste Entscheid bestehen bliebe und
der Vollzug der darin angeordneten Verwahrung anhielte, wäre keine
zureichende Gewähr geboten, dass der im letzten Urteil festgestellten
Gemeingefährlichkeit des Täters und dem sich daraus ergebenden
Schutzbedürfnis der Öffentlichkeit in Zukunft genügend Rechnung getragen
werde. Zwar müsste beispielsweise im vorliegenden Fall die zuständige
Schwyzer Behörde zur Bestimmung des frühesten Zeitpunktes, an welchem
der Beschwerdeführer bedingt entlassen werden könnte, die sich auf Grund
beider Urteile ergebende Strafzeit in Betracht ziehen (Art. 42 Ziff. 5
StGB). Da jedoch die gesamte Dauer der beiden in den Kantonen Schwyz
und Zürich verwirkten Freiheitsstrafen weniger als drei Jahre ausmacht,
könnte Schuler ungeachtet der während der Verwahrung begangenen Delikte
bereits nach Ablauf des gesetzlichen Minimums von drei Jahren bedingt
entlassen werden. Das Urteil des Obergerichtes des Kantons Zürich bliebe
auch in diesem Fall ohne die gewollte Wirkung.

    b) Die vom Beschwerdeführer beantragte Lösung der Frage müsste überdies
zu einer durch nichts gerechtfertigten ungleichen Behandlung des während
der Verwahrung rückfälligen Gewohnheitsverbrechers gegenüber dem nach
Art. 42 Ziff. 5 StGB bedingt Entlassenen führen. Während es für jenen
trotz der erneut bekundeten Gemeingefährlichkeit bei der ursprünglichen
Mindestdauer der Massnahme sein Bewenden hätte, könnte dieser bei Rückfall
während der Probezeit neuerdings auf mindestens fünf Jahre verwahrt werden
(Art. 42 Ziff. 6 Abs. 1 StGB). Daran ändert nichts, dass die Behörden des
ersten Urteilskantons den während der Verwahrung begangenen strafbaren
Handlungen dadurch Rechnung tragen könnten, dass sie den Vollzug
der Massnahme über die gesetzliche Mindestdauer hinaus erstreckten;
ob und in welchem Masse das zu geschehen hätte, wäre ausschliesslich
in ihr Ermessen gestellt, während der Kanton des zuletzt erkennenden
Gerichtes hiezu nichts zu sagen hätte. Die Gefahr einer verfrühten
Entlassung wäre diesfalls umso grösser, als hinsichtlich der Frage,
ob die Gemeingefährlichkeit des Verwahrten als behoben gelten könne,
erhebliche Meinungsverschiedenheiten denkbar sind und bei der schweren
Belastung, welche der Vollzug einer solchen Massnahme unter Umständen für
einen Kanton zur Folge haben kann, die Möglichkeit, dass finanzielle,
aber auch andere zweckfremde Rücksichten den Entscheid mitbeeinflussen
könnten, nicht ohne weiteres von der Hand zu weisen ist.

Erwägung 2

    2a.- Ordnet der zuletzt erkennende Richter die Verwahrung des Täters
als selbständige und vom früheren Urteil unabhängige Massnahme an,
wird diese nach ständiger Rechtsprechung des Bundesrates als oberster
Aufsichtsbehörde und Beschwerdeinstanz in Sachen des Strafvollzuges
(Art. 392 StGB, 247 Abs. 3 BStP, Art. 125 Abs. 1 lit. b OG) zwar nicht
mit der laufenden kumuliert, sondern geht die eine in der andern auf
(vgl. die bundesrätlichen Entscheide in ZStR 60, S. 459; 62, S. 333; 63,
S. 236). Indessen bestimmt in Fällen wie dem vorliegenden die zuletzt
angeordnete Massnahme den Zeitpunkt der frühest möglichen bedingten
Entlassung (RStrS 1952, Nr. 87). Das wirkt sich dahin aus, dass z.B. ein
Verwahrter, der nach zweijährigem Massnahmenvollzug infolge Rückfalls vom
Richter neuerdings nach Art. 42 StGB verwahrt wird, frühestens nach fünf
Jahren (zwei Jahre der vollzogenen Massnahme + die gesetzliche Mindestdauer
von drei Jahren) bedingt entlassen werden kann. Insoweit ist das Ermessen
der Vollzugsbehörden ausgeschlossen und die vom Gesetz gewollte minimale
Sicherung des Massnahmenzweckes erreicht. Auch wird das Mitspracherecht
aller Urteilskantone gewahrt und ist Rechtsungleichheiten, wie sie bei
blosser Fortdauer der in einem früheren Urteil angeordneten Verwahrung
zutage treten, der Weg verbaut.

    Demgegenüber kommt der Hinweis des Beschwerdeführers auf die
Schwierigkeiten, die sich beim Vollzug konkurrierender Verwahrungen
ergeben können, nicht auf. Diese liegen in der durch das Gesetz gegebenen
Aufteilung von Rechtsprechung und Strafvollzug begründet und sind übrigens
nicht grösser als in allen andern Fällen, in denen Massnahmen oder Strafen
zusammentreffen. Die Rüge des Beschwerdeführers, das angefochtene Urteil
verstosse gegen Bundesrecht, weil es ihn erneut und zusätzlich zu der
vom Kantonsgericht Schwyz am 26. Januar 1955 angeordneten Massnahme nach
Art. 42 StGB verwahre, hält daher nicht stand.